Donnerstag, 30. November 2017

Narkopop

Normalerweise ist es für mich immer eine schwierige Angelegenheit, in die Diskografie eines*r Künstler*in quer einzusteigen, die schon einiges an Output umfasst. Man ist konfrontiert mit einem bereits sehr ausgeprägten Stil, dessen Entwicklung man vom eigenen Ausgangspunkt nicht nachvollziehen kann, ohne sich zuvor den gesamten Katalog des Acts anzuhören. Und da ich in den meisten Fällen nicht wirklich die Zeit habe, das zu tun, bleibt mir häufig nur der brutal ehrliche Weg, gegenüber eingesessenen Fans zuzugeben, dass ich von ihrem*r Lieblingskünstler*in keinen blassen Schimmer habe. Wirklich optimal ist das logischerweise auch nicht. Deshalb ist es in diesem Fall schön festzustellen, dass ich mit dem britischen Produzenten Stephen Wilkinson aka Bibio dieses Problem nicht habe. Zwar macht dieser Typ mittlerweile auch schon seit locker fünfzehn Jahren Musik und hat in dieser Zeit ganze sieben Longplayer veröffentlicht, doch was sein jüngstes Werk Phantom Brickworks angeht, habe ich das Glück, zufällig im Augenblick seines größten Stilbruchs in sein Schaffen einzusteigen. Bisher war das, was Wilkinson machte, eine sehr harmonische Mischform aus elektronischer Musik und Indiepop, ähnlich den Sachen von Leuten wie Caribou, Bonobo oder Four Tet. Bibio war die Art von Elektropop, die in der Fernsehwerbung junger, hipper Mobilfunkunternehmen laufen könnte oder bei Starbucks an der Theke ausliegt. Das ganze war nicht wirklich uncool, aber auch nichts besonderes, weswegen sich auch kaum jemand mit ihm beschäftigte. Und vielleicht war genau das der Grund, warum Wilkinson eines Tages beschloss, jetzt ein Ambient-Album aufzunehmen. Ausgehend von der eh schon vorhandenen Geruhsamkeit in seiner Musik ist das vielleicht kein unglaublich überraschender Schritt, doch wer Phantom Brickworks hört, wird auch feststellen, dass es definitiv etwas anderes ist als vorher. Zumindest mit Easy Listening haben diese neun Songs relativ wenig zu tun. Bibio ist hier nicht der Typ Ambient-Produzent, der seine entschleunigte Chillmusik einfach noch mal um ein paar Stufen runterpegelt, um die Entspannungskurve so richtig zu pushen, er will durchaus anstrengende Musik machen. Und mit 73 Minuten Spielzeit, extrem minimalistischer Komposition und teilweise ziemlich düsteren Momenten hat er in meinen Augen sein Ziel erreicht. Was allerdings nicht bedeutet, dass diese Platte nur aus völlig unnahbarem, monotonem Klangkunst-Drone besteht. Im Gegenteil: Wilkinson schafft hier einen ziemlich beeindruckenden Balanceakt zwischen sehr kreativen und unterhaltsamen Songs, die aber dennoch mit einem Minimum an Input auskommen. Und wer sich ein bisschen im Kosmos ambienter Musik auskennt, dürfte wissen, dass sowas nicht unbedingt einfach ist (oder zumindest, dass sehr viele sehr gute Künstler*innen daran scheitern). Es gelingt hier meiner Meinung nach auch zu großen Teilen deshalb, weil Bibio dabei sehr stategisch vorgeht. Über die gesamte, sehr lange Dauer des Albums arbeitet er besonders viel mit wiederkehrenden Motiven, Abwandlungen von musikalischen Eindrücken und mehrteiligen Stücken. Gemeint ist in diesem Fall selbstverständlich der dreiteilige Titeltrack der LP, der über die komplette Spielzeit aufgeteilt gut eine halbe Stunde Musik abdeckt und dabei jedes Mal ein anfangs eingeführtes kompositorsiches Thema aufgreift und nach und nach aufbaut. Wo dieses klanglich stärker auf organische Instrumente wie Klavier, Gitarre und sogar Gesang gestützt ist, sind die Motive dazwischen deutlich elektronischer geprägt. Songs wie 09:13, Pantglas oder Cape Celyn sind schwere, homogene und dadurch manchmal auch etwas zähe Biester, die für Fans des alten Bibio schon eher problematisch sein dürften. Hier plätschert nichts und es gibt keinerlei Wiedererkennungswert, dafür aber umso mehr atmosphärische Dichte, die durchaus mal an die ganz harten Sachen von Brian Eno erinnert. Wenn es um konkrete Vergleiche geht, würde ich für die Gesamtheit des Albums jedoch eher Namen wie Boards of Canada oder Position Normal nennen, nur vielleicht in weniger aufregend. Denn dafür, dass Phantom Brickworks eine sehr minimalistische und gediegene LP ist, nutzt sie erstaunlich wenige typische Elemente klassischer Ambient-Musik. Wenn man genau hinhört, kann man auch hier noch ein bisschen erkennen, dass Bibio eigentlich mal ein Pop-Künstler war, zumindest in Bezug auf das, was er jetzt macht. Schaden tut ihm das allerdings nicht, es gibt dieser Platte sogar ziemlich viel an spannenden Momenten. Und wo ich ihn vorher möglicherweise ignoriert hätte, muss ich sagen, dass er hier vom Fleck weg eines der besten Genre-Alben dieses Jahres gemacht hat. Was für ein Glück also, dass ich ihn genau zu diesem Zeitpunkt für mich entdeckt habe.





Persönliche Highlights: 09:13 / Phantom Brickworks / Phantom Brickworks II / Ivy Charcoal / Branch Line / Capel Bethania

Nicht mein Fall: Capel Celyn

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