Sonntag, 5. September 2021

Mittlere Hitze

Turnstile - Glow OnTURNSTILE
Glow On
Roadrunner Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ sonnig | breitbeinig | vielschichtig ]
 
Auch im Jahr 2021 sind Hardcore und Punkrock leider Gottes zwei Sachen, die auf diesem Format noch immer nicht so regelmäßig stattfinden, wie ich es gerne hätte, was eine Sache ist, über die ich mich regelmäßig ärgere. Doch im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, in denen ich als Grund dahinter eine wachsende Distanz zur aktiven Szene vermutete, die es einzudämmen galt, hat sich mittlerweile ergeben, dass die Versuche dieser Eindämmung einfach nicht besonders ertragreich waren. Mit einer großen Ausnahme: Turnstile aus Baltimore. In den inzwischen über fünf Jahren, die seit meinem Erstkontakt zu der Band vergangen sind (der Tipp, ihr Debütalbum Nonstop Feeling auszuchecken kam ganz stilecht von ein paar dauerbreiten Skaterboys), ist ihr Output eine der wertvollen Konstanten im Bereich HC und Punk geworden, die mich nach wie vor wenigstens ein bisschen an dieser Musik festhalten lassen. Wobei ihre bisher zwei offiziellen Longplayer einer wie der andere zu persönlichen Favoriten geworden sind, die ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich empfehlen will. Eine Sache, die mich an ihrem Sound dabei schon immer besonders faszinierte, war ihr unverhohlener Hang zu frühen Crossover-Bands der späten Achtziger wie Faith No More, den Red Hot Chili Peppers und Jane's Addiction, deren Geist man in ihren Songs immer wieder spürte und immer noch spürt. Auf ihrer dritten LP Glow On ehrlich gesagt sogar mehr denn je, denn hier gehen die Marylander nach dem knüppeligen Time & Space von 2018 erstmals einen etwas softeren, allerdings auch klanglich offeneren Weg, der für dieses Steckenpferd wieder mehr Platz lässt. In seiner Wesensart ist das neue Projekt dabei an vielen Stellen etwas fluffiger gehalten, lässt songwriterisch Pufferzonen für lockere Strukturen, gönnt sich deutlich mehr klaren Gesang als ruppiges Schreigehalse und hat in Tracks wie Underwater Boi oder Lonely Dezires auch spürbare Einschläge von Shoegaze, Indierock und Janglepop an sich. Das ist im ersten Moment sicherlich eine Umstellung im Vergleich zu den letzten Alben und auch ich musste mich hier etwas reinhören, doch ist es letztlich nicht so langweilig, wie es zunächst wirkte. Immerhin haben Turnstile ja auch schon auf den Vorgängern gezeigt, dass sie im Zweifelsfall eine stabile Pop-Hook schreiben können und auch dann überzeugen, wenn sie ihre Tracks weniger eng fassen. Und wo solche Stücke, die auch mal ihre abenteuerliche Seite zeigten, zuvor noch eher Deep Cuts waren, nehmen sie hier eine größere Rolle ein und wachsen mit ihren Aufgaben. So hat New Heart Design ein paar echt schnuckelige Funk-Momente auf dem Kasten, in gleich mehreren Songs taucht der alte Indiedarling Devonté Hynes (bekannt von Blood Orange, spielte aber früher auch in Punkbands) auf, Endless klingt fast wie irgendwas von Lil Peep und in Details des Albums finden sich überall elektronische Spielerein, Piano-Passagen, ulkige Breakdowns und Dub-Delays. Dave Navarro und Mike Patton sind dabei immer noch wichtige Einflussgeber, müssen sich den Platz als solche aber mehr und mehr Teilen. Wobei der sicherlich deutlichste Effekt ist, dass Turnstile nicht mehr so krass nach den Achtzigern klingen, sondern ziemlich klar nach 2021. Ist das eine gute Nachricht? Im großen und ganzen schon. Glow On ist für die Band auf eine Weise sicherlich das bisher kreativste Album und zeigt, dass nach den zwei Krachern am Anfang auch stilistisch weitergedacht wird. Ein bisschen geht das aber auch damit einher, dass sich der Sound der Gruppe hier verwässert. Neue Ambitionen sind ja prinzipiell super, aber wo die letzten beiden Platten vor allem auch klanglich richtig vom Leder zogen, ist die Produktion diesmal ziemlich dünn und matt gehalten. Das ist okay auf eine grantige Punkrock-Art und Weise, doch hätte Songs wie Mystery, Blackout oder T.L.C. definitiv auch ein etwas fetteres Mastering gut getan. Letztendlich fügen Turnstile das zwar alles ästhetisch so zusammen, dass es trotzdem in den Rahmen passt und ein gutes Gesamtwerk ergibt und ich bin irgendwie zufrieden, kritisieren will ich es trotzdem. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, klingen sie trotz ihrer größeren klanglichen Spannweite hier ein bisschen weniger besonders als vorher. Und um es mal mit dem Titel zu umschreiben: Dort, wo sie früher gebrannt haben, sind sie hier eher am glühen. Was nicht prinzipiell verkehrt ist, aber in mir trotzdem den Wusch aufkommen lässt, dass diese Glut nochmal angefacht wird. Die stilistische Bandbreite dafür haben Turnstile inzwischen definitiv.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Mystery | Blackout | Holiday | Fly Again | Wild Wrld | Dance-Off | New Heart Design | T.L.C. | Lonely Dezires

Nicht mein Fall
Underwater Boi | Alien Love Call


Hat was von
Faith No More
Introduce Yourself

Underscores
Fishmonger


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen