Dienstag, 22. November 2016

Erlebnisbericht: Der lacht, bis er fast weint

MAECKES & DIE KATASTROPHEN
21.11.2016, Täubchenthal Leipzig

Dass das Album Tilt eine Zäsur in der Diskografie von Maeckes darstellt, war vielen schon klar, bevor die Platte überhaupt erschien. Wer meine Besprechung dazu gelesen hat oder noch lesen will, wird wissen, wie ich das meine. Einerseits war dieses Phänomen der Ausgangspunkt für meine Entscheidung, sehr bewusst ein Konzert genau dieser Tour zu besuchen, andererseits auch Anlass zu Zweifeln. Ich war im Vorfeld des gestrigen Auftaktes sehr unsicher, was für ein Maeckes uns hier erwartet würde: Der technisch talentierte Rapper, der melancholische Songwriter, der unberechenbare Selbstinszenierungs-Künstler oder der Popstar, der er mittlerweile ja auch ist. Die Antwort am Tag Eins danach lautet: Ein bisschen was von allem und irgendwie gar nichts.
Die erste Überraschung des Abends ist für mich, dass für den Gig lediglich der kleine Saal des Leipziger Täubchenthals vorgesehen ist. Der ist dafür komplett ausverkauft und bereits nach einer halben Stunde gerammelt voll. Das Publikum bewegt sich im Durchschnitt zwischen Abiturient und Erstsemester und ist überwiegend weiblich, die meisten von ihnen sind bereits reichlich mit Maeckes-Merch ausgestattet. Wer selber noch keins hat, kann sich an einem großzügig ausgestatteten Stand zu happigen Preisen noch welches erstehen oder wahlweise einen tiefenentspannten Äh, Dings beim Stollenessen erleben. Nach einem kurzen Support-Act (gut, aber nicht spektakulär: Bayuk) und einer weiteren geschlagenen Stunde gemeinsamen Stehens beginnt dann auch das richtige Konzert. Opener ist wie beim Album Der Misserfolg gibt mir Unrecht, der angesichts des noch etwas demotivierten Publikums ein wenig zu früh kommt. Allerdings ist Leipzig als erste Station der Tilt-Tour sowieso noch ein bisschen der Versuchsballon und so Sachen wie kleine Texthänger und Interaktions-Unstimmigkeiten sind zu verzeihen. Zumal sich der größte Teil des Konzerts eher anfühlt, als hätten alle Beteiligten das schon hundertmal gemacht. Fast die komplette erste Hälfte des Sets besteht aus neuen Songs, die allesamt fantastisch klingen und bei denen bereits große Teile des Publikums textsicher sind. Wo bei Marie-Byrd-Land oder Inneres / Aeusseres erstmal nur die Hook klappt, muss Maeckes bei Urlaubsfotograf kaum noch selber singen, wovon auch er sichtlich überrascht ist. Und obwohl bis hierhin schon alles sehr ansehnlich war, ist das Konzert bis zu diesem Moment sozusagen Dienst nach Vorschrift.
Der laut dem Hauptakteur selbst "experimentelle Teil" der Show beginnt mit den zwei akustisch performten Songs Unperfekt und Am Ende des Tages im Glanze des Scheiterns, bei denen sich Maeckes selbst auf der Gitarre begleitet und ein weiteres Mal auf die Stimmgewalt des Publikums bauen kann. Nach einer kurzen Pause (in welcher die allseits bekannte Fuck You-Meditation zum Merch-Kauf aufruft) hat der Rapper den gelben Anzug gegen einen Hoodie getauscht und dreht nun mehr oder weniger den bisherigen Abend komplett auf links. Wow beschwört einen grandiosen HipHop-Moment herauf und zwei alte Songs später beginnt mit Partykirche der Höhepunkt des Gigs. Geburtstagskind Äh, Dings als "Partypriester", eine pogende Menge und ein crowdsurfender Maeckes kitzeln vertreiben auch noch die letzte Motivation bei den Anwesenden und für einen kurzen Moment kann man im kleinen Saal des Täubchenthals von Ekstase sprechen. Zumindest, bis wenig später Kreuz angestimmt wird. Hier sind ausnahmsweise auch mal die fleißigsten Mitsinger still und der Rapper selbst nicht wiederzuerkennen. Mit dem Rücken zum Publikum schmeißt er sich in jede Zeile und nach dem finalen Ausbruch merkt man sichtlich, wie ihm selbst das nahe geht. Während Tristan Brusch schon zum nächsten Song interludiert, sitzt er noch am Bühnenrand und muss sich kurz fassen. Beim folgenden und (fürs erste) abschließenden Irgendniemand fehlen dann auch ein paar Zeilen. Aber spätestens in der Hook und mit tatkräftiger Unterstützung von Brusch und 300 Leipzigern ist der Showman Maeckes wieder da. Danach könnte das ganze eigentlich tatsächlich vorbei sein, ohne das jemand unzufrieden wäre. Doch es braucht nicht gerade viele Zugaben-Rufe der Menge, damit die Band wieder auf die Bühne kommt und eigentlich weiß jeder, was noch fehlt. Die folgenden fast obligatorischen Stücke Gettin' Jiggy With It und Loser werden bis zum verrecken gedehnt, sind aber an sich keine großen Ereignisse. Da überrascht es schon eher, dass der Gig ausgerechnet mit dem Mist-Song XYZ so richtig abgeschlossen wird. Zumal auch hier so ziemlich alle mitisngen können. Beglückt und erschöpft verlassen nach fast zwei Stunden Musiker und Zuschauer den Saal und gehen hinaus in die Montagnacht.
Ich war anfangs skeptisch, ob mich Maeckes als Live-Act tatsächlich überzeugen würde, doch der gestrige Abend war den nicht besonders niedrigen Ticketpreis durchaus wert. Was besonders toll war, war die Tatsache, dass man hier nicht einem Rapper mit seiner professionellen, aber uninteressanten Backing-Band zusah, sondern einem eingespielten Team. Alle Akteure, die gestern auf der Bühne waren, haben wesentlich an der Entstehung von Tilt mitgearbeitet und in der Performance der Songs merkt man das ganz deutlich. Auch der Kontakt zwischen Künstlern und Publikum funktionierte prächtig und man hatte fast den Eindruck, als würde da vorne gerade dein bester Kumpel stehen und spielen. Kleine Wermutstropfen des Abends waren die lange Wartezeit vor dem Konzert und die etwas billig zusammengeschusterten Show-Elemente. Rein musikalisch jedoch war der Gig ein voller Erfolg und ein denkwürdiger Auftakt der kommenden Tour.

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