Sonntag, 19. November 2017

Hausverbot im Gucci Store

Dafür, wie unglaublich wichtig die Impulse von Yung Lean vor einigen Jahren für die komplette Bandbreite des modernen Traprap waren und dafür, wie sehr ihn damals alle feierten, war seine richtig fette Coolheits-Phase rückblickend erstaunlich kurz. Direkt nachdem der Rapper aus Stockholm 2013 sein Debüt Unknown Death 2002 veröffentlichte, fiel er in der Umfragekurve in Rekordtempo nach unten und für sein ein Jahr später erschienenes zweites Album Unknown Memory interessierte sich schon keine Sau mehr. Vielleicht liegt es daran, dass der Rapper sich abgesehen von seiner Musik öffentlich relativ rar macht oder dass er nicht das Szene-Backing hat wie viele Kolleg*innen in den USA, doch wirklich der Shit ist Yung Lean 2017 schon lange nicht mehr. Dabei hätten es in meinen Augen wenige so verdient wie er. Nicht nur gebührt ihm als wichtiger Einflussgeber eines musikalischen Stils mindestens so viel Respekt wie einem Gucci Mane oder Quavo, er ist langfristig auch einer der weniger Künstler*innen, die in diesem Genre wirklich nachhaltig arbeiten und deren Musik auch über Jahre hinweg spannend geblieben ist. Sicher, das bedeutet auch, dass es nicht alle vier Monate ein neues Tape gibt und große Banger zugunsten komplexerer Alben eher ausfallen, aber gerade diese Dinge sind im Kosmos Traprap äußerst selten und deshalb schon irgendwie wertvoll. Und wer diese Ansicht so ein bisschen mit mir teilt und/oder die Karriere des Schweden bis hierhin durchgehalten hat, wird auch mit LP Nummer vier ein weiteres Mal belohnt. Nachdem seine letzte Platte Warlord im letzten Frühjahr schon wesentlich poppiger war und Lean zwischendurch mit seiner (im Übrigen ganz fantastischen) Hardcore-Band Död Mark einige Wellen schlug, ist Stranger nun definitiv die absolute Hinwendung zum Synthpop, die stellenweise noch weitergeht als die der meisten amerikanischen Autotune-Crooner. Einige der Beats, die hier verwendet werden, erinnern ungemein an Achtziger-New Wave-Pop, alternativen R'n'B oder Techno-Trance (mit Agony ist sogar eine Klavierballade dabei), jedoch immer in Verbindung mit den schon bekannten, sehr melodischen und melancholischen Sadboy-Instrumentals, die ebenfalls noch immer funktionieren. Gemeinsam ergibt dieses Amalgam aus musikalischen Einflüssen einen Sound, der weniger an die klassischen Cloudrap-Geschichten erinnert als an Projekte wie Porches, the Weeknd oder Blank Banshee. Bezieht man jetzt noch die sehr polierte High-End-Produktion mit ein, wird klar, dass Stranger einen ganz neue Intensität an Geschmeidigkeit sucht. Und rein klanglich ist diese hier durchaus gelungen. Leider muss ich auf der anderen Seite sagen, dass das hier Yung Leans textlich bisher schwächstes Album ist. Nicht, dass dieser Typ je der größte Texter gewesen wäre und einer seiner größten Verdienste für Trap ist seine stark vernuschelte Dada-Sprache, aber auf den neuen Songs stört einen diese Tatsache das erste Mal. Auf der musikalischen Seite ist Stranger als Album wesentlich deeper und erwachsener, sodass man ihm seine postironisch-minimalistsche Art nicht mehr so unbedingt abnimmt, aber genau auf die besteht Yung Lean hier irgendwie. Die völlig unglaubwürdigen Horrorcore-Anspielungen, Gerede von "Gucci Stores", die aufgesetzte Depressivität: das alles sind Elemente, die mittlerweile nicht mal im Rap-Entwicklungsland Deutschland als cool gelten und sie werden hier nach wie vor großflächig ausgebreitet. Das ganze passt noch weniger, da der ganze Rest hier so wunderbar innovativ und HD ist. Yung Lean hängt also seinen eigenen Ansprüchen selbst etwas hinterher, zumindest inhaltlich. Und obwohl er eigentlich immer derjenige war, der es wirklich effektiv hinbekam, Inhalte im Rap zu überwinden und den vielbeschworenen Flow über allem stehen zu lassen, würde ich mir jetzt dann doch gerne etwas mehr Aussage wünschen. Denn ich denke, dieser Typ hat auch in dieser Hinsicht wesentlich mehr zu sagen.





Persönliche Highlights: Red Bottom Sky / Silver Arrows / Push/Lost Weekend / Drop It/Scooter / Iceman / Fallen Demon / Agony / Yellowman

Nicht mein Fall: Snakeskin/Bullets

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