Dienstag, 2. Juni 2020

Warum dann überhaupt


[ nachdenklich | baukastig | deutschpoppig ]

Es ist ja nun weiß Gott nicht so, dass ich Fynn Kliemann an und für sich nicht mögen würde. Tatsächlich empfinde ich ihn rein als Typen sogar als echte Offenbarung für die deutsche Kreativlandschaft und Charisma und gute Ideen hat der Junge inzwischen für zehn. Es ist in meinem Fall nur immer eine Frage davon, welches seiner gefühlt tausend Metiers man damit meint. Denke ich an den gefeierten Youtuber, Tüftler, Künstler und selbsternannten "Heimwerkerking" Kliemann, bin ich mittlerweile schon lange auf demselben Hypetrain wie gefühlt der ganze Rest der Republik, die so ziemlich alles abfeiert, was dieser Typ anpackt und als sympathischer Selfmade-Man ist der Niedersachse auf jeden Fall auch meiner Meinung nach aunbstreitbar. Nur soll es in diesem konkreten Post ja speziell um den Musiker Fynn Kliemann gehen, und leider ist ausgerechnet der von seinen zahlreichen Phänotypen mein persönlich unliebster. Mein Verhältnis mit ihm ist im großen und ganzen ein bisschen wie mein Verhältnis zu Leuten wie Action Bronson oder Henry Rollins: Leute, für die der Lebenserwerb für Musik zweifelsohne eine große Rolle spielt und die von vielen auch deshalb gemocht werden, aber die in meinen Augen ihr größtes Talent ganz klar woanders haben. Und gerade in diesem Fall tut es mir um diesen Umstand auch besonders leid, weil ich sehr genau weiß, wie Kliemann auch diesen Aspekt seiner Arbeit mit der gleichen Von-Null-auf-Selfmade-Philosophie angeht, die er überall praktiziert und für die ich ihn generell so bewundere. Leider ist Musik aber eine seiner wenigen Beschäftigungen, wo er mit diesem Ansatz eher selten ein besonderes Ergebnis an den Start bringt und mich meistens sogar ein bisschen nervt. Sein Debütalbum Nie von 2018 war prinzipiell gut gemeint und von der Aufmachung und Vermarktung her äußerst liebenswert, nur musikalisch eben extrem dürftig. Es war frustrierend, darauf einen konsequenten Querdenker wie Fynn Kliemann mit allen künstlerischen Freiheiten ausgestattet ein Album aufnehmen zu hören, das so stromlinienförmig gängige Klischees der Mark Forster-Sorte Deutschpop reproduzierte, und auch wenn er sein Handwerk grundsätzlich sehr gut beherrschte, war Nie musikalisch am Ende des Tages einfach ziemlich egal. Eine Eigenschaft, die Pop zwei Jahre später leider ebenfalls mit sich trägt, auch wenn es sich in einigen Details verbessert. Wobei der wesentliche Unterschied dieser Platte ist, dass ich hier mehr das Gefühl habe, dass Kliemann tatsächlich etwas zu erzählen hat. Wo das Debüt zuletzt im wesentlichen auch textlich auf Plattitüden zurückgriff und kein alleinstellendes Narrativ aufbaute, habe ich diesmal den Eindruck, dass diese Songs von einer Person selbst kommen und einen tatsächlichen Protagonisten zeichnen. Songs wie Warten, die Hook oder Schmeiß mein Leben auf den Müll sind in vielen Aspekten tatsächlich sehr persönlich, teils sogar intim und setzen sich mit Problemen wie Leistungszwang, Stress und inneren Blockaden außeinander, über die zumindest nicht schon alle anderen schreiben. Man muss Kliemann dabei auch zugestehen, dass er durchaus die richtigen Worte für solche Themen finden kann und als Lyriker nicht auf den Kopf gefallen ist. Und auch im klanglich-kompositorischen Bereich hat Pop seine Stärken. Gerade Details wie die immer wieder eingestreuten Sprachsamples und die Arbeit mit Stimmverzerrung funktionieren recht gut, und die Tatsache, dass man im fertigen Song auch immer noch ein wenig den Aufnahmeprozess hört, passt sehr zum Arbeitsethos des Künstlers. Trotzdem ist das meiste am Ende wieder nur theoretisch gut. Besonders Songs wie Regen, Schlaflied oder das skizzenhafte Interlude Vokabeln I sind Sachen, die ich vom Aufbau her total spannend finde und die mich ansprechen, die aber als Gesamtheit doch zu tingelig und stereotyp sind, um mich emotional wirklich anzupacken. Andere Nummern wie Twingo oder Alles was ich hab verfallen wieder in den schlagerigen Deutschpop-Modus des letzten Albums und haben sehr niedrigschwellige Narrative, die leider nur noch langweilen. Mit Frieden mit der Stadt und Schmeiß mein Leben auf den Müll schafft Kliemann am Ende zwar doch noch ein paar kleinere Highlights, aber auch die ziehen das Album nicht mehr aus seiner umfassenden Mittelmäßigkeit heraus. Die Dinge, die an dieser LP letztendlich wirklich toll und bemerkenswert sind, sind immer nur nettes Schmuckwerk für mäßig gut gemachte Songs, die in ihrer Ausarbeitung nicht bemerkenswerter sind als die durchschnittlichen Sachen von Clueso oder Max Giesinger. Wenn Fynn Kliemann mit all seiner künstlerischen Unabhängigkeit genau diese Musik machen will, dann kann und will ich ihm das nicht absprechen. Ich werde aber auch nicht so tun, als wäre das etwas besonderes.


Hat was von
Clueso
Stadtrandlichter

Tua
Tua

Persönliche Höhepunkte
Alles nur geliehen | Frieden mit der Stadt | Schmeiß mein Leben auf den Müll

Nicht mein Fall
Die Hook | Ruinierung | Twingo


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