Sonntag, 7. November 2021

Fünf Jahre Mittagspause

Every Time I Die - RadicalEVERY TIME I DIE
Radical
Epitaph
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ räudig | aggressiv | direkt ]

Es liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache, dass ich über ganz wenige der Bands, die ich schon vor zehn Jahren gut fand, heute noch das gleiche empfinde. Zum einen natürlich aus dem Grund, weil meine musikalische Sozialisation damals eine gänzlich andere war und zum anderen, weil es für jede*n Musiker*in ohnehin eine Herausforderung ist, über einen so langen Zeitraum durchgehend das gleiche Qualitätslevel zu halten. Umso besonderer ist daher in meinen Augen die Existenz der Gruppe Every Time I Die, die während der letzten Dekade nicht nur genau dieses Kunststück irgendwie geschafft hat, sondern auch noch in einem der schwierigsten Stilkontexte, die während dieser Zeit existierten: Metalcore. Gerne vergesse ich ab und zu, dass die New Yorker noch da draußen sind und in einer rockmusikalischen Nische ihr Glück finden, die während der gesamten Zwotausendzehner von einer erdrückenden Katerstimmung geprägt war und von der nach dem Hype der späten Nullerjahre nur noch wenig übrig blieb. Dann kommt aber alle paar Jahre doch wieder ein verboten geniales Album von diesen Jungs und ich erinnere mich: Es lohnt sich ja doch noch. So auch im Fall von Radical, der inzwischen neunten LP der Gruppe aus Queens. Dieser voraus ging die bisher längste künstlerische Pause der Band, die immerhin ganze fünf Jahre dauerte. Wer diese lange Auszeit aber zum Anlass für Vermutungen nimmt, dass Every Time I Die sich musikalisch gehäutet hätten oder sich hierfür künstlerisch neu definieren müssten, könnte falscher nicht liegen. Denn auf Radical sind die New Yorker der gleiche hochentzündliche Klumpen Metalcore-Adrenalin, der sie auch schon auf ihren letzten drei Alben waren und wenn man mich fragt, ist das auch gut so. Sicher, viel neues und besonderes findet sich auf diesen 16 Tracks nicht, was aber voll okay ist, weil es von dieser Musik jetzt sehr lange nichts gab und sie sich jetzt eher wie ein sehr energischer Flashback anfühlt, der mir mal wieder zeigt, warum ich diese Band immer noch so geil finde. Und natürlich funktioniert es auch nur, weil das songwriterische Konzept bei Every Time I Die nach wie vor kolossal ballert und auf einem konstrant kreativen und abwechslungsreichen Level stattfindet, dass in diesen sehr stattlichen 51 niemals langweilig wird. Wenn ich ehrlich bin, ist die Band seit den letzten Malen sogar noch ein bisschen besser geworden und hat Schwachpunkte erfolgreich ausgemerzt. Songs wie Thing With Feathers oder White Void, die mit cleanem Gesang und etwas weniger Power im Songwriting die übliche Ästhetik brechen und als Archetyp auf früheren Alben immer ein bisschen die langweiligen Spots ausmachten, fühlen sich hier nicht mehr ansatzweise so lame an und auch wenn sie noch lange nicht so aufregend sind wie ein Planet Shit oder ein the Whip, schaffen sie es zumindest, die Kohärenz der Platte weiterzutragen, statt sie abzubremsen. Wobei ich es auch nach wie vor cool finde, dass diese Band nicht deshalb melodischer wird, um mit Trends mitzulaufen, sondern um sich selbst weiter herauszufordern und sich nicht auf eine Formel zu verlassen. Selbst wenn sie das in meinen Augen eigentlich gar nicht müsste. Es sagt schon viel über die Qualität der Metalcore-Maschine Every Time I Die aus, dass diese so gut geölt ist, dass sie nach einem halben Jahrzehnt Pause einfach wieder eingeschaltet werden kann und kein bisschen ungelenk und eingerostet wirkt. Was in meinen Augen eben nur deshalb funktioniert, weil diese Gruppe ziemlich genau weiß, was sie tut und was sie lieber lässt. Beziehungsweise arbeitet sie an Stellen, die noch nicht so gut klappen, eben so lange, bis sie besser geworden sind. Und besser werden sie. Langsam aber kontinuierlich. Für eine Band im dreiundzwanzigsten Jahr ihrer Karriere ist das absolut nicht selbstverständlich. Schön also, dass wir es hier wieder ein Mal erleben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Dark Distance | Sly | Planet Shit | Post-Boredom | A Colossal Wreck | All This and War | Thing With Feathers | Hostile Architecture | AWOL | the Whip | Distress Rehearsal

Nicht mein Fall
Desperate Pleasures | sexsexsex


Hat was von
Refused
Songs to Fan the Flame of Discontent

Pulled Apart By Horses
Tough Love


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