Dienstag, 1. November 2016

American Woman

LADY GAGA
Joanne


Universal / 2016















Der Nachteil daran, 2016 Lady Gaga zu sein ist, dass man sich mit seiner Musik mittlerweile immer wieder aufs neue beweisen muss. Schon lange wird die New Yorker Pop-Diva Stefani Joanne Germanotta nicht mehr als die ultimative Größe des Mainstream gehandelt, die sie sowieso nie so richtig war. Diesen Job dürfen mittlerweile Leute wie Avicii oder Taylor Swift wahrnehmen und sie nimmt sowieso nur noch alle drei bis vier Jahre ein neues Album auf. Der Vorteil daran ist, dass die Marke Lady Gaga inzwischen tatsächlich für reife und ausgeklügelte Popmusik steht und sich nicht nur um ulkige Kostüme und Shock Value dreht. Und nichts könnte diese Entwicklung dicker unterstreichen als die neue LP Joanne. Mit ihrer inzwischen vierten Platte kommt mehr denn je die Songwriterin durch, die sie schon immer war, aber immer nur so nebenbei. Denn statt Disco-Bombast und Clubhits hat Gaga hier eine Art Country-Rock-Album aufgenommen, dass in akzeptablen, Mainstream-kompatiblen Dimensionen ein großes Maß an Intimität und Angreifbarkeit zulässt. Was es zu ihrer sicherlich besten Arbeit bisher macht. Zwar war ich von der im typischen Gaga-Stil groß aufgebürsteten Vorab-Single Perfect Illusion nicht wirklich angetan und machte mir nicht allzu große Hoffnungen auf das Gesamtergebnis, doch der erste Eindruck täuschte in diesem Fall gewaltig. Zwischen pompösem Hochleistungs-Pop, Songwriter-Attitüde und Country findet diese Platte einen Weg zu einer neuen Identität für die Interpretin. Natürlich gibt es die obligatorischen Radio-Hits, die es bei jemandem wie ihr eben auch braucht, doch sind diese hier noch ein ganzes Stück besser geschrieben als vorher, übertreffen sogar die an sich schon akzeptable Performance auf dem Vorgänger Artpop. Und dann gibt es Tracks wie Diamond Heart, Million Reasons oder den Titelsong, die inhaltlich wirklich sehr tief gehen und das auch musikalisch sehr gut rüberbringen. An diesen Stellen zeigt sich wirklich das immense Talent der Lady Gaga und man ist überrascht, wie gut ihr das neue Americana-Gewand steht. Wieder einmal kann man dabei feststellen, was stimmlich in dieser Musikerin steckt, doch hier verblüfft vor allem ihre Anpassungsfähigkeit. Eine halb geschriene Power-Ballade wie Diamond Heart gelingt ihr genauso wie stille Momente und mit Dancin' in Circles ist sogar eine vorzügliche Reggae-Nummer im Repertoire. Dabei vermasselt es die New Yorkerin aber nie, den Kontext des Albums zu beachten, sodass die gesamten 40 Minuten Musik am Ende absolut stimmig sind. Und dass Lady Gaga eine LP-Künstlerin wird, hätte ich ehrlich gesagt nie im Leben für möglich gehalten. Aber genau das passiert mit Joanne im Prinzip. Die großen Hits fehlen zugunsten eines makellosen Gesamteindrucks, der wirklich bestechend ist. Man kann abschließend also nur sagen, dass Stefani Germanotta die Metamorphose vom Popstar zu einer Songwriterin nicht besser hätte gelingen können. Von den Altlasten ihrer frühen Jahre wird sie sich zwar nie gänzlich trennen können, doch zumindest die Zukunft sieht im Moment nicht weniger als rosig aus. Und das hätte ich bis vor kurzem nie gedacht.
9/11

Beste Songs: Diamond Heart / Joanne / Dancin' in Circles / Million Reasons / Come to Mama / Hey Girl / Angel Down

Nicht mein Fall: Perfect Illusion


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