Mittwoch, 29. September 2021

Der magische Montero

Lil Nas X - MonteroLIL NAS X
Montero
Columbia
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ akribisch | kommerziell | gewöhnlich ]

Betrachtet man die Dinge mal unabhängig von der Musik an sich, dann ist Lil Nas X in dieser Saison wahrscheinlich die musikalische Persönlichkeit mit dem größten Vorbildcharakter. Als einer der ersten wirklich nennenswerten schwulen Rapper im internationalen Mainstream hat er (gemeinsam mit Tyler, the Creator, könnte man argumentieren) in den letzten Jahren eine extrem wichtige Rolle als Pionier für junge queere Hiphop-Fans eingenommen, die man ihm Stand jetzt definitiv nicht mehr aberkennen kann und die er auf bemerkenswerte Weise nicht nur einnimmt, sondern lebt. Sein Auftritt als öffentliche Person, als Prominenter und in diversen Ecken des Internets zeigt eine erheiternd souveräne Attitüde gegenüber gesetzten Erwartungen, bestehenden Klischees und nicht selten auch Hass, bei der Nas gleichzeitig Provokateur und Kunstfigur, aber auch heilsamer Wegbereiter und Fürsprecher sein kann. Und für diese Rolle bewundere ich ihn bereits seit einer Weile uneingeschränkt. Als Musiker indes löste er bei mir bisher vor allem spektische Reaktionen aus und zeigte als Songwriter wenig von dem Talent, das er als moralischer Influencer und gutherziger Troll hatte. Klar fand auch ich vor drei Jahren Old Town Road geil, jedoch weniger als eigentlichen Song denn als das Meme drumherum und so gut wie alles, was zwischen diesem prognostizierten One Hit Wonder und dem Release seines Debüts Montero passierte, war ehrlich gesagt auch nicht wirklich mein Fall. Dass Lil Nas X mit seinen Tracks nicht gesichtslos in der Masse verschwand, lag in meinen Augen zum allergrößten Teil an der flamboyanten Show, die der Kalifornier jedes Mal frei Haus mitlieferte, selten an der Musik selber. Wirklich Bock hatte ich auf diesen Erstling im Vorfeld also eher nicht, auch wenn ich ihn gerne gehabt hätte. Wobei ich meine Einstellung zum Musiker Nas nach Erscheinen des fertigen Albums zumindest insofern korrigieren muss, dass ich jetzt schon irgendwie erkenne, was bei der ganzen Sache seine künstlerische Vision war und wie ernst diese gemeint ist. Und schon Anhand des zeitlichen Abstands von seinem Durchbruch 2018 bis hierhin lässt sich ablesen, dass in dieser Platte definitiv Arbeit steckt. Nach dem eher unverhofften viralen Hit von vor drei Jahren hat dieser Typ mit großer Wahrscheinlichkeit seine gesamte Energie darin investiert, eine kreativ möglichst scharf definierte Persönlichkeit herauszubilden, die von dem Lil Nas X von Old Town Road (einem Song, der hier passenderweise nicht nochmal auftaucht) nichts mehr übrig lässt. Viel eher ist es die LP, die den reichlich comediesken Startschuss seiner Karriere erfolgreich vergessen machen kann und mit einem größeren und besseren neuen Image übertüncht. Und als Gesamtergebnis ist es zudem kompositorisch runder, klanglich klarer und ästhetisch effizienter als alles, was ich davon erwartet hätte. Im ziemlich gelungenen Flow von Montero gibt es nur einzelne Momente, die effektiv stören und von denen nicht wenige eher von den Gästen kommen, die auf diesem Album ihren Senf dazugeben, als vom Hauptakteur selbst. Stromlinienförmig und ganz schön kommerziell sind die Titel am Ende schon, aber wenigstens gut darin. Und statt auf konkrete Hits als Flagschiffe setzt Nas hier eher auf ein ansprechendes Gesamtbild, das unabhängig von Einzeltracks funktioniert und anspricht. Stücke wie den Titeltrack oder Sun Goes Down fand ich als Singles beispielsweise noch ziemlich öde und nichtssagend, hier blühen sie als Teil eines ganzen auf, das irgendwie Sinn ergibt. Und das ist definitiv cool so, in Jubelarien will ich deshalb aber auch nicht gleich verfallen. Denn auf rein künstlerischer Ebene ist Montero zwar durchweg stimmig, dabei aber insgesamt weder besonders neu noch besonders mutig. Viele klangliche Ideen auf diesem Album hatte ein Drake schon 2013 erfolgreich abgegrast und im Sinne von R'n'B-infiziertem Poprap ist das meiste hier so middle of the road wie irgend möglich. Das an sich ist ja auch nicht verkehrt, aber eben auch nicht so revolutionär, wie es das ganze glamouröse Packaging mal wieder erscheinen lässt. Und im Schatten davon stehen dann auch wieder die Feststellungen, dass Montero gerade im Mittelteil schon irgendwie seine Längen hat und Lil Nas X nun mal wirklich nicht der beste Texter ist. Keiner dieser Faktoren macht das Album letztenlich signifikant schlechter, viele hindern es aber auch daran, wirklich zufriedenstellend zu sein. Und dass jemand so imposant-quirliges und aufreizendes wie dieser Typ so gewöhnliche Musik machen möchte, finde ich am Ende immer noch die größte Enttäuschung. Mehr als erwartet hat Nas mit dieser LP sicherlich geleistet und ob das nun an meinen schlechten Prämissen oder an der tatsächlichen künstlerischen Arbeit hier gelegen hat, kann ich nicht endgültig beantworten. Ich kann lediglich sagen, dass Montero die Platte ist, die mich auch musikalisch mit dem Gesamtwerk dieses Typen versöhnt. Was zumindest alles ist, was ich mir persönlich davon erhoffen konnte.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Montero (Call Me By Your Name) | That's What I Want | Scoop | Sun Goes Down | Dont Want It | Life After Salem

Nicht mein Fall
Dolla Sign Slime


Hat was von
Drake
If You're Reading This It's Too Late

Doja Cat
Hot Pink


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