Donnerstag, 25. November 2021

Überlebt mit leichten Verletzungen

IDLES
Crawler
Partisan Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ düster | klobig | aufgemischt ]
 
Dass Crawler als vierter Longplayer der Gruppe Idles gerade mal etwas mehr als ein Jahr nach seinem Vorgänger Ultra Mono vom September 2020 erscheint, ist wahrscheinlich ganz einfach der Tatsache geschuldet, dass wir uns nach wie vor in einer weltweiten Pandemie befinden, die inzwischen bereits die zweite Generation tourloser Isolations-Alben inspiriert, welche sich ohne nennenswerte Live-Termine und sonstige Ablenkung nun mal sehr viel schneller schreiben. Wenn man mich jedoch fragt, wie das Release von Crawler in diesem Moment wirkt, so erscheint es mir eher wie die musikalische Entsprechung eines Druckverbandes, den die Briten möglichst schnell über die nach wie vor klaffende Wunde legen wollen, die sie sich durch Ultra Mono im vergangenen Herbst selbst zugefügt haben. Einem Album, das ihrer Karriere rückblickend gesehen mehr als ein bisschen Schaden zugefügt hat und zwar kein kompletter musikalischer Totalausfall war, allerdings durchaus eher eine Platte, auf der Idles ungewohnt steif auf den Stilmitteln ihrer ersten beiden Longplayer verharrten, sich einer kreativen Weiterentwicklung entzogen und nicht selten sogar ein bisschen regressiv klangen. Mit der Folge, dass selbst treue Fans diese über die letzten fünf Jahre sehr lieb gewonnene Band plötzlich wie eine heiße Kartoffel fallen ließen und nochmal sehr kritisch reflektierten, in was sie sich da eigentlich so Hals über Kopf verguckt hatten. Ich persönlich fand es dabei vor allem krass, wie schnell sich der Diskurs über Idles drehte und sie von progressiven Vordenkern mit den Herzen am rechten Fleck zu kreativ ausgebrannten Posern aburteilte, die grundsätzlich fragwürdig waren. Sicher, auch ich mochte Ultra Mono letztes Jahr nicht wirklich, doch sah ich dahinter noch immer eine grundsätzlich sehr sympathische Gruppe ein Musikern, die sich eben am berüchtigten dritten Album verhoben hatten. Und wie bei solchen Gruppen üblich, soll LP Nummer vier diesen Schnitzer nun so schnell und deutlich wie möglich ausbügeln. Wobei man Crawler in so gut wie jeder Minute den Balanceakt anmerkt, der hier zwischen traditionellem Idles-Sound und dringend notwendiger Innovation stattfindet und der Antworten auf viele Fragen geben will, die Fans sich im Vorfeld stellten. Die wichtigste darunter: Ja, Idles schaffen es hier, sich aus ihrer eigenen kompositorischen Tretmühle zu befreien und ein durchgängig besseres Ergebnis abzuliefern. Mehr noch: sie klingen dabei sogar ziemlich lässig. Crawler fühlt sich in vielen Momenten nicht wie eine Platte an, die sich Veränderung aufzwingt, sondern sie viel eher selbst möchte und die Stellschrauben, an denen die Briten drehen, sind welche, die bereits in der Vergangenheit gut funktioniert haben. So werden in MTT 420 RR erneut die Vorzüge eines verhältnismäßig ruhigen Openers entdeckt, wie es ihn schon auf Joy As An Act of Resistance vor drei Jahren gab und auch generell wird Crawler an vielen Stellen auf angenehme Weise weicher und melancholischer als seine Vorgänger. When the Lights Come On, Progress und the Beachland Ballroom sind eher düstere Goth-Nummern als grantige Postpunk-Brecher und profitieren vor allem von dicken Synth-Einspülungen und der überraschenden Wandelbarkeit von Joe Talbot als Sänger. Wer allerdings noch immer die Idles am besten findet, die rotzig drauflos berserkern, bekommt diese hier ebenfalls wieder. Und wenn man mich fragt auch in einer erfrischenderen Variante als auf dem letzten Album. Tracks wie Crawl, Wizz oder Meds sind ohne jeden Zweifel sehr deftig und klobig, begnügen sich damit jedoch nicht zu sehr und haben zumindest mal wieder Refrains, die aus mehreren Worten bestehen. Wenngleich ich auch sagen muss, dass sie an die besten Momente der ersten beiden Idles-Platten nicht heranreichen. Was ein Problem ist, das dieses Album ganz generell hat. Nach der Talsohle von 2020 ist es definitiv ein Stück Musik, das diese Band wieder in einen kreativen Arbeitsmodus bringt, die Zweifel der letzten Platte jedoch nicht komplett ausräumt. Noch immer gibt es hier Stellen, in denen dieser Sound relativ ausgelutscht klingt und man sich fragt, wie lange das als Songwriting-Konzept noch funktionieren kann. Und in meinen Augen noch viel brenzliger: Joe Talbot ist als Texter nicht mehr derjenige, der er 2018 war. Auf ihren ersten Alben waren er und seine Lyrics für mich immer einer der wichtigsten Pull-Faktoren und die sind seit Ultra Mono einfach nicht mehr auf dem gleichen Level.  Nur hin und wieder gibt es von ihm hier mal einen dieser rotzigen Oneliner, die auch wirklich intelligent und verschnickt sind und nicht nur blöde Wortwitze. Und hier ist in meinen Augen dann auch tatsächlich die Trennlinie an der ich sagen muss: Ja, Idles sind hier wieder einigermaßen fit, aber es gibt eine Magie und eine Ästhetik an ihnen, die sie mittelfristsig wahrscheinlich eher nicht wiederfinden werden. Ihr jetziger Sound hat dabei sicherlich Ausdauer, aber eben nicht mehr dieses gewisse Etwas, das sie einst so besonders machte. Womit sie spätestens jetzt auch nur eine dieser Postpunk-Gruppen sind, von denen es eh schon viel zu viele gibt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
MTT 420 RR | When the Lights Come On | the Beachland Ballroom | Crawl | Meds | Progress | Wizz | the End

Nicht mein Fall
the Wheel | the New Sensation


Hat was von
Fontaines D.C.
A Hero's Death

Die Nerven
Out


Dienstag, 23. November 2021

Courtney hat euch lieb

COURTNEY BARNETT
Things Take Time, Take Time
Marathon Artists
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ swaggy | warmherzig | rustikal ]
 
Seit sechs Jahren schreibe in in diesem Format nun bereits über die Musik von Courtney Barnett, was ja grundsätzlich schon irgendwie dafür spricht, dass sie bei mir insgesamt einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen hat und dass ich ich ihren Output - obwohl das erwiesenermaßen nicht immer so war - von der Sache erstmal mag. Fragt man mich über meine heutige Sicht der Dinge, dann ist die Australierin für die Rockmusik der vergangenen Dekade eine nicht zu vernachlässigenden Impulsgeberin und darüber hinaus wahrscheinlich die coolste Person auf der Oberfläche dieses Planeten, auch wenn es mir erfahrunsgemäß immer etwas schwer fällt, mich außerhalb ihrer jeweiligen Promophasen für sie zu interessieren. Dass mein Verhältnis zu ihrem Schaffen ein nach wie vor ein so gehemmtes ist, könnte dabei mit dem Umstand zusammenhängen, dass ich lange nicht so richtig verstanden habe, wer sie auf ihren Alben eigentlich ist, beziehungsweise wie sie diese emotionalen Phänotypen auch sehr schnell auswechseln kann. Schaue ich mir ihre Karriere aus der Perspektive der frühen Zwotausendzwanziger an, dann habe ich erstmals eine Art Überblick darüber (oder zumindest eine ziemlich wüste Theorie), wie sich ihre bisherigen Platten eigentlich voneinander unterscheiden. Und wenn man mich fragt, dann besteht diese Unterscheidung in einer sehr bestimmten Emotionalität, die auf jedem ihrer (Solo-)Alben einigermaßen abgegrenzt stattfindet. Ihr Debüt von 2015 steht in diesem System für die rotzige und adoleszente Inkarnation der Künstlerin, die sich vor allem beweisen will und einen Schild aus Coolness um sich herum baut, während Tell Me How You Really Feel von 2018 diese Stimmung durch eine sehr ängstliche und bisweilen auch wütende Aura auskontert, in der die Songwriterin eigene Schwächen, Unzulänglichkeiten und auch eine gewisse Düsternis zulässt. Und schaue ich drei Jahre später nun auf Things Take Time, Take Time, finde ich hier wieder eine sehr eindeutige emotionale Facette, die für Barnetts Songwriting einigermaßen neu ist: Die der liebenden Freundin (sowohl im romantischen als auch im kumpelhaften Sinne) und des warmherzigen guten Geistes, mit dem man sowohl schöne als auch schwere Zeiten gemeinsam durchstehen möchte. Viele der Songs hier scheinen dabei sehr unter dem Eindruck der Covid-Pandemie zu stehen, die ja zumindest in Barnetts Heimat Australien für eine Weile überstanden schien und handeln von den wichtigen Beziehungen, die auch in Zeiten der Isolation nicht abtauen. Wobei es den meisten Tracks vor allem sehr wichtig zu sein scheint, diese Liebe zu zeigen und weiterzugeben. So ist Before You Gotta Go eine ebenso simple wie schöne Nummer über Versöhnung und Mitgefühl, Take It Day By Day die wahrscheinlich lässigste Motivations-Hymne aller Zeiten (die mich vielleicht ein bisschen zu sehr an Kero Kero Bonito erinnert) und If I Don't Hear From You Tonight einer der schönsten Lovesongs, die nur ein landesweiter Lockdown auf diese Art hätte fabrizieren können. Es gibt danaben zwar auch viele Songs, die auf mich ein bisschen wie Füllmaterial wirken und insgesamt muss ich leider sagen, dass Things Take Time, Take Time mal wieder nicht der große Wurf ist, mit dem Courtney Barnett mich endgültig packt. Meine Stimmung gegenüber diesem Album ist aber dennoch sehr positiv, weil ich die Attitüde mag, die es an sich hat. Für Songwriting wie dieses, das sich irgendwie anfühlt, als wäre es ganz exklusiv für die Person geschrieben, die den entsprechenden Song gerade hört, finde ich immer großartig und auch wenn dieses hier manchmal ein bisschen fad ausfällt, hat es doch trotzdem diesen Faktor von Warmherzigkeit, der mich zumindest für seine besten Passagen sehr stark empfinden lässt. Und wenn diese so wie in den oben beschriebenen Tracks tatsächlich mit tollem Songwriting zusammenkommen, ist das Ergebnis Serotonin pur. Für einige meiner Lieblingslieder der laufenden Saison wird dieses Album also mindestens verantwortlich sein. Und meine Verehrung für diese Künstlerin hoffentlich mal länger als ein paar Wochen aufrecht erhalten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Rae Street | Before You Gotta Go | Turning Green | Take It Day By Day | If I Don't Hear From You Tonight

Nicht mein Fall
-


Hat was von
the Beths
Jump Rope Gazers

Kurt Vile
Bottle It In


Montag, 22. November 2021

Die Verwöhnten

Parcels - Day / NightPARCELS
Day / Night
Because Music
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ epochal | smooth | sinfonisch ]

Ich muss ehrlich sagen, dass ich es insgesamt schon ein bisschen dreist finde, wie diese junge Band namens Parcels durch die Welt geht und Musik macht wie die größten Popstars, ohne dass sie irgendetwas besonderes dafür getan hätten. Gerade mal etwas mehr als eine halbe Dekade machen die fünf Australier nun gemeinsam Musik und haben in dieser Zeit lediglich ein richtiges Album veröffentlicht, wurden dafür aber einfach mal von Daft Punk gesignt und damit natürlich zum Objekt eines Hypes, der auf mich bis heute ein bisschen unverdient wirkt. Nicht etwa deshalb, weil die Musik ihrer Frühphase an sich schlecht war, ihre retrofixierte, fluffige Yachtrock-Nummer fand ich ja eigentlich ganz unterhaltsam. Viel eher war für deren Erfolg in meinen Augen nur sehr unwesentlich die Gruppe selbst verantwortlich, sondern vor allem ihre lukrative Partnerschaft mit einer der exklusivsten Bands der letzten zwanzig Jahre, die ihnen viele Türen öffnete. Dem goldenen Löffel, mit dem Parcels vor zwei Jahren in die grausame Welt der Popmusik eintraten, muss ich inzwischen aber trotzdem ein bisschen dankbar sein, denn nur wer so verwöhnt und unbescholten wie sie an seine Musik herangeht, kommt wahrscheinlich auf die Idee, direkt als zweiten Longplayer ein Projekt wie Day / Night auf sich zu nehmen, das sich sonst nur sehr erfahrene und beständige Acts trauen, die darüber hinaus auch schon viele Platten gemeinsam gemacht haben. Die Rede ist dabei nicht einfach nur von einem schnöden Doppelalbum, das allein wäre ja noch nicht so besonders. Für Parcels geht es stattdessen nicht unter einer über 90 Minuten andauernden Softrock-Oper, die nicht selten den Nimbus einer klassischen Sinfonie an den Tag legt und den entspechenden Produktionsaufwand mit sich bringt. Das Konzept dahinter ist dabei denkbar einfach und geht nicht viel tiefer als im Albumtitel und einigen Songs schon angerissen, es reicht jedoch die Dimension des ganzen, um mich trotzdem ins Staunen zu versetzen. Zusammen mit der doch recht großen Überraschung, dass Parcels sich daran nicht verheben. Zu meiner eigenen Schande muss ich ja sagen, dass ich fast ein bisschen darauf gehofft hatte, dass die Band sich hier die Zähne ausbeißt. Als ich nach dem in meinen Augen etwas überschätzten Debüt vor ein paar Wochen gewahr wurde, an was sich die fünf Wahlberliner da heranwagten, witterte ich schon fast den schadenfreudigen Verriss, den ich an dieser Stelle darüber schreiben würde und machte mich auf die Katastrophe bereit. Aber nichts da, Day / Night hat mich durchweg positiv überrascht und zeigt mir, dass die Parcels am Ende des Tages doch jede Menge Talent besitzen, das ihr Debüt noch zurückhielt. Zwar nicht unbedingt als großartige Songwriter, denn viele der Tracks hier sind nach wie vor eher Grundlagenarbeit in den Bereichen Yachtrock, Discopop und seichtem Funk, viel eher aber als versierte Manager und Dramaturgen eines solchen Mammutprojekts, das sie mit einer bewundernswerten Finesse angehen. Nicht nur ist Day / Night durchweg sehr stimmig und wird an den wenigsten Stellen langatmig, auch ist das Ding mal wieder unfassbar tight produziert und schafft in vielen Momenten einen sehr reichhaltigen Sound, in dem alle Einflüsse immens cool ineinander fließen. Die sinfonischen Ouvertüren der beiden Albumhälften funktionieren auf einer Ebene mit flockigen Funk-Nummern wie Free, proggige Pink Floyd-Anleihen wie Icallthishome oder Jazz-Ausflügen wie Outside und dass es hier weniger eindeutige Hits gibt als auf dem Debüt ist auch okay, weil das hier stärker als Gesamtwerk funktioniert und vor allem dramaturgisch ineinander greift. Sicher ist dabei auch nicht jedes Movement so packend wie das nächste und die meisten der Tracks über fünf Minuten könnten definitiv weniger ausladend sein, angesichts der Größe des ganzen und der relativen stilistischen Einfalt, die Parcels vorlegen, ist es doch beeindruckend, wie unterhaltsam Day / Night bleibt. Wobei es mich strukturell auch nicht von ungefähr an einige meiner liebsten Doppelalben wie Hurry Up, We're Dreaming von M83 oder Demon Box von Motorpsycho erinnert, die eben auch vor allem deshalb funktionieren, weil sie einen sehr guten inneren Aufbau haben. Und obwohl Day / Night kompositorisch doch nicht ganz mit diesen Beispielen mithalten kann, hat es den Grundsatz des Arbeitens auf Überlänge verstanden. Einerseits macht es mich dabei froh, dass Parcels so früh diesen Schritt gemacht haben, andererseits ärgere ich mich auch ein bisschen darüber. Denn sicher ist das hier ein gutes Album, doch verblasst dieses vor der Vorstellung, was Parcels eventuell daraus gemacht hätten, wären sie kompositorisch schon fortgeschrittener und würden stilistisch noch mehr wagen. Wobei ja auch niemand sagt, dass sie jetzt, wo sie einmal ein cooles Doppelalbum gemacht haben, für immer damit aufhören müssen. Nur vielleicht nicht direkt nach diesem hier, das wäre dann doch zu viel des guten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
LIGHT | Free | Comingback | Somethinggreater | Famous | LordHenry | Thefear | Nightwalk | Inside

Nicht mein Fall
Daywalk | Outside | Reflex | Once


Hat was von
Daft Punk
Random Access Memories

Electric Light Orchestra
Out of the Blue


Sonntag, 21. November 2021

Die leeren Zimmer

SNAIL MAIL
Valentine
Matador
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ seicht | lethargisch | melancholisch ]
 
23 Jahre jung ist Lindey Jordan im Winter 2021, was ein Alter ist, in dem andere Musiker*innen gerade mal so richtig anfangen, so etwas wie eine eigene Indentät zu entwickeln und über die Art Kunst nachzudenken, die sie langfristig machen wollen. Sie hat das zu diesem Zeitpunkt alles schon hinter sich und sitzt, was ihre Entwicklung angeht, inzwischen lange fest im Sattel. Bereits vor sechs Jahren tauchten bescheidenen erste Gehversuche ihrer Arbeit mit Snail Mail - einer Band, die im wesentlichen ihr eigenes Brainchild ist - in einschlägigen Musiknerd-Tummelplätzen als Geheimtipps auf und noch ehe sie ihr zwanzigstes Lebensjahr vollendete, angelte sie sich dadurch einen dicken Deal beim Nobel-Indie Matador Records, auf dem sie 2018 auch ihr Debüt veröffentlichte. Selbiges war dann vor allem dadurch erstaunlich, wie souverän und unbeirrt Jordan darauf Songs schrieb, die so klangen wie das dritte oder vierte Album anderer Künstler*innen. Für mich war es damit eines der Highlights innerhalb der zu dieser Zeit sehr reichhaltigen Bubble junger Acts wie Soccer Mommy, Frankie Cosmos oder Boygenius, die allesamt eine softe, aber sehr beharrliche Variante von Indierock spielten und Snail Mail eine Formation, der ich darin eine glorreiche Zukunft prophezeihte. Drei Jahre später erscheint mit Valentine nun deren zweiter Longplayer und tritt hinein in eine Welt, die Lindsay Jordan eigentlich nicht mehr braucht. Die Musik die sie spielt, hat spätestens mit seiner Mainstreamwerdung während der letzten Saison einen gewissen Übersättigungspunkt erreicht und die Tatsache, dass sich mit dieser LP viel Zeit gelassen wurde, hat Snail Mail von der Frontlinie einer Bewegung in deren Windschatten befördert, wo die ganze Angelegenheit plötzlich nicht mehr halb so spannend erscheint wie noch vor einigen Jahren. Dass dieser Nachfolger mit einer gesunden Portion Geduld angegangen wurde, war für mich dabei eigentlich ein gutes Zeichen, da ich schon irgendwie der Überzeugung war, dass ein Schnellschuss nach einem so gelungenen Debüt nicht die richtige Lösung gewesen wäre. Nur fühlt sich Valentine drei Jahre später trotzdem sehr danach an. Ganze 10 Tracks in 31 Minuten bringen Snail Mail hier zusammen, von denen gut die Hälfte nicht mehr ist als ziemlich generisches Füllmaterial. Die wenigsten Stücke sind dabei effektiv schlecht und es gibt sogar ein paar echte Highlights, nur fühlt sich das ganze sehr oft an wie eine verwässerte und weniger leidenschaftliche Version der Tricks, die das erste Album einfach besser drauf hatte. Was ich an Snail Mail vor drei Jahren so mochte, war der Raum, den Jordan ihren Songs gab, um eine echte Intensität zu entwickeln und obwohl diese schon dort sehr lethargisch und seicht waren, konnte man sich doch sehr in deren Emotionalität hereinfühlen. Auf Valentine hingegen wirken viele Tracks wie leere Räume, die an sich zwar ähnlich aufgebaut sind, aber denen einfach die richtige Einrichtung fehlt, um sie ein bisschen gemütlicher zu machen. Dabei liegt es gar nicht mal daran, dass die Stücke zu minimalistisch gearbeitet wären, instrumental gesehen ist die neue LP sogar wesentlich vielfältiger als sein Vorgänger. Viel eher ist das Songwriting einfach sehr ordentlich, was in diesem Fall eben oft langweilig bedeutet. Man merkt das sehr gut in Songs wie Madonna oder dem Titeltrack, die stellenweise eben doch nochmal eine starke Hook oder ein cooles Filling aus dem Hut zaubern und sich damit gewaltig vom üblichen Trott dieser Platte abheben. Insbesondere letzteren finde ich dabei richtig genial, weil er die anfängliche Stille sehr clever nutzt, um dann im Refrain doch noch aus der Haut zu fahren und eine tolle Dynamik aufzubauen. Was er leider ganz am Anfang einer LP macht, die danach nicht nochmal so spannend wird. Zwar ist Valentine bei alledem kein völliger Totalausfall, sondern eigentlich ein ganz nettes Stück Musik, das ich grundsätzlich mag, nur liegt gerade da auch irgendwie der Hund begraben. Nett können in diesem Bereich von Indierock sehr viele, besonders und eindrücklich können allerdings die wenigsten. Und auf ihrem Debüt war Lindsey Jordan eine Künstlerin, die zu letzteren gehörte. Dass sie es gleich auf ihrem zweiten Album wieder einbüßt, ist dabei keineswegs ihr Ende, gerade weil sie sehr früh damit angefangen hat, Profimusikerin zu sein. Das es mich unbesorgt lässt, kann ich aber trotzdem nicht behaupten. Denn eingedenk dessen, dass diese stilistische Richtung allgemein gerade viel von ihrer einstigen Coolness verliert und und als spannendes Indierock-Modell langsam ausläuft, wird es für sie in den nächsten Jahren nicht einfacher. Es sei denn, sie geht mit der Welle und hat bald einen Tiktok-Hit oder so. Aber dafür ist sie dann wahrscheinlich doch wieder zu cool.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Valentine | Forever (Sailing) | Madonna

Nicht mein Fall
Automate


Hat was von
Soccer Mommy
Color Theory

Stella Donelly
Beware of the Dogs


Freitag, 19. November 2021

The Way Old Friends Do

ABBA - VoyageABBA
Voyage
Polar
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ vertraut | brav | billig ]
 
Ich muss diesen Text direkt mit einem ziemlichen Hot Take anfangen, der in den Augen einiger vielleicht nervig sein mag, für das folgende hier geschriebene aber imminent wichtig ist: Wenn es um das Album-Comeback von Abba geht, war meine persönliche Einstellung in dessen Vorfeld nicht nur die einer leichten Skepsis, ich hielt das ganze ehrlich gesagt für eine ziemlich dumme Idee. Und ich weiß auch, dass es in Bezuf auf Voyage sicher den wenigsten so ging, doch je mehr ich mich seit der Ankündigung der Platte selbst danach fragte, desto sicherer war ich mir meiner Zweifel. Ich freute mich dabei schon irgendwie für alle Fans von früher und heute, die hier eine ihrer Lieblingsbands wiedervereingt sahen, die zuletzt gemeinsam vor 40 Jahren Musik machte und kann auch deren Liebe zum letztlichen Ergebnis gut nachvollziehen, doch gab es verschiedene Gründe, die mich nun mal anders fühlen ließen. Erstens wäre da mein persönlich eh schon nicht ideales Verhältnis zu den SchwedInnen und das Problem, dass ich sie sowieso nie für eine so großartige Nummer hielt, zumindest was ihre Fähigkeiten als Albumband angeht. Während ihrer gesamten Karriere waren Abba eine sichere Bank, wenn es um Singles ging, als die sie über Jahre hinweg stabil ablieferten. Auch ich nenne nicht wenige ihrer einschlägigen Hits aus den Siebzigern und Achtzigern meine Lieblingssongs und könnte Stunden darüber verlieren, warum Gimme Gimme oder Lay All Your Love On Me popmusikalische Kleinode sind, doch sprechen wir von Alben, gibt es lediglich zwei von ihnen, die ich besser als nur durchwachsen finde (für die, die es interessiert: Voulez-Vous als persönlicher Favorit und Waterloo als unterschätzter Geheimtipp) und die ich tatsächlich für konsistente Gesamtergebnisse halte. Die Chancen, dass eine neue Platte nach vier Dekaden plötzlich wieder eine solche sein könnte, waren also eher gering. Der zweite Grund für meine Skepsis ist dem allgemeinen Zynismus geschuldet, den ich mir in den vergangenen Jahren gegenüber lang erwarteten Comebacks angewöhnt habe und der sich aus zu vielen schlechten Erfahrungen speist, die ich in diesem Format gemacht habe. Zu selten erlebte ich ein Album, das nach über zehn Jahren oder mehr tatsächlich nochmal spannend war und zu oft stattdessen Nullnummern wie the Endless River von Pink Floyd, ein the Magic Whip von Blur oder Fear Inoculum von Tool, die sehr unter ihrem eigenen Mythos ächzten, dahinter aber wenig auf dem Kasten hatten. Und mit Voyage haben wir dieses Problem nochmal auf eine übermenschlichere Größe aufgeblasen, da Abba nicht nur sehr sehr lange keine Musik gemacht haben, sie sind auch noch eine der bis heute erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Womit alles, was diese LP potenziell sein könnte, automatisch hinter den Erwartungen zurückbleibt, die so ein Comeback mit sich bringt. Abba selbst finden damit sogar noch einen sehr gesunden Umgang, indem sie einfach die gleiche Musik machen wie schon früher immer und nüchterne 37 Minuten neues Material präsentieren, die kein bisschen episch oder weltbewegend sein wollen. Nur ist die Frage, ob das die Fans auch zu schätzen wissen. Für mich als Skeptiker heißt es sowieso, sich mit einem eher durchwachsenen Ergebnis zufrieden zu geben und maximal vielleicht auf ein paar Banger zu hoffen. Wobei ich in dieser Hinsicht sagen muss, dass der Alles-wie-immer-Ansatz von Voyage insofern hilft, dass Abba in einigen Momenten tatsächlich wieder das kompositorische Je-ne-sais-Quoi anzapfen, das ihnen nach wie vor eigen ist. Wenn in Songs wie Don't Shut Me Down, Keep An Eye On Dan oder When You Danced With Me wieder die typisch andersson-ulveas'schen Synth-Harmonien durchklingen und Agneta Faltskogs und Anni-Frid Lyngstads klassische Vokalduette erstaunlich wenig eingerostet wirken, hat das schon mächtig Flashback-Charakter und ich muss meinen Respekt dafür äußern, wie die Band das nach so langer so Zeit einfach wieder abruft. Nur kommen mit diesen tollen Attributen gleichzeitig auch viele der albernen und nervigen Elemente zurück, die schon auf den früheren Abba-Alben immer viel verspielten und über die aus gutem Grund kaum noch jemand redet. Schmandige Nummern wie Bumblebee oder Ode to Freedom sowie das sehr chaotische Just A Notion sind am Ende das Resultat und zeigen Abba eben auch als eine Gruppe, die selbst nach fast einem halben Jahrhundert aus ihren kindischen Siebziger-Angewohnheiten nicht herauskommt. Erschwerend kommt an vielen Stellen dazu, dass sich die SchwedInnen auf eine sehr schlagerig-polierte Produktion verlassen, die selbst für eine so zahme Band wie Abba oft sehr charakterlos und leider auch ein bisschen billig daherkommt und sie in den schlimmsten Fällen klingen lässt wie eine Coverband von sich selbst. Und wenn wir von Hits sprechen, gibt es diese zwar schon ein bisschen, allerdings auch in deutlich zahnloser als fast alles, was es in den Siebzigern und Achtzigern von dieser Band gab. Ich meine all diese Sachen nicht gehässig und ich verstehe zum Teil auch, wieso dieses Album so gemacht wurde wie es gemacht wurde. Die Abba von 2021 wollen keine Chartsongs mehr schreiben und haben hier primär Spaß daran, wieder zusammen im Studio zu sein und Musik zu machen wie früher. Und dass das zu einem Ergebnis führt, das ich eher so lala finde, kann ich insofern auch akzeptieren. Was ich allerdings echt schade finde ist, dass sie sich für das, was sie hier musikalisch geleistet haben nicht wenigstens eine*n guten Produzent*in oder ein paar gute Sparringpartner*innen geleistet haben, die das ganze etwas mehr in eine Richtung pushen, die so einem Release würdig gewesen wäre. Finanziell wäre es sicher kein Problem gewesen und wahrscheinlich hätten die meisten sich regelrecht um den Job gerissen. Dass es jetzt so autark entstanden ist, spricht irgendwie für die Attitüde der Band, zeichnet sich aber auch im Ergebnis ab. Und nicht unbedingt auf eine schöne Weise. Meine Befürchtungen über Voyage haben sich damit im großen und ganzen bestätigt: Obwohl oder gerade weil es gar nicht erst versucht, ein großes Comeback zu sein, ist das hier eine sehr durchwachsene Angelegenheit, die zwar nicht vollkommen in die Hose geht, aber weder mit großen Einzel-Highlights punkten kann noch mit Kohärenz. Und ich wäre vielleicht sauer darüber, wenn das nicht schon meine Empfindungen über die meisten anderen Sachen von Abba gewesen wären. So bin ich einfach nur froh, nicht mehr erwartet zu haben.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
When You Danced With Me | Don't Shut Me Down | Keep An Eye On Dan

Nicht mein Fall
Little Things | Just A Notion | Bumblebee | Ode to Freedom


Hat was von
Elton John
One Night Only

Bee Gees
Spirits Having Flown


Donnerstag, 18. November 2021

I Started A Joke

Limp Bizkit - Still Sucks LIMP BIZKIT
Still Sucks
Suretone
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ selbstironisch | trollig | pubertär | groovig ]

Die eigentliche Frage, die sich bei einem Comeback der Gruppe Limp Bizkit im Jahr 2021 stellt, ist ja die, warum es uns überhaupt noch interessiert. Denn von der Sache her müsste es das eigentlich nicht. Sicher, wir reden hier von einer Band, die irgendwann mal das Gesicht der Nu Metal-Bewegung war und als solches so omnipräsent, dass Millenials heute zwangsläufig nostalgisch werden, wenn irgendwo auf einer schlechten Ü30-Party Rollin' läuft, andererseits scheinen sie auch keine Sache zu sein, an denen zwanzig Jahre später wirklich noch jemand hängt. Ihr erstes Comeback vor ziemlich genau einer Dekade, das selbst die treuesten Fans von früher dankend ablehnten, zeigte das ziemlich eindrücklich und obwohl wir mittlerweile in einer ganz anderen Zeit leben, in der selbst ein musikhistorischer Treppenwitz wie Nu Metal wieder durch die Retro-Tretmühle geleiert wird, ist die Notwendigkeit einer solchen Platte in meinen Augen noch immer nicht wirklich da. Limp Bizkit sind ganz einfach kein Act von der künstlerischen Tragweite wie Rage Against the Machine oder System of A Down, bei denen Fans von früher schon dann das neue Album wittern, wenn Bandmitglieder nur mal gegenseitig ihre Tweets liken. Sie sind eher die pubertären Trittbrettfahrer, die zum kollektiven Guilty Pleasure verkommen sind und die man in seiner gut kuratierten Retrowelle eher als Störfaktor wahrnimmt. Wenigstens haben sie seit 2011 aber eine Sache dazugelernt und unternehmen auf Still Sucks gar nicht mehr den Versuch, damit irgendwie ernst genommen zu werden. Und auf eine seltsame Weise ist diese Herangehensweise ihre beste Idee seit Jahren. Wie Cover und Titel schon vermuten lassen, ist Still Sucks in erster Linie eine Reaktion auf den Bückwarenstatus, den ihre Musik über die letzten zwei Dekaden in der Popkultur eingenommen hat und als solches schon fast ein vollumfängliches Comedy-Album. Es nimmt sich in fast jedem Song hier selbst auf die Schippe und wenn es mal nicht inhaltlich darum geht, wie peinlich Limp Bizkit ja anscheinend sind, macht das doch zumindest das durchweg alberne und absichtlich anachronistische Ende-Neunziger-Songwriting klar. Still Sucks schafft damit eine Sache sehr gut, nämlich der üblichen Kritik an der Band den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie diese auf ironische Weise spiegeln. Gleichzeitig zeigen sie in den besten Momenten trotzdem noch, dass sie hier und da ein ordentlich groovendes Brett schreiben können und verkaufen ihr nach wie vor sehr pubertäres Songwriting durch den Comedy-Filter ein weiteres Mal halbwegs glaubwürdig. Ich würde dabei tatsächlich so weit gehen, Still Sucks eines der besten Bizkit-Alben überhaupt zu nennen, wäre es nicht um einen riesengroßen Haken: Die Langzeitwirkung dieser LP ist quasi nicht vorhanden. Was die Band hier schafft ist ein Stück Musik, mit dem sie den Witz des Moments auf ihrer Seite haben, das dafür aber auch alles andere opfert, was über besagten Moment hinaus wirkt. Schon beim zweiten Mal hören sind die Songs hier ein ganzes Stück weniger gut, weil der Überraschungeffekt vom ersten Mal abgeklungen ist und wenn man erst mal darüber nachdenkt, wie sich Still Sucks auf lange Sicht in die größere Dramaturgie des Limp Bizkit-Katalogs einordnet, schrumpft es schnell zu einem blöden reaktiven Quatsch-Statement zusammen, welches nur im unmittelbaren Kontext dieses Witzes selbst irgendeine Bedeutung hat. Wobei wir nicht vergessen dürfen: Das hier ist das erste Album dieser Band in zehn Jahren. Es steht also allein auf weiter Flur und soll das repräsentieren, was Limp Bizkit anno 2021 ausmacht. Und viel mehr als die komplette Verhorstung ihrer selbst scheint da im Moment nicht zu sein. Nicht dass ich denken würde, eine "ernsthaftere" Platte im Stil von Gold Cobra wäre die bessere Lösung gewesen, rein musikalisch ist das definitiv nicht der Fall, doch nehme ich eine LP wie Still Sucks schon jetzt eigentlich nicht mehr als solche war, sondern lediglich als einen selbstironischen Kommentar, den ich sehr schnell wieder vergessen haben werde. Wenn es in den Zwanzigern ein Comeback von Limp Bizkit geben sollte, dann ist es das hier noch nicht. Dafür müssen die Jungs definitiv nochmal tiefer in die Trickkiste greifen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Dirty Rotten Bizkit | Dad Vibes | Turn It Up, Bitch! | Love the Hate | Snacky Poo

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Beastie Boys
Hot Sauce Committee Pt. 2

Bring Me the Horizon
Amo