Mittwoch, 8. November 2017

Billy's Second Birth

Der experimentelle Folk-Autismus des William Ryan Fritch ist mir in den letzten Jahren stets eine Goldgrube an großartiger handgemachter Musik gewesen, die scheinbar nicht zu versiegen scheint. Allein seitdem ich ihn 2014 entdeckte, hat der Songwriter aus Oakland mehr als ein Dutzend Platten veröffentlicht, von denen ich lediglich einen Bruchteil hier besprochen habe. Und obwohl ich seine Musik hörte, weil dieser Typ mich begeisterte (seine LP Leave Me Like You Found Me wurde 2014 mein zweitliebstes Album des Jahres), wurde diese Art von Überproduktion doch ziemlich schnell nervig. Fritch hatte in seinen Songs einen sehr eingefahrenen Stil, den er immer wieder auf eine sehr ähnliche Weise durchführte. Die flirrenden Streicher, die schwere Percussion, die metallischen Akustikgitarren - das alles kannte man irgendwann zur Genüge. Und da es immer und immer wieder eingesetzt wurde, hatten seine Releases irgendwann für mich nur noch den Effekt einer bloßen Reproduktion musikalischer Griffe und die Kreativität, für die ich ihn am Anfang so lobte, war passé. Durch die buliemische Beschäftigung mit seinem Material hing mir irgendwann sogar das nach wie vor grandiose Leave Me Like You Found Me zum Hals heraus und spätestens da wusste ich, dass ich die Notbremse ziehen muss. Seitdem höre ich Fritchs neue Projekte wirklich nur noch, wenn sie mir wichtig erscheinen und wirklich für sich selbst stehen. Und Behind the Pale ist nun wieder mal ein solches, sogar im ganz großen Stil. Denn nachdem der Kalifornier im vergangenen Herbst mit New Words for Old Wounds seine zwölfteilige (!) Album-Serie Leave Me beendete, ist diese neue LP tatsächlich ein kleiner Bruch in seiner Diskografie. Konzeptuell wie klanglich ist das hier ein Neuanfang, was in meinen Augen das beste ist, was Fritchs Karriere passieren kann. Denn wo die letzten Platten der Serie unter ihrem Spannungsbogen buckelten und dem Gesamtbild nichts neues mehr hinzuzufügen hatten, merkt man deutlich, wie Behind the Pale nun leichter atmet und mit dieser neuen Freiheit jede Menge toller musikalischer Impulse mitschwingt. Zwar ist der besagte grundlegende Stil hier der gleiche geblieben, aber man hat nunmehr eher den Eindruck, dass dieser hier als Handwerkszeug für neue kompositorsiche Experimente genutzt wird. Und diese gehen voll und ganz auf: Die orchestral-ambienten Flächen, die man von den Vorgängern kannte, werden hier erstmals zu wirklichen Songs verbacken und klingen überraschend konkret, was Fritch in die Nähe der abstrakteren Arbeiten der Fleet Foxes oder Bon Iver manövriert. Man darf dabei nicht davon ausgehen, hier sofort Radiohits zu hören, aber vom reinen Äther ist diese LP schon ein ganzes Stück weit weg. Das hat noch einen weiteren riesigen Vorteil, denn aufgrund der engeren musikalischen Grenzen kann ich mich hier das erste Mal so richtig mit Fritchs Gesang anfreunden. Zwar wurde dieser auf seinen letzten Alben schon kontinuierlich besser, doch meistens sah ich ihn immer noch als notwendiges Übel und mochte tendenziell die Platten lieber, die entweder komplett instrumental waren oder auf denen Gäste sangen. Auf Behind the Pale jedoch trägt der Gesang erstmals eine Menge zur Qualität des Ergebnisses bei und wirkt kein bisschen überflüssig. Und das ist definitiv der größte Fortschritt hier. Abgesehen davon ist eigentlich alles wie immer, nur dass es diesmal wieder Spaß macht und William Ryan Fritch mich überzeugen konnte, dass er doch noch so spannend ist, wie ich ihn vor drei Jahren kennenlernte. Ich hoffe einfach, dass das jetzt so bleibt und er nicht direkt den nächsten ermüdenden Album-Marathon in Angriff nimmt. Ein Longplayer pro Jahr wäre ab jetzt mehr als genug, okay?





Persönliche Highlights: Never is It Enough / Dephts of Our Minds / Sheep in the Fog / Greedy Things / Supposed / What the Future Holds

Nicht mein Fall: -

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