Samstag, 11. September 2021

Künstlerische Differenzen

Spellling - The Turning WheelSPELLLING
the Turning Wheel
Sacred Bones
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ kunstvoll | andersweltlich | kreativ ] 

Beginnen wir einfach damit, dass es nicht einfach ist, über dieses Album zu schreiben. Sei es als Begründung dafür, dass mir auch nach inzwischen zweieinhalb Monaten, die es offiziell veröffentlicht ist, sowie mehreren Anläufen, einen Artikel dazu zu verfassen, ebendies nicht gelungen ist oder als Platzhalter für den ordentlichen Aufhänger, den die ganze Sache definitiv verdient hätte. Stand September 2021 ist the Turning Wheel mit Sicherheit eine der größten Kritiklieblinge der laufenden Saison, hat eine der seltenen 10-Punkte-Bewertung bei Nerd-Hoheprieser Anthony Fantano abgesahnt und ist, so fair muss man ganz einfach mal sein, eines der sicherlich spannenderen Artpop-Alben des Jahres, das dieses Prädikat tatsächlich mal wieder mit etwas Bedeutung füllen. Doch ist es gerade deshalb auch so immens schwer, darüber einen Text zu verfassen, der einigermaßen unvoreingenommen und unbescholten ist. Mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass ich die Diskografie der Künstlerin Spellling bis hierhin mehr oder weniger völlig ignoriert hatte. Und selbst die einfache Variante, mit einer klanglichen Beschreibung dieser LP anzufangen, stellt sich ob dieser Platte als kompliziert dar. Ganz einfach, weil Turning Wheel in jedem Moment ganz schön viel auf einmal ist. Aber versuchen wir es trotzdem mal. Da ist zum einen die kreative Basis dieses Albums, die ihre Wurzeln ziemlich offensichtlich bei Leuten wie Joanna Newsom und vor allem den verrückteren Sachen von Kate Bush aus den Achtzigern hat. Dazu kommt ein Verständnis von Sinfonik, das dem zarten Gemüt eines Sufjan Stevens ziemlich ähnlich ist, aber gleichzeitig viel weirder sein kann und auf größere Momente angelegt wird. Darüber hinaus gibt es Momente, die mich an alles von Roger Waters über Yann Tiersen bishin zu Benjamin Clementine erinnern. Und wenn Tia Cabral, die Hauptkünstlerin hinter Spellling, eines gut kann, dann singen. Ähnlich wie viele der eben genannten Vorbilder schafft sie es, ihre große stimmliche Spannweite gekonnt einzusetzen und vielen Songs damit nochmal einen Extrahappen Theatralik abzugewinnen, die nicht selten deren beste Eigenschaft sind. Nicht nur das, auch viele der Arrangements auf the Turning Wheel sind nicht weniger als fabelhaft und in Sachen Kreativität muss ich immer wieder staunen, wie gut hier die weirdesten Ideen funktionieren. Doch sehe ich die Platte deshalb gleichsam als ein Highlight des Pop-Jahres 2021? Mit an Gewissheit grenzender Sicherheit nicht. Dazu resultieren einfach zu wenige der vielen kompositorischen und performativen Extravaganzen letztlich in gute Songs und ein packendes Gesamterlebnis. Spellling schafft hier ein Album mit vielen zweifelsfrei schicken Momenten, die aber eher für sich entzückend sind, statt als Teil von ebenfalls großartigen Stücken. Gerade der Anfang der Platte fühlt sich auch nach diversen Hördurchgängen immer noch extrem behäbig an und in meinen Augen taut die LP erst mit Emperor With An Egg klanglich so richtig auf. Danach kommen bis zum Schluss zwar auch nochmal eine ganze Reihe echter Highlights, aber ein bisschen Befremdlichkeit bleibt hier trotzdem immer. Zum Teil ist daran vielleicht mangelnde Zugänglichkeit schuld, zum Teil aber auch die Attitüde der Songs an sich. Wobei ich definitiv sehe, was so viele Leute daran mögen und meine Unteilbarkeit dieser Gefühle letztendlich nur aus persönlichem Geschmack resultiert. Und das ist dieses Album am Ende des Tages wahrscheinlich mehr als alles: Geschmackssache. The Turning Wheel ist ein sehr spezielles Stück Musik, das bei allen, die es hören, definitiv eine Reaktion hervorrufen wird. Bei vielen war diese anscheinend positiv, doch ich kann genausogut verstehen, wenn jemand das Gegenteil empfindet. Ich für meinen Teil liege gerade irgendwo in der Mitte, mit einer durchaus erwähnenswerten Tendenz ins Positive. Ob das jetzt als Warnung oder Empfehlung gewertet wird, müsst ihr selbst entscheiden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
the Future | Awaken | Emperor With An Egg | Boys at School | Queen of Wands | Sweet Talk

Nicht mein Fall
Turning Wheel | Magic Act


Hat was von
Kate Bush
the Kick Inside

Björk
Utopia


 

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