Dienstag, 16. Juni 2020

Rooms Filled With Light


[ atmosphärisch | minimalistisch | sanft ]

Ich habe mich in den letzten Jahren manchmal gefragt, warum This Will Destroy You immer noch eine Band sind, für die ich mich so sehr interessiere, denn wenn man mal ehrlich sind, war ihre Musik diese Aufmerksamkeit schon lange nicht mehr wirklich wert. Wenn ich in ihrer Diskografie einmal ernsthaft zurückdenke, ist das letzte Album von ihnen, das mich wirklich überzeugte und begeisterte, Tunnel Blanket von 2011, was ja nun wirklich schon eine Weile her ist. Trotzdem habe ich es mir nicht nehmen lassen, seitdem so gut wie jede neue Platte von ihnen zu besprechen, obwohl die meisten dieser Artikel mittlerweile lange offline sind. Die Frage, die mich dabei am meisten umtreibt ist, was ich von dieser Band im Jahr 2020 eigentlich erwarten soll. In den inzwischen 15 Jahren ihrer Karriere waren die Texaner nie wirklich schlecht und es gab immer etwas, dass mich an ihnen interessierte, allerdings war dabei vor allem die letzte Dekade ihres Outputs ein bisschen zu konservativ für meinen Geschmack und bestätigte leider viele gängige Klischees, die man dieser Tage über Postrock hat. Es fiel mir ob dessen gerade in den letzten Jahren schwer, wirklich festzustellen, ob ich noch Hoffnungen in diese Band legte oder ob sie vielleicht ein bisschen passé waren. Was aber auch immer ich ihnen für ein neues Album zutraute und was nicht ist letztlich egal, denn was sie auf Vespertine machen, findet definitiv komplett außerhalb irgendeiner Erwartungshaltung statt, die ich für diese LP hätte haben können. Zwar gab es von ihnen auch schon in der Vergangenheit Projekte, die ein bisschen mit dem Thema Ambient liebäugelten und gerade mein persönliches Herz-Album Tunnel Blanket ging diese Tendenz sehr deutlich ein, doch war es bisher immer nur eine Idee, die in das sonstige Rezept hereinspielte. This Will Destroy You waren bis dato immer noch vordergründig eine Postrock-Kapelle, die dann und wann eben auch gut darin war, es ruhig angehen zu lassen. Davon, dass sie es so ernst meinen würden wie hier, war allerdings nie die Rede und es brauchte tatsächlich erst Impulse von außen, um diesen inneren Drang wirklich vollends auszuleben. Denn wie schon so einige Künstler*innen vor ihnen nutzen auch die Texaner hier die Rahmenbedingungen eines Auftragswerks, um sich künstlerisch in diese neue Welt zu begeben. Proforma ist Vespertine dabei eine Art Soundtrack oder atmosphärische Beilage für das gleichnamige Nobelrestraurant im kalifornischen Culver City, von dem ich annehme, dass die einzelnen Stücke mit Namen wie Kitchen, Rooftop oder Dining Room dort in verschiedenen Räumen laufen. Den Informationen nach zu urteilen, die man aus offiziellen Pressetexten und von der Webseite der Lokalität erfährt und in der von tranzendentaler Gastoronomie und umfassender Sinneswahrnehmung die Rede ist, ist es auf jeden Fall ziemlich pretenziöser Mist. Was aber nicht heißt, dass die Musik das auch sein muss. Im Gegenteil, This Will Destroy You nutzen ihre Rolle als Architekten einer Atmosphärik hier nämlich vor allem dafür, das auch sehr umfassend zu tun. Denn wie auch immer die Inspiration für diese sieben Stücke waren, rein für sich ergibt das ganze Sinn. Das Hörerlebnis auf Vespertine liest sich mit ein bisschen Fantasie tatsächlich über Weite Teile wie die Erkundung eines Hauses, in dem man nach und nach verschiedene Räume und Bereiche betritt. Und ja, wir reden hier auch von einem sehr modernen, mondänen Haus mit sehr viel effizienter Eleganz und jeder Menge natürlichem Licht, das durch große Fenster kommt. Entrance und Exit sind dabei die ästhetischen Klammern, die das be- und eintreten beschreiben und wie eine Art Ouvertüre funktionieren, Building und Garden vermitteln eine Art Außenperspektive, Kitchen und Dining Room haben eine heimelige Gemütlichkeit an sich und Rooftop bündelt in der Mitte ein paar kräftige, shoegazige Sonnenstrahlen. Die Impulse, die die Band dabei setzt, sind wenig mehr als spielerische Tupfer von Keyboard und Gitarren, die fast alle sehr verhallt und impressiv sind. Vieles erinnert dabei an Platten wie Valtari von Sigur Rós oder sogar an die noch entrückteren Soloplatten von Jónsi und eher nicht an klassischen Ambient-Pop, weil die Basis dieser Songs am Ende des Tages trotzdem ein Rock-Instrumentarium ist. Gerade das erzeugt aber auch eine sehr organische Wärme und eine klangliche Finesse, die der große Pluspunkt dieser LP ist und den Unterschied ausmacht, den das hier zu einer rein funktionalen Muzak-Komposition hat. Gerade in Tracks wie Garden oder Rooftop, die von luftigen Gitarrenharmonien getragen werden, spürt man das sehr schön. Und es hilft tatsächlich auch immens dabei, den ganzen dämlichen Überbau ein bisschen auszuklammern. Ich für meinen Teil mag ja gerade diese thematische Idee der Titel, die mich beim hören zumindest ein bisschen an die Hand nimmt und gleichzeitig viel der Fantasie überlässt, aber auch für Leute, die das bescheuert finden, ist Vespertine am Ende vielleicht was. Zumindest funktioniert es auch genauso gut, wenn man es einfach als meditative Klangtapete im Hintergrund laufen lässt und sich nicht weiter darauf fokussiert. Ein bisschen Kontext muss aber trotzdem noch sein, denn für die Person in mir, die sich vor allem wegen der Band dahinter für diese LP interessiert, ist das hier genauso ein Fest. Nicht nur ist das hier ihr mich Sicherheit bestes Album seit inzwischen fast zehn Jahren, es zeigt mir auch, dass ich bei ihnen schon lange den richtigen Riecher hatte. Schon damals bei Tunnel Blanket hatte ich so eine Ahnung, dass es vielleicht ziemlich geil wäre, wenn die Texaner mal ein bisschen dieses Ambient-Ding weitermachen würden. Und nun, wo es passiert ist, hat es sich in jeder erdenklichen Weise ausgezahlt. Weshalb es am Ende doch ganz gut war, diese Band über die vielen Jahre nicht aus den Augen zu verlieren. Denn wiederum zeigt sich, wie Treue manchmal belohnt wird.


Hat was von
Jónsi & Alex
Riceboy Sleeps

Tiny Isles
the Long Seasoned Sleep

Persönliche Höhepunkte
Entrance | Kitchen | Rooftop | Exit | Garden

Nicht mein Fall
-

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