Dienstag, 29. November 2016

Nicht mal tanzen

THE WEEKND
Starboy


Republic / 2016















Mit Abel Tesfayé aka the Weeknd habe ich über die letzten Jahre bereits einige Höhen und Tiefen erlebt. Seitdem das R'n'B-Wunderkind aus Toronto durch seine Trilogy-Serie vom Indie-Phänomen zur erfolgreichen Eigenmarke wurde und mit zahlreichen Promis kollaborierte und ins Bett stieg, hat er mich sowohl enttäuscht als auch begeistert, sowohl fantastische Hits geschrieben als auch komplette Totalausfälle gehabt. Und mit jedem weiteren seiner Projekte hoffe ich wieder, dass er diesmal vielleicht das eine große Album macht, das die Welt von ihm hören muss. Und Starboy hat auf jeden Fall schon mal die Ambitionen, dieses Album zu sein. Mit einer ganzen Reihe fetter Singles als Vorgeschmack, gleich mehreren von Daft Punk geadelten Tracks und über einer Stunde Spielzeit ist das hier sein bisher größter Coup. Außerdem war ich optimtisch, weil mir der Vorgänger Beauty Behind the Madness von 2015 doch ziemlich zusagte und Abel hier vor allem eine unglaubliche Kompetenz für gehaltvolle Texte entwickelte. Und seine Hausaufgaben hat er hier definitiv gemacht: Statt auf verwaschene Alternative-R'n'B-Balladen setzt er hier wieder vor allem auf Catchiness und knallige Beats, die ihm auch verdammt gut stehen. Besonders die beiden von Daft Punk produzierten Nummern halten in dieser Hinsicht das, was sie versprechen. Man merkt hier auch ein weiteres Mal, wie flexibel the Weeknd stimmlich ist und dass er sich wahnsinnig gut in jede Melodie einfühlen kann, was vor allem in den Hooks zum Vorschein kommt. Das ist auf jeden Fall ein riesengroßer Vorteil und Songs wie Rockin' oder False Alarm haben realistische Chancen, das nächste Can't Feel My Face zu werden. Allerdings ist diese Platte in manchen Belangen auch ein mächtiger Rückschritt für Abel, vor allem auf der inhaltlichen Ebene. Nachdem die Lyrics beim letzten Mal wirklich außergewöhnlich und eigentlich das beste an Beauty Behind the Madness waren, ist hier plötzlich wieder ziemlich tote Hose. Mehr noch, Starboy hat einige der miesesten Texte, die ich von the Weeknd je gehört habe. Bisher liebte ich ihn immer dafür, wie er in seinen Songs in finsteren Farben die Bedeutungslosigkeit von Reichtum und die Anonymität der High Society porträtierte, doch nun scheint er selbst Teil davon geworden zu sein. In Reminder hört er sich an wie ein in die Jahre gekommener Bling-Rapper, der mit Mietwagen und gekauften Prostituierten prahlt, True Colors ist nicht besser als der Schund der abertausenden Weeknd-Trittbrettfahrer, auf die Abel so gerne schimpft und in Sidewalks versagt sogar Kendrick Lamar ausnahmsweise. Eine der wenigen Ausnahmen ist wie immer der Titeltrack, der mit ein paar sogar ziemlich genialen Parts komplett aus der LP herausfällt. Zuerst hatte ich auch noch gehofft, dass die vielen tollen Beats Starboy retten würden und das ganze trotz inhaltlicher Flaute noch eine Platte zum tanzen werden würde, doch auch dafür gibt es zu viele mittelmäßige, halbgare Nullnummern, die nicht mal das bieten können. Im großen und ganzen haben wir hier also wieder eines der wirklich enttäuschenden Weeknd-Projekte vor uns, das sehr weit davon entfernt ist, das "eine große Album" zu werden. Ich würde viel eher meinen, dass es eines seiner bisher schlechtesten ist. Das ist auf der einen Seite bitter, weil ich das Gefühl hatte, dass seine Karriere gerade echt interessant ist und er jetzt richtig was hätte reißen können. Andererseits bin ich zuversichtlich, dass Abel Tesfayé hier ganz bestimmt nicht seine letzte Platte gemacht hat und wir von ihm ganz bestimmt auch wieder etwas hören werden, das absolut monumental ist. Und wenigstens können wir dann wieder wirklich darüber staunen.
5/11

Beste Songs: Starboy / Rockin' / Stargirl Interlude / Love to Lay / Nothing Without You / I Feel It Coming

Nicht mein Fall: Reminder / True Colors / Sidewalks / Six Feet Under / A Lonely Night

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Sonntag, 27. November 2016

Der Winter naht

BLUENECK
the Outpost


Denovali Records / 2016















Gibt es einen besseren Moment für ein Blueneck-Album als Ende November, wenn eigentlich kein Mensch mehr Lust zum rauszugehen hat, der ständige Regen langsam zu Schnee übergeht und man ein bisschen in ein winterliches Koma abfällt. Genau an diesem Punkt greift dann immer wunderbar die Band aus Bristol mit ihrem unterkühlten, atmosphärischen Vokal-Postrock, der mich nun schon seit einiger Zeit begleitet. Wer dieser Tage die volle Melancholie-Dröhnung verpasst haben will, dem kann ich noch immer wärmstens das 2011 veröffentlichte Album Repetitions ans Herz legen, das mit Sicherheit zu den düstersten Projekten gehört, die ich in den letzten Jahren gehört habe, doch auch der Rest ihrer Diskografie kann sich sehen lassen. Ausgangspunkt für the Outpost ist mit dem 2014 erschienenen King Nine der bisher experimentellste Longplayer von Blueneck und eine damit verbundene Zäsur in der Musik der Briten. Auf dem Vorgänger spielte die Band erstmals mit elektronischen Sounds, probierte viel mit Nachbearbeitung von Stimmungen herum und baute auch ihr Songwriting strukturell um. Das war einerseits eine durchaus interessante Wendung und sorgte für den wahrscheinlich ersten Gebrauch von Autotune auf einem Postrock-Track, doch stellenweise fehlte dabei dann auch das Drama, mit dem mich die alten LPs so sehr überzeugt hatten. Ich hoffte also, dass Blueneck diese neuen Strukturen hier dazu benutzen würden, tatsächlich auch bessere Musik zu schreiben. Und auf den ersten Blick scheint dieser Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein. Wenn man dem Opener From Beyond eines nicht vorwerfen kann, dann fehlenden Bombast. Mit einer Länge von über sechs Minuten und einem epischen Break am Ende setzt er zu Anfang des Albums eine großartige Marke, die einiges verspricht. Und auch viele der anderen Stücke sind an sich ziemlich ansprechend. Hypnos ist ein überraschend sonniger, optimistischer Postrock-Standard, der trotzdem kein bisschen formelhaft klingt, Rats in the Wall wartet mit symphatischem Nine Inch Nails-Charme auf und Other Gods ist tatsächlich ein Abschlussong für die Götter. Und obwohl es schön ist, dass Blueneck sich hier wieder in so vielen Stilen austoben, fehlt ihnen diesmal doch irgendwie der rote Faden und die stilistische Mitte dafür. Außerdem wirken sie dabei nicht mehr wirklich konzentriert und die Tracks sind zwar insgesamt gut, wirkliche Hingucker wie das Gitarrensolo in Glades gibt es aber nur vereinzelt. Obendrein klingen sie spätestens jetzt wie eine Band, die ihre besten Tage bereits in den Zweitausendern hatte. Um mich wirklich zu überzeugen, sind das meiner Meinung nach ein paar Unstimmigkeiten zu viel. The Outpost ist kein totaler Reinfall und trotzdem noch spannender als das meiste, was sich 2016 so alles Postrock schimpft, doch es ist auch offensichtlich, dass die Briten schon mal besser waren als hier. Ihren neuen Stil müssen sie also scheinbar immer noch finden beziehungsweise das kultivieren, was sie im Moment gerade tun. Doch ich glaube daran, dass sie es früher oder später schaffen. Die Grundlagen dafür findet man hier zumindest schon mal.
7/11

Beste Songs: From Beyond / Hypnos / the White Strip / Glades / Other Gods

Nicht mein Fall: Rats in the Wall

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Samstag, 26. November 2016

Die López-Dodekaloge Teil 10: Resignation

OMAR RODRIGUEZ-LÓPEZ
Zapopan


Ipecac / 2016















Schon allein die Tatsache, dass ich dieses Jahr ganze zwölf seiner Platten ausführlich besprechen werde, legt die Vermutung nahe, dass es sich bei Omar Rodriguez definitiv um einen meiner Lieblingsmusiker handeln muss. Tatsächlich bin ich sehr oft begeistert von seiner Arbeit und seine Art, Gitarre zu spielen ist für das 21. Jahrhundert nicht weniger als revolutionär. Trotzdem werde ich froh sein, wenn in wenigen Wochen der ganze Spuk dieser Serie vorbei ist. Denn offen gesagt ist die positive Erfahrung weitgehend ausgeblieben. Kein Album bekam von mir bisher mehr als acht Punkte und mit Infinity Drips stammt von ihm sogar die in meinen Augen schlechteste Platte des ganzen Jahres. Und auf seinem zehnten Eintrag, dem seltsamen Postpunk-Projekt Zapopan, steht er ebenfalls wieder ziemlich schwach da. Der Texaner präsentiert hier elf ziemlich chaotische Songs zwischen Industrial-Synthesizern, Gitarren-Gefrickel und grauenvollem Gesang, für den er diesmal nicht mal seine Gattin braucht. Und nicht zum ersten Mal fragt man sich dabei: Hätte das hier wirklich unbedingt veröffentlicht werden müssen? Einige der LPs der vergangenen Monate hatten ja wenigstens noch eine Richtung, verfolgten ein Konzept oder waren wenigstens eindeutig als experimentelle Jams ausgewiesen. Das hier jedoch ist einfach nur noch sinnlos. Der Künstler wird sich sicher irgendetwas gedacht haben, als er das hier konzipierte und einspielte, die Frage ist nur: was? Wollte er ein Industrial-Album machen und war zu blöd dazu? Wollte er weiter mit Synthesizer-Sounds experimentieren wie bereits auf Weekly Mansions? Ist das hier eine seiner berüchtigten Hommages an irgendeine obskure Band, die keim Mensch kennt? Man wird es mit hundertprozentiger Sicherheit nicht sagen können. Das ist aber auch völlig egal, weil dieses Album egal ist. Ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahr schon einmal etwas gehört habe, das so dermaßen überflüssig ist und mich so wenig interessiert wie Zapopan. Und das, obwohl wir hier von einem meiner absoluten Lieblingskünstler reden. Es kann durchaus sein, dass in meinem Urteil auch ein Stück weit die Resignation mitschwingt, die mittlerweile zehn mittelmäßige Alben zur Folge haben. Vor allem ist das hier aber tatsächlich eine furchtbar schlechte Platte.
3/11

Beste Songs: What's Left in You / Archangel / Harboring A Sadist

Nicht mein Fall: Reap the Roots / Tandem Happiness

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Freitag, 25. November 2016

Hail to the Thief

BRUNO MARS
24K Magic


Atlantic Records / 2016















Jetzt ist es also tatsächlich soweit: Careful With That Edge bespricht Bruno Mars. Weil Bruno Mars jetzt gute Platten macht, die ich sehr gut finde und der Rest der Welt scheinbar auch. Dabei hatte ich eigentlich die gesamten letzten Jahre geglaubt, dass es der Typ nicht mehr lange macht. Schließlich war er mal einer der peinlichsten Popstars des Planeten, der für so furchtbare Sachen wie den Lazy Song oder Just the Way You Are verantwortlich ist. Und dann muss man zusehen, wie er einen mit jedem seiner Projekte mehr begeistert. Sein letzter Streich, die Mark Ronson-Kollaboration Uptown Funk von 2014, war Chart-Gold und der Song, der mich endgültig davon überzeugte, dass ich gegen Bruno Mars verloren hatte. Dass das keiner falsch versteht: Ich bin wirklich der letzte, der es doof findet, dass aus dem Schnulzen-Teenieschwarm jetzt auch ein respektabler Musiker geworden ist, aber doch muss ich mich nach wie vor fragen: Wie macht der das? Es ist klar, dass die ganze World Class seiner Hits mehr oder weniger geklaut und katastrophal unoriginell ist. Und trotzdem schafft er es, darin eine Unmenge eigene Persönlichkeit unterzubringen. Auch 24K Magic ist da keine Ausnahme. Diesmal muss vor allem die Musik von Lionel Ritchie, Michael Jackson und diverser anderer Ikonen der späten Achtziger und frühen Neunziger dran glauben und wieder macht Mars daraus seine ganz eigene Nummer. Schon der Titeltrack als Leadsingle und Eröffnungsstück macht wieder mächtig Wind, auch wenn es nicht wie erhofft das neue Uptown Funk ist. Auch die zwei nachfolgenden Stücke Chunky und Perm sind definitiv Party-Nummern und hauen am Anfang nochmal richtig auf die Kacke, damit die vielen tollen Balladen auf der zweiten Hälfte nicht so sehr rausfallen. Allerdings ist das Schwachsinn, da sich erst hier wirklich die Qualität des Marsschen Songwritings zeigt. Nummern wie Versace On the Floor oder Calling All My Lovelies sind unglaublich eingängig, gleichermaßen clever und überzeugen vor allem durch ihre exzellente Arbeit mit Synthesizern (die sie von Stevie Wonder gerippt haben). Es ist eine ungeliebte Wahrheit, dass dieser Künstler den kernigen Schmalz noch immer am besten beherrscht. Und gerade hier, wo die wirklich fetten Banger leider fehlen, fällt das wieder ein bisschen auf. Aber weil die Herzschmerz-Schinken inzwischen auch wesentlich besser geworden sind als vor fünf Jahren, ist das total okay. Im Allgemeinen muss ich sagen, dass 24K Magic eine solide LP geworden ist, auch wenn sie ein wenig hinter meinen Erwartungen bleibt. Einen wirklich großen Hit gibt es hier nicht und das ganze hätte auch einen Ticken mehr Spieldauer vertragen. Vielleicht war Unorthodox Jukebox am Ende ja doch besser. Was ich aber per se begrüße, ist die Richtung, in die sich Bruno Mars' Karriere entwickelt. Hätte jemand meinem Ich aus dem Jahr 2009 gesagt, dass ich diesen Typen mal ganz okay finden würde, hätte ich wohl sehr an mir selbst gezweifelt. Aber mittlerweile ist diese Zuneigung mehr als nachvollziehbar. Da hat die Retro-Bewegung doch tatsächlich mal was gutes für die Menschheit getan
7/11

Beste Songs: Perm / That's What I Like / Versace On the Floor / Calling All My Lovelies / Finesse / Too Good to Say Goodbye

Nicht mein Fall: -

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Donnerstag, 24. November 2016

Silent Disco

JUSTICE
Woman


Because Music / 2016















Dafür, dass Gaspard Augé und Xavier de Rosnay aka Justice eigentlich nie mehr waren als zwei befreundete Fans von Musik aus den Siebzigern, die zufällig ziemlich gut mit Samples umgehen konnten und genau zur richtigen Zeit einen Remix-Contest gewannen, haben sie eine ganz schöne Marke in der Welt des Elektropop hinterlassen. Ihr Debütalbum von 2007 gehört zu den sicherlich wichtigsten House-Platten der Zweitausender und mit Singles wie D.A.N.C.E. oder We Are Your Friends haben sich die beiden Franzosen nachhaltig in die Annalen jener Zeit eingraviert. Das ist auch in Anbetracht der Tatsache erstaunlich, dass sie mit Woman innerhalb von fast zehn Jahren gerade mal ihren dritten Longplayer veröffentlichen. Dafür haben Justice allerdings auch immer abgeliefert, wenn man sie brauchte. Auch das neue Projekt startete diesen Sommer mit der Veröffentlichung von Safe & Sound denkbar gut: Der Opener der LP ist im besten Sinne ein Band-Klassiker mit allem drum und dran. Es gibt einen wahnsinnig starken Beat, eine eingängige Hookline und als Sahnehaube die altbekannten, zuckersüßen Streicherparts, die nochmal für zusätzlichen Pailetten-Glamour sorgen. Auch die zweite, fast siebenminütige Auskopplung Randy war ein musikalisches Party-Kleinod. Im Gegensatz zum eher am Prog- und Classic Rock der Siebziger orientierten Audio Video Disco von 2011 versprach Woman also wieder eine eher Funk- und Elektro-orientierte Platte zu werden, sprich eine Art zweites †. Und obwohl sie das stilistisch durchaus ist, kann das Ergebnis dem Debüt leider nicht ganz das Wasser reichen. Denn wo die erste LP vor neun Jahren die Vintage-Einflüsse noch mit einer gesunden Menge House-Brutalität zu kompensieren wusste, kommen viele Songs hier ein wenig brav daher. Klar gibt es auch hier roughe Banger wie Alakazam! oder Chorus, ohne die ein Justice-Album nun mal nicht geht, doch auf der anderen Seite sind eben auch Tracks wie Pleasure oder Stop, die eindeutig mildere, ja fast melancholische Klänge anschlagen. Dabei beweisen Augé und de Rosnay zwar noch immer ein unglaubliches Gespür für Melodien und knackige Sounds, doch der Bombast, den das ganze mal hatte, ist hier irgendwie verblichen. Erschwerend hinzu kommt, dass die gechillteren Stücke meist auch die besseren hier sind, was Woman mehr oder weniger zu einer entspannt dominierten Platte macht. Das ist nicht im eigentlichen schlimm, doch den ein oder anderen wirklich krassen Club-Brecher hätte man sich hier schon gewünscht. Vor allem, weil die Franzosen das nach allem anderen doch noch am besten können. Aber so wie es aussieht, ist das hier das Random Access Memories von Justice geworden. Und als solches ist es nicht schlecht. Es ist ein bisschen schade, dass man sie hier nicht mehr als Partyband erlebt, doch es ist ohnehin fraglich, ob man ihre Musik auch tatsächlich auf irgendwelchen Partys gespielt hätte. Wir haben schließlich auch nicht mehr 2007.
8/11

Beste Songs: Safe & Sound / Alakazam! / Randy / Heavy Metal

Nicht mein Fall: Love S.O.S.

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Mittwoch, 23. November 2016

Hate to Say I Told You So

METALLICA
Hardwired...To Self-Destruct


Vertigo / 2016















Die große Frage ist doch: Wie gut kann ein Metallica-Album im Jahr 2016 bestenfalls sein? Ich weiß, man soll nie aufhören, an das Gute und Echte in seinen Lieblingskünstlern zu glauben, aber was die Fans der Thrash-Legenden sich seit mittlerweile über zwei Dekaden antun, grenzt schon lange an Masochismus. Auf die gleicht weiße wie die meisten Bands mit ihrer Erfahrung, die irgendwann mal cool waren, sind die Metaller über kurz oder lang furchtbar uncool geworden und haben nur noch platte, langweilige Songs geschrieben. Nur wollen das scheinbar sehr viele Leute nicht wahr haben. Pech gehabt. Denn worauf ich hinaus will ist, dass sich eine ausführliche Besprechung von Hardwired...To Self-Destruct eigentlich erübrigt und überaus lästig ist. Fast anderthalb Stunden grauenvoll öden Riff-Genudels von vier testosterongebeutelten Rock-Opas, bei dem jeder Song dem nächsten wie ein Ei dem anderen gleicht, will ich mir eigentlich nicht antun. Sicher ist das neue Material ein Stück besser als St. Anger oder Lulu, aber wenn man schon diese Maßstäbe ansetzen muss, ist eigentlich klar, in was für einer hoffnungslosen Situation Metallica hier sind. Über ...And Justice for All oder Master of Puppets traut sich ja schon keiner mehr zu reden. Man findet es ja mittlerweile schon toll, wenn Kirk Hammett ein halbwegs gerades Riff rausballert, zu dem man ein bisschen die langsam spärlich werdende Mähne schütteln kann, Lars Ulrich stumpf Viertelnoten auf seine Trommeln und Becken einhämmert und James Hetfield einen Refrain schreibt, den man mitgröhlen kann. Dass dabei die Gitarrensoli lahmer sind als die von Okta Logue und die bewusst weggelassene Ballade dem ganzen vielleicht sogar gut getan hätte, will aber keiner wissen. Und das ist eigentlich nicht das Niveau, auf dem man besonders lange bleiben muss. Denn selbst die eingängigsten Tracks hier sind bestenfalls billige Kopien der guten Songs, die die Band in den Achtzigern gemacht hat und eigentlich weiß das auch jeder. Sowieso glaube ich, dass Metallica Platten wie diese nicht machen würden, wenn ihnen nicht die nervigste Fanbase der Welt im Nacken sitzen würde. Aber das steht auch wieder auf einem anderen Blatt. Tatsache ist, dass sich zum hundersten Mal wieder alle Musikfreunde einig sind, dass Hardwired ein ziemlich mieses Album ist. Und eigentlich muss dann auch keiner so tun, als wäre das eine Überraschung. Ich für meinen Teil hatte genau dieses Ergebnis befürchtet und dachte sogar, dass es schlimmer werden würde. Am Ende ist es ja einfach nur langweilig geworden. Was dann auch das beste ist, was ich über diese LP sagen kann.
5/11

Beste Songs: Atlas, Rise! / Moth Into Flame / Am I Savage?

Nicht mein Fall: Now That We're Dead / Dream No More / Confusion / ManUNkind / Here Comes Revenge

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Dienstag, 22. November 2016

Erlebnisbericht: Der lacht, bis er fast weint

MAECKES & DIE KATASTROPHEN
21.11.2016, Täubchenthal Leipzig

Dass das Album Tilt eine Zäsur in der Diskografie von Maeckes darstellt, war vielen schon klar, bevor die Platte überhaupt erschien. Wer meine Besprechung dazu gelesen hat oder noch lesen will, wird wissen, wie ich das meine. Einerseits war dieses Phänomen der Ausgangspunkt für meine Entscheidung, sehr bewusst ein Konzert genau dieser Tour zu besuchen, andererseits auch Anlass zu Zweifeln. Ich war im Vorfeld des gestrigen Auftaktes sehr unsicher, was für ein Maeckes uns hier erwartet würde: Der technisch talentierte Rapper, der melancholische Songwriter, der unberechenbare Selbstinszenierungs-Künstler oder der Popstar, der er mittlerweile ja auch ist. Die Antwort am Tag Eins danach lautet: Ein bisschen was von allem und irgendwie gar nichts.
Die erste Überraschung des Abends ist für mich, dass für den Gig lediglich der kleine Saal des Leipziger Täubchenthals vorgesehen ist. Der ist dafür komplett ausverkauft und bereits nach einer halben Stunde gerammelt voll. Das Publikum bewegt sich im Durchschnitt zwischen Abiturient und Erstsemester und ist überwiegend weiblich, die meisten von ihnen sind bereits reichlich mit Maeckes-Merch ausgestattet. Wer selber noch keins hat, kann sich an einem großzügig ausgestatteten Stand zu happigen Preisen noch welches erstehen oder wahlweise einen tiefenentspannten Äh, Dings beim Stollenessen erleben. Nach einem kurzen Support-Act (gut, aber nicht spektakulär: Bayuk) und einer weiteren geschlagenen Stunde gemeinsamen Stehens beginnt dann auch das richtige Konzert. Opener ist wie beim Album Der Misserfolg gibt mir Unrecht, der angesichts des noch etwas demotivierten Publikums ein wenig zu früh kommt. Allerdings ist Leipzig als erste Station der Tilt-Tour sowieso noch ein bisschen der Versuchsballon und so Sachen wie kleine Texthänger und Interaktions-Unstimmigkeiten sind zu verzeihen. Zumal sich der größte Teil des Konzerts eher anfühlt, als hätten alle Beteiligten das schon hundertmal gemacht. Fast die komplette erste Hälfte des Sets besteht aus neuen Songs, die allesamt fantastisch klingen und bei denen bereits große Teile des Publikums textsicher sind. Wo bei Marie-Byrd-Land oder Inneres / Aeusseres erstmal nur die Hook klappt, muss Maeckes bei Urlaubsfotograf kaum noch selber singen, wovon auch er sichtlich überrascht ist. Und obwohl bis hierhin schon alles sehr ansehnlich war, ist das Konzert bis zu diesem Moment sozusagen Dienst nach Vorschrift.
Der laut dem Hauptakteur selbst "experimentelle Teil" der Show beginnt mit den zwei akustisch performten Songs Unperfekt und Am Ende des Tages im Glanze des Scheiterns, bei denen sich Maeckes selbst auf der Gitarre begleitet und ein weiteres Mal auf die Stimmgewalt des Publikums bauen kann. Nach einer kurzen Pause (in welcher die allseits bekannte Fuck You-Meditation zum Merch-Kauf aufruft) hat der Rapper den gelben Anzug gegen einen Hoodie getauscht und dreht nun mehr oder weniger den bisherigen Abend komplett auf links. Wow beschwört einen grandiosen HipHop-Moment herauf und zwei alte Songs später beginnt mit Partykirche der Höhepunkt des Gigs. Geburtstagskind Äh, Dings als "Partypriester", eine pogende Menge und ein crowdsurfender Maeckes kitzeln vertreiben auch noch die letzte Motivation bei den Anwesenden und für einen kurzen Moment kann man im kleinen Saal des Täubchenthals von Ekstase sprechen. Zumindest, bis wenig später Kreuz angestimmt wird. Hier sind ausnahmsweise auch mal die fleißigsten Mitsinger still und der Rapper selbst nicht wiederzuerkennen. Mit dem Rücken zum Publikum schmeißt er sich in jede Zeile und nach dem finalen Ausbruch merkt man sichtlich, wie ihm selbst das nahe geht. Während Tristan Brusch schon zum nächsten Song interludiert, sitzt er noch am Bühnenrand und muss sich kurz fassen. Beim folgenden und (fürs erste) abschließenden Irgendniemand fehlen dann auch ein paar Zeilen. Aber spätestens in der Hook und mit tatkräftiger Unterstützung von Brusch und 300 Leipzigern ist der Showman Maeckes wieder da. Danach könnte das ganze eigentlich tatsächlich vorbei sein, ohne das jemand unzufrieden wäre. Doch es braucht nicht gerade viele Zugaben-Rufe der Menge, damit die Band wieder auf die Bühne kommt und eigentlich weiß jeder, was noch fehlt. Die folgenden fast obligatorischen Stücke Gettin' Jiggy With It und Loser werden bis zum verrecken gedehnt, sind aber an sich keine großen Ereignisse. Da überrascht es schon eher, dass der Gig ausgerechnet mit dem Mist-Song XYZ so richtig abgeschlossen wird. Zumal auch hier so ziemlich alle mitisngen können. Beglückt und erschöpft verlassen nach fast zwei Stunden Musiker und Zuschauer den Saal und gehen hinaus in die Montagnacht.
Ich war anfangs skeptisch, ob mich Maeckes als Live-Act tatsächlich überzeugen würde, doch der gestrige Abend war den nicht besonders niedrigen Ticketpreis durchaus wert. Was besonders toll war, war die Tatsache, dass man hier nicht einem Rapper mit seiner professionellen, aber uninteressanten Backing-Band zusah, sondern einem eingespielten Team. Alle Akteure, die gestern auf der Bühne waren, haben wesentlich an der Entstehung von Tilt mitgearbeitet und in der Performance der Songs merkt man das ganz deutlich. Auch der Kontakt zwischen Künstlern und Publikum funktionierte prächtig und man hatte fast den Eindruck, als würde da vorne gerade dein bester Kumpel stehen und spielen. Kleine Wermutstropfen des Abends waren die lange Wartezeit vor dem Konzert und die etwas billig zusammengeschusterten Show-Elemente. Rein musikalisch jedoch war der Gig ein voller Erfolg und ein denkwürdiger Auftakt der kommenden Tour.

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Sonntag, 20. November 2016

Der Junge kann ja doch was!

LUKE TEMPLE
A Hand Through the Cellar Door


Secretly Canadian / 2016















Es gibt einen guten Grund, warum erst jetzt, mit seinem mittlerweile vierte Longplayer, die ganze Welt über Luke Temple redet. Zwar hängte der gebürtige Bostoner bereits Mitte der Zweitausender seine mäßig erfolgreiche Karriere als Maler an den Nagel und begann, seichte Folkmusik zu schreiben, die ihn unter anderem einen Deal mit dem Genießer-Indie Secretly Canadian und einen Slot im Soundtrack von Greys Anatomy einbrachte. Doch wenn man die Kritik fragte, war Temple immer ein bisschen zu viel Jack Johnson und ein bisschen zu wenig Nick Drake, der er eigentlich sein wollte. Und besonders seine letzten beiden Alben, die mit New Wave und Elektropop spielten, waren stellenweise ziemlich peinlich. Und eigentlich hätte man an dieser Stelle sagen können, dass die Sache bei ihm gegessen hat und man auch bei A Hand Through the Cellar Door nichts mehr erwarten braucht, wenn der Typ nicht ganz plötzlich ein richtig guter Songwriter geworden wäre. Bereits als ich vor ein paar Wochen eher zufällig die Leadsingle Maryanne Was Quiet hörte, wollte ich es erstmal nicht glauben. Der Track war mit seiner textlastigen, schwermütigen und kaputten Art genau das Gegenteil des bisherigen Luke Temple und vor allem war er auch noch unglaublich hochwertig. Wenn jemand, der bis dato manierliche Spaß-Popmusik geschrieben hatte, plötzlich so einen dylanesken Bolzen veröffentlicht, ist das schon eine Sache. Und das tolle ist, das die fertige Platte diesem Einstand in wenig nachsteht. Auf den verhältnismäßig kurzen 40 Minuten von A Hand Through the Cellar Door versammelt der Songwriter ein äußerst ansprechendes Konglomerat aus Geschichten, die er in anspruchsvolle Musik verpackt. Der Opener Estimated World vermittelt mit seinen jazzigen Drumparts einen Hauch von Radiohead-Feeling, the Case of Louis Warren ist ein weiterer fetter, aber großartig erzählter Textbatzen, Birds of Late December taucht tief in Melancholie ein und the Masterpiece is Broken ist mit seiner langatmigkeit und tief empfundenen Depression der bestmögliche Schlussakkord. Einzig in the Complicated Men of the 1940s kann man Temple dabei erwischen, wie er noch einmal schlechte Angewohnheiten von früher raushängen lässt. Ansonsten ist man einfach nur überrascht, wie großartig diese Platte geworden ist. Scheinbar aus dem Nichts hat der Bostoner hier eines der besten Singer-Songwriter-Projekte in diesem Jahr auf die Beine gestellt, das an große Namen wie Sun Kil Moon, Bob Dylan, Kevin Morby und ja, Nick Drake erinnert. Vor allem aber hat er seiner bisher doch ziemlich lahmen Karriere einen gehörigen Plot-Twist verpasst, der cooler nicht sein könnte. So etwas nennt man dann glaube ich eine Win-Win-Situation.
9/11

Beste Songs: Estimated World / the Birds of Late December / Maryanne Was Quiet / the Case of Louis Warren / Ordinary Feeling / the Masterpiece is Broken

Nicht mein Fall: the Complicated Men of the 1940s

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Samstag, 19. November 2016

Chill mal deine Base

CRACK IGNAZ
Marmeladé


Airforce Luna / 2016















Müsste ich für 2016 einen Musiker des Jahres wählen, wäre das in meinen Augen mit ziemlicher Sicherheit Crack Ignaz. Der MC und Produzent aus Salzburg ist in dieser Saison der Toten und Verdammten eine der wenigen echten Lichtgestalten, die Optimismus und Zukunftspotenzial verbreitet und dabei auch noch verdammt charismatisch und savage ist. Darüber hinaus prägt dieser Kerl die deutsche Musiklandschaft momentan nicht unwesentlich und mit Marmeladé veröffentlicht er mal so eben seine dritte LP innerhalb der letzten zwölf Monate. Das tolle dabei ist, dass diese Platten eben nicht wie bei seinen großen Brüdern Future und Young Thug jedes Mal gleich klingen, sondern er bei seinen Unternehmungen ständig den Vibe wechseln kann und unter den mittlerweile ziemlich vielen (und meistens langweiligen) deutschsprachigen Cloud-MCs mit Sicherheit der bunteste ist. Nachdem Aurora mit LGoony diesen Winter die finstere und roughe Trap-Keule und Geld Leben mit Wandl einige Wochen später das chillige Jazzrap-Tape war, zeigt dieses neue Projekt vorzugsweise die alberne, clowneske Seite des Crack Ignaz. Dass diese eine der spannendsten und coolsten des Österreichers ist, weiß jeder, der nur einmal König der Alpen angehört hat. Und obwohl Marmeladé so krass nun auch wieder nicht ist, merkt man durchaus, dass sich hier stilistisch überhaupt keine Grenzen gesetzt wurden. Die Beats sind farbenfroh, gerappt wird über alles und nichts, jede Menge witzige Gäste sind vertreten und allein der Albumtitel ist so Realness-resistent wie nur irgendwas. Das macht die ganze Nummer natürlich absolut sympathisch und steigert die Coolness von Ignaz K ins unermessliche. Doch leider hat diese offene Arbeitsweise auch zur Folge, dass Marmeladé ein wenig unfokussiert daherkommt und eine der wichtigsten Sachen dabei fehlt: die guten Songs. Crack Ignaz ist in meinen Augen noch nie ein wirklich guter Album-Künstler gewesen und auch seine bisherigen Longplayer in diesem Jahr waren als Gesamtwerke eher so la la. Allerdings gab es darauf immer großartige Tracks wie Tokyo Boys, Oida Wow, Moch Cash oder James Dean, die absolut genial waren. Doch durch die lockere Produktionsweise hier und die sehr kurzen Spielzeiten der einzelnen Cuts fehlen diese starken Eindrücke hier. Die bisher drei Singles, nämlich Nu An Drahn, Swah und Ois Koid, sind alle drei eher so okay gewesen und auf die Gesamtheit bezogen gehören sie hier trotzdem noch zu den besten Stücken. Erwähnt werden sollte zwar auch das witzige Intro, das chillige HWG mit Juicy Gay und der düstere Rant Ned sein wie ihr, aber im Prinzip sind diese Aufzählungen Haarspalterei, weil ein echter Banger auf Marmeladé schlichtweg fehlt. Da hilft es auch nicht, die Geld Leben-Hits James Dean und Lila Lila hier nochmal mehr schlecht als recht aufzuwärmen. Es ist nicht leicht zu sagen, aber diese LP ist insgesamt leider keine gute geworden. Ich finde es nach wie vor schön, dass Crack Ignaz sich solche Dinge traut und ich achte ihn als Musiker deshalb nicht weniger, doch für mich fehlt hier einfach die Substanz. Diese Platte ist ein Ausrutscher, der eben auch mal passiert, wenn man im gleichen Jahr schon zwei ziemlich gute andere Platten gemacht hat. Ich hoffe, dass nach diesem Tape ertsmal wieder ein bisschen Ruhe im Karton ist und sich der Salzburger nicht direkt das nächste Projekt vorknöpft, denn langsam bin sogar ich von seinem Output ein bisschen übersättigt. Was nicht heißt, dass ich den Aurora 2-Teaser auf diesem Album nicht auch ziemlich hart am hypen bin.
6/11

Beste Songs: Intro (Ball wie) / HWG / Coupe Coupe / Obailochned / Ned Sein wie ihr / Wue I Seng / Überschwemm den Block

Nicht mein Fall: Swah / James Dean

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Freitag, 18. November 2016

Thick As A Brick (feat. Progrock-Grundsatzdebatte)

WOLF PEOPLE
Ruins


Jagjaguwar / 2016















Achtung! Achtung! Ruins von Wolf People ist ein Album , welches sicherlich in vielen Kreisen unter den Definitionsbereich "Progressive Rock" fallen würde, da es einigermaßen klingt wie die Platten, die Bands wie Comus, Jethro Tull oder King Crimson Anfang bis Mitte der Siebziger gemacht haben. So hieß diese Musik eben damals und das hat sich bis heute nicht geändert. Schon bei meiner Besprechung zum letzten Opeth-Projekt habe ich allerdings bemerkt, dass sich in dieser Formulierung ein Paradox an sich zeigt. Wie kann bitte etwas progressiv sein, das sich auf eine Musikrichtung beruft, die vor über vierzig Jahren entstanden ist? Das, was Wolf People hier machen, ist im Prinzip nichts weiter als astreine Retro-Musik. 2016 verstehe ich unter Progressive Rock so etwas wie das letzte Album von Animals As Leaders, das mit wesentlich moderneren Produktions- und Kompositionsstrukturen arbeitet. Das bedeuetet auf keinen Fall, dass Musik wie die auf Ruins deswegen schlechter ist. Ich möchte nur generell damit aufgören, etwas progressiv zu nennen, das in Wirklicheit sehr regressiv ist. Nur damit ihr Bescheid wisst, warum der Begriff in diesem Artikel nicht mehr fallen wird.

Spätestens mit ihrem dritten Album Fain von 2014 sind Wolf People in Rockfan-Kreisen eine Band, an der man nicht mehr vorbei kommt. Ihr schön vintage-verwurzeltes, aber doch irgendwie originelles Songwriting-Konzept zwischen derben Riffs, cleverer Attitüde und folkloristischem Siebziger-Charme war schon vor zwei Jahren über die Maßen ansteckend und überzeugte vor allem mich dadurch, dass eben nicht nur Nostalgie erzeugt wurde, sondern tatsächlich auch ein großer Teil an eigenem Stil einfloss. Und wo der Vorgänger in dieser Hinsicht noch ein wenig zaghaft war, ist Ruins nun endgültig das Parade-Album, das Rock-Herzen höher schlagen lässt. In bester Tradition großer britischer Protagonisten wie Led Zeppelin, King Crimson und Comus, aber auch mit einem hohen Maß an Eigeninitiative schafft das Quartett aus Bedfordshire hier eine Dreiviertelstunde an großartigen Songs, die alle mehr sind als bloßer Authentizitäts-Wahn. Dabei ist es schön zu sehen, dass Wolf People mittlerweile beides sehr gut können: Auf der einen Seite ein reichhaltiges Aufgebot an Querflöten-, Keyboard- und Piano-Soli, auf der anderen eine spürbare Hingabe für Metal- und Blues-Riffing sowie höllisch eingängige Kompositionen. Ruins ist eine Platte, bei der die Mischung einen Großteil der Qualität ausmacht und bei der man erstmal eine Weile braucht, um festzustellen, ob das jetzt eher so ein Retro-Ding oder doch eher eine moderne Rockplatte sein will. Und obwohl sich die Tendenz mit zunehmender Länge in Richtung des ersteren verschiebt, bleibt das Gesamtergebnis doch ambivalent. Was erstmal nach Unsicherheit klingt, ist aber das wahre Geheimnis dieser LP und ihr vielleicht größter Bonus. Das ganze Rezept auch noch wesentlich ausformiulierter zu sehen als auf dem Vorgänger Fain macht Ruins zu einer insgesamt großartigen Erfahrung, die ich jedem Classic-Rock-Fan, der trotzdem nicht die letzten vierzig Jahre unter einem Stein gelebt hat, wärmstens empfehlen kann. Und natürlich auch jedem, der es noch werden will.
9/11

Beste Songs: Rhine Sagas / Night Witch / Kingfisher / Thistles / Not Me Sir / Belong / Kingfisher Reprise II / Glass

Nicht mein Fall: Salts Mill

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Donnerstag, 17. November 2016

Hör mir auf mit Emo!

YOU BLEW IT!
Abendrot


Big Scary Monsters / 2016















Eigentlich wusste man schob vor vier Jahren, als auf den Bandcamp-Seiten dieser Erde das kleine Emorock-Revival begann, über das seitdem so viel geschrieben wurde, dass selbiges nie mehr werden würde als eine nette Abwechslung zu den wirklich großen popkulturellen Themen, eine Fußnote in der Musikgeschichte des Retro-Kults, etwas, über dass spätestens in ein paar Monaten alle lachen würden und an das noch ein paar Monate später keiner mehr einen Gedanken verschwenden würde. Dass dabei erst 2016 bei den Meisten der Eindruck der Stagnation entsteht und es darüber hinaus ein paar Bands gibt, die wirklich etwas vollbracht haben, ist dann eigentlich schon ein großer Verdienst. Aber man kann es beim besten Willen auch nicht abstreiten: Mittlerweile ist der Zug des Emo-Revivals echt abgefahren. In den letzten zehn Monaten habe ich keinen der Newcomer, mit denen uns Labels wie Topshelf und Big Scary Monsters immer noch jede Woche überschüttet, für interessant befunden und das erste Mal seit 2012 wird es wohl auch keine der veröffentlichten Szene-Platten in meine Top 50 am Jahresende schaffen. Und das ist auch gut so. It's 2016 und so. Allerdings kann ich es auch nicht ignorieren, dass mit You Blew It! eine meiner Lieblimgsbands des Revivals gerade eine neue Platte draußen hat. Abendrot ist je nach Auffassung die zweite oder vierte LP des Quintetts aus Florida und zumindest können sich viele Fans darauf einigen, dass die letzte davon, Keep Doing What You're Doing von 2014, ziemlich genial war. Zweieinhalb Jahre danach sind die fünf noch immer Konsens-Material und haben ihren Sound dem Zeitpunkt gerecht aufgefrischt. Viele der neuen Songs sind sauberer produziert, experimentieren großzügig mit Synthesizern und sind auch von der Komposition her Pop-orientierter, am Ende des Tages aber noch immer so Emo wie schlecht gefärbte schwarze Haare und T-Shirt-mit-Schlips-Kombinationen. Und als ich im Vorfeld Songs wie Greenwood oder den wirklich fantastischen Opener Epaulette hörte, war ich ehrlich gesagt ziemlich zuversichtlich, dass You Blew It! hier noch mal richtig reinhauen würden und vielleicht wenigstens noch einen richtigen Paukenschlag fabrizieren würden, bevor endgültig alles vorbei ist. Und vielleicht hätten es die fünf auch hinbekommen, wenn sie nicht selbst viel zu resigniert dafür wäre, nach vorne zu schauen. Denn obwohl man auf Abendrot einige ihrer besten Tracks und eine wesentlich bessere Sensibilisierung für Sound hört, ist zu viel hier zu sehr so wie alles andere, was man in den letzten vier Jahren schon so oft gehört hat. Natürlich gibt es hier das total originalgetreue American-Football-Gefühl von 1999 und natürlich sind die Texte hier Herzschmerz Deluxe. Allerdings kann man dafür auch so viele andere Künstler anhören, die das genau so machen wie sie hier. Ich hatte mir von Abendrot erhofft, dass es vielleicht mal so etwas wie ein You Blew It!-Gefühl gibt, aber anscheinend ist das zuviel verlangt. Und weil die meisten Leute immer so gedacht haben wie diese Band, gibt es 2016 wahrscheinlich auch keinen interessanten Emorock mehr. Beziehungsweise fast: Denn nichts ist verloren, solange es noch This World is A Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die gibt. Die haben das mit dem eigenen Gefühl scheinbar als einzige kapiert.
7/11

Beste Songs: Epaulette / Like Myself / Greenwood / Forecasting / Minorwye / Basin & Range

Nicht mein Fall: Autotheology / Hue

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Mittwoch, 16. November 2016

Smooth Djent

ANIMALS AS LEADERS
the Madness of Many


Sumerian Records / 2016















Progressive Metal und Djent sind in meinen Artikeln von jeher eine ziemlich komplizierte Sache, da zwar die meisten meiner Leser in dieser Hinsicht einen großen Enthusiasmus pflegen, doch ich im Regelfall eher nicht. Jedes Mal, wenn eine neue Platte von Periphery, Gojira oder Between the Buried and Me erscheint, sehe ich mich irgendwie in der Pflicht, darüber zu berichten, doch tatsächlich begeistern kann ich mich dafür dann doch eher selten. Eine willkommene Ausnahme sind da seit einer Weile Animals As Leaders aus Washington D.C., über die ich mit meinem Publikum einen der wenigen Konsenspunkte in diesem Bereich finde. Ihr letztes Album the Joy of Motion versah ich vor gut zwei Jahren mit dicken zehn Punkten und es wurde eines meiner Lieblingsalben jenes Jahres. Es zeigte mir Progressive Metal nicht nur als sehr komplexes und hochtechnisches Genre, sondern auch als eines, das harmonisch, groovig und dabei ziemlich spaßig sein konnte. Tosin Abasi und seine Gespielen hatten das Feeling in mir geweckt und ich hoffte, dass sich bald noch ein paar weitere Bands anfinden würden, deren Stil ich mehr genießen würde. Leider ist das bis jetzt nicht so wirklich passiert, eher haben mir viele Platten der Folgejahre gezeigt, wie furchtbar diese Musik immer wieder sein kann. Doch wenn mich das einschüchtern würde, könnte ich mit dem bloggen ja auch gleich aufhören und wenn es etwas gibt, das mich aus meiner Stagnation rausholt, dann doch ganz bestimmt ein neues Album von Animals As Leaders, oder? Jein. Im Prinzip ist mit the Madness of Many schon der Fall, wenn auch nicht so, wie ich gedacht hatte. Zwar lässt sich die Band hier noch immer nicht unter den großen Haufen der typischen Djent-Mucker und polyrythmischen Riff-Reiter schieben und macht ihre Musik noch immer um einiges intelligenter als viele von denen, doch die Schlagkraft des Vorgängers haben die meisten Tracks hier eherlich gesagt nicht. Die saftigen, fetten Grooves von the Joy of Motion haben Animals As Leaders für die neue LP ziemlich dezimiert und verfolgen dafür jetzt einen wesentlich softeren, jazzigen Ansatz. Der ist per se nicht weniger kreativ und hat definitiv seine Momente, doch den fast durchgängigen, peitschenden Flow, den die letzte LP hatte, kann er eben nicht ersetzen. Überhaupt ist es verkehrt, the Madness of Many noch als Metal-Album zu labeln, spätestens jetzt sind die vier Musiker aus dieser Nummer raus. Was man hier hört, ist nicht weniger als moderner Progrock, der nach den immer leichtfüßiger werdenden letzten Scheiben nur konsequent ist. Und wenn man das hier als das sieht, was es tatsächlich ist, nämlich als eine Zäsur, dann kann man seinen Frieden damit finden. Ja gut, es fehlt eindeutig der Punch von bisher, doch dafür treten nun all die kleinen filigranen Kniffe, die Animals As Leaders schon seit Jahren draufhaben, auch mal zutage. Dinge wie das Keyboard-Solo in Backpfeifengesicht (super Titel, oder?), das subtile Piano in Private Visions of the World oder die seichte Rhythmusgitarre in Transcentience sind nur einige, besonders auffällige Beispiele dafür. Der chillige Vibe ist dabei gewöhnungsbedürftig, aber keinesfalls schlecht. Am Ende sind Animals As Leaders hier noch immer die vielleicht talentierteste Band, die sich im Bereich des nichtmetallischen, technisch versierten Progrock gerade bewegt (Meshuggah zählen übrigens nicht, die sind eh unantastbar). Und wenn es Songs wie den katastrophalen Opener Arithmophobia nicht gäbe, dann wäre the Madness of Many auch mindestens genauso überzeugend wie seine Vorgänger. So ist es eine erfrischende neue Richtung für die Band und ein weiteres überzeugendes Moment in der Welt der 9/8-Takte und achtsaitigen Bässe. Die ich trotzdem so bald erstmal nicht wieder betreten muss.
8/11

Beste Songs: Ectogenesis / Inner Assassins / Private Visions of the World / Backpfeifengesicht / Transcentience / the Brain Dance

Nicht mein Fall: Arithmophobia

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Dienstag, 15. November 2016

Dark Avengers

CZARFACE
A Fistful of Peril


Silver Age / 2016















Es ist schon über eine Woche her, dass A Fistful of Peril, das dritte Album des BoomBap-Dreigespanns Czarface erschienen ist und dementsprechend kommt diese Besprechung reichlich spät. Aber ich bin ehrlich gesagt froh, dass sie jetzt überhaupt noch stattfindet, denn eigentlich hatte ich ursprünglich gar nicht vor, mich mit dem neuesten Produkt des durchaus namhaften Trios näher zu befassen. Zwar hatte ich bereits vor zwei Jahren im Zuge der zweiten LP Every Hero Needs A Villain von der Truppe Wind bekommen und allein die Namen der beteilgten Künstler Inspektah Deck, 7L und Esoteric ist theoretisch Grund genug, einen ausführlichen Artikel zu schreiben, doch nachdem ich mir damals die Platte angehört hatte, war ich schon ein bisschen enttäuscht. Ich hatte von der Kollaboration eine komödiantisch aufgeladene Räuberpistole im Comic-Stil (siehe Artwork) erwartet, die sich an die Arbeit von Leuten wie Madvillain oder CunninLynguists anlehnt. Im Prinzip war Every Hero Needs A Villain das auch, nur leider mit Abzug der gesamten Kreativität. Selbst wenn das Album zehn Jahre früher erschienen wäre, hätte es wahrscheinlich selbst den realsten Boom-Bap-Fan nicht mehr hinter dem Ofen hervorgeholt. Entsprechend egal war mir deshalb die Ankündigung des dritten Longplayers von Czarface und genau da liegt im Nachhinein mein Fehler. Denn alles, womit mich die drei MCs beim letzten Mal so hängen ließen, ist hier wirklich hervorragend geworden. Wo ich mich vor zwei Jahren duch diese Band in dem Gefühl bestätigt fühlte, dass Golden-Age-HipHop endlich sein letztes Quäntchen Leben ausgehaucht hatte, überzeugen sie mich hier davon, dass das Genre doch noch äußerst lebendig ist. Fistful of Peril hat herrlich trockene Beats, aggressive und rustikale Samples und vor allem von vorn bis hinten großartige Performances aller beteiligten Rapper. Über die komplette Spielzeit geben sich die drei gegenseitig die Klinke mit den abgefahrendsten Punchlines in die Hand (persönlicher Favorit: "No GNR, but I slash you like the lead guitar" in Revenge On Lizard City) und sind dabei alle auf einem wahnsinnig guten Vibe. Man merkt bei ihnen auch wirklich, dass sie alle schon ein paar Jahre mehr im Game sind, weil sie die fettesten Lyric-Batzen, die jüngere MCs gerne groß aufbereiten, mit einer Nonchalance einbauen, die dem Begriff Punchline eigentlich schon gar nicht mehr gerecht wird. Das ganze wäre schon fast perfekt, wenn das Trio ihre einwandfreie Zusammenarbeit nicht hätte um einige vollkommen überflüssige Features ergänzen müssen. Psycho Les macht Dust zum einzig wirklich doofen Song hier und Conway und Blacastan tragen zumindest nicht besonders viel zum Allgemeinwert der Platte bei. Einzig Rast RFCs Strophe in Steranko ist ziemlich genial und überzeugt vor allem durch ihren chilligen Flow. Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich die geringe Spiellänge von gerade Mal 35 Minuten. Ein so geiles Konzept wie dieses hätte die Band ruhig über eine Dreiviertelstunde oder mehr ziehen können. Andererseits kann man auch schon sehr froh sein, dass A Fistful of Peril so viel besser geworden ist als sein leidiger Vorgänger und so eine dicke Lanze für den Ruf des klassischen BoomBap bricht. Unter all den guten Golden Age-Platten in diesem Jahr ist diese hier vielleicht so etwas wie die Sahnehaube, die definitiv zeigt, dass die großen der Szene auch 2016 noch da sind und Rückhalt für neues geben. Kann BoomBap wieder stolz auf sich selbst sein. Inspektah Deck, 7L und Esoteric plädieren hier für ein lautes und deutliches Ja.
9/11

Beste Songs: Electric Level 1 / Two in the Chest / Czar Wars / Revenge On Lizard City / Machine, Man & Monster / Sabers / Steranko

Nicht mein Fall: Dust

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Montag, 14. November 2016

Eigentlich wollte Phife Dawg die Hook singen...

A TRIBE CALLED QUEST
We Got It From Here...Thank You 4 Your Service


Epic / 2016













Spätestens 2016 fühlt es sich ein bisschen so an, als wären alle Künstler, von denen man sich irgendwann mal ein Comeback gewünscht hat, tatsächlich wieder da. Gerade im HipHop ist das immens der Fall. Der Wu-Tang Clan spielt seit 2014 wieder ganz weit vorne mit, De La Soul und die Beginner waren dieses Jahr dran und sogar Dr. Dre hat vor einiger Zeit seinen Nachfolger zu 2001 veröffentlicht. Und nun ist mit A Tribe Called Quest die nächste Rap-Institution dran. Zwar ist die offizielle Reunion von 2003 auch schon über eine Dekade her und die Band war in der Zwischenphase nicht gerade faul, doch so richtig offiziell wird das ganze ja immer erst mit einem neuen Album (Shoutouts an die System of A Downs, At the Drive-Ins und Rage Against the Machines da draußen). Aber als Ausgleich für die lange Produktionsphase ist We Got It From Here... (Achtung: sehr passender Titel) auch äußerst umfangreich ausgefallen. Eine ganze Stunde neues Material auf 4 LP-Seiten ist hier zusammengekommen und an sich ziemlich anschaulich. Ähnlich wie beim neuen Album von De La Soul versammelt sich hier eine Vielfalt an Stilen und Gästen. Kanye West, Andre 3000 und Kendrick Lamar sind hier genauso vertreten wie Elton John oder gleich mehrmals Jack White. Interessant und auffällig ist dabei musikalisch, das man hier verhältnismäßig wenig vom ursprünglichen jazzigen HipHop-Style der New Yorker hört, sondern vornehmlich Beats, die eher an Platten aus den späten Achtzigern erinnern, was auf eine coole Weise anachronistisch ist. Darüber hinaus ist die instrumentale Ausgestaltung hier auch um einiges farbiger als beispielsweise die immens trockene Produktion ihres Opus Magnum the Low End Theory. Im allgemeinen ist das ein sehr positiver Effekt, doch es führt auch zu einigen albernen Tracks wie Dis Generation, die eher seichte Popsongs sind als wirkliche HipHop-Nummern. Apropos Generationskonflikt, auch in dieser Hinsicht ist We Got It From Here... einigermaßen bemerkenswert. Bei erster Auseinandersetzung mit den Texten hier war ich der Meinung, bei ATCQ würde sich eine Spur Kulturpessimismus abzeichnen, doch bei näherer Beschäftigung ist eigentlich fast das Gegenteil der Fall: Gerade Dis Generation lobt die Entwicklung, die die von ihnen mitgeschaffene Szene heute erfahren hat, wenngleich der Zeigefinger doch ziemlich weit nach oben geht, wenn es um Realness geht. Daneben mischen sich gerade die Tracks der ersten Hälfte auch sehr in das aktuelle politische Geschehen ein, vor allem aber auch in Conrad Tokyo, dem vielleicht besten Song zum Wahlergebnis der vergangenen Woche. Eine ganz andere Art von Auseinandersetzung findet in Lost Somebody statt, einer Ode an den jüngst verstorben ATCQ-MC Phife Dawg. Seine ehemaligen Kollegen Jarobi und Q-Tip erzählen in den beiden Strophen jeweils wahnsinnig persönliche Stories, wie sicher nur sie es auf diese Art können. Leider endet das Stück dann plötzlich ziemlich abrupt und ein total überflüssiges Gitarrensolo von Jack White setzt ein, das den Track ein bisschen ruiniert. Gerade auf der zweiten Hälfte bleibt dieser Totalausfall jedoch einer von wenigen Unstimmigkeiten. Stattdessen gibt es großartige philosophische Inhalte, den herrlich trockenen Beat von Mobius und die wahnsinnig tolle Hook von Movin Backwards, die natürlich von Anderson.Paak stammt. Nach hinten heraus wird We Got It From Here... mit jedem Song besser und wiegt vieles, was im ersten Teil noch verwunderte, wieder auf. Wirklich viel falsch machen A Tribe Called Quest hier aber nicht. Gerade inhaltlich ist diese Platte ein echt starkes Stück und positioniert sich im hier und jetzt ebenso selbstverständlich wie die meisten aktuellen Rapper. Und für jeden etwas verkorksten Beat gibt es hier auch eine großartige Wahnsinns-Hook oder ein fantastisches Feature, das die Tendenz wieder nach oben schießen lässt. Ich habe schon bessere Rap-Comebacks gehört als dieses, doch We Got It From Here... ist alles in allem mehr als solide. Und das, obwohl einer der Bande ja jetzt fehlt. Aber irgendwie ist das hier auch sein Album.
9/11

Beste Songs: the Space Program / We the People / Kids / Melatonin / Enough!! / Mobius / Black Spasmodic / the Killing Season / Movin Backwards / Conrad Tokyo / Ego

Nicht mein Fall: Dis Generation

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Sonntag, 13. November 2016

Die López-Dodekalogie Teil 9: Traditional Synthesizer Music

OMAR RODRIGUEZ-LÓPEZ
Weekly Mansions


Ipecac / 2016















Wir haben dieses Jahr gemeinsam mit Omar Rodriguez-López schon einiges erlebt. Schnulzige Herzschmerz-Platten, orientalische Folkmusik, goldenen Neunziger-Indierock, New Wave und Krautrock. Und doch schafft es der Texaner irgendwie immer wieder, auf diesen Stapel noch eine Portion draufzuhauen. Im Falle von Weekly Mansions, seines neunten Albums 2016, durch eine erstmals komplett elektronische Herangehensweise. Schon auf vorherigen Longplayern, gelegentlich auch bei Bosnian Rainbows oder Kimono Kult, griff Rodriguez mitunter zum Keyboard statt zur Gitarre, doch es gab nie einen Zweifel daran, dass dem Sechssaiter doch die größere Leidenschaft galt. Nun gibt es sie aber doch, seine erste reine Synthesizer-Platte. Und die fällt dafür gar nicht mal schlecht aus. Natürlich muss man verstehen, dass es sich bei Weekly Mansions mehr um eine Art Selbsttudium handelt als um tatsächliche Performance. Dem Künstler geht es hier nicht darum, ein überzeugendes, grandioses Gesamtwerk mit viel Konzeptualität herzustellen, sondern einfach darum, so viele Dinge wie möglich auszuprobieren. Was dann beispielsweise zum ambienten, proto-elektronischen Opener Essential Punishment, zum fast schon an EDM erinnernden A Little Old Picnic in Fort Collins oder gar zur Dub-inspirierten New Wave-Nummer Science Urges. Dabei bleibt Rodriguez auch stets konsequent und in den gesamten 39 Minuten hier (womit Weekly Mansions übrigens das bisher längste seiner diesjährigen Projekte ist) hört man nicht eine Gitarre. Einziges analoges Instrumentarium bleibt über die komplette Länge die Stimme des Künstlers, die er jedoch erfahrungsgemäß ebenfalls sehr gern verfremdet. Und ich kann noch einmal betonen, dass ihm seine Unternehmung damit im Rahmen der Umstände definitiv gelingt. Sicherlich schießt Rodriguez hier nicht lässig die größten EDM-Hits des Jahres aus der Hüfte und alles in allem sind seine Versuche doch noch etwas unbeholfen, aber gerade das sollte hier ja auch gezeigt werden. Wenn man dann bedenkt, dass es auf Weekly Mansions nicht einen wirklich schlechten Song gibt, finde ich das vielversprechend. Dass es trotzdem irgendwie seltsam ist, eine Platte zu hören, auf der Omar Rodriguez-López nicht eine Sekunde lang Gitarre spielt, liegt auf der Hand. Aber davon werden wir sowieso noch genug hören.
7/11

Beste Songs: Rotten Straw Lips / Science Urges / Want, Need, Scream in A Dream / A Little Old Picnic in Fort Collins / Get In There Before You Sour / They Ain't Kidding Me / Bone Fat

Nicht mein Fall: -

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Samstag, 12. November 2016

Die Arie ist angesagt

EFTERKLANG & KARSTEN FUNDAL
Leaves: the Colour of Falling


Tambourhinoceros / 2016













Es ist eigentlich immer schön, Künstler zu erleben, die sich trauen, ständig ihren Horizont zu erweitern, ihre eigene Arbeit hinterfragen und immer und überall nach neuen Herausforderungen schauen. Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür waren in den letzten zehn Jahren die Dänen von Efterklang. Einst eine der Vorzeigebands aus der hippen skandinavischen Indiepop-Bewegung in den Zweitausendern, wendeten sie sich über den Lauf ihrer Karriere immer mehr abstrakten Sound-Collagen, Theaterscores, Orchester-Partituren und E-Musik zu. Ihr letztes Album Piramida von 2012 wurde als Konzeptalbum über eine gleichnamige Geisterstadt in Sibirien größtenteils an eben diesem Ort aufgenommen und war eine Mischung aus typischen Indie-Feelings und eindrucksvollen Melodien, aber auch ambienten Ansätzen, Neo-Klassik und Musique Concrète. Es zeigte eindrucksvoll den Übergang einer einstigen Hype-Band zu einem durchgeistigten Experimental-Projekt, den Efterklang bis heute intensiviert haben und dessen Höhepunkt nun nach einer vierjährigen Schaffenspause diese neue Platte ist. Leaves: the Colour of Falling ist das Produkt einer Opernproduktion der Dänen mit dem Komponisten Karsten Fundal und zahlreichen Gastmusikern, die im Sommer 2015 mehrmals in einem Bunker in Kopenhagen aufgeführt wurde. Und so abgefahren, wie diese Eckpfeiler der Unternehmung bereits klingen, ist definitiv auch die Musik hier. Nunmehr komplett im avantgardistischen Bereich angesiedelt, paaren die zehn umfangreichen Tracks abstrakt-elektronische Instrumentals mit Streichern, Field Recordings und theatralem Operngesang. In Songs wie the Colour Not of Love oder Leaves ist zwar auch noch ein kleiner Rest Pop-Appeal enthalten, doch dieser ist ehrlich gesagt vernachlässigbar klein. Doch wo die Entwicklung des Trios von der Band zum Kunstsubjekt in den Jahren davor in meinen Augen eine fast ausschließlich positive war und das wahre Talent dieser Musiker offenbarte, hat man sich an Leaves: the Colour of Falling meiner Meinung nach gewaltig verhoben. Natürlich ist bei einem solchen Projekt der gesamte Kontext der Aufführung wichtig und es ist eigentlich der falsche Ansatz, das hier gebotene mit anderen Platten von Efterklang zu vergleichen, doch auch in Anbetracht dieser Faktoren ist das hier ein ziemlich seltsames Machwerk. Die Musik ist zum größten Teil ein völlig zielloses Gewaber an unstrukturierten Ambient-Klängen, die sich nur durch den Einsatz verschiedener Sänger unterscheiden, die die Sache aber auch nicht wirklich anschaulicher machen. Besonders die Performances der Sopranistin Lisbeth Balslev und des Countertenors Morten Grove Frandsen sind einfach nur nervtötend, einzig die sonore Bassstimme von Nicolai Elsberg schafft es im düsteren Abyss wirklich Eindruck bei mir zu schinden. Zwischendurch taucht auch ein- zweimal Efterklang-Sänger Casper Clausen auf, doch ist dann genauso schnell wieder weg. Überhaupt muss man sich hier fragen, wo bei den vielen Gästen eigentlich die Band an sich bleibt. In den Credits ist beispielsweise Rasmus Stolberg als Bassist gelistet, doch habe ich hier nicht ein einziges Mal eine Bassspur gehört. Ganz zu schweigen davon, dass ihr großes kompositorisches Talent kein bisschen einfließt. Aber würden Efterklang nur die Stücke von Karsten Fundal spielen, wären sie sicherlich nicht Hauptakteur in diesem eigenartigen Spektakel. Es sieht also aus, als wären das jetzt die "neuen" Efterklang, die den U-Musik-Kontext komplett hinter sich gelassen haben und von hier an den Weg des Scott Walker gehen. Und an sich finde ich das auch nicht problematisch, nur denke ich nach dieser LP ehrlich gesagt nicht, dass es der Band guttut. Diese drei Jungs können in meinen Augen bessere Popsongs schreiben als verkopfte, neoklassische Epen und Klangcollagen. Das einfach so aufzugeben, um möglichst sophisticated zu sein, wäre aus meiner Sicht wirklich schade. Ich hoffe also, dass sich Efterklang davon vielleicht doch noch loseisen können und ihre Kompetenzen einsetzen. Es muss ja nicht gleich ein neues Magic Chairs dabei rauskommen, aber ich will Casper Clausen zumindest wieder einen ganzen Song singen hören. Ist das denn zuviel verlangt?
4/11

Beste Songs: Spider's Web / the Colour Not of Love / Abyss

Nicht mein Fall: Cities of Glass / Imagery of Perfection / Eye of Growth  

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Donnerstag, 10. November 2016

Shape Shift With Me

HOPE SANDOVAL & THE WARM INTENTIONS
Until the Hunter

Tendril Tales / 2016













Dass es 2016 mal wieder Zeit für ein neues Album von Hope Sandoval ist, ist nichts anderes als die Konsequenz der Dinge. Schon das ganze Jahr über spukt die Sängerin und Songwriterin der Band Mazzy Star durch die Musiklandschaft und verbreitet dort einen großartigen Track nach dem anderen. Zusammen mit Massive Attack etwa spielte sie die im Juni veröffentlichte Single the Spoils ein, die für mich zu den besten Einzelstücken in dieser Saison zählt und auch an deren letzter EP Ritual Spirit wirkte sie maßgeblich mit. Für mich ist sie damit schon eine der Lieblingsstimmen der letzten Monate geworden und natürlich war ich auch auf ihre neue Bandplatte sehr gespannt. Zwar ist es der erste Longplayer der Warm Intentions, der meine Aufmerksamkeit bisher wirklich weckte, der letzte erschien aber auch schon vor sieben Jahren. In der zwischenzeit neigte ich mitunter dazu, Sandoval als die textlich bessere Alternative zu Lana del Rey zu bezeichnen (wo es sich eigentlich eher so verhält, dass Lana del Rey ein ziemlich mieser Abklatsch von Sandoval ist), doch Until the Hunter zeigt nun, dass sie so viel mehr sein kann. Die Platte ist gleichermaßen ein sehr unterhaltsames Genre-Hopping-Event, eine Goldgrube für fantastische Vocals und ein im besten Sinne klassisches Indie-Album. Die elf zwischen Electronica, Indiepop und Americana gelagerten Tracks sind allesamt sehr hübsch geschrieben und ausgeführt und setzen dem ergreifenden Pathos ihrer Massive Attack-Collabs eine nicht zu verachtende Coolness entgegen, die es nach so etwas auch erstmal braucht. Wenn Kurt Vile in Let Me Get There einen äußerst gelungenen Gastauftritt abgibt, klingen die beiden schon mal wie der feuchte Traum eines Noughties-Hipsters und jeder Indie-Filmregisseur hätte sich noch vor wenigen Jahren um einen solchen Soundtrack geprügelt. Dann gibt es aber auch wieder Stücke wie den Opener Into the Trees, ein über neun Minuten langes Elektro-Monster mit fast ambienten Charakter, das die experimentelle Seite der Hope Sandoval aufzeigt. Und obwohl ich es ein wenig schade finde, dass sich diese Platte an keiner Stelle Mühe gibt, diese Ästhetiken miteinander zu verbinden, gibt es mit dem breitbeinig-rockigen Closer Liquid Lady hier dennoch lediglich einen Song, der nicht genial ist. Man merkt hier ein weiteres Mal, welche ungemeine kompositorische Feinfühligkeit diese Frau mitbringt und ganz nebenbei können sich sämtliche modernen Indie-Darlings eine gesangliche Scheibe von ihr abschneiden. Wenn ihr Bandprojekt bisher nur eine Randnotiz neben Mazzy Star war, so ist zumindest für mich mit Until the Hunter klar, dass ich es hier mit einer unglaublich talentierten Songwriterin zu tun habe, die so viel mehr ist als das, wofür sie gesehen wird. Am Ende bleibt the Spoils dann aber trotzdem der beste Song, den sie dieses Jahr gemacht hat. Da muss ich leider konsequent sein.
9/11

Beste Songs: Into the Trees / A Wonderful Seed / Let Me Get There / Day Disguise / the Hiking Song / Isn't It True / I Took A Slip

Nicht mein Fall: Liquid Lady

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Mittwoch, 9. November 2016

Der ewige Fluch

LAMBCHOP
Flotus

City Slang / 2016















Wenn es darum geht, die großen Country-Songwriter-Bands der letzten 20 Jahre zu benennen, ist man sehr schnell bei Leuten wie Sun Kil Moon, Wilco, Bon Iver, Smog oder Mount Eerie, doch eine der Gruppen, die bereits seit einer halben Ewigkeit mit am Steuer sitzt, wird ständig vergessen: Lambchop aus Nashville. Mit einer wahnsinnig ambitionierten Diskografie, die immer auf das Höchstmaß an Progressivität und Emotion erpicht war, ist das bis zu achtzehn-köpfige Country-Orchester schon seit 1993 dabei. Doch während es andere Kollegen in den vielen Jahren geschafft haben, eine oder gleich mehrere Platten zu veröffentlichen, die den Indierock einer ganzen Generation beeinflussten, fehlte Lambchop immer das gewisse etwas und man konnte nie mehr tun, als sie für ihre fantastischen Ansätze zu loben. Doch wenn man eines seitdem gelernt hat, dann dass es nie zu spät dafür ist. Flotus ist vier Jahre nach dem wieder mal ziemlich wackligen Mr. M der nächste Versuch. Mit über einer Stunde wie eh und je nach den Sternen greifenden, melancholischen Country-Songs ist das ganze dabei erneut sehr gut aufgestellt und bleibt der Songwriter-Seele der Band treu. Gleich der fast zwölfminütige Opener In Care of 8675309 macht das mehr als deutlich. Denn neben der wunderbar gefühlvollen Komposition und dem starken Sound haben Lambchop scheinbar das Medium Autotune für sich entdeckt, das sie auch gar nicht mal schlecht einsetzen. Auch im Titelsong an dritter Stelle funktioniert das super. Doch allerdings taucht dabei auch sehr schnell eine allzu bekannte Assoziation auf. Der Gesang hier könnte an vielen Stellen auch von Justin Vernon stammen und die Gitarrenarbeit erinnert doch sehr an Jeff Tweedy oder Phil Elverum. Ich möchte nicht sagen, dass Lambchop sich diese Platte zusammengeklaut haben, schließlich fahren sie diesen Stil bereits seit längerer Zeit als die meisten anderen, doch die Ähnlichkeiten fallen schon auf. Darüber hinaus besitzen sie langfristig nicht die Vielfalt dieser Künstler, sondern dümpeln mehr oder weniger durch ihren Melancholie-Sumpf. Innerhalb dieses Rahmens schaffen sie es aber, ein durchaus sehr ansprechendes Gesamtwerk zu erarbeiten. Mit den typischen Jazz-Einflüssen, ihrer beruhigenden Komposition und den durch die elektronische Verfremdung abstrahierten Vocals schaffen sie eine Atmosphäre, die fast ein wenig an Lounge-Musik erinnert und definitiv im Bereich Easy Listening zu verorten ist. Die einst so tragische und düstere Musik der US-Amerikaner findet hier eine eher chillige Übersetzung, die aber in den meisten Fällen doch total angemessen und wunderbar ausgeführt ist. Ein paar kürzere Spielzeiten oder ein etwas flotterer Titel hätten am Ende aber auch nicht geschadet. So hängen Lambchop auch mit ihrer neuesten LP dem Fluch nach, wieder ein ziemlich gutes, aber eben kein wirklich bemerkenswertes Album gemacht zu haben. Und in meinen Augen hätte eigentlich gerade Flotus die Möglichkeit gehabt, genau das zu werden. Aber was diese Band bis jetzt nicht aufgegeben hat, wird sie auch in Zukunft weiter versuchen und ich bin zuversichtlich, dass diese Ansätze zumindest unterhaltsam werden. Es ist zumindest besser, als einfach aufzuhören.
8/11

Beste Songs: In Care of 8675309 / Flotus / JFK / the Hustle

Nicht mein Fall: Old Masters

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Dienstag, 8. November 2016

Die Kinderfresser von Stuttgart

KARIES
Es geht sich aus

This Charming Man / 2016















Als ich mich vor knapp drei Jahren dazu entschloss, keine ausführliche Besprechung zum Karies-Debüt Seid umschlungen, Millionen zu schreiben, war das, weil ich mir so dachte: Scheißegal, wozu gibt es denn die Nerven? Beide Bands kommen aus dem selben Umfeld der Stuttgarter Postpunk-Szene, haben den gleichen Drummer, haben beide schon Touren zusammen gespielt und der Laie hätte damals beide Gruppen beim ersten Mal sicherlich miteinander verwechseln. Doch seit dem Februar 2014 sind einige Jahre ins Land gegangen und so einfach ist das ganze nicht mehr. Die Nerven sind mittlerweile beim Edel-Indie Glitterhouse unter Vertrag, spielen in ganz Europa Konzerte und klangen auf ihrem letzten Longplayer Out darüber hinaus wie der lauwarme Furz ihrer heimatlichen Szene. Scheißegal, sage ich mir, wozu gibt es denn schließlich Karies? Die bisher immer als die kleinen Brüder der Nerven gehandelten Stuttgarter haben sich inzwischen auch ein ganzes Stück weiterentwickelt und die Zeiten des rumpeligen Hinterhof-Goth überwunden. Schon die erste Single des zweiten Albums Es geht sich aus mit dem Namen Keine Zeit für Zärtlichkeit glänzte diesen Sommer mit einer unglaublichen Bassline, genialen Texten und vor allem einer wesentlich cooleren Produktion als zuvor. Vom fertigen Produkt konnte man also einiges erwarten. Und ich bin froh zu sagen, dass diese Erwartungen hier mehr oder weniger übererfüllt wurden. Vor allem nämlich in der Hinsicht, dass man mittlerweile nicht mehr zwingend an die Nerven denken muss, wenn man Karies hört. Das Songwriting hier erinnert mit seinen scharfkantigen Gitarren und zackigen Brüchen zwar immer noch daran und ist an sich noch immer zutiefst in der Postpunk-Tradition verfangen, doch der groovige und sanfte Charakter der elf Tracks erinnert mitunter auch an Funk oder Postrock. Besonders hervorzuheben ist dabei das Bassspiel von Max Nosek, das hier unglaublich stark ist und in Songs wie Keine Zeit für Zärtlichkeit oder Ostalb sogar fast das Stück dominiert. Auch Sänger Benjamin Schröter zeigt, obwohl weniger charismatisch als ein Max Rieger oder Hendrik Otremba, eine beachtliche Bandbreite an morbider Dada-Poesie und muss dabei sogar nicht mal rumbrüllen, um sich auszudrücken. Überhaupt versteht er sich eher als beitragendes Instrument statt als Frontmann, da er nur wenige und eher unzusammenhängende Gedicht-Fetzen in die Songs einwirft, die sich auch ohne dick aufgetragene Inhaltliche Ebene selbst stützen können. Und letzteres ist etwas, bei dem Die Nerven das letzte Mal wirklich kläglich gescheitert sind. Es hier so wunderbar ausformuliert und clever zu hören, macht mich fast ein bisschen schadenfreudig. Aber das ist okay, denn Es geht sich aus ist so oder so eines der besten deutschsprachigen Alben dieses Jahres. So wie Fun damals genau zur richtigen Zeit da war, als Messer anfingen, komisch zu werden, sind Karies jetzt zur Stelle und halten die Fackel für Südwestdeutschland als Standort für qualitativ hochwertigen Postpunk auch 2016 sehr weit hoch. Und wenn die Szene so ihre Kinder frisst, schaue ich gerne mit dem Popcornbecher in gebührender Entfernung zu.
10/11

Beste Songs: Es ist ein Fest / A / Jugend / Keine Zeit für Zärtlichkeit / Ostalb / Frage Antwort / Es geht sich aus / Einheiten

Nicht mein Fall: -

Montag, 7. November 2016

Soo! Muss Technik

ULCERATE
Shrines of Paralysis


Relapse / 2016















Das Existieren neuseeländischer Spitzenbands ist immer wieder ein Thema, auf das man aufmerksam machen muss. Vor allem, da es die meisten bereits seit einer halben Ewigkeit gibt. Ulcerate aus Auckland beispielsweise sind seit dem Jahr 2000 aktiv und haben bereits vor geraumer Zeit beim renommierten Label Relapse unterschrieben, dennoch ist ihr mittlerweile fünftes Album Shrines of Paralysis mein Erstkontakt mit ihnen. Und das wurde auch Zeit, denn hätte ich diese Band eher entdeckt, wäre es für mich sicherlich leichter gewesen, ein Death-Metal-Fan zu werden. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Kollegen empfinden es Ulcerate nämlich nicht als Schmach, ihre Platten auch vernünftig zu produzieren und müssen beim Songwriting nicht jedes Mal darauf pochen, möglichst wenig Spielraum für Experimente zu lassen. In gewisser Weise hat ihr Sound sogar durchaus etwas von Progressive Metal, da er des öfteren Mal auf polyrhythmische, dissonante oder avantgardistische Elemente zurückgreift. Womit vor allem dieses Album genau in der Tradition von Longplayern steht, die mich in den letzten Jahren erstmals für Death Metal begeistert haben. Auf Shrines of Paralysis verbindet sich eine ungemeine Brutalität mit einer mindestens gleichberechtigten Kreativität, die sich in jedem Detail dieser Stunde Musik äußert. Dabei spielt vor allem die technische Leistung der einzelnen Mitglieder eine herausragende Rolle. Sänger Paul Kelland besitzt ein unglaublich starkes Organ (womit er eines der wenigen Nicht-Gründungsmitglieder einer Band ist, die besser als ihre Vorgänger klingen), das er hier immer bestmöglich einzusetzen weiß, aber das such nur das große Kronjuwel auf dem gesamten klanglichen Apparat dieser Band ist. Den Hauptakt liefern die beiden Gitarristen, die mit ihren schiefen Rhythmen und abgefahrenen Riffs ganz wesentlich für den Prog-Charakter vieler Songs verantwortlich sind sowie Drummer Jamie Saint Merat, der sich vor allem durch seine atemberaubende Beckenarbeit auszeichnet. Wenn mich eine Gruppe von Akteuren vor so vollende Tatsachen stellt, bin dann auch ich als jemand, der generell wenig auf spielerische Skills gibt, ganz schnell still. Das liegt aber auch daran, dass auf Shrines of Paralysis niemals grundlos gegniedelt wird, jeder nur seinen Stiefel spielt oder mit seinem Können protzt. Alle tollen Elemente wirken hier ständig zusammen und haben als Ziel nichts anderes als großartige Songs. Und die gibt es hier zu Hauf. Angefangen beim progressiven Opener Abrogation über den achtminütigen Metal-Klotz There Are No Saviours und den fast doomigen Titeltrack bishin zum fiesen Closer End the Hope. Zwar fällt dabei der erste Teil der Platte deutlich stärker aus als der zweite und ein Stück wie Bow to Spite hätte eigentlich nicht sein müssen, doch alles in allem kann man hier schon von einem sehr korrekten Death-Metal-Album sprechen. Es hätte nicht viel gefehlt und Ulcerate hätten eine meiner liebsten härteren Scheiben in diesem Jahr machen können. So bleibt das ganze immerhin ein sehr gutes Ergebnis und reiht sich ein in die Serie guter Erfahrungen, die ich mit Death Metal gemacht habe. Und wo das herkommt, ist sicherlich noch mehr. Bestimmt auch in Neuseeland.
9/11

Beste Songs: Abrogation / Yield to Naught / There Are No Saviours / Shrines of Paralysis

Nicht mein Fall: Bow to Spite

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Freitag, 4. November 2016

Das Transrapid-Album

TONY MOLINA
Confront the Truth


Slumberland Records / 2016















Man kann sehr leicht den Fehler machen, die Areiten von Tony Molina aufgrund dessen zu vernachlässigen, weil sie einfach so unfassbar überschaubar sind. Sein Debüt-"Album" Dissed & Dismissed von 2014 hörte ich mir hauptsächlich aus dem Grund nicht an, weil es gerade mal elf Minütchen lang war und ich vermutete, dass da ja wohl noch mehr kommen würde. Doch augenscheinlich sind solche Mini-Projekte die Art und Weise, wie dieser Songwriter gerne arbeitet und in Zeiten der digitalen Zapping-Kultur und kurzen Konzentrationsspanne ist so etwas auch nichts anderes als zeitgemäß. Auf keinen Fall sollte man sich dadurch nicht davon abhalten lassen, sich mit diesem Künstler ausführlich zu befassen, denn sonst hat man definitiv etwas verpasst. Tony Molina spielt auch auf seiner zweiten Scheibe Confront the Truth, die sogar nur 10 Minuten geht eine angenehm nach Sixties anmutende Folkmusik, die an Simon & Garfunkel, Bob Dylan und Joan Baez erinnert und sich sanft wie eine Kuscheldecke auf die Ohren legt. Das heißt, sie würde es tun, wenn sie nicht von so selbstkritischen und zynischen Texten begleitet werden würde, die sich zwischen den Hörer und das vollkommene Easy Listening stellen. Aber auch das ist eigentlich so genial an dieser Platte. Was allerdings zu einem vorhersehbaren Problem wird, ist hier die knappe Zeit. Es gilt in der Popmusik das ungeschriebene Gesetz, dass, je kürzer ein Album ist, es umso besser sein muss, damit es auch vollends überzeugt. Und bei gerade Mal zehn Minuten müsste das ganze hier schon ziemlich meisterhaft sein. Tony Molina schlägt sich im großen und ganzen sehr gut, doch an einigen Stellen fehlen hier einfach die Anschlüsse, der einheitliche Gedanke und der Closer Banshee ist noch dazu nicht wirklich die hellste Birne im Leuchter. Was dann bei jedem Projekt normaler Länge bloß kleine Schusselfehler wären, wirkt sich hier natürlich doppelt und dreifach aus. So ist Confront the Truth am Ende doch nur ganz okay, auch wenn das darauf enthaltene Material per se eigentlich wenige Mängel aufweist. Das künstlerische Prinzip des Tony Molina fasziniert jedoch nachhaltig und ich hoffe, dass in Zukunft noch mehr solcher Häppchen-Platten von ihm erscheinen. Zu viel Arbeitszeit düften die ja nicht beanspruchen.
9/11

Beste Songs: Lisa's Song / Old Enough to Know / No One Told Me / Hung Up On the Dream / See Me Fall

Nicht mein Fall: Banshee

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