Samstag, 12. November 2016

Die Arie ist angesagt

EFTERKLANG & KARSTEN FUNDAL
Leaves: the Colour of Falling


Tambourhinoceros / 2016













Es ist eigentlich immer schön, Künstler zu erleben, die sich trauen, ständig ihren Horizont zu erweitern, ihre eigene Arbeit hinterfragen und immer und überall nach neuen Herausforderungen schauen. Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür waren in den letzten zehn Jahren die Dänen von Efterklang. Einst eine der Vorzeigebands aus der hippen skandinavischen Indiepop-Bewegung in den Zweitausendern, wendeten sie sich über den Lauf ihrer Karriere immer mehr abstrakten Sound-Collagen, Theaterscores, Orchester-Partituren und E-Musik zu. Ihr letztes Album Piramida von 2012 wurde als Konzeptalbum über eine gleichnamige Geisterstadt in Sibirien größtenteils an eben diesem Ort aufgenommen und war eine Mischung aus typischen Indie-Feelings und eindrucksvollen Melodien, aber auch ambienten Ansätzen, Neo-Klassik und Musique Concrète. Es zeigte eindrucksvoll den Übergang einer einstigen Hype-Band zu einem durchgeistigten Experimental-Projekt, den Efterklang bis heute intensiviert haben und dessen Höhepunkt nun nach einer vierjährigen Schaffenspause diese neue Platte ist. Leaves: the Colour of Falling ist das Produkt einer Opernproduktion der Dänen mit dem Komponisten Karsten Fundal und zahlreichen Gastmusikern, die im Sommer 2015 mehrmals in einem Bunker in Kopenhagen aufgeführt wurde. Und so abgefahren, wie diese Eckpfeiler der Unternehmung bereits klingen, ist definitiv auch die Musik hier. Nunmehr komplett im avantgardistischen Bereich angesiedelt, paaren die zehn umfangreichen Tracks abstrakt-elektronische Instrumentals mit Streichern, Field Recordings und theatralem Operngesang. In Songs wie the Colour Not of Love oder Leaves ist zwar auch noch ein kleiner Rest Pop-Appeal enthalten, doch dieser ist ehrlich gesagt vernachlässigbar klein. Doch wo die Entwicklung des Trios von der Band zum Kunstsubjekt in den Jahren davor in meinen Augen eine fast ausschließlich positive war und das wahre Talent dieser Musiker offenbarte, hat man sich an Leaves: the Colour of Falling meiner Meinung nach gewaltig verhoben. Natürlich ist bei einem solchen Projekt der gesamte Kontext der Aufführung wichtig und es ist eigentlich der falsche Ansatz, das hier gebotene mit anderen Platten von Efterklang zu vergleichen, doch auch in Anbetracht dieser Faktoren ist das hier ein ziemlich seltsames Machwerk. Die Musik ist zum größten Teil ein völlig zielloses Gewaber an unstrukturierten Ambient-Klängen, die sich nur durch den Einsatz verschiedener Sänger unterscheiden, die die Sache aber auch nicht wirklich anschaulicher machen. Besonders die Performances der Sopranistin Lisbeth Balslev und des Countertenors Morten Grove Frandsen sind einfach nur nervtötend, einzig die sonore Bassstimme von Nicolai Elsberg schafft es im düsteren Abyss wirklich Eindruck bei mir zu schinden. Zwischendurch taucht auch ein- zweimal Efterklang-Sänger Casper Clausen auf, doch ist dann genauso schnell wieder weg. Überhaupt muss man sich hier fragen, wo bei den vielen Gästen eigentlich die Band an sich bleibt. In den Credits ist beispielsweise Rasmus Stolberg als Bassist gelistet, doch habe ich hier nicht ein einziges Mal eine Bassspur gehört. Ganz zu schweigen davon, dass ihr großes kompositorisches Talent kein bisschen einfließt. Aber würden Efterklang nur die Stücke von Karsten Fundal spielen, wären sie sicherlich nicht Hauptakteur in diesem eigenartigen Spektakel. Es sieht also aus, als wären das jetzt die "neuen" Efterklang, die den U-Musik-Kontext komplett hinter sich gelassen haben und von hier an den Weg des Scott Walker gehen. Und an sich finde ich das auch nicht problematisch, nur denke ich nach dieser LP ehrlich gesagt nicht, dass es der Band guttut. Diese drei Jungs können in meinen Augen bessere Popsongs schreiben als verkopfte, neoklassische Epen und Klangcollagen. Das einfach so aufzugeben, um möglichst sophisticated zu sein, wäre aus meiner Sicht wirklich schade. Ich hoffe also, dass sich Efterklang davon vielleicht doch noch loseisen können und ihre Kompetenzen einsetzen. Es muss ja nicht gleich ein neues Magic Chairs dabei rauskommen, aber ich will Casper Clausen zumindest wieder einen ganzen Song singen hören. Ist das denn zuviel verlangt?
4/11

Beste Songs: Spider's Web / the Colour Not of Love / Abyss

Nicht mein Fall: Cities of Glass / Imagery of Perfection / Eye of Growth  

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