Mittwoch, 15. November 2017

Tanzenkotzen

Leute, ich will ehrlich zu euch sein: Dass ich heute eine ausführliche Besprechung über das musikalische Debüt von Julia Engelmann schreibe, geschieht nicht aus etwaigem Interesse an ihrer Lyrik, nicht aus Neugier darüber, wie sie diese hier in ein professionelles Popsong-Gewand umgewandelt wird und auch nicht, weil es Menschen unter meinen Leser*innen gibt, die diese Songs vermutlich sehr gerne hören. Es geschieht aus reiner Schadenfreude. Als jemand, der ziemlich offenkundig Musik im großen und ganzen und ganz allgemein mag, konnte ich das, was Deutschlands nervigste Slammerin damit seit ungefähr einem Jahr anstellt, noch nie so richtig ernst nehmen. Und dass es jetzt ein ganzes Album davon gibt, ist für mich ein Anlass zur Freude. Nicht, weil ich denke, dass mit ihr frischer Wind in die deutschsprachige Popmusik-Landschaft hereingespült wird oder sonstwas, sondern weil ich es dermaßen dämlich finde. Ernsthaft jetzt: Als ich diesen Winter das erste Mal die mittlerweile zum ekelhaften Viralhit verkommene erste LP-Auskopplung Grapefruit hörte, musste ich lachen. Laut lachen. Dass jemand so etwas offensichtlich dämliches tut und sich dabei so ernst nehmen kann, ist im inzwischen sehr distinguierten Pop-Mainstream sehr selten geworden und schlechte Slam-Poetry mit schlechter Musik zu verbinden, ist in dieser Hinsicht der absolute Supergau. Und natürlich kommt der von Julia Engelmann. Weil sie schon mit Eines Tages...Baby....werden wir alt sein vor drei Jahren zur neuen deutschen Meisterin im Schmalzgerede wurde. Jetzt ist sie eben Meisterin im Schmalzgesang. Wobei das schon maximal kitschig Poesiealbum betitelte Ding dabei auch so richtig in die Vollen geht, inhaltlich wie klanglich. Schon der erste Track Grüner wird's nicht überzeugt voll und ganz mit Songwriting, für das sich mittlerweile sogar Silbermond zu cool sind und Engelmanns Signature-"du kannst es schaffen!"-Gequatsche, die unangenehm an eine Mischung aus Personal Trainerin, Spruchkalender und Shia LaBoeuf. Und gehaltvoller wird es ab da auch nicht mehr. Überhaupt kennt die selbsternannte Lyrikerin auf dem gesamten Album nur so etwa drei Themen, nämlich das schon besagte "du kannst es schaffen", und darüber hinaus noch "das Leben ist schön" und "Ich bin verliebt". Man kann sich vorstellen, wie vielseitig das ganze am Ende ausgeht. Vor allem bei der unglaublichen musikalischen Tiefe, die die 14 Tracks hier bieten. Konkret passt das ganze sehr gut in das bemitleidenswerte Menschen Leben Tanzen Welt-Mittelmaß deutschsprachiger Popsongs, nur dass es die Produzent*innen dieser LP irgendwie hingekriegt haben, das ganze noch glatter und stromlinienförmiger zu polieren als man das sonst gewohnt ist. Ich muss dabei dann tatsächlich auch an das mindestens ebenso erfolgreich verlaufene Musikdebüt von Bibis Beauty Palace denken, die damit einen sehr ähnlichen Sound anpeilt. Und ich finde, da ist Julia Engelmann stilistisch auch in guter Gesellschaft. Zwar würde ich es mir ja niiiiie erlauben, eine intelligente Poetin wie sie in einen Topf mit einer inhaltlosen Beauty-Vloggerin zu werfen, aber beide Künstlerinnen sprechen sehr wahrscheinlich die glaiche Zielgruppe an. Womit wir zu dem Punkt kommen, wo das Poesiealbum für mich echt hässlich wird. Denn dass Frau Engelmann tatsächlich Talent haben könnte, spreche ich ihr gar nicht mal ab. Mit So was wie Magie und Jetzt sind hier quasi aus versehen zwei ganz gute Songs gelandet, die das in meinen Augen zeigen. Doch ich vermute, dass diese Künstlerin eigentlich gar nicht so spannend und intelligent sein möchte, wie sie wirklich ist. Schon seitdem sie bekannt wurde, versteht sie es nämlich wie die wenigsten anderen Slammer*innen, sich gewinnbringend zu vermarkten und ordentlich Cash aus dieser ulkigen Studierenden-Kunstsparte rauszuholen. Nachdem seit 2014 nun schon diverse Bücher erschienen sind und sie einige Filmrollen bekam, ist dieses Album jetzt das nächste Zuckerstück. Und so wie es aussieht, findet dieses pünktlich zum Weihnachtsgeschäft den Weg unter den Christbaum vieler Zwölf- bis Fünfzehnjähriger mit kaufkräftigen Eltern. Wenn das nicht Bibi-Niveau ist, dann weiß ich auch nicht mehr. Aber zumindest sorgt es dafür, dass ich Julia Engelmanns drollig-peinliches Debüt plötzlich gar nicht mehr so drollig finde, sondern einfach nur noch ekelhaft. Sellout ist für mich absolut kein Problem, solange man nicht absichtlich miesere Musik macht, als man eigentlich könnte. Und ich glaube, dass das hier der Fall ist. Denn so einen Mist kann schließlich kein erwachsener Mensch ernsthaft glaubwürdig finden. Aber eigentlich ist es auch egal, ob man wegen der furchtbaren Musik kotzen muss oder wegen dem ganzen Reibach, den Engelmann damit macht. Denn eines Tages Baby, wird sich keiner mehr um diese Platte scheren. Höchstens darum, wie man dieses peinliche Weihnachtsgeschenk, das einem Mama damals mit 13 besorgt hat, wieder los wird.





Persönliche Highlights: So was wie Magie / Jetzt

Nicht mein Fall: Grüner wird's nicht / Das Lied / Stille Poeten / Keine Modelmädchen / Bestandsaufnahme / Cliffhanger / Kleiner Walzer / Grapefruit

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