Sonntag, 20. November 2016

Der Junge kann ja doch was!

LUKE TEMPLE
A Hand Through the Cellar Door


Secretly Canadian / 2016















Es gibt einen guten Grund, warum erst jetzt, mit seinem mittlerweile vierte Longplayer, die ganze Welt über Luke Temple redet. Zwar hängte der gebürtige Bostoner bereits Mitte der Zweitausender seine mäßig erfolgreiche Karriere als Maler an den Nagel und begann, seichte Folkmusik zu schreiben, die ihn unter anderem einen Deal mit dem Genießer-Indie Secretly Canadian und einen Slot im Soundtrack von Greys Anatomy einbrachte. Doch wenn man die Kritik fragte, war Temple immer ein bisschen zu viel Jack Johnson und ein bisschen zu wenig Nick Drake, der er eigentlich sein wollte. Und besonders seine letzten beiden Alben, die mit New Wave und Elektropop spielten, waren stellenweise ziemlich peinlich. Und eigentlich hätte man an dieser Stelle sagen können, dass die Sache bei ihm gegessen hat und man auch bei A Hand Through the Cellar Door nichts mehr erwarten braucht, wenn der Typ nicht ganz plötzlich ein richtig guter Songwriter geworden wäre. Bereits als ich vor ein paar Wochen eher zufällig die Leadsingle Maryanne Was Quiet hörte, wollte ich es erstmal nicht glauben. Der Track war mit seiner textlastigen, schwermütigen und kaputten Art genau das Gegenteil des bisherigen Luke Temple und vor allem war er auch noch unglaublich hochwertig. Wenn jemand, der bis dato manierliche Spaß-Popmusik geschrieben hatte, plötzlich so einen dylanesken Bolzen veröffentlicht, ist das schon eine Sache. Und das tolle ist, das die fertige Platte diesem Einstand in wenig nachsteht. Auf den verhältnismäßig kurzen 40 Minuten von A Hand Through the Cellar Door versammelt der Songwriter ein äußerst ansprechendes Konglomerat aus Geschichten, die er in anspruchsvolle Musik verpackt. Der Opener Estimated World vermittelt mit seinen jazzigen Drumparts einen Hauch von Radiohead-Feeling, the Case of Louis Warren ist ein weiterer fetter, aber großartig erzählter Textbatzen, Birds of Late December taucht tief in Melancholie ein und the Masterpiece is Broken ist mit seiner langatmigkeit und tief empfundenen Depression der bestmögliche Schlussakkord. Einzig in the Complicated Men of the 1940s kann man Temple dabei erwischen, wie er noch einmal schlechte Angewohnheiten von früher raushängen lässt. Ansonsten ist man einfach nur überrascht, wie großartig diese Platte geworden ist. Scheinbar aus dem Nichts hat der Bostoner hier eines der besten Singer-Songwriter-Projekte in diesem Jahr auf die Beine gestellt, das an große Namen wie Sun Kil Moon, Bob Dylan, Kevin Morby und ja, Nick Drake erinnert. Vor allem aber hat er seiner bisher doch ziemlich lahmen Karriere einen gehörigen Plot-Twist verpasst, der cooler nicht sein könnte. So etwas nennt man dann glaube ich eine Win-Win-Situation.
9/11

Beste Songs: Estimated World / the Birds of Late December / Maryanne Was Quiet / the Case of Louis Warren / Ordinary Feeling / the Masterpiece is Broken

Nicht mein Fall: the Complicated Men of the 1940s

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