Sonntag, 28. Juni 2020

Bob Hates Us All



[ kauzig | erzählerisch | historisch ]

Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, wie ich jetzt eigentlich genau zählen soll. Je nach individueller Quelle, die ich in den letzten Tagen konsultiert habe, das wievielte Dylan-Album Rough and Rowdy Ways nun eigentlich ist, war das Urteil stets sehr unterschiedlich. Wo die einen sagen, das hier wäre der Nachfolger seiner offiziell 36. LP Tempest von 2012, sind es andere die meinen, das hier wäre bereits das 39. Studioalbum von ihm, was die Platten Triplicate, Fallen Angels und Shadows in the Night, die in der Zwischenzeit erschienen, auch in verschiedenen Ausführungen dem offiziellen Kanon zuordnet und die ganze Sache schon von Anfang an viel zu kompliziert macht. Bereits in solchen Banalitäten ist es also passenderweise mal wieder unnötig schwierig, den Künstler Bob Dylan des Jahres 2020 zu verstehen. Und ihm selbst ist das wahrscheinlich sogar ganz recht so, denn jene umfassende Verwirrung und Kratzbürstigkeit hat der große Songwriter gerade in den letzten Jahren nochmal richtig kultiviert, trotz Nobelpreis, generellem Legendenstatus und allem. Auf eine kauzige Art macht ihn das ja fast sympathisch und mit fast 80 Jahren erfrischend unglatt und rabiat, ich kann aber auch nicht umhin festzustellen, dass es dadurch mehr und mehr schwer wird, Fan zu bleiben. Im Gegensatz zu Leuten wie Leonard Cohen oder David Bowie, die in vergleichbaren Altersphasen tatsächlich eine gewisse Weisheit entwickelten und nochmal richtig aufblühten, ist Dylan mit den Jahren eher störrischer und trolliger geworden und scheint vor allem sein eigenes Publikum mit wachsender Passion zu hassen. Dabei hat man schon noch irgendwie das Gefühl, hier einen genialen Musiker und Poeten zu erleben, nur leider auch einen, der dieses Genie nicht mehr wirklich zu teilen bereit ist. Vor allem Zeug*innen seiner Konzerte scheinen seit geraumer Zeit chronisch unbefriedigt und auch was besagte letzte Alben angeht, waren die Reaktionen darauf eher verhalten, zumindest im Vergleich zu vielen Zeitgenoss*innen. Weshalb Rough and Rowdy Ways sich jetzt auch irgendwie besonders anfühlt. Mit 70 Minuten Länge ist es das erste Dylan-Projekt seit Tempest, das eine gewisse Wichtigkeit ausstrahlt und mit großspurigen Singles wie dem 16-minütigen Murder Most Foul im Vorfeld hatte man das Gefühl, dass auch der Künstler selbst hier etwas zu sagen hat. Und ein wenig stimmt das am Ende auch. Wenn Rough and Rowdy Ways sich als eine Sache treffend beschreiben lässt, dann eine Art Hybrid aus autobiografischer Poesie-Platte und Stream of Consciousness-Geschichtsstunde, in der Dylan Protagonist, Erzähler und Chronist in Personalunion ist und ziemlich willkürlich Begebenheiten aus den letzten 70 Jahren Popkultur aufeinander losgehen lässt. Und rein von der Sache her klingt das schon irgendwie interessant oder zumindest nach etwas, das ein Bob Dylan bravourös moderieren würde. Doch ist hier leider mehr oder weniger das Gegenteil der Fall und diese LP eher ein Exempel dafür, wie sich Dylans kompromisslose Kauzigkeit nun auch in Studioversion verschlimmert hat. Wobei das Problem nicht mal ist, dass diese Platte unzugänglich wäre. Erstens, weil man sowas von ihm mittlerweile langsam gewohnt sein sollte und zweitens, weil ich genau diese Art von Songwriting normalerweise sehr schätze. Die spärlich instrumentierten, teils acht- bis zehnminütigen Elaborate, die hier den Hauptteil der Tracklist stellen, ähneln sehr denen anderer Lieblingskünstler wie Mark Kozelek oder (schon wieder) Leonard Cohen. Und gerade Dylan ist ja schon seit den Sechzigern jemand, bei dem es nicht schadet, wenn er sich mit einem Song Zeit nimmt und auch ein paar Zeilen mehr singt. Nur habe ich diesmal ziemlich oft das Gefühl, das hinter diesen großen Schinken gar nicht so viel steckt, wie man am Anfang annimmt. Klar sind die Texte hier nach wie vor gut gemacht und man erkennt die typische Poesie dieses Mannes sofort, doch wirken die Sätze die er hier sagt mitunter seltsam leer. Gerade viele der historischen Bezüge dieser Platte sind oftmals nicht mehr als willkürliches Namedropping popkultureller Referenzen, die vielleicht provokativ wirken sollen, es aber nur sehr selten sind. Im Opener I Contain Multitudes haut das noch gut hin, da die Struktur der zusammengewürfelten Gegensätze irgendwie zum Inhalt passt, später jedoch ist es nur noch reines Gimmick. Man könnte jetzt argumentieren, dass auch die letzten beiden Platten von Leonard Cohen, die ich beide sehr mag, das vom Prinzip her nicht anders machten, doch war dieser erstens dazu fähig, sehr empfindsame und romantische Dichtkunst hervorzurufen und bediente sich zweitens musikalisch spannender Winkelzüge, um diese gekonnt zu untermalen. Und wenn wir von klanglichen Maßstäben reden, wird bei diesem Album dann doch sehr schnell das Eis dünn. Klar kann es auch hier sein, dass Dylan sich bewusst einer ramschigen Ästhetik bedient, die zu seiner stacheligen Attitüde passt, trotzdem klingt das Ergebnis in den meisten Momenten furchtbar. Es gibt Songs wie I've Made Up My Mind... oder Mother of Muses, die eine recht ansprechende Kammerpop-Aura heraufbeschwören und damit zumindest ihren Job machen, doch sind das nicht die Stücke, die auffallen. Im Gedächnis bleiben nämlich vor allem musikalische Totalausfälle wie Crossing the Rubicon, das ein kriminell stumpfes Bluesmotiv über gute sieben Minuten maltretiert oder False Prophet, das in seinen schlimmsten Passagen an die unheilige Verbindung von Lou Reed und Metallica erinnert. Es sind diese Momente, in denen man sich ernsthaft fragt, was in Gottes Namen hier eigentlich der Hintergedanke war, beziehungsweise ob es überhaupt einen gab. Und dann ist da natürlich noch Murder Most Foul, der buchstäbliche Elefant im Raum dieses Albums und wahrscheinlich der Song, der mir am allermeisten Kopfzerbrechen bereitet. In der physischen Version durch eine gesonderte LP respektive CD exponiert, ist er das abgenabelte Herzstück von Rough and Rowdy Ways und als solches auch vollkommen überflüssig. Klar ist es in der Theorie cool, einen viertelstündigen Track über die Ermordung John F. Kennedys mit dem Detailreichtum eines True Crime-Podcasts aufzunehmen, doch ist es auf lange Sicht auch ungefähr so interessant. Ich habe wie gesagt absolut kein Problem mit langen und ausführlichen Songs, doch in diesem hier trägt wirklich jede Sekunde auf. Die Instrumentierung ist grauenhaft langweilig, Dylans Performance ist zum Einschlafen nölig und darüber hinaus ist das, was er erzählt, nicht mal sonderlich aufschlussreich oder poetisch erfüllend. Was noch schlimmer dadurch wird, dass dieser Track sich von allen Stücken der LP am ernstesten nimmt und wirklich, wirklich wichtig sein will. Wobei das Gegenteil der Fall ist: in dieser Bearbeitung wird eines der schockierendsten Ereignisse der amerikanischen Geschichte zum Spielball, an dem sich ein selbstüberschätzter Prosaist abarbeitet. Es ist wahrhaftig nicht schön, all diese Dinge über jemanden wie Bob Dylan zu schreiben, der auch für mich ein sehr besonderer Songwriter ist und dessen Musik mir persönlich immens viel bedeutet. Gerade diese Verehrung für ihn gebietet mir aber auch, Rough and Rowdy Ways nicht deshalb zu verherrlichen, weil es von ihm kommt, sondern es als das zu betrachten was es ist: Eine Enttäuschung. Eine ziemlich herbe und unschöne sogar. Es ist ja eine Sache, wenn ein Musiker im Alter kauzig wird und selbst ein Dylan muss um Gottes Willen keinen Klassiker mehr aufnehmen, doch was hier passiert, ist einfach unter seinem Niveau und gibt mir das Gefühl, ein bisschen verarscht zu werden. Und wenn genau das die Absicht war, dann ist das ja okay. Dann muss ich aber auch nicht so tun, als wäre das hier ein verborgener Geniestreich, den man nur zur Genüge sezieren muss, um ihn zu verstehen. Denn das habe ich weiß Gott getan und es hat reichlich wenig gebracht.


Hat was von
Nick Cave & the Bad Seeds
Push the Sky Away

Leonard Cohen
Thanks for the Dance

Persönliche Höhepunkte
I Contain Multitudes | I've Made Up My Mind to Give Myself to You

Nicht mein Fall
False Prophet | My Own Version of You | Crossing the Rubicon | Murder Most Foul

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