Mittwoch, 3. Juni 2020

Egal was sie sagen


[ melodisch | indietronisch | harmonisch ]

Für die meisten Leute, die sich mit der Musik von Will Wiesenfeld in den letzten zehn Jahren beschäftigten, geht die Kurzfassung seiner bisherigen Diskografie ja wahrscheinlich so: Cerulean war 2010 das beste Electronica-Album der vergangenen Dekade, über Obsidian konnte man sich 2013 streiten, Ocean Death interessiert niemanden und mit Romaplasm war er einfach 2017 nur noch komisch. Zumindest wirkt so ein bisschen in etwa die einhellige Meinung, die das Feedback seiner Fanbase seit einer Weile ausstrahlt, und ich kann auch in Ansätzen verstehen, warum. Wo sein früher Output und insbesondere besagtes Debüt vor allem Material für Freunde und Conaisseur*innen intelligenter elektronischer Musik waren und primär technisch begeisterten, ist die jüngste Schaffensphase von Baths eher von einer neu gefundenen Pop-Sensibilität geprägt worden, die ganz objektiv betrachtet nicht selten verstörend sein kann. Die ultraharmonische Klarheit und der eher klassische Songwriting-Fokus, die sein letztes Album zum ersten Mal richtig ausformulierten, waren und sind ohne Frage gewöhnungsbedüftig. Doch wo jener neue Sound viele Fans der ersten Stunde eher abschreckte, bedeutete er für mich vor drei Jahren den Moment, an dem ich anfing, die Musik von Wiesenfeld das erste Mal richtig interessant zu finden. Gerade die offensive Ästhetik und die eigenwillige Lyrik von Romaplasm sprachen mich klanglich immens an und ich fragte mich zuletzt einige Male, wie der Kalifornier diese auf folgenden Releases wohl weiterentwickeln würde. Und obwohl das hier proforma kein vollwertiger Longplayer geworden ist, bin ich doch äußerst froh um die Existenz von Pop Music / False B-Sides II, da sie eigentlich fast noch mehr das ist, was ich von diesem Künstler wollte. Denn wie der Name schon erahnen lässt, handelt es sich bei dieser Platte um eine Sammlung von unveröffentlichten Tracks und Überbleibseln, die sich im Laufe der Jahre bei Wiesenfeld angesammelt haben, in diesem Fall eben aus der Arbeitsphase an Romaplasm. Das ist an sich schon toll, denn es zeigt Teile von der Entwicklung dieser tollen Platte und verbliebene Skizzen abseits davon, doch wird die Sache vor allem dadurch noch besser, dass solche B-Seiten-Releases bei Baths erfahrungsgemäß ziemlich hochwertig ausfallen. Mit dem ersten Teil von Pop Music / False B-Sides im Jahr 2011 gab es die mehr oder weniger gleiche Aktion schon mal mit den Resten von Cerulean, und das daraus entstandene Material stand dem eigentlichen Album in meinen Augen quasi um nichts nach. Und auch neun Jahre später lautet die gute Nachricht für das Sequel ähnlich, denn hinter diesem bescheiden wirkenden Release verbirgt sich in Wahrheit nichts weiter als der inoffizielle Nachfolger von Romaplasm. Oder zumindest eine LP, die an dessen Tragweite locker heranreicht. Das ist einerseits für mich toll, weil ich somit endlich mehr von der Baths-Inkarnation hören kann, die mich zuletzt so begeisterte, andererseits dürfte es aber auch für die alten Fans hier etwas mehr zu mögen geben, da viele der Songs darauf frickeliger unterwegs sind. Sicher, Wiesenfeld singt auf Pop Music immer noch sehr viel und sein genereller Euphorie-Modus wird auch diesmal so gut wie nie abgestellt, doch sind die Elemente dahinter nicht mehr ganz so einheitlich wie auf dem Vorgänger. Gerade in Stücken wie Wistful, Veranda Shove oder Mikaela Corridor legt er mitunter beeindruckende Detailarbeit an den Tag und klingelt und daddelt ohne Unterlass. Dass er dabei auch großzügig akustische und analoge Live-Instrumente mit einbezieht, lässt einige Passagen sehr an Leute wie Four Tet, Caribou oder Bibio erinnern, was ebenfalls total spannend ist. Und solange diese ganzen wilden Stilelemente so gut gemeinsam funktionieren wie auf so gut wie allen Songs auf dieser LP, soll er das ruhig machen. Es ist kein großes Hexenwerk, dass Will Wiesenfeld auf diesen zwölf Tracks vollbringt, im wesentlichen bringt er seinen individualistischen Pop-Hymnen vom letzten Album einfach wieder das vertrackte Indietronic-ABC, bei das er ja ohnehin schon auswendig kann. Die Wirkung jedoch ist großartig und selbst wenn das bei Baths vielleicht langsam zur Gewohnheit wird, es gehört schon mächtig was dazu, ein paar Nummern von der Resterampe der letzten LP zu einem veritablen Jahresfavoriten zu machen. Und zumindest bei einer Sache bin ich mir sicher: Will Wiesenfeld wird gerade mit jeder Platte interessanter, die er veröffentlicht. Da können die Fanboys noch so bockig sein.


Hat was von
Four Tet
New Energy

Robyn
Body Talk

Persönliche Höhepunkte
Immerse | Tropic Laurel | Mikaela Corridor | Fortuna | Wistful (Fata Morgana) | Veranda Shove | Lung Tile | Be That

Nicht mein Fall
Sex


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