Mittwoch, 3. November 2021

Zehn Jahre später: Ein nostalgischer Throwback ins Jahr 2011

Schon letztes Jahr hatte ich hier damit begonnen, mir unter dem Label Zehn Jahre später noch einmal Gedanken über ein paar Platten zu machen, die im besagten Jahr ihren ersten runden Geburtstag feiern und hatte dabei ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, wie sich die entsprechende Musik für mich in dieser Zeit verändert hatte. Bis jetzt geschah das vor allem in Form von einzelnen Artikeln, die für mich dann auch entsprechend zeitaufwändig waren. Zum einen, weil ich nochmal viel recherchierte, zum anderen, weil ich bei vielen der Platten feststellen musste, dass ich doch jede Menge zu sagen hatte und einfach aus dem Schreiben nicht mehr herauskam. Das machte auf jeden Fall Spaß, ich hatte aber auch weniger oft die Motivation, mich so einem Projekt zuzuwenden, als ich das eigentlich vorhatte. Weshalb ich für 2021 ein etwas anderes Format ausprobieren möchte, bei dem das ganze in einem einzigen großen Artikel stattfindet. Ähnlich wie in meinen Oldies-Artikeln will ich dabei möglichst viele Empfehlungen zusammenführen, wobei es hier nicht zwingend um eine Favoritenliste in dem Sinne geht, sondern eher um eine Mischung aus Erinnerungen, Geheimtipps und persönlichem Logbuch, die ich einfach gebündelt nach außen trage. Das heißt, es kommen vielleicht auch Platten vor, die ich nicht total genial finde, die aber dafür sehr spannend sind, mit denen ich persönlich viel verbinde und vielleicht auch die ein oder andere, zu dem ich einfach einen gewürzten Hot Take loswerden will. Und wenn ich irgendwo schon mal einen Artikel zu einer Sache geschrieben habe, soll der hier auch verlinkt werden. So zumindest das Prozedere. Das bedeutet dann aber leider auch, dass hier einige offenkundige Klassiker fehlen, da ich mich hierfür wirklich an Platten halten wollte, die ich in der damaligen Zeit gehört habe und die eine entsprechende Entwicklung mit mir durchgemacht haben. Und das heißt auch definitiv, dass ein paar echte Fettnäpfchen dabei sein werden. Welche die sind, entscheidet ihr aber am besten selber. Wobei es mir natürlich vor allem darum geht, Empfehlungen auszusprechen, von denen hoffentlich auch die ein oder andere dabei ist. Am Ende ist es aber am effektivsten als eine Art Querschnitt meines Musikgeschmacks, der sicherlich auch einiges über mich aussagt. Beziehungsweise über den Typen, der das vor zehn Jahren war.

In meiner Biografie als Musikfan ist das Jahr 2011 im Nachhinein wahrscheinlich so prägend gewesen wie seitdem kein anderes mehr. Wenn man diesen Artikel liest, wird man das sicher vor allem daran merken, dass nicht weniger als sieben Platten aus diesem Jahr mit einer Höchstpunktzahl von elf Punkten bewertet sind, die ich an und für sich ja eher sporadisch vergebe. Wobei dieser Umstand ganz einfach auch damit zu tun hat, dass in diese Zeit eine der wichtigsten Phasen meiner musikalischen Identitätsbildung fällt, die im Wesentlichen das ausmacht, worüber ich heute so schreibe und was ich davon gut finde und was nicht. Zwar ist seitdem zum Glück einiges passiert mit meinem musikalischen Horizont, doch halte ich viele Sachen aus dieser Zeit noch immer an einem sehr speziellen Platz. Eine gehörige Portion Nostalgie gehört natürlich auch dazu, die viele meiner Ansichten in den Jahren seitdem nochmal verändert hat. Viele der Platten, die heute zu meinen Langzeitfavoriten gehören, fand ich dabei ursprünglich gar nicht mal so geil und nicht wenige meiner Lieblingsalben von damals halte ich heute für eher durchwachsen. Was aber nichts daran ändert, dass sie mir noch immer irgendwie wichtig sind und an diesem Punkt auch irgendwie Teil meiner eigenen Geschichte. Und genau diese Diskrepanzen und Veränderungen möchte ich in diesem Artikel beleuchten. Mehr als die meisten Sachen auf diesem Format ist das hier also ein persönliches, emotionales Statement und etwas, das ich selbst an mir beobachte. Ob ihr das interessant findet, weiß ich nicht, aber ich möchte es unbedingt mitteilen. Schon alleine deshalb, weil hier so viele Lieblingsplatten von mir dabei sind.

 
Des weiteren gelten natürlich meine üblichen Disclaimer:

1. Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so nennenswert, dass es hier auftaucht

2. Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier ändere oder hinterfrage.



 
 
 
 

Noel Gallagher's High Flying Birds - Noel Gallagher's High Flying BirdsNOEL GALLAGHER'S HIGH FLYING BIRDS
NOEL GALLAGHER'S HIGH FLYING BIRDS
Sour Mash Records









 
 
Jedes Mal, wenn ich dieses Album nach langer Zeit wieder höre, bin ich mir sehr sicher, dass ich es diesmal bestimmt nicht mehr so genial finde, doch jedes Mal überrascht mich Noel Gallagher von neuem. Und auch 2011 schaffte er das hiermit schon. Nach einer äußerst unschönen Trennung seiner Band Oasis und den kläglichen ersten Neuorientierungs-Versuchen von Bruder Liam war das selbstbetitelte Debüt der High Flying Birds lange das einzige starke Argument dafür, die Gebrüder Gallagher noch nicht ganz aufzugeben und den neuen Projekten wenigstens eine Chance zu geben. Denn was hier passierte, war nicht weniger als ein zweiter Frühling des Songwriters mit seinen wahrscheinlich besten Stücken seit Morning Glory-Zeiten. Noel ist dabei immer noch er selbst, doch atmet spürbar frei vom klischeegewordenen Oasis- und Britpop-Sound. Die instrumentale Palette hier ist kreativ, die Komposition verspielt, die Texte menschlich und erwachsen und das Album zeigt insgesamt eine Reife, die seine Band zuvor nie wirklich hatte. High Flying Birds fühlt sich kurzum an wie die Musik, die Noel Gallagher schon sehr lange machen wollte. Und nach Jahren von Dümpelei und schmierigem Balladenkäse schreibt er auch endlich wieder diese großen Übersongs, die hier nur ganz anders klingen: Everybody's On the Run fühlt sich mit seinem großen orchestralen Intro an wie die Ouvertüre zu einer Rockoper, die Leadsingle the Death of You and Me stellt sich demonstrativ sehr weit abseits vom Oasis-Sound, AKA...Broken Arrow hat schon fast was von Damien Jurado und (Stranded On) the Wrong Beach kokettiert mit softem Bluesrock. Das weitaus coolste ist für mich aber immer noch, wie Noel hier in einigen Tracks die kompositorischen Schnipsel dessen einbaut, was sich ganz am Ende als Stop the Clocks herausstellt und die LP nochmal auf ganz besondere Weise abschließt. Was definitiv zeigt, dass dieser Typ kann, wenn er will. Leider war er das bis heute nie wieder so richtig und alles, was die Birds nach diesem Erstling machten, ging steil bergab. Einer der Gründe, warum ich nach wie vor ein wenig an der Genialität dieser Platte zweifle.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴⚫ 10/11

Besondere Anspieltipps: eigentlich alle...

__________________________________________________________________________
 
 
Coldplay - Mylo XylotoCOLDPLAY
MYLO XYLOTO
Parlophone













Dass Mylo Xyloto ein Scheideweg in der Karriere von Coldplay war, war für mich schon vor seinem Release irgendwie spürbar und nach allem, was mit dieser Band in den Folgejahren passiert ist, wird die Bedeutung dieser LP nur noch deutlicher. Und ich weiß noch, wie ernsthaft nervös ich während der Promophase der Platte war. Immerhin war sie der Nachfolger des exzentrischen Viva La Vida, das nicht nur nach wie vor mein Lieblingsalbum der Briten ist, sondern auch kreativ alles mögliche anstellte. Und die große Frage bei Mylo Xyloto war ja, wohin Coldplay mit dieser Narrenfreiheit als nächstes gehen würden. Die Antwort: Ans Ende des Regenbogens. Ein so buntes, schillerndes, hedonistisches und knalliges Album mit starken EDM-Einflüssen und einem exklusiven Rihanna-Feature war von dieser Gruppe 2011 ein ordentlicher Schock, den man erstmal einordnen musste. Viele warfen Coldplay seinerzeit Anbiederung vor, was aber schon damals nur die halbe Wahrheit war. Im Zeitkontext ist das Bild inzwischen um einiges klarer: Ja, Coldplay gehen hier einen gewaltigen Schritt in Richtung Kommerz und ja, hier beginnt die Reise, die sie über kurz oder lang in die Arme der Chainsmokers führte. Doch ist Mylo Xyloto auch eine LP, die großartig das fokussiert, was auf Viva La Vida begonnen wurde und außerdem in keinem Moment die kreative Kontrolle aus der Hand gibt, auch was ihre Wirkung als Gesamtkunstwerk angeht. Zudem ist sie rein vom Standpunkt Sound und Produktion aus gesehen nicht weniger als ein Meisterwerk. Was mich unterm Strich zu der Bewertung bringt, dass Coldplay hier sehr viel richtig machen. Sie schaffen es, gleichzeitig dem Mainstream entgegen zu kommen und machen trotzdem eines ihrer besten Alben überhaupt. In meinen Augen extrem unterschätzt.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: Hurts Like Heaven | Paradise | Charlie Brown | Us Against the World | Princess of China | Up With the Birds

__________________________________________________________________________
 
 
The Wombats - This Modern GlitchTHE WOMBATS
THE WOMBATS PROUDLY PRESENT: THIS MODERN GLITCH
14th Floor
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ich weiß ja nicht wie das bei euch so war, aber in meiner Welt war dieses Album vor zehn Jahren absolut überall. Mit ihrer zweiten LP schafften die Wombats aus Liverpool - eine heute ziemlich vergessene Band - den eindrucksvollen Spagat zwischen Indiepresse, Festival-Lineups, Feuilleton, Großstadt-Teens und Formatradio, was trotz der Trendigkeit dieser Musik zur damaligen Zeit beeindruckend war. Vor allem ihre Leadsingle Tokyo (Vampires & Wolves) war dabei enervierend omnipräsent und um ehrlich zu sein fand ich diese Gruppe vor allem deshalb ziemlich ätzend. Rückblickend lohnt es sich jedoch durchaus, über This Modern Glitch noch einmal nachzudenken, aus sehr verschiedenen Gründen. Wobei für mich der mit Abstand wichtigste ist, dass sich in dieser LP der definitive Gipfel der britischen NME-Indiepop-Welle spiegelt und die Wombats hier ganz klar zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Ein Relikt der frühen Zehner ist die Platte aber keineswegs. Obwohl ich vom Songwiting der meisten Stücke noch immer nicht vollends überzeugt bin, ist der Sound von This Modern Glitch doch erstaunlich gut gealtert und vor allem Matthew Murphys sarkastisch-resignierte Lyrics sind punktuell noch immer ein Highlight. Was zumindest ein paar Songs hier zu ewigen Favoriten von mir macht. Da wäre die geniale schwarzhumorige Hymne, die die Band in Techno Fan über zu teure Londoner Clubs schreibt, das rockige Dekadenz-Brett Girls / Fast Cars, die herrlich schwulstige Depressions-Ballade Anti-D und ja, am Ende auch irgendwie Tokyo. Erstaunlich ist dabei - neben dem umfänglichen Verschwinden der Wombats nach diesem Album - wen sie damit vor allem beeinflusst haben. Denn statt karottenjeansige, bebrillte Indiebands höre ich hier vor allem Leute wie Enter Shikari oder Bring Me the Horizon heraus, deren spätere, eingängigere Platten ganz klar hier abgeschaut haben. Eine überraschende Wendung, aber bei genauerer Betrachtung keine wirklich unlogische. Im übrigen: Die Wombats gibt es inzwischen wieder. Und sie sind immer noch gut.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴7/11

Besondere Anspieltipps: Tokyo (Vampires & Wolves) | Anti-D | Techno Fan | Girls / Fast Cars

__________________________________________________________________________
 
 
This Will Destroy You - Tunnel BlanketTHIS WILL DESTROY YOU
TUNNEL BLANKET
Suicide Squeeze
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Tunnel Blanket war schon immer ein Album, das ich mochte und schon als ich es zum ersten Mal hörte, brachte es mir bei, wie eine effektive Fusion von Rockmusik und düsterem Ambient aussehen konnte. Über die letzten zehn Jahre ist es durch diese Kraft aber mehr geworden als ein gutes Album und muss vor allem immer dann als ultimativer Maßstab herhalten, wenn This Will Destroy You gerade ein neues Album veröffentlichen. Bis heute war die Formation aus Texas in meinen Augen nie wieder so kreativ, so experimentierfreudig und dabei trotzdem so fokussiert und clever wie auf dieser LP. Dass sie dabei erstmals im großen Stil aus dem üblichen Definitionsbereich des Postrock ausbrechen, ist diesbezüglich ein großer Gewinn. Tunnel Blanket ist an vielen Stellen schon noch irgendwie eine Rockplatte und auch durchaus eine sehr sinfonisch strukturierte, doch wirkt sie wie durch tausend Artefakte verrauscht und vernebelt, wie ein alter Film, auf dem nur noch schemenhaft Bilder zu erkennen sind. Der dicke Schleier, der dabei über den eigentlichen Kompositionen liegt, ist das eigentliche klangliche Highlight des Albums. Hier entwickeln This Will Destroy You tausend detaillierte Nuancen, die sowohl laut und garstig als auch harmonisch und atmosphärisch sein können und sowohl mit dem Etikett Noise als auch Ambient oder Drone legitim beschrieben sind. Auf Tracks wie Glass Realms oder Reprise kippt die Band auch gerne Mal komplett in ätherischen Wabersound um. Das Ergebnis ist aber immer ein sehr stimmiges und kreatives und obwohl der LP-Flow leider nicht der beste ist, ist Tunnel Blanket trotz seiner vielen Ästhetiken sehr kohärent. Was mich jedoch am allermeisten fasziniert ist, dass ich in den zehn Jahren danach bisher keine einzige Platte gefunden habe, die mit diesem Ansatz vergleichbar wäre. Am ehesten wäre das noch Vespertine, das im Moment aktuellste Album von This Will Destroy You, das als begleitendes Auftragswerk allerdings auch nicht ganz so experimentell und bissig ist wie das hier. Was mich ein bisschen frustriert, denn wenn die Band schon einmal diese Energie angezapft hat, wieso lässt sie diese anschließend brach liegen und fährt einfach wieder den normalen Postrock-Trott, als wäre nichts gewesen? Aus meiner Sicht ist das hier ein absolutes Meisterwerk, das von Fans und seinen eigenen Schöpfern gleichermaßen sträflich ignoriert wird. Denn hier waren This Will Destroy You ein einziges mal nicht nur gut, sondern visionär.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: Little Smoke | Glass Realms | Communal Blood | Reprise | Killed the Lord, Left the New World | Osario | Black Dunes | Powdered Hands

__________________________________________________________________________
 
 
The Strokes - AnglesTHE STROKES
ANGLES
RCA
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Zehn Jahre ist das offizielle Albumcomeback der Strokes nun inzwischen her, weniger mysteriös ist die Band seitdem nicht geworden. Und wenn ich mich richtig an die Zeit erinnere, als Angles erschien, war das Misstrauen über diese Reunion schon ihrerzeit groß. Dass diese nicht zuletzt aus finanziellen Beweggründen stattfand, wurde ganz offen kommuniziert, so richtig Bock schien danach niemand mehr auf die Platte zu haben. Was witzig ist, denn für mich ist sie nach wie vor das beste Stück Musik in der gesamten Karriere der Strokes und sticht selbst große Teile ihres Zwotausender-Outputs aus. Mit den Anbiederungen an den kommerziellen Indiepop der frühen Zehner klingt hier zwar vieles etwas zurechtgerückt, doch Stimmen dadurch fast überall das Songwriting und die Attitüde. Angles schafft es erfolgreich, die Brücke zwischen klassischem Strokes-Sound und einer moderneren Ästhetik zu schlagen, die gerne auch ein bisschen kommerzieller und spritziger sein kann. Im letzten Teil mit Tracks wie Games oder Call Me Back wird es sogar ganz schön experimentell. In vielerlei Hinsicht ist es dabei der Vorbote dessen, was Sänger Julian Casablancas wenige Jahre später mit seinem Projekt the Voidz anstellte, nur eigentlich schon viel besser als dort. Und im Vergleich zum allseits gefeierten the New Abnormal vom vergangenen Jahr ist vieles hier nicht nur kreativer, sondern trägt auch besser über die Zeit. Gemeinsam mit seinem Nachfolger Comedown Machine von 2013 empfinde ich Angles als Teil der einzigen Phase, in der die Strokes mal unmissverständlich versucht haben, nicht die Band zu sein, die sie auf ihrem Debüt waren. Und obwohl das keinesfalls gegen ihr Debüt gehen soll, war das nach zehn Jahren einfach mal notwendig. Eine Sache, die man vor allem weitere zehn Jahre später nochmal richtig merkt, weil sich dieser Kreis jetzt irgendwie doch geschlossen hat.
 
🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11
 
Besondere Anspieltipps: Machu Picchu | Under Cover of Darkness | Two Kinds of Happiness | You're So Right | Taken for A Fool | Gratisfaction

__________________________________________________________________________
 
 
Danny Brown - XXX DANNY BROWN
XXX
Fool's Gold













 
Es ist auf jeden Fall ein bisschen komisch, XXX zehn Jahre später vorm Horizont der Danny Brown-Karriere von heute zu hören, dennoch finde ich immer noch, dass es seine beste LP ist. Nicht weil er hier den fettesten Sound hat oder stilistische Grenzen einreißt (das hat er später auf Old und Atrocity Exhibition um einiges besser gemacht), sondern weil ich ihn hier lyrisch am meisten schätzen gelernt habe. Mit seiner Aufteilung in die hedonistische, Punchline-lastige erste und die deprimierte, erzählerische Zweite Hälfte leuchtet dieses Album nicht nur die zwei wichtigsten Extreme der Psyche von Danny Brown aus, die zeigt ihn auch als vielseitigen Texter. Wo er auf Songs wie I Will, Pac Blood oder Die Like A Rockstar nicht selten zum Schreien komisch und übertrieben krawallig ist, schwenkt die Platte ab einem bestimmten Punkt (und dieser Punkt ist erfahrungsgemäß für viele ein anderer) in ein tragisches Realtalk-Porträt des Künstlers um, in dem er seine Geschichte und (damals noch) Gegenwart als völlig kaputter Junkie beschreibt, der gefährlich nah an der Klippe tanzt. Und indem er zum Ende hin nach und nach diese Stories auspackt, schiebt er für die unvoreingenommen Hörenden nachträglich diese dunkle Wolke über die Partystimmung der Songs vom Anfang, die alles plötzlich in einem anderen Licht erscheinen lässt. Dass er dabei diesen völlig affigen Flow und eine leicht psychotische Art der Performance entwickelt, hilft dieser Wirkung natürlich auch nochmal. Für mich persönlich ist XXX, gerade im Vergleich mit seinen späteren Platten als geläuterter Profirapper mit den Jahren sehr düster geworden und verkörpert nicht nur klanglich und ästhetisch eine andere Version von Danny Brown, sondern vor allem auch mental. Und obwohl ich natürlich froh bin, dass er inzwischen seine Dämonen hinter sich gelassen hat und psychisch nicht mehr an diesem Ort ist, schätze ich das hier doch als kreatives Dokument eines Typen, der nichts mehr zu verlieren hat. Umso schöner, weil dieses Dokument am Ende tatsächlich der Anfang vom Ende seiner schiefen Bahn wurde.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11
 
Besondere Anspieltipps: XXX | Die Like A Rockstar | Pac Blood | I Will | Blunt After Blunt | Outer Space | Adderal Admiral | DNA | Nosebleeds | Ewnesw | Scrap or Die | 30

__________________________________________________________________________
 
 
La Dispute - WildlifeLA DISPUTE
WILDLIFE
No Sleep













 
Ich habe einige Jahre gebraucht, um Wildlife wirklich zu verstehen, aber ich glaube, das Problem hatten zunächst viele. Dass es eine geniale Platte ist, war dabei von Beginn an klar, aber sicher nicht, wie genial. Man glaubte damals, La Dispute wären die Speerspitze einer neuen Hardcore-Szene, aus der jeden Moment noch weitere Platten von diesem Kaliber herauswachsen würden, was erfahrungsgemäß nie der Fall war. Und auch die Band, von der das große Meisterwerk stammt, ist lange nicht mehr dieselbe. Eine so dermaßen intensive LP wie Wildlife schreibt man eben nur einmal. Und demnach zu urteilen, was Kritikliebling Jordan Dreyer heutzutage in Interviews erzählt, würde er auch nicht nochmal wollen. Warum, versteht man vielleicht, wenn man das Ding einmal wirklich gehört hat. Bei so viel emotionaler Power, so viel Seelenstriptease und düsterer Wahrheit, wie in diesem Album ist, braucht man danach wahrscheinlich erstmal eine Therapie. Schon allein vom hören, wahrscheinlich erst recht vom schreiben dieser Songs. Für die mentale Gesundheit der Bandmitglieder ist es also wahrscheinlich gut, dass Wildlife ein Einzelfall bleibt. Künstlerisch gesehen gibt es einfach keine bessere Alternative.
 
🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11
 
Besondere Anspieltipps: A Departure | Harder Harmonies | St. Paul Missionary Baptist Church Blues | A Letter | Safer in the Forest / Love Song for Poor Michigan | the Most Beautiful Bitter Fruit | King Park | Edward Benz, 27 Times | A Broken Jar | All Our Bruised Bodies and the Whole Heart Shrinks | You and I in Unison

__________________________________________________________________________
 
 
Smith Westerns - Dye It BlondeSMITH WESTERNS
DYE IT BLONDE
Fat Possum













 
Für mich werden die Smith Westerns wohl immer die NSYNC des Indiepop bleiben, mit denen ich vor zehn Jahren dann doch meine kurze Boyband-Phase hatte. Was schlechtes bedeutet das aber weiß Gott nicht. Im Gegenteil, dass das Trio aus Chicago diesen Status bei mir überhaupt erreichte, ist ja ein Indiz dafür, dass sie wirklich gute Popsongs schreiben können. Was auch anhand der Tatsache erstaunlich ist, dass das hier gerade mal ihre zweite LP ist. Denn Dye It Blonde nimmt sich in Sachen Extrawürste nicht gerade zurück: Mit ihren fetten Chören, Streichern und den unfassbar kitschigen Zuckerguss-Refrains in so gut wie jedem Song klingen die Smith Westerns wie eine Mischung aus der völlig verkoksten Phase von Oasis, einem Post-Neunziger-John Lennon und der Glamrock-Variante von Beach House. Viel Substanz kommt dabei am vielleicht Ende nicht rum, was aber auch egal ist, weil jeder Track runtergeht wie Öl und weil Cullen Omori immer so niedlich guckt beim Gitarre spielen.

P.S.: Weekend ist einer der besten Indiepop-Songs der Zwotausendzehner.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: Weekend | Still New | All Die Young | Fallen in Love | Smile | Dye the World
__________________________________________________________________________
 
 
C418 - Minecraft: Volume Alpha C418
MINECRAFT: VOLUME ALPHA
Die-Ai-Wei
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Nach gerade Mal zehn Jahren, die dieses Album nun alt ist, ist es erstaunlich, welches unbestreitbare Klassikerpotenzial Minecraft: Volume Alpha hat. Stand 2021 gehört es sicherlich zu den beliebtesten (Game-)Soundtracks aller Zeiten, steht im Bereich Ambient als Wegweisendes Standardwerk und ist als solches sicher für viele Menschen ein erster Berührungspunkt mit dem Genre geworden. Demzufolge ist diese LP rückblickend eine, die über ihren Schöpfer ebenso hinausgewachsen ist wie über das Spiel, dem es seine Musik verleiht. Zwar sind die Klangsphären und vorsichtigen Melodien der Platte nach wie vor für viele unmittelbar mit dem legendären Würfelbau-Indie verbunden und nur ein Bruchteil des ganz eigenen Mythos von Minecraft selbst, doch hat der Soundtrack - vor allem der dieser Alphaversion - seitdem auch ein nicht zu unterschätzendes Eigenleben entwickelt. Im Trend der Arbeits- und Lernplaylisten, der sich über die vergangenen Jahre entwickelte, spielte Minecraft: Volume Alpha auch unabhängig von seinem Ursprungszweck eine Schlüsselrolle und fährt nicht zuletzt dadurch noch immer äußerst stabile Streamingzahlen ein. Ganz zu schweigen davon, dass es unzählige weitere Spielesoundtracks inspiriert und das Business der Game-Beschallung an sich maßgeblich verändert hat. Zehn Jahre nach dem Release dieser ersten Score-Version (die inzwischen auch längst physisch erschienen ist) kann man also sagen, dass C418 jede Menge verändert hat und das hier in all seiner Unauffälligkeit eines der definitiv wichtigsten musikalischen Statements der gesamten Zwotausendzehner ist. Ein Superstar ist der Typ dahinter dadurch nicht unbedingt geworden, höchstens vielleicht eine Art Hausmarke. Oder zumindest hat er sich hiermit unentbehrlich für Mojang Studios gemacht, falls die noch einmal eine neue Auflage des Scores machen wollen.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: Door | Subwoofer Lullaby | Death | Moog City | Haggstrom | Minecraft | Oxygène | Équinoxe | Mice On Venus | Wet Hands | Sweden
__________________________________________________________________________
 
 
Tyler, the Creator - Goblin TYLER, THE CREATOR
GOBLIN
XL











 
 
 
Die Inkubationszeit, die dieses Album bei mir hatte, war lang. Fast die ganzen zehn Jahre, die diese LP nun existiert, hatte ich keine so richtige Peilung, was ich nun eigentlich davon halten soll. Die letztliche Konsequenz, dass es in meinen Augen eine der besten Hiphop-Platten aller Zeiten und nach wie vor das beste Stück Musik von Tyler, the Creator ist, mag da vielleicht überraschen. Und hey, niemand sagt, dass sich meine Meinung dazu nicht irgendwann nochmal ändert. Doch hat sich in den letzten paar Jahren einfach der Eindruck etabliert, dass ich jeden Beat, jede Zeile und jede finstere Macke dieses Typen hier unglaublich liebe. Wobei objektive Kritik daran definitiv nicht unbegründet ist. Tylers Texte sind hier ohne Frage sehr gewaltverherrlichend, relativieren Hass und sexuelle Gewalt und tendieren mehr als einmal ins homophobe. In meinen Augen ist das aber auch zu großen Teilen Teil der Charaktere, als die der Kalifornier auf diesem Album spielt und die selbiges auch noch zehn mal cleverer machen. Meine persönliche Verschwörungstheorie zu Tylers multiplen Persönlichkeiten auf seinen frühen Platten werde ich an anderer Stelle erläutern, doch ist Goblin die LP, auf der diese am meisten zum Tragen kommen. Und zudem Musik, die viele problematische Elefanten, die andere Rapper unangesprochen lassen, in die Mitte des Stuhlkreises schubst. Die Art, wie beispielsweise in Her das Thema Eifersucht angesprochen wird oder wie Tyler in Yonkers toxische Männlichkeit porträtiert, sind nicht selten Spiegel des Stereotyps Hiphop-Künstler, die mit dem heutigen Wissen über ihn als Person auch wesentlich mehr Sinn ergeben. Grundsätzlich ist Goblin dabei an vielen Stellen noch ein Album, das mir Rätsel aufgibt, was mich aber umso mehr begeistert. Und so toll ich später auch Platten wie Cherry Bomb, Flowerboy oder Igor fand, das hier bleibt sein unanfechtbares Meisterwerk. Wahrscheinlich auch für immer.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11

Besondere Anspieltipps: Yonkers | Radicals | She | Transylvania | Nightmare | Tron Cat | Her | Sandwitches | Fish | Analog | B.S.D. | Window | AU79 | Golden

__________________________________________________________________________
 
 
Macintosh Plus - Floral ShoppeMACINTOSH PLUS
FLORAL SHOPPE
Beer on the Rug
 











 
Ich musste ein bisschen der Versuchung widerstehen, an dieser Stelle einfach irgendeinen dämlichen Shitpost reinzucroppen, denn innerhalb der letzten zehn Jahre war Floral Shoppe die meiste Zeit über vordergründig ein Meme. Doch finde ich, dass 2021 auch spätestens der Punkt gekommen ist, wo genug über dieses Album abgelacht wurde und man es nochmal ernsthaft betrachten kann. Wobei zuerst mal die Tatsache wäre, wie einflussreich diese LP für die Internet-Popkultur der vergangenen Dekade war. Sicher, das hier ist weder das erste Album der Vaporwave-Blase noch war Vaporwave an sich so eine große Nummer, doch spinnen sich die Impulse von Macintosh Plus trotzdem durch alle möglichen Ecken. Sachen wie PC Music, DJ Sabrina, die neue Glitch-Bewegung, Igor von Tyler, the Creator oder den Hype um LoFi-Hiphop hätte es ohne Floral Shoppe in dieser Form vielleicht überhaupt nicht gegeben, ganz abgesehen von gefühlt Milliarden großartiger Memes. Da können die Vapor-Ultras noch so wettern. Die Frage nach zehn Jahren bleibt allerdings: Ist es denn auch gut? Meine Antwort im Winter 2011 wäre sicherlich ein zögerliches Naja gewesen. Dieses Album schubste mich mit seinen verspulten Samples und Pitches, der verwegenen Nostalgie für Achtziger-Muzak und der glitchigen Hallenbad-Produktion ohne Vorwarnung in eine mir völlig unbekannte Ästhetik, die irgendwie cool war, aber auch zu schräg um sich wirklich wohlzufühlen (was ja auch genau die Absicht des klassischen Vaporwave-Sounds ist). Die folgenden Jahre haben allerdings dafür gesorgt, dass ich mich in aller Ruhe in diese Atmosphärik eingrooven konnte und mittlerweile klingt sie für mich schon fast ein bisschen gewöhnlich. Wobei ich generell auch sagen kann, dass ich Floral Shoppe jetzt mehr mag als früher und definitiv die Vision erkenne, die hier gezeichnet wird. Dass es aufgehört hat, witzig zu sein, ist dabei ein verschmerzbarer Wermutstropfen.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: ブート| リサフランク420 - 現代のコンピュー | 花の専門店 | ライブラリ| ECCOと悪寒ダイビング | 数学 | 待機 | | Untitled (10) | Untitled (11)

__________________________________________________________________________
 
 
Justice - Audio, Video, DiscoJUSTICE
AUDIO VIDEO DISCO
Ed Banger
 

 

 

 
 
 
 
 
 
 
Dass Audio Video Disco mein Lieblingsalbum von Justice ist, ist eine unpopuläre Auffassung und das weiß ich auch. Den Grund dafür verstehe ich aber nur bedingt. Sicher, nach dem universell geliebten von 2007 (nachdem ja auch eine lange Kunstpause des Duos folgte) ist das hier etwas experimenteller, nicht mehr so direkt zugänglich, nicht mehr so tanzbar und lädt sich noch dazu viele seltsame Einflüsse aus Siebziger-Prog, Hardrock, Glam und Heavy Metal auf, die auf den ersten Blick verstören können. Erstens ist dieses Crossover aber hier durchweg genial umgesetzt und zweitens ist es dabei trotzdem nochmal gigantischer und fetter aufbereitet als das Debüt. Die Produktion ist wesentlich detaillierter und in entscheidenden Momenten nicht so bräsig wie vier Jahre davor, das Songwriting glänzt mit viel mehr spannenden Exkursen und analogen Instrumenten, der Flow der Platte ist absolut erste Sahne und Hits wie Horsepower, Civilization oder den Titeltrack gibt es trotzdem noch mehr als genug. Ein bisschen vermute ich also, dass viele der Platte damals einfach keine faire Chance geben wollten, weil sie nicht so etwas wie D.A.N.C.E. auf der Palette hatte. Und dass diese Einstellung ein Riesenfehler ist, kann ich nur immer wieder wiederholen. In meinen Augen eine der besten Electronica-Platten der gesamten Zwotausendzehner.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴10/11

Besondere Anspieltipps: Horsepower | Civilization | Ohio | Canon (Primo) | Canon | On'n'On | Brainvision | Parade | New Lands | Audio Video Disco

__________________________________________________________________________
 
 
Kasabian - Velociraptor!KASABIAN
VELOCIRAPTOR!
Columbia
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Als Velociraptor! im Herbst 2011 erschien, waren Kasabian gerade sowas wie meine Lieblingsband und ich kaufte mir die CD direkt am Erscheinungstag. Schon damals war ich vom Ergebnis etwas ernüchtert, wollte mir das aber nicht so recht eingestehen. Zu sehr liebte ich diese Gruppe, um eine weniger als grandiose LP von ihnen zu akzeptieren und ein wirklicher Totalausfall war das Ding ja nun auch nicht. Zehn Jahre später habe ich zum Output der Briten ein wesentlich entspannteres Verhältnis (Gott sei Dank) und betrachte diese Platte nüchterner. Was bedeutet, dass ich ihre Schnitzer sehe, aber auch nach wie vor die tollen Momente schätzen kann, die sie ganz offensichtlich hat. Tracks wie Let's Roll Just Like We Used to, Acid Turkish Bath (Shelter From the Sturm) und das fast abbaeske Goodbye Kiss (den ich ursprünglich gar nicht mal so mochte) profitieren vom dickeren Geldbeutel, der Kasabian für diese LP zur Verfügung stand und klanglich ist Velociraptor! oft echt clever gemacht. Dass sich das Album an einer gewissen Hybris verbeißt, ist aber ebenso Fakt. So gut wie alle von Sergio Pizzornos Texten wirken wie völlig verkokste Fiebertraum-Visionen eines besonders flamboyanten Fünfzehnjährigen, ähnlich wie seine Urschreitherapie-Vocals an manchen Stellen. Songs wie das schockierend dreißt bei den Gorillaz geklaute Man of Simple Pleasures, das dämlich-verdrogte La Fee Verte oder das extrem plumpe Titelstück sind außerdem einfach nur kolossale Klogriffe, die man schwer beschönigen kann. Dass ich Velociraptor! nach wie vor größtenteils positiv empfinde, hat also vielleicht auch ein bisschen mit persönlicher Nostalgie zu tun, gemeinsam mit dem Nachfolger 48:13 teilt es sich aber auch bei mir das Prädikat des peinlichsten Longplayers von Kasabian.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴7/11

Besondere Anspieltipps: Let's Roll Just Like We Used to | Goodbye Kiss | Acid Turkish Bath (Shelter From the Storm) | Neon Noon

__________________________________________________________________________
 
 
Fleet Foxes - Helplessness BluesFLEET FOXES
HELPLESSNESS BLUES
Bella Union
 











 
Ich habe das Gefühl, zu diesem Album bereits genug geschrieben zu haben, deshalb hier nur nochmal der Link zur ausführlichen Besprechung sowie die harten Fakten, dass Helplessness Blues im Moment mein Lieblingsalbum der gesamten Zwotausendzehner ist und eine der Platten, dich zu meinen absoluten Favoriten aller Zeiten zähle. Sollte als Bewertung reichen, oder?

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11

Besondere Anspieltipps: Alle! Am besten mehrmals hintereinander!
 
__________________________________________________________________________
 
 
Liturgy - AesthethicaLITURGY
AESTHETHICA
Thrill Jockey
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ich finde es persönlich ein bisschen schade, dass Aesthethica im Nachhinein noch immer die bekannteste Platte in der Liturgy-Diskografie ist, denn wenn man mich fragt, kam ihre beste und kreativste Phase erst danach. Im Vergleich zu genre-fluiden, stilistisch exzessiven und epochalkreativen Werken wie the Ark Work oder auch Origin of the Alimonies wirkt vieles hier inzwischen fast bisschen wie ein biederer Prototyp, der für die New Yorker*innen lediglich ein Sprungbrett darstellte. Zwar sind die vorliegenden zwölf Tracks mit ihrer konsequenten Avantgarde-Haltung und dem schon hier ausgeprägten Fokus auf Repetition keinesfalls bieder oder langweilig, doch stehen hier auch definitiv noch beide Füße im Black Metal und nur Hunter Hunt-Hendrix hat klanglich schon ihren Kopf in den Wolken. Dass Aesthethica trotzdem zu den besten Platten der New Yorker*innen gehört, steht für mich aber nach wie vor fest. Wenn schon nicht als ihre kreativste, dann als ihre energisch brachialste und technisch beeindruckendste, in der Liturgy auch noch eher als Band glänzen denn als musikalischer Think Tank der Hunt-Hendrix-Apostel. Vor allem Drummer Greg Fox nimmt hier in meinen Augen eine unabstreitbare Paraderolle ein, die er danach auf keinem Album dieser Gruppe mehr hatte und brilliert als spielerisches Monstrum mit ebenso wenig Gnade wie geraden Taktzahlen. Und dass die New Yorker*innen hier einen absolut epischen Gitarrensound vorlegen, der diese Platte so oft himmelwärts sprengt, ist natürlich nach wie vor ein starker Selling Point. Wo Aesthetica 2011 das Album war, das mich das erste Mal für Black Metal begeisterte, ist es zehn Jahre später eines, das noch immer eine starke Blaupause dafür darstellt, was man mit dessen Stilelementen alles anstellen kann. Womit es vor allem ein ziemlich einzigartiges Erlebnis bleibt, das als solches kaum Patina angesetzt hat.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴10/11

Besondere Anspieltipps: High Gold | True Will | Returner | Generation | Tragic Laurel | Sun of Light | Glory Bronze | Harmonia
__________________________________________________________________________
 
 
Incubus - If Not Now, When?INCUBUS
IF NOT NOW, WHEN?
Epic
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Dieses Album wa im Herbst 2011 der Auslöser für eine etwa dreijährige Phase in meinem Leben, in dem die Band Incubus so ziemlich das wichtigste war, mit dem ich mich beschäftigte und dass If Not Now, When? mein Leben in der einen oder anderen Art geprägt hat, kann man mit Sicherheit sagen. Und obwohl es danach schnell ältere Platten der Kalifornier waren, die sich als die potenteren Favoriten herausstellen (im wesentlichen Morning View, S.C.I.E.N.C.E. und Light Grenades), hat diese LP noch immer einen speziellen Platz in meinem Herzen, der nicht ausschließlich mit Nostalgie zu tun hat. Als einer der künstlerisch riskantesten Moves der Band und bewusste Hinwendung zu einem stilleren, erwachsenen Sound ist es bewundernswert, wenn auch nicht ohne seine Fehler. Viele Songs hier, die ich in meinem damaligen Fandom mit Lobeshymnen überzog, finde ich im Nachhinein eher ziemlich fad und kompositorisch wie klanglich hätte dieser Platte etwas mehr Kante sicher gutgetan. Tracks wie Promises, Promises, In the Company of Wolves, der Titelsong oder das Outro von Tomorrow's Food haben allerdings eine Magie, die Incubus zu keiner anderen Zeit in ihrer Karriere hatten und die nach nichts klingt, was alternde Rockbands aus den Neunzigern sonst so machen, wenn sie zwanzig Jahre auf
dem Buckel haben. Respekt also dafür, ein mitleidiges Memo aber auch an mein 14-jähriges Ich, das das hier für die Offenbarung hielt: Du magst diese Platte nur, weil du verknallt in Brandon Boyd bist. Und du solltest dir in dem Alter keinen Bart stehen lassen, das sieht dämlich aus.
 
🔴🔴🔴🔴🔴🔴6/11

Besondere Anspieltipps: If Not Now, When? | Promises, Promises | In the Company of Wolves | Adolescents | Tomorrow's Food

__________________________________________________________________________
 
 
Blueneck - RepetitionsBLUENECK 
REPETITIONS
Denovali Records












 
Mich fragt ja nie jemand, aber würde mich mal jemand danach fragen, was für mich die schönsten schwermütigen Alben aller Zeiten sind, dann wäre Repetitions von Blueneck sehr wahrscheinlich in meinen persönlichen Top Fünf. Wobei die Begriffe der Schwermut und der Trostlosigkeit in diesem Fall wörtlich zu nehmen sind. Die ätherischen Synth- und Klaviermelodien dieses Albums legen sich in diesen neun Songs über mich wie eine kalte Bettdecke aus Blei an einem Tag, an dem es nicht hell wird und Duncan Attwoods säuselndes Lamento ist der Gesang eines Mannes, der nicht mehr gegen seinen Weltschmerz anzulämpfen vermag. Sicher ist das alles sehr melodramatisch, aber genau deswegen funktioniert es ja so gut. Alles an dieser LP ist irgendwie in grauenhafter Stimmung und trägt deshalb unglaublich viel zu einem Gesamteindruck bei, der mich nach wie vor effektiv zum schaudern bringt. Wenn man will sogar die eigentlich viel zu schleppenden Postrock-Crescendi, zu denen sich die Band hier ab und zu hinreißen lässt. Mehr als das haben Blueneck aber die sonore Melancholie eines Matt Berninger, die traurige Schönheit eines OK Computer und die erdrückenden Klangflächen von Gravenhurst im Blut, die sie zu einem Irrgarten der schlechten Laune kultivieren, in dem man sich herrlich verlieren kann. Wobei diese Platte auch weniger dadurch wirkt, was in einzelnen Songs gesungen wird, sondern vielmehr durch eine unglaublich starke Atmosphäre, die mich immer wieder kalt erwischt. Und ich meine es definitiv ernst wenn ich sage, dass Repetitions kein Album ist, welches man leichtfertig an verregneten Novembertagen, an einsamen Nächten oder mit Liebeskummer auflegen sollte. Denn zumindest ich kann aus Erfahrung sagen, dass diese Platte ein Katalysator sein kann. Was auf jeden Fall für ihre musikalische Qualität spricht, aber auch zur Vorsicht mahnt.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: Pneumothorax | Sawbones | Venger | Sleeping Through A Storm | Ellipsis | Barriers Down | the Last Refuge | Lopussa

__________________________________________________________________________
 
 
M83 - Hurry Up, We're DreamingM83
HURRY UP, WE'RE DREAMING
Mute
 
 








 
 
 
Vor ziemlich genau drei zwei Jahren nahm Hurry Up, We're Dreaming in meiner Liste der Lieblingsalben von 2010 bis 2019 einen äußerst komfortablen fünfundzwanzigsten Platz ein, heute bin ich mir ziemlich sicher, dass es in so einem Ranking locker in den Top Ten wäre. Dabei war ich zwischenzeitlich des öfteren nochmal skeptisch, ob diese LP (beziehungsweise LPs) wirklich so gut sind, wie ich immer dachte. Und Grund dafür ist vor allem, wie wenig greifbar dieses Stück Musik für mich in vielen Belangen nach wie vor ist. Mit 74 Minuten Spielzeit, 22 Tracks und einer stilistischen Reichhaltigkeit, die andere Bands in ihrer ganzen Karriere nicht schaffen, ist das hier objektiv das Opus Magnum von M83. Allerdings auch eines, das gefühlt tausend unterschiedliche Gesichter hat, die sich schwer vereinen lassen. Mit Midnight City, Wait und dem etwas leftfieldigen Soundtrack-Riesenerfolg Outro gibt es hier unsterbliche Einzelhits mit Stadion-Qualität, viel mehr ist Hurry Up, We're Dreaming aber auch ein Gesamtwerk mit cineastischer Qualität in seinen besten Momenten. Es kann peppigen Elektropop, aber auch sinfonischen Shoegaze, Indierock, Ambient und epochale Kinoklassik. Dass es bei alledem so überhaupt keine Durststrecken hat, ist ebenso erstaunlich wie die unfassbare Kohärenz, die es trotz allem aufweist. Sehr sehr selten sind Alben von diesen Dimensionen - qualitativ wie quantitativ - so astrein gelungen wie dieses. Was mich spätestens jetzt zu der Überzeugung bringt, dass es für mich zu den besten Platten meines Lebens gehört. Und dass diese Einsicht eine Dekade gedauert hat, macht sie umso deutlicher.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11

Persönliche Höhepunkte
Intro | Midnight City | Reunion | Where the Boats Go | Wait | Raconte-Moi Une Histoire | This Bright Flash | Soon, My Friend | My Tears Are Becoming A Sea | New Map | Another Wave From You | Splendor | Echoes of Mine | Klaus I Love You | Outro

__________________________________________________________________________
 
 
Small Brown Bike - Fell & FoundSMALL BROWN BIKE
FELL & FOUND
Old Point Light
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Das mittlerweile aus gutem Grund schon wieder vergessene Emo-Revival der mittleren Zwotausendzehner ging eigentlich erst 2013 so richtig los und auch die Welle der damit einhergehenden Comebacks klassischer Bands wie Braid, Modern Life is War oder American Football passierte erst ein bisschen später, nur waren Small Brown Bike an dieser Stelle vielleicht einfach früh dran. Acht Jahre nach ihrem bis dahin letzten Album the River Bed von 2003 raufte sich die Formation aus Michigan hier noch ein weiteres Mal zusammen und präsentierte ein Album, das mir schon 2011 die Idee von Emorock wenigstens ein bisschen schmackhaft machen konnte. Auch wenn die 40 Minuten dieser LP nach wie vor etwas Zwotausenderig klingt, macht gerade das sie im Nachhinein wieder so spannend. Die Art, wie Small Brown Bike hier ihren Pathos mikrodosieren, auf welch sanfte Weise die Hooks von Onward & Overboard oder In Need of Everything mich völlig um den Verstand bringen und auch wie diese Gruppe nach so vielen Jahren wieder ein bisschen nach Proberaum, Kleinstadt-Teens und aufgekratzen Seelen klingt. Und zwar nicht auf die Art und Weise, dass es schlecht gealtert wäre, sondern dass es tatsächlich irgendwie junggeblieben wirkt und auch eine angenehm ehrliche Attitüde hat. Noch immer ist Fell & Found damit ein Album, das ich als guten Einstieg in die Welt des qualitativ hochwertigen Emorock ansehe und das noch immer eine meiner ersten Empfehlungen sein würde, sollte mich mal jemand nach guten Szeneplatten fragen. Zehn Jahre nach dieser LP haben sich Small Brown Bike noch nicht zu einem weiteren Longplayer aufraffen können, was ich irgendwie aber auch okay finde. Nicht nur, weil sie damit ihre Diskografie gerade schön deckeln, sondern auch, weil ein Revival später auch die jungen Leute ganz gut darin sind, diese Szene weiterleben zu lassen.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Persönliche Höhepunkte
Onward & Overboard | In Need of Everything | As We Go | You Always Knew Me | Just Bones

__________________________________________________________________________
 
 
Arctic Monkeys - Suck It and SeeARCTIC MONKEYS
SUCK IT AND SEE
Domino Recordings Co.
 











 
Zehn Jahre nach seinem Release ist Suck It and See in der Diskografie der Arctic Monkeys vor allem eines: unauffällig. Zwischen ihrem wüstigen Stilbruch Humbug von 2009 und dem hitgewaltigen AM von 2013, die beide für viel Diskussion bei Fans und Presse sorgten, ist diese LP irgendwie ein bisschen die, die als künstlerisch irrelevant beiseite geschoben wird. Meiner Meinung nach zu Unrecht, denn viele Tracks hier gehören für mich zu den spannendsten, die die Briten jemals geschrieben haben. Nachdem sie sich zwei Jahre vorher schon ordentlich die Füße warmgespielt hatten und musikalisch mehr wagten, schaut Suck It and See vor allem, wo diese neu gefundene Kreativität überall hingehen kann. Und wo dabei ganz klar auch ein paar grobe Ausrutscher passieren (Brick By Brick ist kein guter Song, wurde von vielen Fans aber etwas zu leidenschaftlich gehatet), entstehen ebenso psychedelische Meisterwerke wie Don't Sit Down Cause I've Moved Your Chair, verschnickt-surreale Slowburner wie Piledriver Waltz und She's Thunderstorms oder auch einfach nur nette Popsongs wie Black Treacle oder That's Where You're Wrong. Was Suck It and See dabei abgesehen von seiner klanglichen Kreativität genial macht, ist Alex Turners großartige Arbeit mit Lyrics, die sich in meinen Augen auf keinem anderen Album so gelungen und poetisch präsentiert wie hier. Natürlich muss man, um diese zu mögen - und in gewisser Weise gilt das für die ganze Platte - auch schon Humbug mögen, was viele Fans ja nicht tun. Ich ganz persönlich empfinde diese beiden etwas geschmähten Longplayer schon lange als die beste ästhetische Phase der Arctic Monkeys, und wenn Humbug darin das wildromantische Psychrock-Werkstück ist, dann ist diese LP hier die etwas kitschige, aber filigrane Ausgestaltung des gleichen Konzepts. Und damit ohne Frage eines meiner Highlights des Musikjahres 2011.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: She's Thunderstorms | Black Treacle | the Hellcat Sprangled Shalalala | Don't Sit Down Cause I've Moved Your Chair | Library Pictures | All My Own Stunts | Piledriver Waltz | Suck It And See | That's Where You're Wrong

__________________________________________________________________________
 
 
Red Hot Chili Peppers - I'm With YouRED HOT CHILI PEPPERS
I'M WITH YOU
Warner










 
 
 
So sehr ich in den letzten Jahren manchmal gehofft habe, dass I'm With You sich mir doch noch als das heimliche Meisterwerk offenbart, als das ich es einst gerne gesehen hätte, es ist einfach nicht passiert. Zu lahm sind am Ende einfach manche Passagen, zu viel Füllmaterial gibt es an vielen Stellen und zu dämlich sind zu oft Anthony Kiedis' Lyrics. Doch habe ich, je weiter ich auf dieses Album zurückblicke, eine sehr versöhnliche Perspektive dazu entwickelt, in der ich finde, dass sich die Red Hot Chili Peppers mit dieser Platte echt gut geschlagen haben. Vor allem eingedenk der Situation, in der sie als Band zu dieser Zeit waren. Nach dem zweiten Ausstieg von Dauer-On-Off-Seelenpartner John Frusciante 2006 ein weiteres Comeback mit Ersatzmann zu wagen, hatte ich damals nicht für möglich gehalten und nach allem, was ich aus der Promophase zu I'm With You erinnere, waren sowohl die PR-Strategie als auch die Erwartungen der Fans auf nicht weniger als ein neues Californication aus, das die Peppers selbst überhaupt nicht machen wollten. Neuzugang Josh Klinghoffer betrachteten viele dabei mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis, die schließlich in dieselbe unverdiente Abneigung überging, die in den Neunzigern schon der arme Dave Navarro über sich ergehen lassen musste. Mit dem Unterschied, dass Klinghoffer sogar versuchte, der bestmögliche Frusciante-Klon zu sein und sich selbst kompositorisch rauszuhalten. Das Ergebnis ist auf I'm With You eine ungeklärte Führungsrolle in der Band, die erstmals in ihrer Karriere Bassist Flea übernehmen muss, wobei er wider Erwarten strahlt. Frisch angezeckt von künstlerischen Reisen nach Afrika, einem klassischen Musikstudium und Jazz-Eskapaden in diversen Nebenprojekten verschiebt er hier deutlich den Fokus in Richtung sanfterer Melodien, poppiger Klavierkompositionen und einer erwachseneren Inkarnation der Peppers, die sich nach fünf Jahren Pause ernsthaft erfrischend anfühlt. Ist es dabei ein ähnlicher Rückkehr-Erfolg wie zehn Jahre zuvor ein Californication? In Sachen Status definitiv nicht, in Sachen Qualität vielleicht schon. Zugegebenermaßen liegt das eher daran, dass in meiner Welt auch das erste Comeback in den Zwotausendern nicht so der Hammer war, wenn es aber darum geht, inwiefern sich die Band hier nochmal neu definiert, ist es definitiv eine Zäsur. Und für mich persönlich eine, die durchaus nochmal eine ihrer besten Karrierephasen einläutete.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 08/11

Besondere Anspieltipps: Monarchy of Roses | Factory of Faith | Ethiopia | Annie Wants A Baby | Look Around | the Adventures of Rain Dance Maggie | Goodbye Hooray | Even You, Brutus? | Meet Me at the Corner | Dance, Dance, Dance

__________________________________________________________________________
 
Radiohead - The King of LimbsRADIOHEAD
THE KING OF LIMBS
XL
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Meine Ansichten über die Diskografie von Radiohead sind - ganz vorsichtig gesagt - nicht unbedingt welche, die mit denen der meisten Fans übereinstimmen, wobei weniges diesen Umstand so sehr unterstreichen dürfte wie die Tatsache, dass the King of Limbs meine Lieblingsplatte der Briten ist. Abgesehen vom gerne als unreif belächelten Debüt Pablo Honey gilt diese LP in der allgemeinen Wahrnehmung als unbeliebtestes und teilweise sogar ziemlich verhasstes Projekt, dem gerne vorgeworfen wird, unambitioniert, verkopft und inspirationslos zu sein. Wobei alle dieser Kritikpunkte ehrlich gesagt welche sind, die ich nach wie vor überhaupt nicht nachvollziehen kann. Sicher, an vielen Stellen mag the King of Limbs etwas unterkühlt und verschachtelt sein, aber das waren Kid A und Amnesiac damals auch. Und bei aller technischen Finesse, die das Quintett hier an den Tag legt, geht in keinem Moment dieser Platte die notwendige emotionale Komponente flöten, die bei dieser Band so immens wichtig ist. Besonders Bloom, Give Up the Ghost und Codex sind an vielen kritischen Punkten extrem gefühlige Songs und wenn man Lotus Flower lässt, ist es einer der größten Radiohead-Hits überhaupt. Dass die ganze kompositorische Kleinarbeit und der Entstehungsprozess dahinter unfassbar interessant ist, ist angesichts dessen eigentlich schon wieder sekundär. Denn vom Ergebnis her ist the King of Limbs tatsächlich nicht viel anders als die meisten Sachen, die die Gruppe schon Anfang der Zwotausender machte. Nur in meinen Augen eben das entscheidende bisschen ausgeklügelter und verschnickter.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11

Besondere Anspieltipps: Bloom | Morning Mr. Magpie | Little by Little | Feral | Lotus Flower | Codex | Give Up the Ghost | Seperator
__________________________________________________________________________
 
Death Grips - ExmilitaryDEATH GRIPS
EXMILITARY
Die-Ai-Wei
 











 
Wenn die Death Grips Stand jetzt wirklich Geschichte sein sollten, dann kann ich für meinen Teil an diesem Punkt mit zwei Dingen schließen. Erstens: Ihr Vermächtnis für die Popmusik der letzten Dekade ist beachtlich. Zweitens: Ihr allererstes Mixtape von 2011 bleibt trotzdem die beste Platte, die sie jemals gemacht haben. Selbst nach allen kreativen Hakenschlägen, cleveren Troll-Moves, stilistischen Umbrüchen, zu denen Kalifornier danach immer wieder fähig waren, war doch alles in gewisser Weise schon auf Exmilitary vorformuliert. Elektronische Noise-Eskapaden wie die in Guilliotine, Sample-Kaspereien wie in Spread Eagle Cross the Block, exzentrische Rap-Nummern wie Lord of the Game, riesengroße Hooks wie in I Want It I Need It und selbst die punkrockigen Momente von Sachen wie Beware, die erst ganz am Ende ihrer Karriere nochmal relevant wurden. Und gerade durch ihre wild-anarchische, klanglich noch sehr durchmischte Ästhetik machen sie für mich hier noch ein bisschen mehr Sinn als so präzisiert wie auf späteren Alben. Denn am Ende zeigt es vor allem, was Death Grips für eine unfassbar kreative Band sind, die hier selbst in einem Tape alle Einflüsse und Ideen sehr kohärent vereinen können. Beziehungsweise waren. Kann ja wirklich gut sein, dass das alles mittlerweile der Vergangenheit angehört.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11
 
Besondere Anspieltipps: Beware | Guilliotine | Spread Eagle Cross the Block | Lord of the Game | Takyon (Death Yon) | Klink | Culture Shock | I Want It I Need It | Blood Creepin


__________________________________________________________________________
 
White Lies - RitualWHITE LIES
RITUAL
Fiction
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ich dachte zunächst, ein Album wie Ritual könnte ich im Zuge dieser Abhandlung als kleine Fußnote abtun und mit lediglich ein oder zwei Sätzen besprechen. Doch als ich mich dann noch einmal dem zweiten Longplayer der White Lies widmete (von dem ich immerhin eine physische Kopie besitze), wurde mir doch wieder schlagartig bewusst, was ich an dieser Platte habe und wie gut sie in Wirklichkeit ist. Auf den ersten Blick ist es zwar nur ein weiterer Abklatsch der Postpunk- und New Wave-Sounds, die schon so viele vor den Briten bei New Order, Depeche Mode und the Human League abgeschaut hatten, auf den zweiten vielleicht auch noch. Doch zeigt sich spätestens im Kontext der anderen Bands ihrer Szene, wie viel größer und intensiver die White Lies hier denken. Dieses Album leistet sich klanglich den dicksten Maximalismus und will songwriterisch die herrlichsten Hymnen schreiben, von denen am Ende auch nicht wenige dabei sind. Beeindruckend sind neben tausend Layern an Synth-Fantasterei, dichtem Riffing, einem herrlich markanten Schlagzeugspiel von Jack Lawrence-Brown und Einflüssen aus Stadionrock und sogar New Metal (!) aber vor allem die kurzgeschichtenhaften Lyrics von Harry McVeigh, die mich nach all dem großen Rabatz noch immer am meisten verharren lassen und begeistern. Durchaus ein Kapitel des Postpunk-Revivals im neuen Jahrtausend, das man nochmal Revue passieren lassen kann und das in meinen Augen definitiv besser ist als sein Ruf.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 08/11

Besondere Anspieltipps: Is Love | Strangers | Bigger Than Us | the Power & the Glory

__________________________________________________________________________
 
Bon Iver - Bon Iver, Bon IverBON IVER
BON IVER, BON IVER
Jagjaguwar | 4AD
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Es sagt sicherlich viel gutes über den Künstler Justin Vernon an sich aus, dass man sich inzwischen streiten kann, ob nun dieses Album oder das Debüt von Bon Iver der größere Klassiker ist, wobei es in meinen Augen für beide gute Argumente gibt. Was sich aber nicht abstreiten lässt ist, dass dieses hier, das irgendwie ja schon selbstbetitelte zweite, sowohl das allgemein kreativere der beiden ist als auch die LP, die Vernons Karriere wesentlich nachhaltiger beeinflusste. Zwar ist der Protagonist und Songwriter von 2011 noch immer irgendwie der melancholische Indiefolk-Barde, der er auf For Emma, Forever Ago war, doch wenigstens einer mit ordentlich Hummeln im Hintern. Überall hier verfrickelt und verbaut er auf den zehn Stücken hier die Ästhetik seiner ersten Platte und nutzt dabei alle Mittel, die ihm zur Verfügung setehen. Ätherische Elektronik, Banjos, Bläser, aber auch Versatzstücke aus Achtzigerpop (schon hier strahlt Peter Gabriel als ganz wesentliches Vorbild durch), einige recht derbe Rock-Akzente und - damals in der Indieszene höchst kontrovers - Autotune. Dass Vernon ein Jahr zuvor noch mit an Kanye Wests My Beautiful Dark Twisted Fantasies gearbeitet hatte, merkt man hier schon irgendwie.. Viel mehr aber noch, dass die eingeschlossene Schönheit seines Debüts nicht viel mehr war als ein Kokon, aus dem hier einer der versiertesten und spannendsten Musiker des kommenden Jahrzehnts entfleucht. Ob er danach vielleicht sogar nochmal besser geworden ist, darüber kann ich mich sehr ausführlich streiten. Der Rest der Welt scheint sich aber einig zu sein, dass er auf diesem Album am besten war. Oder auf seinem Debüt.
 
🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11
 
Besondere Anpieltipps: Minnesota, WI | Holocene | Towers | Wash. | Calgary | Beth/Rest

__________________________________________________________________________
 
 
Various Artists - Music From Saharan CellphonesMUSIC FROM SAHARAN CELLPHONES
Sahel Sounds





 
 
 
 
 
 
 
 
Bekannt wurde diese Compilation ihrerzeit vor allem deshalb, weil die Death Grips auf the Money Store reichhaltig Material davon versampleten, spannend ist sie aber bei weitem nicht nur deshalb. Schon die Prämisse von Sahel Sounds, hier Stücke lokaler Künstler*innen zu sammeln, die in Nordwestafrika in Form von Ringtone-Dateien via Bluetooth verbreitet werden, ist unfassbar originell und dokumentiert zudem eindrucksvoll die Art und Weise, wie in diesen Teilen der Welt Musik konsumiert und weitergegeben wird. Dass die Platte darüber hinaus musikalisch ein echtes Kleinod ist, macht sie aber erst so richtig wertvoll. Die neun Tracks dieser Originalfassung (eine zweite Ausgabe der Saharan Cellphones erschien 2013, eine zusammengefasste Version wurde später auch auf Vinyl gepresst) sind in meinen Augen der perfekte Einstieg in die Welt des Tishoumaren, des Touareg Rock und -Hiphop für alle die, die an sowas Interesse haben. Zum einen weil die klangliche Vielfalt hier ziemlich groß ist und von bluesigen Folkrock-Nummern bis zu fertzigem Soulja-Boy-Rap geht, zum anderen aber auch, weil die Wege von hier aus sehr leicht nachzuvollziehen sind. Künstler*innen wie Mdou Moctar oder Amanar, die hier auftauchen, veröffentlichen inzwischen auf größeren europäischen Labels, Sahel Sounds als Label verschreibt sich mehr oder weniger komplett dem Verlegen von Musik aus dieser Region und wer hierfür Aufmerksamkeit aufbringt, hat es letztendlich auch nicht weit zu Tishoumaren-Größen wie Tinariwen, Imarhan oder Bombino. Ich für meinen Teil habe dieser LP den Einstieg in eine musikalische Welt zu verdanken, die ich auf diesem Format inzwischen regelmäßig behandle und die mich auch zehn Jahre später nicht loslässt. Wobei sie in diesem Bereich nach wie vor mit Abstand meine Lieblingsplatte ist.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴09/11

Besondere Anspieltipps: Tinariwen | Abandé | Alghafiat | Guetna | Yereyira | Tahoultine | Moribiyassa | Faroter | Aicha

__________________________________________________________________________
 
 
Metronomy - The English RivieraMETRONOMY
THE ENGLISH RIVIERA
Because Music
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Von vielen der Platten, die ich in meiner frühen Teenagerzeit für ihre musikalische Finesse bewunderte, habe ich inzwischen festgestellt, dass sie so clever eigentlich gar nicht waren und mein Horizont, was gute Musik anging, einfach nur ziemlich klein war. The English Riviera von Metronomy ist unter diesen Fällen eine der wenigen großen Ausnahmen. Wenn überhaupt, dann ist meine Bewunderung für ihre Kompositorik und die darauf enthaltenen Performances sogar noch größer geworden und auf jeden Fall kann ich Stand jetzt wesentlich besser artikulieren, warum ich dieses Album eigentlich so genial finde. Wobei die Art und Weise, wie diese Band sowohl wahnsinnig verschnickt und um die Ecke gedacht als auch verboten eingängig klingt, sicherlich der Hauptfaktor ist. Songs wie the Bay oder We Broke Free sollten in ihrer Theorie auf keinen Fall so catchy sein, wie sie effektiv sind und umgekehrt verstecken sich auch in den offensichtlicheren Hits wie She Wants, the Look oder Everything Goes My Way teils so clevere songwriterische Winkelzüge, dass man auch auch nach dem zehntausendsten Hördurchlauf immer noch hellauf begeistert ist. Sowohl vom Mikrokosmos der vielen winzigen Details überall hier als auch davon, wie am Ende alles zusammen wirkt. Mal ganz davon abgesehen, wie sehr es mich immernoch überrascht, wie die LP von der seichten Poppigkeit der ersten Hälfte am Ende in so weirde und verjammte Sachen wie Some Written und Love Underlined übergeht. Das feine Gefühl für Songübergänge, die vielen stilistischen Exkurse innerhalb einer so stimmigen Gesamtästhetik und nicht zuletzt die mit Abstand besten Basslines einer ganzen Dekade machen das hier für mich dabei auch nach zehn Jahren noch zu einem Festakt der intelligenten Popmusik, den ich nicht müde werde zu feiern.
 
🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴10/11
 
Besondere Anspieltipps: the English Riviera | Everything Goes My Way | the Look | She Wants | the Bay | Loving Arm | Corinne | Some Written | Love Underlined

__________________________________________________________________________
 
 
Lou Reed & Metallica - LuluLOU REED & METALLICA
LULU
Blackened Records | Universal
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ja ja, ich weiß schon, was ihr jetzt denkt. Und ja, auch ich dachte irgendwann mal genau das gleiche. Wenige Alben waren während der letzten Dekade so universell berüchtigt und verhasst wie Lulu, wenige haben so viele wütende Fans gegen sich aufgebracht und wenige vollführten diesen Affront so offensiv und so kackendreist wie dieses hier. Für Metallica war diese LP nach dem verunglückten Comeback St. Anger von 2003 (in meinen Augen ebenfalls ein überhasstes Stück Musik) der zweite vernichtende Super-GAU der jüngeren Karriere und für den armen Lou Reed, der nur zwei Jahre später das Zeitliche segnete, war es sogar der unrühmliche Schwanengesang, der ihm ganz zum Schluss nochmal reichlich Häme und Missgunst einbrachte. Und dass ich als unbescholtener Vierzähnjähriger diese Platte ebenfalls doof fand, finde ich am Ende weder verwunderlich noch unlogisch. Ich würde sogar sagen, dass die damalige Empfindung eine von mir selbstständig durchdachte, vom negativen Hype um dieses Album unabhängige, war. Denn oberflächlich gesehen ist Lulu definitiv ein auf groteske Weise hässliches Stück Musik, das bewusst brüskiert. Die Riffs, die Metallica hier spielen, sind grob und dillettantisch, ihre hölzernen Grooves lassen jegliche Kreativität vermissen und wenn James Hetfield seine monotonen Hooks brüllt, wirkt er wie ein kolossaler Trottel, der seine eigene Kunst nicht versteht. Lou Reed auf der anderen Seite findet zwar durchaus eine gewisse Poesie in seinen dröge vorgetragenen Spoken Word-Passagen, die aber so schmierig und lüstern ist, wie man sie von keinem Mann seines Alters hören möchte. Und die Tatsache, dass Lulu 87 Minuten aufs Tacho bringt, hilft da kein bisschen. Warum ich 2021 trotzdem ins Schwärmen gerate, wenn es um dieses Album geht? Weil ich inzwischen weiß, wie systematisch all diese Elemente hier eingesetzt wurden und was für ein kolossaler Prank diese LP letztendlich vor allem ist. Wobei man sich eigentlich nur mal anschauen muss, worum es in diesen Songs geht. Als Vorlagen dienten vor allem Texte von Frank Wedekind, die sich mit dem Leben von Sexarbeiterinnen in Berlin auseinandersetzen und die schon in ihrer Urform eine entsprechende Grobschlächtigkeit und Härte an sich haben. Und sie von diesen beiden bearbeitet zu sehen, ist nicht weniger als genial. Denn in ihrer Interpretation des Materials offenbart sich auch musikalisch wunderbar der Ekel und die Unschönheit der verhandelten Themen, die nun mal einfach nicht ästhetisch sind. Sieht man es so, ist Lulu ein ganz besonders gelungenes Konzeptalbum mit der inhaltlichen Power der 120 Tage von Sodom und dem performativen Charme der Eric Andre Show. Wie bei denen kann ich aber auch hier verstehen, wieso man trotz der cleveren Hintergründe partout nicht genießen kann, was darin künstlerisch passiert. Dafür muss man wahrscheinlich auch ein bisschen Masochist sein.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11

Besondere Anspieltipps: Brandenburg Gate | the View | Pumping Blood | Mistress Dread | Iced Honey | Cheat On Me | Junior Dad

__________________________________________________________________________
 
 
Beirut - The Rip TideBEIRUT
THE RIP TIDE
Pompeii
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
2011 sagten die coolen Leute über the Rip Tide noch, dass Zach Condon jetzt zu poppig klingen würde und die alten Platten besser gewesen wären, mittlerweile wünschen sich alle, er würde endlich mal wieder ein Album wie dieses hier machen. Meiner Ansicht nach ist es ja so: Diese LP ist für mich gerade deshalb die beste von Beirut, weil sie ein bisschen simpler gestrickt ist und man mit ihr sehr gut in Condons Katalog einsteigen kann. Zusätzlich ist sie von all seinen Projekten die bei weitem am meisten euphorische und lustvolle. Klar biedert sie sich genau damit ein bisschen an den damals trendigen Holzfällerhemden-Indierock an, inzwischen weiß man aber, dass die meisten Bands, die da kurz cool waren in ihrer ganzen Karriere nicht so gut waren wie Beirut in einem einzigen Song. Und hier reichen nur neun davon in knappen 33 Minuten, um das eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Das Fazit ist also: Ja, the Rip Tide ist gefälliger als die meisten anderen Sachen von Zach Condon, aber mit dem bestmöglichen Resultat. Und ja, er könnte im übrigen gerne Mal wieder eine Platte wie diese machen.
 
🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 11/11
 
 
Besondere Anspieltipps: A Candle's Fire | East Harlem | Goshen | Payne's Bay | the Rip Tide | the Peacock | Port of Call
 
__________________________________________________________________________
 
 
Adele - 21ADELE
21
XL
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wollt ihr wissen welches Album 2011 so richtig nervig war? Dieses hier. Und zwar in so ziemlich jeder vorstellbaren Hinsicht. Direkt Ende Januar erschienen und mit der Once-in-A-Lifetime-Monumentalsingle Rolling in the Deep als Bugwelle hatte der zweite Longplayer von Adele vor zehn Jahren gar keine andere Möglichkeit, als die Platte zu werden, die eine ganze Saison bestimmte und auch lange danach einfach nicht mehr wegging. Von den abermillionen Radioeinsätzen von Songs wie Someone Like You, Set Fire to the Rain und eben Rolling in the Deep habe ich mich bis heute nicht so wirklich erholt, die Platte brach zudem innerhalb von Monaten uralte Verkaufsrekorde und die Geschichte des Popstars Adele nahm von hier an an nochmal eine völlig neue Relevanz auf. Zehn Jahre später, in einer Zeit, in der um diese Künstlerin schon länger nichts mehr passiert ist, scheint es daher notwendig, mich daran zu erinnern, wie fucking gigantisch diese LP mal war. So gigantisch, dass ich in der Dekade danach zeitweise eine gewisse Allergie gegen sie entwickelte, nur um ihr irgendwie zu entfliehen. Bis ich jetzt dann doch wieder merken musste, dass vieles daran so übel gar nicht mal ist. Zwischen den durchgenudelten Radiohits und Kitschballaden verbirgt sich gerade in den Deep Cuts eine Platte, die zwar nach käsigem Herzschmerz und Zwotausender-Castingshow-Soul klingt, aber darin wenigstens eine echte Leidenschaft findet. Und was Adele hier mit leichten Versatzstücken aus Country, Blues, Motown und Kammerpop anstellt, zeugt von einem gewissen Verständis der Traditionen, von denen sich die Britin bedient. Weshalb man Songs wie Turning Tables, Don't You Remember oder I'll Be Waiting vielleicht doch mal wieder eine Chance geben sollte. Auch wenn 21 als ganzes für mich wohl nie vollständig rehabilitiert sein wird. Dafür hat es einfach zu irreparablen Schaden angerichtet.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴8/11
 
Besondere Anspieltipps: Turning Tables | Don't You Remember | He Won't Go | Take It All | I'll Be Waiting

__________________________________________________________________________
 
 
Casper - XOXOCASPER
XOXO
Four Music
 
 










 
Als XOXO 2011 erschien, war die Presseelite sich einig, dass dieses Album das Andlitz des deutschsprachigen Hiphop mittelfristig verändern würde. Zehn Jahre später kann man resümieren, dass derartige Impulse wahrscheinlich eher von Haftbefehl oder Yung Hurn kamen, was aber am Ende auch nicht die Schuld von Casper ist. Zwar ist seine reichlich intellektuelle Indie-Emo-Elektro-Variante von Deutschrap rückwärtig betrachtet tatsächlich eher Teil einer Zeitkapsel und wenig dazu gemacht, tatsächlich eine Szene neu zu definieren (das hätten die belesenen Journalist*innen wahrscheinlich einfach gerne gehabt), aber es hatte doch irgendwie seinen Moment. Und bescherte Benjamin Griffey, dem Mann dahinter, immerhin eine bis heute andauernde Rockstarkarriere, in der diese zweite LP nach wie vor der ultimative Ritterschlag ist. Das Album, an dem sich noch immer alles messen muss. Wobei es außerhalb der Bubble um Casper selbst wenige gibt, die nach wie vor über diese Platte reden, was das damals prophezeihte Klassikerpotenzial eher naiv wirken lässt. Und ähnlich wie XOXOs Status in der öffentlichhen Debatte ist auch mein Verhältnis dazu nach wie vor recht ambivalent. Über die Jahre hinweg war es mal persönliches Herzensalbum und mal überbewerteter Humbug, meistens eher irgendwas dazwischen. Einig waren sich alle diese Stimmen darin, dass dieses hier wohl das bis dato beste Stück Musik des Benjamin Griffey ist und was in den zehn Jahren an Nostalgie für die Songs dazugekommen ist, hilft auf jeden Fall auch. Nur sind es eher individuelle Tracks wie Michael X, Kontrolle/Schlaf oder die Titelnummer, die mir wirklich positiv in Erinnerung bleiben, das meiste vom Rest verblasst doch immer wieder recht schnell. Und ich weiß in diesen Momenten schon irgendwie, dass ich dieses Album mag, nicht immer jedoch, wieso jetzt genau. Wobei ich ja auch immernoch hoffe, dass es das große kreative Statement von Casper nicht bleibt und er doch nochmal richtig ausholt.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴8/11

Besondere Anspieltipps: Der Druck steigt (die Vergessenen Pt. 1) | XOXO | Michael X | Kontrolle/Schlaf

__________________________________________________________________________
 
 
S.C.U.M - Again Into EyesS.C.U.M
AGAIN INTO EYES
Mute
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Again Into Eyes ist bis heute der einzige Longplayer der Londoner New Wave-Formation S.C.U.M, was ich extrem schade finde. Denn als einer derjenigen, der ihr Debüt damals tatsächlich hörte und gut fand, war ich schon enttäuscht, dass diese prognostizierte Newcomerhoffnung (die immerhin schon ihren Erstling beim renommierten Nobel-Indie Mute Records veröffentlichte) so absolut sang- und klanglos verschwand. Mit dieser LP hat sie der Nachwelt aber wenigstens ein ziemlich makelloses Postpunk-Album hinterlassen, das in meinen Augen zu den besten des gesamten Zwotausender-Revivals (also alles von Turn On the Bright Lights bis letzte Woche) gehört. Der Sound der Briten ist gleichermaßen edel wie tief zerrüttet und findet trotz viel synthetischer Politur die grantigen Ecken, die man für solche Musik braucht. Viel davon hängt letztendlich auch an Sänger Thomas Cohen, der in seiner Stimme das perfekte Retro-Charisma für diese Art Songs mitbringt und hier gleichermaßen unterkühlt und leidenschaftlich performt. Vor allem sind S.C.U.M aber eine Band, von der ich wirklich glaubte, sie könne dieses Kunststück auf mehr als einem Album fertigbringen. Tja, so kann man sich irren.

🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴🔴 09/11

Besondere Anspieltipps: Faith Unfolds | Days Untrue | Cast Into Seasons | Sentinal Bloom | Whitechapel





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen