Montag, 22. November 2021

Die Verwöhnten

Parcels - Day / NightPARCELS
Day / Night
Because Music
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ epochal | smooth | sinfonisch ]

Ich muss ehrlich sagen, dass ich es insgesamt schon ein bisschen dreist finde, wie diese junge Band namens Parcels durch die Welt geht und Musik macht wie die größten Popstars, ohne dass sie irgendetwas besonderes dafür getan hätten. Gerade mal etwas mehr als eine halbe Dekade machen die fünf Australier nun gemeinsam Musik und haben in dieser Zeit lediglich ein richtiges Album veröffentlicht, wurden dafür aber einfach mal von Daft Punk gesignt und damit natürlich zum Objekt eines Hypes, der auf mich bis heute ein bisschen unverdient wirkt. Nicht etwa deshalb, weil die Musik ihrer Frühphase an sich schlecht war, ihre retrofixierte, fluffige Yachtrock-Nummer fand ich ja eigentlich ganz unterhaltsam. Viel eher war für deren Erfolg in meinen Augen nur sehr unwesentlich die Gruppe selbst verantwortlich, sondern vor allem ihre lukrative Partnerschaft mit einer der exklusivsten Bands der letzten zwanzig Jahre, die ihnen viele Türen öffnete. Dem goldenen Löffel, mit dem Parcels vor zwei Jahren in die grausame Welt der Popmusik eintraten, muss ich inzwischen aber trotzdem ein bisschen dankbar sein, denn nur wer so verwöhnt und unbescholten wie sie an seine Musik herangeht, kommt wahrscheinlich auf die Idee, direkt als zweiten Longplayer ein Projekt wie Day / Night auf sich zu nehmen, das sich sonst nur sehr erfahrene und beständige Acts trauen, die darüber hinaus auch schon viele Platten gemeinsam gemacht haben. Die Rede ist dabei nicht einfach nur von einem schnöden Doppelalbum, das allein wäre ja noch nicht so besonders. Für Parcels geht es stattdessen nicht unter einer über 90 Minuten andauernden Softrock-Oper, die nicht selten den Nimbus einer klassischen Sinfonie an den Tag legt und den entspechenden Produktionsaufwand mit sich bringt. Das Konzept dahinter ist dabei denkbar einfach und geht nicht viel tiefer als im Albumtitel und einigen Songs schon angerissen, es reicht jedoch die Dimension des ganzen, um mich trotzdem ins Staunen zu versetzen. Zusammen mit der doch recht großen Überraschung, dass Parcels sich daran nicht verheben. Zu meiner eigenen Schande muss ich ja sagen, dass ich fast ein bisschen darauf gehofft hatte, dass die Band sich hier die Zähne ausbeißt. Als ich nach dem in meinen Augen etwas überschätzten Debüt vor ein paar Wochen gewahr wurde, an was sich die fünf Wahlberliner da heranwagten, witterte ich schon fast den schadenfreudigen Verriss, den ich an dieser Stelle darüber schreiben würde und machte mich auf die Katastrophe bereit. Aber nichts da, Day / Night hat mich durchweg positiv überrascht und zeigt mir, dass die Parcels am Ende des Tages doch jede Menge Talent besitzen, das ihr Debüt noch zurückhielt. Zwar nicht unbedingt als großartige Songwriter, denn viele der Tracks hier sind nach wie vor eher Grundlagenarbeit in den Bereichen Yachtrock, Discopop und seichtem Funk, viel eher aber als versierte Manager und Dramaturgen eines solchen Mammutprojekts, das sie mit einer bewundernswerten Finesse angehen. Nicht nur ist Day / Night durchweg sehr stimmig und wird an den wenigsten Stellen langatmig, auch ist das Ding mal wieder unfassbar tight produziert und schafft in vielen Momenten einen sehr reichhaltigen Sound, in dem alle Einflüsse immens cool ineinander fließen. Die sinfonischen Ouvertüren der beiden Albumhälften funktionieren auf einer Ebene mit flockigen Funk-Nummern wie Free, proggige Pink Floyd-Anleihen wie Icallthishome oder Jazz-Ausflügen wie Outside und dass es hier weniger eindeutige Hits gibt als auf dem Debüt ist auch okay, weil das hier stärker als Gesamtwerk funktioniert und vor allem dramaturgisch ineinander greift. Sicher ist dabei auch nicht jedes Movement so packend wie das nächste und die meisten der Tracks über fünf Minuten könnten definitiv weniger ausladend sein, angesichts der Größe des ganzen und der relativen stilistischen Einfalt, die Parcels vorlegen, ist es doch beeindruckend, wie unterhaltsam Day / Night bleibt. Wobei es mich strukturell auch nicht von ungefähr an einige meiner liebsten Doppelalben wie Hurry Up, We're Dreaming von M83 oder Demon Box von Motorpsycho erinnert, die eben auch vor allem deshalb funktionieren, weil sie einen sehr guten inneren Aufbau haben. Und obwohl Day / Night kompositorisch doch nicht ganz mit diesen Beispielen mithalten kann, hat es den Grundsatz des Arbeitens auf Überlänge verstanden. Einerseits macht es mich dabei froh, dass Parcels so früh diesen Schritt gemacht haben, andererseits ärgere ich mich auch ein bisschen darüber. Denn sicher ist das hier ein gutes Album, doch verblasst dieses vor der Vorstellung, was Parcels eventuell daraus gemacht hätten, wären sie kompositorisch schon fortgeschrittener und würden stilistisch noch mehr wagen. Wobei ja auch niemand sagt, dass sie jetzt, wo sie einmal ein cooles Doppelalbum gemacht haben, für immer damit aufhören müssen. Nur vielleicht nicht direkt nach diesem hier, das wäre dann doch zu viel des guten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
LIGHT | Free | Comingback | Somethinggreater | Famous | LordHenry | Thefear | Nightwalk | Inside

Nicht mein Fall
Daywalk | Outside | Reflex | Once


Hat was von
Daft Punk
Random Access Memories

Electric Light Orchestra
Out of the Blue


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