Mittwoch, 22. November 2017

Hin zur Sonne

Ich muss ehrlich sein, Fjørt waren 2017 nicht gerade die Band, von denen ich große Taten erwartete. Nachdem vor drei Jahren ihr Debüt D'Accord noch unter meinen Lieblingsalben des Jahres landete, hatten mich die Aachener danach ein Stückweit verloren, was vor allem an ihrem Nachfolger Kontakt vom letzten Frühjahr lag. Mit dem Labelwechsel von This Charming Man zum Edel-Indie Grand Hotel van Cleef waren die Jungs, die ich am Anfang immer aufgrund ihres knallharten, intelligenten Ansatzes zum Thema Metalcore mochte, plötzlich sehr mild und indiepoppig. Das passte zwar schon irgendwie zu ihnen, aber es machte viele der Songs dort auch schwächer und verwässterte den krachigen Charakter der Band. Zwar hatte Kontakt mit dem Stück Paroli auch eine der bis heute definitiv besten, weil eindrücklichsten Anti-AfD-Hymnen parat, doch abgesehen davon waren Fjørt ein bisschen langweilig geworden. Und bei den meisten Acts, denen das schon bei der zweiten LP passiert, wird es danach nicht mehr besser. Umso überraschter war ich deshalb, als ich letztens das erste Mal in dieses neue Album reinhörte. Denn gleich in den ersten Sekunden wird hier klar, dass es mit Milde hier nicht besonders weit her ist. Die ersten Takte des Openers Südwärts fallen mit einem hammermäßigen Groove direkt mit der Tür ins Haus, das Schlagzeug poltert wie besengt und Sänger Chris Hell lässt sich mit seiner ersten Tirade nicht viel Zeit. Wenn ein guter Anfang reicht, um mich wieder optimisisch für diese Band zu machen, dann haben Fjørt das hier definitiv geschafft. Und um die ganze restliche Skepsis aus dem Weg zu räumen, nehmen sich die Aachener die folgenden 45 Minuten des Albums ausreichend Zeit. Dabei ist Couleur aber nicht nur gut, weil es die Intensität und Wut des Debüts zurückbringt, sondern weil es noch so viel mehr ist als alles davor. Erstmal ist da die Tatsache, dass die Platte trotz ihres Rückbezugs zu Hardcore und Metal gleichzeitig noch tiefer in die Wärme von Indierock-Gitarren und Pop-Gloria eintaucht als Kontakt, was aber diesmal wesentlich besser funktioniert. Fjørt wollen diesmal die großen Hymnen schreiben, denen sie sich beim letzten Mal verweigert haben und was daraus folgt, ist der zweite, noch viel tollere Faktor dieser LP. Schon auf dem Vorgänger beobachtete man an gewissen Songs die Tendenz, Botschaften zu vermitteln und diese auch direkter zu kommunizieren als bisher, zum Beispiel eben in Paroli. Auf Couleur ist diese nun so weit ausgewachsen, dass gerade Chris Hell hier über weite Strecken seine Hardcore-Wurzeln verlässt und in eine Mischform aus Rap und Gesang übergeht, die der Ästhetik dieser Band wahnsinnig zuträglich ist. Nicht nur, weil sie so sehr gut zum restlichen Sound der Platte passt, sondern weil man plötzlich mal mitkriegt, was er für ein genialer Texter ist. Seine Lyrics sind ebenso poetisch wie politisch, ebenso anklagend wie allegorisch und sie schleifen die Spitze aller elf Songs hier so perfekt, dass jeder einzelne davon ein Highlight ist. So entstehen berstige Metal-Brecher wie Mitnichten und Bastion, Indie-Momente wie Magnifique und mit Raison tatsächlich auch so etwas wie die Fortsetzung von Paroli, diesmal allerdings in wesentlich kaputter und resignierter. Dass man dabei manchmal an Casper denken muss, ist sicher ein bisschen lustig, aber in meinen Augen ist Chris Hell zumindest dieses Jahr der bessere Casper von beiden. Und es ändert nichts daran, dass Fjørt hier mit Sicherheit ihr bisher bestes Album gemacht haben. Nachdem ihr Debüt die Unsicherheit dieser Band mit reichlich Randale überschminkte und ihre zweite LP sie ein wenig offenlegte, ist Couleur nun die Platte, die sie beendet. Die Aachener wirken hier das erste Mal so, als hätten sie ihren Sound wirklich gefunden und wollten keine halben Sachen mehr machen. Diese Zuversicht brauchen sie auch, denn ihre Songs kennen ebenfalls keine Kompromisse und sind nur dann richtig gut, wenn ordentlich Bums dahinter steht. Fjørt können diesen inzwischen nicht nur liefern, sie beherrschen ihn auch. Und ich kann nur hoffen, dass das bis auf weiters so bleiben wird.





Persönliche Highlights: Südwärts / Couleur / Eden / Mitnichten / Raison / Windschief / Fingerbreit / Magnifique / Bastion / Zutage / Karat

Nicht mein Fall: -

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen