Freitag, 5. Juni 2020

Zehn Jahre später: Schwellen der Nostalgie



[ indiepoppig | catchy | zeitgenössisch | nostalgisch ]

In den letzten beiden Besprechungen, die ich in meiner (hoffentlich noch andauernden) Nebenbei-Serie Zehn Jahre später über Platten aus dem Jahr 2010 schrieb, ging es ja jetzt schon nicht unbedingt um große Klassiker der besagten Saison und falls jemand etwas in diese Richtung erwartet haben sollte: auch in den noch folgenden Artikeln wird es definitiv nicht um Cosmogramma oder Have One On Me gehen, so schade das auch ist. Der Grund dafür ist schlichtweg, dass ich in dieser Rubrik im wesentlichen auf meinen eigenen Musikgeschmack von vor zehn Jahren zurückschauen möchte und insbesondere Platten wieder ausgrabe, die ich seitdem wenig bis gar nicht gehört habe. Das bedeutet zum einen, dass wir hier (zumindest in dieser Saison) vom ästhetischen Kompass eines 13- is 14-jährigen sprechen, der eben noch etwas naiver und simpler gestrickt ist und zum anderen, dass Platten, die während der letzten Dekade weiterhin regelmäßig bei mir liefen, hier ebenfalls nicht auftauchen werden. Der Vorteil daran ist, dass wir hier somit genug Raum haben, um über die wirklich seltsamen Kandidat*innen zu sprechen, und gerade im Fall von diesem Album stellt sich bei mir ganz besonders jenes erwünschte Gefühl ein, hier einen kleinen nostalgischen Schatz gehoben zu haben. Was sicherlich auch für einige andere witzig ist, da ich genau weiß, dass I Blame Coco damals keine so nischige Künstlerin war, wie es mit zehn Jahren Abstand den Anschein hat. Der mittelgroße Hype, der ihrem kommerziellen Debüt und insbesondere dessen Leadsinge Selfmachine entgegengebracht wurde, hatte nämlich einen ganz bestimmten Grund, denn immerhin steckte hinter dem (im übrigen selten dämlichen) Moniker der Britin Eliot Sumner die Tochter von Police-Frontmann und Pop-Legende Sting, die in einen Job wie diesen natürlich hereingeboren scheint. Was folglich in erster Instanz dazu führte, dass viele Leute die bahnbrechende Erkenntnis hatten, wie ähnlich Sumner ihrem alten Herren gesanglich ist, wenngleich nach erfolgreicher Beweisführung die meisten nicht weiter über I Blame Coco redeten. Bereits als im Oktober 2010 the Constant erschien, war der Aufmerksamkeits-Peak um Sumner eigentlich schon wieder vorbei und man beschäftigte sich weiter damit, Leute auf Facebook anzustupsen oder Limbo zu spielen oder was man damals halt so machte. Und auch ich war um diese Zeit herum zunächst recht wenig interessiert an dieser Platte. Von einem Freund bekam ich das Album bei einem der damals üblichen USB-Transfers (Ich hatte Wolfgang Amadeus Phoenix, er hatte Plastic Beach) sozusagen als Bonus-Content und fand einige Tracks dann auch ganz cool. Die LP als solches hielt ich aber für bestenfalls okay und skippte regelmäßig den Großteil der Stücke. Erst als ich vor ein paar Monaten das Wagnis anging, mich mit diesem seltsamen One Hit Wonder erneut auseinanderzusetzen, stellte ich fest, wie ernsthaft talentiert diese junge Frau damals tatsächlich war. Und erfrischend wenig davon hat am Ende mit ihrer familiären Prägung zu tun. Klar war der weithin angesehene Popstar-Papa wahrscheinlich von Vorteil, als es für Eliot um die Akquise von Plattenverträgen, Promo-Material und die Einstellung des zehnköpfigen Produzententeams auf the Constant ging, doch lässt sich definitiv nicht abstreiten, dass der wesentliche Anteil der Qualität der Musik von ihr selbst stammt. In allen 13 Tracks der Platte (bis auf ein ziemlich verhuntztes Neil Young-Cover) ist sie als Hauptsongwriterin gelistet und es ist definitiv nicht zu weit hergeholt, ihr dabei auch eine künstlerische Vision zu unterstellen. Diese folgt im wesentlichen der damals trendigen Indiepop-Ästhetik, ist also sehr zeitgenössisch und mitunter auch kommerziell, doch als solche immerhin nicht zu schlecht gealtert. Der grantige Synthpop, den man hier im wesentlichen hört, erinnert genauso sehr an die Pet Shop Boys wie an the Killers, Goldfrapp oder Robyn (letztere hat auf dieser LP den einzigen offiziellen Gastpart) und ist dabei teilweise elektronisch und tanzbar, bringt in entscheidenden Momenten aber auch eine eigenwillige LoFi-Kulisse zum tragen. Es ist dabei offensichtlich, dass der Feinschliff in der Produktion ein bisschen fehlt, doch obwohl sich das für mich nicht nach künstlerischer Absicht anhört, stört es die Qualität der Songs für mich nur marginal. Denn wo Sumner vor allem brilliert ist ihr Songwriting, und an dieser Stelle war the Constant dann definitiv eine verspätete Entdeckung für mich. Wenn man hier einfach nur nach einem stimmigen, coolen Indiepop-Album im Stil der späten Zwotausender sucht, kann man diese LP genauso genießen wie als Fan gut gemachter Texte und passionierter Performances. So gut wie jeder Song hier hat ein immens starkes melodisches Motiv und/oder eine nicht zu verachtende Hook. Und obwohl dabei kaum ein Track als klassischer Radiohit durchgeht, haben zumindest viele davon extremes Ohrwurm-Potenzial (so sehr, dass dieser Faktor der Hauptgrund ist, warum ich mich nach zehn Jahren noch an diese Platte erinnert habe). Gleichzeitig zeigt sich Sumner hier als nicht zu verachtende Lyrikerin, die für eine damals 20-jährige hier ganz schön definiert und schlau schreibt. Klar ist vieles dabei noch irgendwie teenagerig und adoleszent, aber genau das passt auch zu einer rabiaten Elektropop-LP wie dieser, die damit in Momenten an den Ton erinnert, den Serien wie Skins oder Misfits zur selben Zeit aufbauten. Für mich persönlich bedeutet diese Ästhetik im wesentlichen einen Hauch des Gefühls, das ich vermutlich korrekt als Nostalgie identifiziere, was definitiv ein Grund für eine gewisse Befangenheit ist. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass man diese nicht unbedingt brauchrt, um the Constant gut zu finden. Denn ziemlich eingängig, intelligent und stimmig ist dieses Album objektiv. Und vielleicht hilft dieser Artikel ja tatsächlich einigen, es nochmal für sich zu entdecken. Denn gerade unter Leuten meines Alters bin ich definitiv nicht der einzige, der auf irgendeiner verstaubten Festplatte noch einen madigen Rip von dieser Künstlerin herumliegen hat.

P.S.: Falls sich übrigens jemand fragt, was aus Sumner nach diesem Debüt wurde (mir ging es auf jeden Fall so), ich habe da mal ein wenig recherchiert. Mit ziemlich ernüchternden Ergebnissen: Obwohl the Constant damals gar nicht sooo unerfolgreich war, hängte die Britin das Projekt I Blame Coco nach 2010 erstmal an den Nagel und zog sich größtenteils aus dem Musikgeschäft zurück. Erst sechs Jahre später tauchte sie wieder auf, diesmal unter ihrem bürgerlichen Namen und mit der neuen LP Information, die aber wesentlich weniger peppig und eingängig daherkommt und mich tatsächlich eher gelangweilt hat. Ob sie diesen Weg nun auch wieder abbricht oder ein weiteres Projekt anstrebt, ist bis dato unklar. Wobei ich aber auch überzeugt bin, dass eine Platte wie diese von ihr nicht nochmal kommt. Und das ist in meinen Augen primär eine schlechte Nachricht.


Hat was von
the Killers
Day & Age

Goldfrapp
Head First

Persönliche Höhepunkte
Selfmachine | In Spirit Golden | Quicker | Turn Your Back On Love | Please Rewind | Summer Rain | Playwright Fate | the Constant | Party Bag | Caesar

Nicht mein Fall
Only Love Can Break Your Heart


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