Dienstag, 30. Juni 2020

Zehn Jahre später: Bis zum letzten Drop (feat. Meine Geschichte des Dubstep)


[ krachig | verglitcht | populistisch | fett ]

Wenn ich mit diesem Artikel im Optimalfall gerade schon eines geschafft habe, bevor überhaupt irgendjemand diese ersten Zeilen gelesen hat, dann die Erzeugung des dumpfen Gefühls von verdrängter Erinnerung bei jenen, die das Thema des Posts gerade gesehen haben und vor deren geistigem Auge sich gerade dieser wunderbare Mikro-Flashback vollzieht. Skrillex. Den gab es ja auch mal. Und wie man sich im nächsten Moment vielleicht den Gedanken hat, dass das ja alles gar nicht sein kann. Dass es ein völlig anderes Universum gewesen sein muss, in dem dieser Musiker - und im gleichen Atemzug Dub- beziehungsweise "Bro"-Step als generelles Phänomen - nicht nur stattfinden konnte, sondern auch noch dermaßen erfolgreich war. In einer Welt, in der in der Zwischenzeit Trap passiert ist und es somit tatsächlich einen Sound gab, der den Mainstream der letzten Pop-Dekade vordergründig geprägt hat, wirkt es unfassbar anachronistisch und albern, dass es irgendwann ernsthaft Leute gab, die diese Musik für das große neue Ding hielten. Wobei für mich im Nachhinein fast noch viel seltsamer ist, wie unglaublich kontrovers gerade ein Typ wie Skrillex zur damaligen Zeit war und dass Leute für jemanden so unsagbaren Hass empfanden, der im Nachhinein betrachtet höchstens ein Zwischenruf in der musikalischen Historie der Zwotausendzehner war. Aber ja: Das alles ist passiert. Und wenn man das damals 14-jährige Ich fragt, dann war es auch eine wichtige Sache. Denn es war das erste Mal für diesen aufbrausenden, kreativ völlig alleingelassenen Teenager, dass sich für ihn etwas wirklich neu und innovativ anhörte. Und wer zu jener Zeit in meinem Alter war, dürfte dieses Gefühl vielleicht kennen. Das Problem mit vielen musikalischen Phänomenen der ausgehenden Zwotausender war ja, dass alles damals so furchtbar retro-fixiert war und jeder Impuls, der vor allem in der seinerzeit aktuellen Indie-Szene kam, nur ein hochgewürgter Reflex einer weiteren Nostalgie-Welle war, die vielleicht für ein paar Monate hielt. Das war in seinen Symptomen schon okay, dennoch sehnte ich mich als junger Typ, der ein bisschen auf Krawall gebürstet war und das Neue im Zweifelsfall stehts dem Alten vorzog, nach nichts mehr als nach Innovation. Und im Herbst 2010 gab es in meiner kleinen Welt nur zwei Quellen, die diese zur Verfügung stellten. Zum einen das gerade frisch erschienene Debütalbum der südafrikanischen Gruppe Die Antwoord (über das ich in dieser Rubrik bald hoffentlich auch noch schreiben werde), zum anderen diesen jungen Myspace-Produzenten namens Sonny Moore, der gerade ein bisschen aus dem Nichts auftauchte. Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass ein gewisser Kontext, aus dem heraus Skrillex sich bewegte, bereits seit den frühen Neunzigern existierte und auch er selbst zum Zeitpunkt von Scary Monsters & Nice Sprites längst kein unbeschriebenes Blatt mehr war, doch hätte ich das alles damals gewusst, es wäre mir sowieso egal gewesen. Die Minimal- und Drum & Bass-Fans, die älter als ich waren und besser bescheid wussten, erzählten mir davon, wie wenig originell die Musik von Skrillex ja in Wahrheit ist, aber mich scherte das nicht wirklich. Ich mochte die fetten Drops, denn die waren schön laut, man konnte dazu tanzen (ja ich weiß es scheint absurd, aber irgendwie muss es ja geklappt haben) und noch viel wichtiger: ich hatte sowas noch nie gehört. Besser noch: Dubstep schaffte es, sogar meine hartgesottenen Hipster-Eltern, die selbst völlig weirde Sachen wie Laibach und AG Geige hören, ein bisschen zu verstören. Also war Skrillex mein neuer Held, auch wenn ich das vor meinen Indie- und Metalhead-Freund*innen nicht gleich zugeben wollte. Wobei 2010 sowieso noch nicht der große Moment dieser Musik gekommen war. Wenn ich mich recht erinnere, war das noch die Phase, wo die meisten Leute Berührungsängste mit dem seltsamen Phänomen hatten und insbesondere Skrillex als Personifizierung des Hypes viel Mist einstecken musste. Erst mit Bangarang vom nächsten Jahr fing der Mainstream plötzlich an, Dubstep als allgegenwärtiges Stilmittel anzunehmen und langsam aber sicher groß zu machen. Es dauerte nicht lange, da gab es Wubwubwub-infizierte Platten von KoRn, Cypress Hill und Muse, ganz zu schweigen von unzähligen Popstars, die sich an den Charterfolg des Club-Phänomens "Brostep" (spöttischer Begriff für sehr EDM-lastigen, kommerziellen Dubstep) ranschmissen. Und spätestens ab 2013 war die ganze Nummer ziemlich lästig geworden und folglich auch Skrillex ganz oben auf der Liste der Hexenjagd. Wobei meine bescheidene Meinung war, dass er es als einer der Wenigen ganz gut hinbekam, die Fackel für die Stilrichtung zu tragen, die er heraufbeschworen hatte. Auf den etwas beflisseneren Szene-Partys, die in den Folgejahren eher Dancehall-basierten Dubstep spielten, war es auch nach 2013 absolut keine Schande, Skrillex-Songs zu spielen und diese nutzten sich auch eine ganze Weile nicht ab. Zumindest bis irgendwann alle ihren Moment der Übersättigung hatten und anfingen, Trap zu hören. Ganz zufällig stolperte ich 2016 nochmal auf eine Dubstep-Party und es kam mir vor wie das seltsamste Spektakel der Welt. Und addiert man die vier Jahre seitdem noch dazu, hat sich daran wenig geändert. Stand 2020 fühlt sich die gesamte Hochzeit des Stils und ganz besonders der kolossale Erfolg von Skrillex an wie eine alberne Eintagsfliege im Zeitfenster der letzten Dekade, die vor allem von Seiten des Pop-Mainstreams auch viel peinliches hatte. Klammert man den Kontext allerdings aus und nimmt eine Platte wie diese für sich, ist daran eigentlich wenig verwerfliches. Klar werden Songs wie Kill Everybody und Rock'n'Roll in tausend Jahren nicht intelligent klingen und die unangenehme Bierfahne rüpelhafter Festival-Spatenhaftigkeit wird Skrillex auch mit zunehmendem Alter nicht los. Aber nimmt man Scary Monsters als das was es ist, nämlich unterhaltsame, tanzbare Clubmusik, erfüllt es immer noch alle denkbaren Anforderungen. Es ist eine faszinierende Sache, dass ein Album wie das hier auch nach zehn Jahren noch immer ziemlich laut, rabiat und rebellisch klingt, obwohl die Idee dahinter so altbacken wirkt. Und wäre ich jetzt 14 und das hier gerade herausgekommen, hätte ich sicher noch immer Sympathie dafür. Einer Sache bin ich mir jetzt auf jeden Fall sicher: Von allen Dingen, die Dubstep ruiniert haben, ist Skrillex definitiv nie Teil gewesen und sein Verdienst für die Szene - egal wie klein und unwichtig sie im Nachhinein auch erscheint - ist immens. Deshalb kann man ihm dafür ruhig mal Respekt zollen. Unabhängig davon, ob man das hier nun mag oder nicht.


Hat was von
Nero
Welcome Reality

the Prodigy
Invaders Must Die

Persönliche Höhepunkte
Scary Monsters & Nice Sprites | Kill Everybody | All I Ask of You | With You, Friends (Long Drive)

Nicht mein Fall
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