Freitag, 10. September 2021

Guilty Pleasures

Drake - Certified Lover Boy
DRAKE
Certified Lover Boy
OVO
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ eingeschnappt | seltsam | vibig ]

Um Gottes Willen, was war das ganze Rollout dieser Platte mal wieder selten peinlich. Es scheint mittlerweile die Regel geworden zu sein, dass wann immer ein neues Album des großartigen und genialen Pop-Schwergewichts Aubrey Drake Graham ansteht, nicht mehr nur die sozialen Medien eine Woche kollektiv komplett am Rad drehen, sondern inzwischen meist auch der Künstler selbst. Und zwar nicht auf die tatsächlich witzige Weise eines dämlichen Tanzvideos oder guten Contents für Internetmemes, wie es vor fünf Jahren mal war, sondern mehr und mehr auf eine eher ziemlich gruselige Yikes-Art und Weise, bei der man einschlägige Hashtags lieber schon prophylaktisch stummschaltet. Was in dieser Saison primär in Form eines von beiden Seiten völlig affigen Beefs mit Kanye West anfing, aber auch mit ein paar wirklich bescheuerten Textzeilen-Leaks am Releasetag und dem oben sichtbaren absoluten Krebs von einem Cover nicht enden wollte. Nimmt man dazu die diversen kleinen und großen Skandälchen, die der Kanadier abseits der Musik seit etlichen Jahren am laufen hat, ist er inzwischen genauso wie ein Kanye die Art von Rapkünstler, bei dem man gar nicht mehr fertig damit wird, den eigenen Schädel gegen das Handydisplay schmettern zu wollen. Ähnlich wie bei West habe ich aber auch bei Drake in den letzten Jahren immer stärker das Gefühl, dass mit wachsendem Cringe-Faktor der Persönlichkeit hinter der Musik selbige stetig besser wird. Auch wenn man die beiden Rapper stilistisch nach wie vor kein bisschen vergleichen kann. Seit mittlerweile einer halben Dekade bedeuten Longplayer von Aubrey Graham dabei stromlinienförmig durchgestylte Streamrolling-Projekte mit horrender Überlänge und fragwürdigen Crossover-Ansprüchen, die ganz offensichtlich keinem anderen Zweck dienen, als Klicks zu generieren. Wobei es erstaunlich ist, wie der Kanadier es geschafft hat, gerade darin seine beste künstlerische Ausdrucksform zu finden und kreativ erst so richtig zu florieren. In meinen Augen ist jede seiner Platten seit More Life von 2017 eine ziemliche Granate gewesen, was im übrigen auch die nicht offiziell als Longplayer deklarierten B-Seiten- und Demoprojekte einschließt, mit denen er die letzten Jahre überbrückte. Denn zieht man mal den offiziellen 6-God-Kanon zurate, ist das hier proforma sein erstes Album seit Scorpion von vor drei Jahren. Da der Katalog von Aubrey Graham aber praktisch gesehen eh mehr die Form eines kontinuierlichen Popcornrap-Fließbandes hat, ist dieser Fakt auch nicht mehr als spannende Trivia. Und Certified Lover Boy einfach die nächste Portion stabiler R'n'B-Fuckboy-Poprap-Mischpoke, die die Maschine ausgespruckt hat und die - zumindest für mich als Fan von diesem Zeug - wieder genauso gut funktioniert wie seine zwei bis vier Vorgänger. Ich mag Drakes fluffigen Mix zwischen Trapflow und seichtem Singsang, ich mag die glamourös-klinischen Beats, ich mag das nach wie vor extrem kreative Sampling (Highlights: Ein Chipmunk-Cover des Beatles-Klassikers Michelle auf Champagne Poetry und Right Said Freds I'm Too Sexy auf, well, Way 2 Sexy) und ich mag die Art, wie das Produktionsteam das alles zu einem wollig-entspannten Vibe-Teppich zusammenknüpft, bei dem ein Highlight dem nächsten folgt. Besonders cool finde ich diesmal die Art, wie einige Songs Timbaland-mäßig in den letzten zwei Minuten nochmal komplett in andere Richtungen abbiegen und sich die Tracklist somit noch Set-artiger anfühlt. Wobei Certified Lover Boy auch mehr denn je durch den Job der Producer*innen beeindruckt und immer weniger durch den von Drake selbst. Nicht, dass dieser hier komplett versagen würde, in den meisten Momenten des Albums tut er weiterhin sehr gut das, was er immer tut und hat sogar eine ganze Reihe fetziger Punchlines am Start, doch ist er definitiv auch der angreifbarste Punkt dieser LP. Immer wieder gibt es hier Sachen wie die Line mit dem durchsichtigen Kleid in Girls Want Girls, die Line mit den Lesben (auch in Girls Want Girls) oder sein konsequentes Mackertum, das einfach ziemlich nerven kann. Im Zuge seines Kanye-Beefs und diverser anderer Gossip-Geschichten aus den letzten Jahren nimmt er hier außerdem oft ein ziemlich heulsusiges und unglaubwürdiges Opfer-Narrativ auf, das ich extrem anstrengend finde. Es hat einfach etwas lachhaftes, hier dem wahrscheinlich erfolgreichsten Rapper der letzten zehn Jahre dabei zuzuhören, wie er eingeschnappt darüber lamentiert, dass ihn ja alle so furchtbar hassen. Wobei der schlimmste Moment dieser Nummer gar nicht mal von ihm selbst kommt, sondern von Featuregast Jay-Z, der sich in Love All dazu herablässt, bei all dem Gestänker auch noch mitzumachen. Das erstaunliche bei alledem ist wie schon auf den letzten Drake-Platten aber eigentlich, dass Certified Lover Boy trotz allem grundsätzlich so stabil ist. Sicher, eine Spielzeit von 86 Minuten ist gegenüber Fettnäpfchen wie den eben beschriebenen ziemlich tolerant, es gab definitiv auch schon bessere Sachen von diesem Typen und wenn man so sehr im Vibe verfangen ist wie er hier, fällt es leichter, auch mal ein paar schlimme Lines zu ignorieren. Aber solche Sachen akzeptiere ich inzwischen nicht mehr als ausschließliche Antwort. Das galt früher, wo Drake nur gegen die Monotonie ankämpfte und sich sich noch nicht vor allen zum Obst machte. Diese LP allerdings ist in ihrer Theorie so furchtbar peinlich, dass es völlig paradox erscheint, wie gelungen sie ist und wie wenig mich das, was ich hier kritisiere, am Ende doch stört. Es ist definitiv kein Zugeständnis, dass ich gerne mache und nicht zum ersten Mal fühlt es sich falsch an, Drake hier so positiv zu besprechen, doch hat die Musik einfach eine ganz eigene Sprache. Und die sagt, dass ich hier weiterhin mächtig Bock habe. Wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Champagne Poetry | Papi's Home | Way 2 Sexy | TSU | N 2 Deep | Pipe Down | Yebba's Heartbreak | No Friends in the Industry | Knife Talk | Fountains | You Only Live Twice | IMY2 | Fucking Fans | the Remorse

Nicht mein Fall
Love All


Hat was von
the Weeknd
Starboy

Logic
the Incredible True Story


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