Montag, 27. September 2021

Can't Get No Sleep

Hawkwind - SomniaHAWKWIND
Somnia
Cherry Red Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ trippy | eigenwillig | meditativ ]

Es ist schon eine besondere Leistung, wenn eine Band wie Hawkwind, die es seit inzwischen über 50 Jahren gibt und die seit Dekaden aus verschiedenen Besetzungen musikalischer Routiniers besteht, 2021 immer noch das Kunststück schafft, jemanden wie mich zu einem ernsthaften Fan zu machen. Einen Typen, der mit ihrer Generation Rock quasi keine Berührungspunkte teilt, eher mäßig auf Acts mit nerdigen Prog-Auswüchsen steht und bis vor kurzem noch dachte, es hier mit einer Bluesband zu tun zu haben. Und was die Sache noch erstaunlicher macht: Meine neuerliche Begeisterung für sie rührt nicht etwa daher, dass ich mich durch ein paar alte Klassiker geforstet habe und diese gut fand, sondern ist ganz und gar der Kraft ihres Outputs aus den letzten drei Jahren zu verdanken. Ein Output, der vielleicht nicht unbedingt durch seine künstlerische und stilistische Unfehlbarkeit besticht und bisweilen auch mal echt schräg werden kann, aber der vor allem durch eine Eigenschaft extrem begeistert: Dass diese Gruppe von gestandenen Profimusikern immer noch extrem freaky und experimentell sein kann. Meinen ersten Tango mit ihnen hatte ich 2018 auf Road to Utopia, einem Album, das alte Klassiker der Briten mit einer Big Band neu einspielte und dabei alles von Latin Jazz bis Swing mitnahm, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Und auch die beiden Platten der Formation seitdem waren alles andere als Dienst nach Vorschrift. Wenn eine Band so tief in ihrer Karriere noch solche Musik machen kann, muss ich einfach neugierig sein. Was sich jüngst auch wieder so richtig gelohnt hat, denn mit Somnia gibt es seit letzter Woche noch ein weiteres großartiges Album von ihnen, das wieder mal allen Erwartungen ausgebüchst ist. Aus der Ferne betrachtet ist das hier zwar "nur" eine Art meditativ-psychedelisches Prog- beziehungsweise Jamrock-Projekt, wie man es bei Hawkwind auch von früher schon kennt, bei dem allerdings unter der Oberfläche einiges blubbert. In nicht wenigen Tracks gibt es Einflüsse aus New Age-Akustikpop und Krautrock, an wieder anderen weirde Jazz-Auflüge und Versatzstücke aus orientalischen, lateinamerikanischen und ostasiatischen Folk-Gattungen, die schon mal ordentlich rumwuseln. Mit Abstand am spannendsten finde ich hier allerdings die große Scheibe, die sich die Briten ausgerechnet vom Triphop und Elektropop der späten Neunziger abgeschnitten haben und die teilweise sogar Somnias Etikett als Rockplatte zum abperlen bringt. So erinnert gleich der Opener Unsomnia extrem an die neueren Sachen von Archive, auf Barkus und Counting Sheep sind blubbernde Dub-Elemente mehr als nur Akzente und die zahlreichen elektronischen Einspielungen in Sweet Dreams oder China Blues sind weniger Analog-Prog-orientiert als viel mehr von Faithless, Air und Underworld abgeschaut. Was mich letztendlich nicht nur als verschworenen Triphop- und Big Beat-Enjoyer freut, sondern vor allem in Anerkennung der Kreativität, die Hawkwind hier aufbringen. Man merkt diesem Album einfach an, wie sich auf keinem Song mit dem einfachen Weg begnügt wurde und wie die Band aktiv nach neuen Wegen gesucht hat, ihren Sound auszugestalten. Wobei sie eben nicht so peinlich vorwärtsscheitert wie früher mal Steven Wilson oder Muse, die eh nur zu den coolen gehören wollten, sondern wirklich etwas richtig wertvolles aus diesem seltsamen Crossover machen, das über solchen Zuschreibungen steht. Mitunter kann es dabei ein wenig kauzig werden, sicher. Aber ich für meinen Teil sehe das inzwischen als Qualitätsmerkmal dieser Band. Denn was ist denn bitteschön die Alternative gut alternder klassischer Rockmusik? Kreativ gehandicappte Acts wie AC/DC oder die Stones? Senile Totalausfälle wie the Who oder Deep Purple? Oder warten, bis Motorpsycho endgültig ganz in Würde ergraut sind. Dann doch liebe diese Formation hier, die sich nach über einem halben Jahrhundert Bandgeschichte noch traut, ihren Sockenschuss zur Profession zu erhaben. Und es somit schafft, auch damit noch neue Fans zu finden. Also zumindest einen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Unsomnia | Strange Encounters | Alcyone | Counting Sheep | China Blues | Small Objects in Space | Cave of Phantom Dreams

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Archive
Controlling Crowds

Pink Floyd
Meddle


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