Donnerstag, 16. November 2017

Die seltsame Seele des Benjamin C.

Dass die Musik des britischen Sängers Benjamin Clementine endlich unter meinem Radar landet, hat einige Jahre und viele, viele Umwege gedauert, von denen nur die wenigsten hätten sein müssen und bei denen man sich am Ende fragt, warum man nicht einfach schon eher die Abkürzung genommen hat. Denn Optionen dazu hätte es weiß Gott oft genug gegeben. Blickt man in meine Beschäftigung als Musiknörgler zurück, kenne ich Clementine bereits seit Ende 2014. Damals teaserte dieser gerade sein kommerzielles Debütalbum, das Anfang 2015 auch erschien und das ich schon damals einigermaßen mochte. Warum ich es dennoch ignorierte, ist mit inzwischen unklar. Denn schon damals erkannte man bei diesem Künstler das Zeug, zu einer wirklich einzigartigen Figur des modernen Soul zu werden, die er zwei Jahre endgültig geworden ist. Mein erstes Wiedersehen mit ihm gab es im Januar dieser Saison durch sein Feature im Gorillaz-Song Hallelujah Money, für dessen großartige Dramatik Clementine in meinen Augen hauptverantwortlich war. Spätestens da wurde mir klar, dass man sich mit diesem Typen beschäftigen musste. Doch weil hinsichtlich dieser Sache auch der Teufel im Spiel ist, verpasste ich den nächsten Anschluss wieder. Das Album I Tell A Fly, über das ich hier schreibe, ist zu diesem Zeitpunkt schon fast zwei Monate alt, was heißt, dass ich es wieder einmal verpasst habe. Da es meiner Meinung nach aber mit Sicherheit einer der spektakulärsten und kreativsten Longplayer des Jahres ist, wollte ich es auf keinen Fall missen, darüber ein paar Worte zu verlieren. Was Benjamin Clementine hier veranstaltet, habe ich tatsächlich so noch nie zuvor gehört und obgleich das nicht heißt, dass ich es deshalb auch proportional gut finde, fasziniert es mich unendlich. Schon allein die stilistische Vielfalt, die der Sänger hier auffährt ist gewaltig. Hätte man mich im Vorfeld gefragt, so hätte ich schon da seine Art und Weise von Soul als experimentell bezeichnet, aber was er auf I Tell A Fly macht, spottet selbst dem. Der Brite bringt hier Einflüsse aus so unterschiedlichen Richtungen wie mitteleuropäischem Barock, beethovenscher Sonatenmusik, Tom Waits-artigem Vaudeville, Afrobeat und Captain Beefheart-Psychedelica zusammen und verwebt diese zu einem äußerst sonderbaren, aber dennoch sehr ansprechenden Teppich. Richtige Songs gibt es dabei wenige, sondern eher kleine klangliche Kapitel, die sich hier und dort wiederfinden, aber genau diese Art von Komposition braucht jemand wie er scheinbar, um sich so richtig auszutoben. Denn trotz der sehr wirren Thematik und Umsetzung fast jedes Tracks hier macht I Tell A Fly die meiste Zeit über mächtig Spaß und wirkt wie ein Album mit einer Idee. Motive finden überall einander wieder, klanglich bindet sich im großen und ganzen alles zusammen und Clementines schiere Kreativität lässt es in keiner Sekunde langweilig werden. Die Größe der instrumentalen Palette ist dabei ebenso atemberaubend wie die melodischen Hakenschläge, die der Sänger in Tracks wie By the Ports of Europe oder Better Sorry Than Asafe macht. Nicht zuletzt beweist er sich dadurch auch erneut als gesangliches Ausnahmetalent und in gewisser Weise auch als vollblütiger Soulman. Und für diejenigen, die es etwas konservativer mögen, hat er mit Quintessence und God Save the Jungle auch ein paar etwas bekömmlichere Nummern aufgenommen. Ich will um Gottes Willen nicht behaupten, dass I Tell A Fly eine LP ist, die allen gefallen wird, dazu ist sie einfach zu speziell. Nicht mal ich mag wirklich alles hier. Aber ich muss definitiv sagen, dass sie wahnsinnig viel zu bieten hat und neue Impulse setzt wie wenige Soul-Platten, die ich bis jetzt gehört habe. Benjamin Clementine hat sich damit spätestens jetzt auf jeden Fall in mein Gehirn eingemeißelt und so schnell werde ich ihn jetzt nicht mehr vergessen. Schade, dass das nicht schon viel eher passiert ist.





Persönliche Highlights: Farewell Sonata / God Save the Jungle / Paris Cor Blimey / One Awkward Fish / By the Ports of Europe / Quintessence / Ave Dreamer

Nicht mein Fall: Jupiter / Ode From Joyce

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