Freitag, 18. November 2016

Thick As A Brick (feat. Progrock-Grundsatzdebatte)

WOLF PEOPLE
Ruins


Jagjaguwar / 2016















Achtung! Achtung! Ruins von Wolf People ist ein Album , welches sicherlich in vielen Kreisen unter den Definitionsbereich "Progressive Rock" fallen würde, da es einigermaßen klingt wie die Platten, die Bands wie Comus, Jethro Tull oder King Crimson Anfang bis Mitte der Siebziger gemacht haben. So hieß diese Musik eben damals und das hat sich bis heute nicht geändert. Schon bei meiner Besprechung zum letzten Opeth-Projekt habe ich allerdings bemerkt, dass sich in dieser Formulierung ein Paradox an sich zeigt. Wie kann bitte etwas progressiv sein, das sich auf eine Musikrichtung beruft, die vor über vierzig Jahren entstanden ist? Das, was Wolf People hier machen, ist im Prinzip nichts weiter als astreine Retro-Musik. 2016 verstehe ich unter Progressive Rock so etwas wie das letzte Album von Animals As Leaders, das mit wesentlich moderneren Produktions- und Kompositionsstrukturen arbeitet. Das bedeuetet auf keinen Fall, dass Musik wie die auf Ruins deswegen schlechter ist. Ich möchte nur generell damit aufgören, etwas progressiv zu nennen, das in Wirklicheit sehr regressiv ist. Nur damit ihr Bescheid wisst, warum der Begriff in diesem Artikel nicht mehr fallen wird.

Spätestens mit ihrem dritten Album Fain von 2014 sind Wolf People in Rockfan-Kreisen eine Band, an der man nicht mehr vorbei kommt. Ihr schön vintage-verwurzeltes, aber doch irgendwie originelles Songwriting-Konzept zwischen derben Riffs, cleverer Attitüde und folkloristischem Siebziger-Charme war schon vor zwei Jahren über die Maßen ansteckend und überzeugte vor allem mich dadurch, dass eben nicht nur Nostalgie erzeugt wurde, sondern tatsächlich auch ein großer Teil an eigenem Stil einfloss. Und wo der Vorgänger in dieser Hinsicht noch ein wenig zaghaft war, ist Ruins nun endgültig das Parade-Album, das Rock-Herzen höher schlagen lässt. In bester Tradition großer britischer Protagonisten wie Led Zeppelin, King Crimson und Comus, aber auch mit einem hohen Maß an Eigeninitiative schafft das Quartett aus Bedfordshire hier eine Dreiviertelstunde an großartigen Songs, die alle mehr sind als bloßer Authentizitäts-Wahn. Dabei ist es schön zu sehen, dass Wolf People mittlerweile beides sehr gut können: Auf der einen Seite ein reichhaltiges Aufgebot an Querflöten-, Keyboard- und Piano-Soli, auf der anderen eine spürbare Hingabe für Metal- und Blues-Riffing sowie höllisch eingängige Kompositionen. Ruins ist eine Platte, bei der die Mischung einen Großteil der Qualität ausmacht und bei der man erstmal eine Weile braucht, um festzustellen, ob das jetzt eher so ein Retro-Ding oder doch eher eine moderne Rockplatte sein will. Und obwohl sich die Tendenz mit zunehmender Länge in Richtung des ersteren verschiebt, bleibt das Gesamtergebnis doch ambivalent. Was erstmal nach Unsicherheit klingt, ist aber das wahre Geheimnis dieser LP und ihr vielleicht größter Bonus. Das ganze Rezept auch noch wesentlich ausformiulierter zu sehen als auf dem Vorgänger Fain macht Ruins zu einer insgesamt großartigen Erfahrung, die ich jedem Classic-Rock-Fan, der trotzdem nicht die letzten vierzig Jahre unter einem Stein gelebt hat, wärmstens empfehlen kann. Und natürlich auch jedem, der es noch werden will.
9/11

Beste Songs: Rhine Sagas / Night Witch / Kingfisher / Thistles / Not Me Sir / Belong / Kingfisher Reprise II / Glass

Nicht mein Fall: Salts Mill

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