Sonntag, 26. November 2017

Harmonie ist eine Strategie

Das Jahr 2017 muss für Will Wiesenfeld aka Baths aus der Außenperspektive ein ziemlich paradoxes gewesen sein: Auf der einen Seite wird sein Anfang der Dekade veröffentlichtes Debüt Cerulean bei den IDM-Nerds auf Reddit gerade zum heimlichen Klassiker geadelt und ist dort quasi schon sowas wie das beste Album aller Zeiten, auf der anderen interessierte sich in den vergangenen Wochen gefühlt keine Sau dafür, dass der Kalifornier mit Romaplasm gerade ein neues in den Startlöchern hat. Bei Leuten wie Incubus, die eine 25-jährige Karriere hinter sich haben und bei denen gerade ähnliches passiert, ist das vielleicht normal, aber mit einer Aufmerksamkeitsspanne von nicht mal einem Jahrzehnt und gerade mal drei Longplayern unter der Haube ist das schon eine ungewöhnliche Entwicklung. Zumal besagte neue LP seine bis dato vielleicht interessanteste sein dürfte. Oder zumindest eine, zu der ein Fan der ersten beiden Platten ganz sicher eine Meinung haben wird. Und damit meine ich nicht unbedingt eine positive, denn von allen Releases von Wiesenfeld ist Romaplasm geradezu dafür gemacht, diese Menschen zu polarisieren. Nach den sehr frickeligen und skelettalen Sounds auf Cerulean und Obsidian, die zu ihrer Zeit ein sehr modernes Verständnis von elektronischer Musik äußerten, bricht Baths hier sehr eindeutig mit dieser Ästhetik, was an sich nicht das Problem sein sollte. Nur ist das, was anstelle dieses Stils geschaffen wird, so ungefähr das Gegenteil von Fanservice. Statt kantiger, zerklüfteter und größtenteils instrumentaler Klangkaskaden setzt Wiesenfeld hier auf einen wesentlich runderen und sehr heiteren Sound, der eher Pop-orientiert ist, vor allem aber singt er auf diesem Album wesentlich mehr als vorher. Und eben in letzterem dürfte der springende Punkt der LP liegen. Die Texte, die der Kalifornier hier schreibt, sind sehr eigen, sehr expressiv und ihnen wohnt eine Poesie inne, die man möglicherweise als etwas plump empfinden könnte. Der Vorwurf, sie würden Baths' musikalische Integrität ruinieren, ist auf jeden Fall sehr leicht gemacht und liegt vor allem im Opener Yeoman unverkennbar in der Luft. Der tolle und geniale Künstler Will Wiesenfeld öffnet sich hier in eine Richtung, die Liebhaber der ersten beiden Alben durchaus problematisch finden könnten. Und dann gibt es Leute wie mich, die denken, dass seine Musik erst jetzt so richtig gut wird. Als jemand, der das Thema Baths in den Jahren zuvor immer eher peripher wahrgenommen hatte, erlebe ich Romaplasm als eine LP, die durch ihren dreisten Stilbruch meine Aufmerksamkeit um jeden Preis einfordert und es vom Fleck weg schafft, mich zu begeistern. Der Hauptakteur sprüht hier vor Energie und man merkt, dass diese musikalische Neuausrichtung alles andere ist als ein Schnellschuss. Mit den vielen bunten Klimpereien, den verhackstückten Beats, den harmonischen Streichern und Glöckchen und vor allem mit seiner eigenen Stimme schafft er hier etwas, das ich auf diese Art und Weise - Hand aufs Herz - noch nie zuvor gehört habe. Sicher, in einigen Vokalpassagen des Albums muss ich unwillkürlich an die früheren Sachen von Robyn denken und einige der Instrumentals erinnern ein wenig an Iglooghost oder auch PC Music, doch die Kombination aller dieser Elemente ist mir neu. Beeindruckend ist dabei, wie Wiesenfeld es gleichzeitig schafft, ein starkes, eingängiges Pop-Werkstück zu erschaffen, dabei aber auch sein IDM-Einmaleins nicht zu vergessen und sogar noch eine aufregende Prise Seltsamkeit einzubauen. Insgesamt bildet sich daraus ein unglaublich organisches, emotionales, positives, energisches und vor allem stilistisch frisches Projekt, dass nicht nur für Baths Diskografie eine Zäsur bedeutet, sondern ein Stückweit auch für meinen musikalischen Horizont. Und wenn ich das über eine Platte sagen kann, dann ist sie auf jeden Fall gut. Klar, man muss sich als Fan der ersten Stunde erstmal daran gewöhnen, aber mir persönlich ist es nicht mal schwer gefallen. Und auch wenn Cerulean für euch das beste Album aller Zeiten bleibt, ziemlich cool ist diese LP auf jeden Fall auch.





Persönliche Highlights: Yeoman / Extrasolar / Adam Copies / Out / Superstructure / Coitus

Nicht mein Fall: -

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