Dienstag, 14. November 2017

Hell's Bells

Wenn es darum geht, wer in dieser Welt die Rapper*innen mit den thematisch komplexesten Lyrics und den meisten Anspielungen auf irgendwelche obskuren Kunst-, Literatur- und Geschichtsnerdismen sind, dann sind die beiden New Yorker MCs Elucid und Billy Woods seit einigen Jahren auf jeden Fall sehr weit vorne. Die Platten beider Künstler sind quasi traditionell voll mit Zeilen, deren Sinn sich gefühlt nur mit diversen Masterabschlüssen auf fast allen möglichen Gebieten verstehen lässt und deren Aggressivität sich stets unter diversen doppelten Böden versteckt. Diese Tatsache macht ihre Musik für einige sicher ein wenig unzugänglich, aber obwohl ich bei ihnen auch meistens nur Bahnhof verstehe, sind sie gerade dadurch so etwas wie meine Lieblingsrapper geworden. Und was die beiden schon auf ihren Soloalben sehr gut machen, wird bei ihrem gemeinsamen Projekt Armand Hammer regelmäßig zum Gipfeltreffen der düsteren und skurrilen Conscious Rap-Intelligenzija. Zwar beinhaltet deren Diskografie bisher nur ein Mixtape, ein großartiges Debüt und eine noch großartigere EP, doch damit haben sie bei mir schon einen fetten Stein im Brett. Meine Erwartungen für ihre zweite LP Rome waren folglich ziemlich hoch und man könnte sagen, dass ich mich auf wenige Platten 2017 so gefreut habe wie auf diese. Und das nicht nur, weil hier zwei sehr gute Rapper zu hören sind. Schon auf ihrem ersten Album Race Music von 2013 beschäftigten sich Elucid und Woods sehr umfangreich mit politischen Texten, die ein sehr finsteres Bild unserer Gesellschaft malten und trotz ihrer lyrischen Komplexität sehr direkt wurden, wenn es darum ging, Ungerechtigkeit aufzuzeigen. Rome ist nun das erste Release des Duos in der Amtszeit des Donald Trump, dem Aufstieg der Alt-Right-Bewegung und einer erneuten nuklearen Bedrohung. Ich hatte also gehofft, dass es auf dieser LP ein paar intelligente Kommentare dazu geben würde, die man vielleicht von anderen Zeitgenoss*innen so nicht hört. Und mein Gott, was bin ich in dieser Hinsicht nicht enttäuscht worden. Armand Hammer kommentieren hier nicht nur, sie machen Stimmung, und zwar so krass pessimistische und tiefdüstere, dass die neue Zugezogen Maskulin dagegen klingt wie Comedy-Rap. Rome ist apokalyptisch und bösartig, eine fast biblische Erklärung des Scheiterns und ein dicker Mittelfinger an die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Es ist nicht nur politische Musik, es ist Musik für eine Zeit, in der es keine Politik mehr gibt. Und so unrealistisch scheint das ganze nach diesen 43 Minuten gar nicht mehr. Dabei ist die Differenzierung die gleiche wie immer: Es wird sicher Leute geben, denen diese Alles-kaputt-Haltung ein bisschen zu krass ist, aber ich finde, dass genau das der Selling Point dieser Songs ist. Denn alles passt so schön zusammen: Die melancholischen Jazz-Samples, die Stimmen und Flows der beiden MCs, das sehr experimentelle, zerklüftete Editing der Tracks und sogar der Camp-Faktor einiger Hooks auf dem Album. Ich finde nicht, dass Armand Hammer hier gutes Material machen, weil sie politisch gut argumentieren, sondern weil sie ihre Attitüde stilistisch einfangen können. Und leider ist das etwas, auf das viel zu wenige Acts im Hiphop achten. Rome ist nicht nur ein Album mit einer Idee, es zieht diese auch konsequent durch. Trotzdem muss ich sagen, dass es dabei ein winziges bisschen hinter meinen Erwartungen zurückbleibt. Nach dem letzten Longplayer von Billy Woods, der für mich gerade eine der ganz großen Dinger dieses Jahres ist, hatte ich zumindest in Sachen klanglicher Abwechslung und Produktion hier etwas mehr erwartet. So wie es ist, ist das ganze leider doch etwas sehr textlastig geworden. Ferner finde ich, dass die beiden das Konzept, dass es einen Producer für alle Tracks gibt, weiterführen sollten. Die vielen Handschriften von so unterschiedlichen Beatmastern wie Jpegmafia, August Fanon oder Kenny Segal fallen schon ein bisschen auf. Solche Kleinigkeiten führen dazu, dass ich dieses Album am Ende "nur" sehr gut finde. Im Vergleich zu den meisten anderen Rapper*innen ist das hier große Kunst, für Elucid und Woods selbst aber nur unterer Durchschnitt. Ja, so verwöhnt bin ich mittlerweile von diesen beiden. Und ich hoffe, das bleibt auch so.





Persönliche Highlights: Pakistani Brain / Dead Money / Dry Ice / Shammgod / Stole / It Was Written / Pergamum / Overseas (Epilogue)

Nicht mein Fall: Dianetics

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen