Dienstag, 28. Februar 2017

Elektrische Banane

Sehr lange Zeit habe ich geglaubt, eine Band wie King Gizzard & the Lizard Wizard müsse man nicht wirklich ernst nehmen. Für mich war die Psychrock-Formation aus Australien mit dem unglaublich passenden Namen nicht mehr als eine Anhäufung von obskuren Technik-Nerds, die Musik nicht um der Musik willen machten, sondern bloß, um daran seltsame kompositorische, klangliche und inhaltliche Experimente auszuprobieren. Zur Erklärung: Die siebenköpfige Band aus Melbourne hat es sich zur Aufgabe gemacht, so gut wie jede ihrer Platten mit einem neuen Konzept anzugehen, das meistens erstmal ziemlich krass klingt. So war beispielsweise ihre zweite LP Eyes in the Sky eine Art begleitetes Hörbuch zu einer Western-Thematik, Quarters hatte vier auf die Sekunde genau gleichlange Tracks, Paper Mâché Dream Balloon war komplett improvisiert und Nonagon Infinity, das Album vom letzten Jahr, konnte von jedem beliebigen Song aus gestartet werden und ergab ein harmonisches Ganzes. Wie man daran schon bereits sieht, machen King Gizzard also nicht einfach so Musik, sondern wollen die Gesetzmäßigkeiten dahinter verstehen. Und obgleich das ein an und für sich nobler Gedanke ist und für interessierte Parteien auch durchaus jede Menge Spannung verspricht, dachte ich bisher immer, dass die Band dieses eher wissenschaftliche Interesse an Musik über die ästhetische Qualität der selbigen stellen würde. Dass ich damit tatsächlich Unrecht hatte, wurde mir erst vor einigen Monaten bewusst. Da hörte ich nämlich eher durch Zufall Rattlesnake, die erste Single dieses neuen Albums hier, die mich tatsächlich ziemlich begeisterte. Der Trick dabei war, dass ich zu diesem Zeitpunkt ja nicht wusste, was das Konzept von Flying Microtonal Banana sein würde und ich mich deshalb einfach auf den Song konzentrieren konnte, was ziemlich gut funktionierte. Und als ich daraufhin recherchierte, was King Gizzard sich diesmal denn zur Aufgabe gemacht hatte, war ich zugegebenermaßen noch mehr begeistert. Denn die Idee hinter dieser LP könnte durchaus die bis dato schrägste und experimentellste der Australier sein. Flying Microtonal Banana ist durchgängig mit Instrumenten aufgenommen, die auf eine mikrotonale Skala umgestimmt wurden und hat deshalb einen vollkommen eigenen Aufbau haben. Zwar merkt ein Technik-Nappel wie ich das auch erst, wenn er es irgendwo gelesen hat, aber dann wird es auf einmal auch sehr deutlich. Die neun Stücke hier scheinen auf einer eigenen Harmonik zu basieren, die zwar durchaus tonal ist, aber dennoch nicht den wohltemperiert geprägten Hörgewohnheiten entspricht, die die meisten von uns haben. Diese Wirkung entsteht durch das Einfügen von Zwischentönen, die in der europäischen Musiktheorie nicht existieren und wer sich dafür interessiert soll sich Sachen dazu durchlesen. Denn auf der einen Seite ist es genial, weil eine solche Herangehensweise diese Platte klanglich um ein vielfaches spannender macht, es ist auf der anderen Seite aber auch etwas, dass man ignorieren kann, wenn man einfach nur die guten Songs genießen möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob die neun Songs, hätte man sie "normal" geschrieben, vielleicht viel langweiliger und einheitlicher geklungen hätten, doch so wie sie sind, sind sie für den unanspruchsvollen Hörer auch einfach nur als gute psychedelische Garagenrock-Cuts erkennbar und als solche auch sehr gut. Und eine solche Wirkung zu erzielen, muss man meiner Meinung nach erstmal schaffen. Ich bin mir nicht sicher, inwiefern das bei King Gizzard bereits in der Vergangenheit der Fall war, aber mich haben sie mit diesem Album jedenfalls auch rumgekriegt. Womit ich vermutlich einer der letzten Musiknerds auf diesem Planeten bin, bei dem das noch passieren musste. Die Argumente, sich diese Band anzuhören sind also erdrückend und die Ausreden, es nicht zu tun, werden immer weniger. Und spätestens, wenn King Gizzard Zwölftonmusik machen, wird es kein zurück mehr geben. Versprochen





Persönliche Highlights: Rattlesnake / Open Water / Billabong Valley / Doom City / Flying Microtonal Banana

Nicht mein Fall: Nuclear Fusion

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Montag, 27. Februar 2017

Heute wird gewonnen, bitte!

Es gibt viele Gründe, Stephen Burner alias Thundercat zu mögen. Er ist einer der besten und einzigartigsten Bassisten, die heutzutage aktiv sind, hat gemeinsam mit Flying Lotus einen Löwenanteil zur Wiedergeburt des Jazz-Fusion auf Brainfeeder beigetragen, ist ein äußerst sehenswerter Live-Act, trägt gerne lustige Mützen und wirkt in Interviews stets amüsant und sympathisch. Musikalisch überzeugt er als Dauergast auf Platten von Kendrick Lamar, Kamasi Washington, natürlich FlyLo und mittlerweile auch auf einer ansehnlichen eigenen Diskografie. Allerdings fehlt von ihm bisher eine ganz wichtige Sache: Der durchgehend überzeugende Longplayer, der ihn als seriösen, eigenständigen Solokünstler in der Öffentlichkeit positioniert. Zwar ist Thundercat für einige der coolsten und elegantesten Jazz- und Funk-Hits der letzten Jahre verantwortlich, doch auf Albumlänge war bisher immer irgendwie der Wurm drin. Seinem Debüt the Golden Age of Apocalypse von 2011 fehlte in weiten Teilen der Zusammenhang und der zweite Teil Apocalypse von 2014 war einfach nur ziemlich langweilig. Bisher also eine Bilanz, die dem immensen Talent dieses Künstlers in meinen Augen nicht würdig wird. Doch es gibt einige Indizien, die in den letzten Wochen und Monaten die Vermutung nahelegten, dass sich dies mit seinem dritten Album Drunk endlich ändern würde. Zum einen hat sich Burner mit dieser Platte sehr lange Zeit gelassen, was daran liegen könnte, dass er hier die notwendige Konzentration investieren wollte, die für eine LP von Format gebraucht wird. Des weiteren war sein einziges Soloprojekt in der Zeit zwischen Apocalypse und der neuen die EP the Beyond / Where the Giants Roam, die ich persönlich als seine bisher beste Arbeit empfinde. Hier fand die Marke Thundercat erstmals zu einer Art Signature-Stil, die auch diese Platte hier prägt. Und zu guter letzt gab es im Vorfeld von Drunk gleich drei großartige Singles, die den Maßstab ungemein hoch anlegten und zeigten, was dieser Typ auch in Sachen Songwriting kann. Es sah also so aus, als würde er hier endlich die Kurve kriegen. Das Ergebnis ist aber leider, dass er es wieder nur fast tut. Und blöderweise sind der Grund dafür Fehler, die eigentlich leicht vermeidbar gewesen wären. Mit einer Track-Anzahl von 23 Songs ist dieses Album überaus ambitioniert. Aber schon wenn man sieht, dass diese 23 Songs trotzdem nur eine Spielzeit von insgesamt 50 Minuten befüllen, sollte man ins Stutzen kommen. Und die Befürchtung, die man dann wahrscheinlich hat ist genau das, was auf Drunk passiert ist. Thundercat hat für diese LP einen riesengroßen Haufen an großartigen Ideen gehabt, diese aber nicht richtig umzusetzen gewusst. So haben es auf den Final Cut der Platte unglaublich viele skizzenhafte, unausgereifte und halbgare Skizzen geschafft, die zwar das unglaubliche Potenzial zeigen, das in ihnen steckt, aber eben auch, dass es überhaupt nicht genutzt wurde. Fast alle der unglaublich vielen Stücke, die nur etwas länger als eine Minute gehen, hätten durchaus das Zeug, drei, vier oder sogar fünf Minuten zu füllen, wenn man etwas mehr Arbeit in sie gesteckt hätte. Doch so wie sie hier präsentiert werden, bleiben sie oft flüchtige Ideen, die den Anschein von Demo-Takes erwecken. Hätte man sie ordentlich ausgebaut, hätte man daraus locker zwei oder drei komplette Longplayer machen können, doch der Fokus von Drunk liegt eindeutig auf Quantität statt auf Qualität. Zumindest wenn man davon absieht, dass auch jene Skizzen kompositorisch, klanglich und inhaltlich eigentlich wahnsinnig gut sind, nur eben viel zu knapp gehalten. Dort, wo ein Track mal tatsächlich länger durchhält, ist fast immer ein Gastsänger oder -rapper zu hören, doch auch hier sind die Ergebnisse durchwachsen. Das bereits letzten Monat von mir angesprochene Show You the Way mit Kenny Loggins und Michael McDonald ist ein Kleinod des modernen Neo-Soul und auch the Turn Down mit Pharell Williams kann sich echt sehen lassen. Walk On By mit Homie Kendrick Lamar ist dann aber eher so lala und ausgerechnet das von mir mit Spannung erwartete Wiz Khalifa-Feature auf Drink Dat wird zu einem der wenigen wirklich peinlichen Momente auf diesem Album. Gefreut habe ich mich darüber, dass es Thundercats bisher bester Song Them Changes nochmal auf die Tracklist geschafft hat, da er stilistisch hier äußerst gut rein passt und es so noch einmal ein richtiges Highlight gibt. Denn trotz der fantastischen Kompositionen und der großen stilistischen Vielfalt gibt es davon letztendlich nicht gerade viele auf Drunk. Zwar werden hier die Probleme, die ich mit Burners letzten Arbeiten hatte, hier äußerst elegant gelöst, doch eben nicht, ohne sich dabei neue zu schaffen, die wieder einmal für große Enttäuschungen sorgen. Mehr als eine handvoll guter Einzeltracks wirft diese Platte mal wieder nicht ab und langsam ist das für Thundercat echt keine Ausrede mehr. Zumal er ja echt das Zeug dazu hätte, es nur irgendwie immer an Kleinigkeiten scheitert. Ich werde diesen Typen und seine Musik weiterhin lieben, aber ich will nicht leugnen, dass ich mich auf dieses Album sehr gefreut habe und ich das Ergebnis ziemlich bitter finde. Irgendwann ist meine Geduld nämlich auch mal am Ende.





Persönliche Highlights: Uh Uh / Bus in These Streets / Lava Lamp / Jethro / Show You the Way / Jameel's Space Ride / Friend Zone / Them Changes / Where I'm Going / 3AM

Nicht mein Fall: Blackkk / Tokyo / Drink Dat

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Donnerstag, 23. Februar 2017

Honigbär Spinoff

In der Welt der großen europäischen Singer-Songwriter ist Jens Lekman alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Der 36-jährige Schwede hatte in den Nullerjahren mit Platten wie When I Said I Wanted to Be Your Dog oder Night Falls Over Kortedala viele Fans gefunden und dabei vor allem durch sein offenkundiges Talent mit einfühlsamen und kunstvollen Texten überzeugt, weniger durch die begleitende Musik. Doch 2017 soll sich das nun ändern. Denn mit Life Will See You Now hat er seine bisher bunteste und klanglich aufwändigste LP aufgenommen, die die Prioritäten seiner Karriere völlig neu setzt. Mit Singles wie What's That Perfume You Wear? oder Evening Prayer hatte er Anfang diesen Jahres vor allem die überrascht, die sein Songwriting mittlerweile für ausgelaugt und überfällig hielten. Wobei überrascht nicht unbedingt überzeugt heißt. Zumindest ich war von den neuen Songs aufgrund der farbenfrohen Arrangements und dem klareren Sound nicht unbedingt mehr angetan. Um ehrlich zu sein verstörte vieles hier ein wenig. Und auf dem fertigen Album hält sich dieser Eindruck definitiv. Im Gegensatz zu Kollegen wie Father John Misty oder My Morning Jacket, die solche Fusionen auf kürzlich veröffentlichten Alben durchaus bereicherten, zeigt Lekman kein sonderlich großes Talent für dicker aufgetragenes Songwriting. Zuerst mal wirken die Tracks trotz reicherer Instrumentation trotzdem noch wie Stücke, die ein einzelner Musiker mit nicht mehr als einer Gitarre komponiert hat und wirkliche Risiken geht der Schwede hier auch nicht ein. Statt wie Josh Tillman mit fettem Orchester und Porno-Beschallung zum Angriff zu blasen, tingelt hier mal zaghaft eine Steeldrum oder ein Saxofon, die nicht wirklich viel beitragen. Klar gibt es Ausnahmen wie den pumpenden Disco-Hit How We Met, the Long Version oder das putzige Wedding in Finistère, doch die fallen auch nur auf, weil der Großteil hier trotzdem noch sehr karg gehalten ist. Und so bleibt der große Trumpf fast aller Tracks weiterhin Lekmans lyrisches Talent. Auf dieser Ebene überzeugt Life Will See You Now konsequent mit humorvollen Geschichten aus allen Lebenslagen. So beleuchtet Wedding in Finistère die Generationskonflikte in Familien (großartige Hook!), in How Can I Tell Him verliebt sich der Protagonist in seinen besten Freund und in Our First Fight wird sich ordentlich gezofft. Das alles ist sehr schön und eindrücklich und man hört Lekman dabei unglaublich gern zu, doch lässt die musikalische Umsetzung eben an vielen Stellen zu wünschen übrig. Und es ist auch ziemlich offensichtlich, dass Life Will See You Now nur eine Art Adaption der Idee des großartigen I Love You, Honeybear von Father John Misty ist, und in den meisten Momenten eben eine schwächere. Da beide Platten eine sehr eigenwillige Ästhetik haben, wird es zwar bestimmt genauso viele Leute geben, die das andersherum empfinden und die haben natürlich genauso Recht, doch für mich birgt dieses Projekt hier lediglich Interessante Aspekte in einem eher langweiligen Ganzen. Es könnte gut sein, dass Jens Lekman diesen Stil noch ausbaut und es vielleicht doch noch ein richtig fettes neues Album von ihm gibt. Ich könnte mir aber auch genauso gut vorstellen, dass Life Will See You Now nur ein musikalischer Exkurs war und er danach wieder zur Songwriter-Routine zurückkehrt. Wie auch immer es ausgehen wird, es ist gut möglich, dass Lekman nochmal ein besseres Projekt aufnimmt als dieses, das in seiner Diskografie eher unter "momentane Launen" einzuordnen sein wird.





Persönliche Highlights: Our First Fight / Wedding in Finistère / How We Met, the Long Version / How Can I Tell Him / Dandelion Seed

Nicht mein Fall: To Know Your Mission / Evening Prayer

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Mittwoch, 22. Februar 2017

Sanfter Riese

Eigentlich wollte ich nach dem Marathon-Review zu Sun Kil Moon gestern heute erstmal wieder etwas einfaches, unspektakuläres besprechen, doch letztendlich habe ich in dieser Hinsicht auch heute wieder einen Fehlgriff unternommen. Da mir Grails leider bisher vollkommen unbekannt waren, musste ich mich im Vorfeld der neuen Platte erstmal ein klein wenig mit ihrem Backkatalog auseinandersetzen und der ist weiß Gott nicht bescheiden. Bereits seit über zehn Jahren existiert die Gruppe aus Portland und hat in dieser Zeit ganze sieben Longplayer veröffentlicht. Vereinfachend kann man dabei sagen, dass Grails instrumentale Rockmusik mit einem schweren elektronischen Einschlag spielen, der sehr an die progressiven Syntesizer-Pioniere der Siebziger wie Emerson, Lake & Palmer, King Crimson oder Gong erinnern. Wer sich mit ihrem bisherigen Werk ebenfalls genauer auseinandersetzen will, dem sei an dieser Stelle die inzwischen sechsteilige Single- und EP-Serie Black Tar Prophecies ans Herz gelegt, die für viele Fans das Herzstück ihrer Diskografie bildet. Für mich persönlich wurden Grails erst jetzt interessant, da mir die Band vor kurzem bei einem Gespräch über Progressive Rock im 21. Jahrhundert als ein gutes Beispiel für einen zeitgenössischen musikalischen Ansatz empfohlen wurden. Und als ich sah, dass mit Chalice Hymnal dieser Tage eine neue LP von ihnen erscheint, fasste ich den Entschluss, darüber zu schreiben. Dass ich dabei nicht bereits vorher eine Exkursion in ihre früheren Releases unternommen haben, rächt sich dabei spätestens jetzt. Zunächst einmal musste ich nämlich feststellen, dass Grails tatsächlich ein wenig aus dem Raster fallen, was ihre stilistische Zuordnung betrifft und sie eine durchaus sehr moderne Art von Progrock spielen (den man tatsächlich auch als solchen bezeichnen kann). Zwar erkennt man beim Hinhören durchaus den ein oder anderen Einfluss, doch kann dabei weder von forciertem Vintage-Gehabe die Rede sein, noch ist das ganze einfach nur technisch vertrackter, aber ideenloser HiFi-Schrott wie bei vielen "zeitgenössischen" Prog-Bands. Vielmehr sind Grails eine sehr subtile Band, die mit zaghaften Ambient-Passagen und schweren Synth-Flächen große Brocken bewegen möchte und das eben nur dann hinbekommt, wenn sie das ganze mit großer Konzentration und viel Geduld angeht. Häufig passiert in den elf Songs hier nicht besonders viel, doch was passiert, ist dafür richtig intensiv. Und was man Grails auf keinen Fall absprechen kann, ist ein Gefühl für Sound. So gesehen muss ich demjenigen, der mich auf diese Band aufmerksam gemacht hat (ich hoffe ja, er liest diesen Artikel) definitiv danken. Auf der anderen Seite glaube ich, dass ich im Moment noch nicht ganz alles verstehe, was diese Musik umfasst. So gibt es auf diesem Album diverse Rückbezüge auf altes Material wie in Deeper Politics, die mir als Fanservice natürlich gerade überhaupt nichts nutzen. Doch bin ich definitiv neugierig auf Grails geworden und wenn jemand das mit seinem siebten Longplayer noch schafft, dann ist das definitiv ein gutes Zeichen. Zu weit aus dem Fenster lehnen will ich mich mit meinem Urteil hier dennoch nicht, weil ich eigentlich immer noch keine Ahnung davon habe, was das hier eigentlich bedeutet. Es gefällt mir sehr gut und das ist bisweilen ja die Hauptsache, oder?





Persönliche Highlights: Chalice Hymnal / New Prague / Tough Guy / Rebecca / Deep Snow II / Thorns II / After the Funeral

Nicht mein Fall: Empty Chamber

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Dienstag, 21. Februar 2017

Mark und wie er die Welt sah

Wenn es um die Musik von Mark Kozelek geht, fällt mir immer noch vieles ein bisschen schwer. Ich weiß, dass der Songwriter aus Ohio einer der besten Musiker unserer Zeit sein kann und dass es so Platten wie Benji in zwanzig Jahren nur einmal gibt. Dennoch muss man auch unmissverständlich sagen, dass der Mann jede Menge Schrott veröffentlichen kann. Sein letztes Sun Kil Moon-Album Universal Themes war bestenfalls okay, ebenso wie sein letztjähriges Cover-Projekt, die LP mit Weihnachtsliedern von 2015 und seine Kollaboration mit Jesu war eine kleine Katastrophe. Während der letzten Monate habe ich mich dann doch manchmal gefragt, ob Benji nicht bloß ein lichter Augenblick zwischen viel Mist war und ob man das ganze nicht doch ein bisschen überbewertet hatte. Ohnehin wurde man aus Kozelek in den seltensten Fällen wirklich schlau. Doch die gute Nachricht ist, dass mit Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood der Longplayer erschienen ist, der wahrscheinlich alle Antworten liefert. Man muss sich nur darauf einlassen können. Mit einer Länge von zwei Stunden und neun Minuten ist diese neue Platte ein Brocken, der mich auf den ersten Blick schon ein bisschen eingeschüchtert hat. Zumal ich weiß, dass diese Zeit definitiv nicht für ausgiebige Gitarrensoli und aufwändige Arrangements genutzt wurde. Diese sechzehn Songs, von denen keiner unter fünf Minuten lang ist, sind zu einhundert Prozent Inhalt, sprich langatmige, detailgetreue Monologe über Politik, Menschen, das Leben und die Musik, begleitet von meistens nicht mehr als einer Akustikgitarre. Uff. Umso erstaunlicher ist es wieder einmal, dass ich in keiner Sekunde dieses Albums gelangweilt war. Und das liegt wieder einmal vor allem an den Geschichten, die Mark hier erzählt. Ähnlich wie bei Universal Themes springt er dabei gerne mal zwischen diversen Ereignissen hin und her, doch tut er das diesmal zum Glück nicht ganz so zufällig, sondern hat zumindest den Ansatz eines roten Fadens. So gelingt es ihm beispielsweise in Philadelphia Cop, die Themen Polizeigewalt, seinen Hass auf Musikjournalisten und den Tod David Bowies in einem Track zu vermengen und dabei trotzdem bei der Sache zu bleiben. Es ist ein bisschen so, als hätte er diese Erzählweise auf dem Vorgänger lediglich geübt, um jetzt die richtig guten Storys auszupacken. Und auch in der Musik entsteht diese Wirkung. Universal Themes experimentierte an einigen Stellen mit einem ziemlich rockigen Bandsound, der hier im großen fortgesetzt wird. Zwar nicht ganz so brachial wie dort, aber die Songs sind auch nicht mehr ganz so minimalistisch wie noch auf Benji. Fast alle Stücke haben zumindest einen Schlagzeugbeat und - was noch viel wichtiger ist - meistens wechselnde Motive. Die klangliche Flexibilität ist die vielleicht coolste Innovation an Comman As Light..., die sich auch wirklich auszahlt. Wenn Kozelek von einer Sekunde auf die andere von Blues-Gehacke in melodisches Picking wechselt oder wie bei Sarah Lawrence College Song mal zwei Sekunden gar nichts zu hören ist, erhöht das nicht nur das Interesse an der Musik, sondern gibt auch den Stories mitunter einen neuen Twist oder erlaubt einen inhaltlichen Einschub. Besonders merkt man das an einem Song wie Stranger Than Paradise, der ein solches Moment eben nicht hat und deshalb gleich ein bisschen langweiliger ist. Besagter Track ist einer der wenigen wirklichen Ausfälle, die dieses Album hat und in denen das von mir befürchtete Szenario eintritt. Ansonsten kann man durchaus sagen, dass Common As Light... der eigentliche legitime Nachfolger von Benji ist. Er hat den großen Umfang, die akribische Auseinandersetzung mit der Musik und vor allem natürlich die großen Geschichten. Das tolle dabei ist, dass die neue Platte nicht im Ansatz so deprimierend ist und sogar einen wirren Humor an sich hat. So wird Butch Lullaby, das ebenfalls eine Hommage an einen verstorbenen Freund von Mark ist, zu einer der witzigsten Nummern, die er je geschrieben hat, da es eben nicht die Umstände des Todes jener Person, sondern seinen einzigartigen Charakter würdigt. Trotzdem bleibt einem an manchen Stellen dabei das Lachen im Hals stecken, was den Song aber nur noch besser macht. Auch im sarkastischen Opener God Bless Ohio oder in Philadelphia Cop kommt dieser Humor wunderbar zur Geltung. So entstehen Stücke, die ähnlich wie auf Benji einfach im Kopf jedes Hörers stecken bleiben und obwohl es am Ende doch das deutlich schwierigere Album ist, teilt es die gleiche Magie wie diese Platte. Common As Light... untermauert auf jeden Fall besser als alles andere seitdem das unglaubliche und eigenwillige Talent des Mark Kozelek und bestätigt mich darin, dass dieser Songwriter für kommende Generation möglicherweise das werden könnte, was Nick Cave oder Tom Waits für die meine sind. Zwar gibt es wahrscheinlich keinen Weg, das Benji irgendwann nicht mehr mein Lieblingsalbum von ihm sein wird, aber mit dieser LP ist er auf jeden Fall verdammt nah dran. Ich denke, dass die Karriere von Sun Kil Moon mit dieser Scheibe einen neuen Höhepunkt erreicht hat, der auch in einigen Jahren noch Anerkennung finden wird. Die meisten Künstler schaffen sowas höchstens einmal. Aber mittlerweile dürfte klar sein, dass Mark Kozelek nicht irgendein Künstler ist.





Persönliche Highlights: God Bless Ohio / Chili Lemon Peanuts / Philadelphia Cop / the Highway Song / Sarah Lawrence College Song / Butch Lullaby / Bergen to Trondheim / I Love Portugal / I Love You Forever and Beyond Eternity

Nicht mein Fall: Stranger Than Paradise / Early June Blues

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Montag, 20. Februar 2017

Don't Stop Believing

Es liegt nicht nur daran, dass ich inzwischen anspruchsvoller bin, es ist tatsächlich so: Früher war mehr guter Hardcore. Mit früher meine ich dabei die Jahre 2011 und 2013, als ich mit dem bloggen anfing und mit guter Hardcore meine ich, dass zu dieser Zeit fast wöchentlich geniale Scheiben von tatsächlich jungen und wilden Bands aus aller Welt erschienen, die richtig Spaß machten. Platten wie YPLL von Retox, Howl von This Routine is Hell, Floral Green von Title Fight oder Tough Love von Pulled Apart By Horses sind musikalische Erlebnisse, die mich damals ein bisschen zum Szene-Fan machten und mich glauben ließen, es wäre immer so. Allerdings war dann mehr oder weniger das Gegenteil der Fall. In den drei darauf folgenden Jahren habe ich kaum wirklich relevante Alben aus dieser Richtung gehört und wenn waren es meistens ziemlich finstere, experimentelle Projekte, die wenig von der schrotenden Hedonie hatten, die ich vorher so geil fand. Doch weil ich ein optimistischer Mensch bin, höre ich seitdem nicht auf, an eine Rückkehr solcher Musik zu glauben. Wenn es zumindest einen Longplayer gäbe, auf dem einfach nur guter Rotzpunk ohne viel Schnickschnack zu hören ist, wäre ich schon ein ganzes Stück glücklicher und in meinem Willen bestärkt. Und mit Dealer aus Oakland hat sich mal wieder eine Band gefunden, von der ich glaube, dass sie diesen Longplayer veröffentlichen könnte. Das kalifornische Trio hat mit Billionaire Boys Club gerade sein Debüt auf Wicked World Records veröffentlicht und macht darauf tatsächlich sehr viel räudigen, nicht weiter konzeptualisierten Lärm. Zehn Songs sind auf 35 Minuten versammelt, die Titel tragen wie Stone Freak oder Total Horse und in denen mal Zeilen hören kann wie "I'll behave / be your slave / no, I insist". Dir Grundvoraussetzungen sind also erstmal gegeben. Und es macht auch definitiv Gaudi, Dealer hier zuzuhören. Mit viel Karacho prügeln sie sich im Affentempo durch die eigentlich viel zu deftigen Tracks und erinnern dabei gerne Mal an die Melvins, Pulled Apart By Horses (ca. 2012) oder Big Ups. Dabei lassen sie hin und wieder ein kleines Faible für Thrash Metal durchblitzen (bestes Beispiel: Solar Dominion) und Kevin Klausen ist nicht nur ein ziemlich guter Schreihals, sondern auch seine eigentümliche Dichtkunst schindet mächtig Eindruck. Es gibt keinen einzigen schlechten Track hier und klanglich kann man zumindest nicht meckern. Für den Moment erfüllt Billionaire Boys Club damit durchaus meinen Anspruch an ein gutes Hardcore-Projekt. Doch bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich es hier tatsächlich mit einem langfristig unterhaltsamen Album zu tun habe. Obwohl ich die LP jetzt ziemlich genial finde, kann ich mir schwer vorstellen, dass ich auch in drei oder vier Jahren Lust verspüre, mir jetzt ganz unbedingt Dealer anhören zu müssen. Viel eher habe ich das Gefühl, dass ich innerhalb von ein paar Wochen bereits genug von den Kaliforniern habe und Billionaire Boys Club im gedanklichen Archiv zu "Kann man sich antun" wandert. Eine definitive Antwort kann ich darauf nicht geben, doch ich befürchte schon ein bisschen, dass genau das passiert. Zum jetzigen Zeitpunkt finde ich die Platte aber großartig und möchte sie jedem empfehlen, der sich auch nur ein winziges bisschen für Hardcore interessiert. Dealer haben die Aufmerksamkeit definitiv verdient und für ihr Debüt ist diese Scheibe hier schon echt ein Hingucker. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass die richtig fette Nummer bei ihnen erst noch kommt. Bis dahin geht die Suche nach dem großen neuen Szene-Album weiter.





Persönliche Highlights: AM Gold / Odious Charme / Total Horse / Stone Freak / Solar Dominion / In the Flesh / Cake Walk

Nicht mein Fall: -

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Sonntag, 19. Februar 2017

Hit Me Harder!

Hauptberuflich ist der kanadische Songwriter Tim Darcy ja eigentlich Frontmann der Garagen-Indieband Ought, einer Gruppe, über die ich trotz ihrer großen Beliebtheit bisher nicht sonderlich viele Worte verloren habe. Ihre bisher zwei veröffentlichten Longplayer fand ich immer ein wenig zu unstrukturiert und ideenarm, um mich wirklich zu überzeugen. Und an Künstler*innen ihres Formats besteht in den letzten Jahren nun weiß Gott kein Mangel. Der Grund, warum ich über das Solodebüt von Darcy jetzt so unbedingt schreiben wollte, ist eigentlich auch ein ziemlich dämlicher: Die erste Single der Platte, Tall Glass of Water, hatte eines der besten Musikvideos des letzten Jahres. Wer sich für gut umgesetzten Cinematismus im Kurzformat interessiert, sollte sich das Ding auf jeden Fall ansehen, doch über dieses Album sagt es eigentlich nichts weiter aus. Was natürlich nicht gleich heißt, dass es schlecht wäre oder so. Es ist zumindest eine ganze Ecke besser als Alles, was ich bisher von Ought gehört habe. Saturday Night ist die organisierte, nach vorn gespielte Art von Platte, die ich von den Kanadiern eigentlich immer hören wollte und damit so gar kein typisches Soloprojekt. Das Songwriting könnte natürlich hier und da noch ein bisschen catchiger sein und einen wirklich sensationellen Track gibt es hier leider nicht, doch Tim Darcy hält hier ein extrem solides Grundniveau, das er mit seiner Band nie wirklich erreichte. Was diese LP ebenfalls sehr spannend macht, ist wie sie sich innerhalb der Spielzeit weiterentwickelt und verändert. Am Anfang hält man Saturday Night für ein mehr oder weniger klassisches Garagen-Projekt, das stellenweise an Künstler*innen wie Mourn, Ty Segall oder Mac DeMarco erinnert. Doch Stück für Stück wird die Komposition schwammiger und der Sound verhuschter und plötzlich hat man mit First Final Days ein verwabertes Shoegaze-Instrumental in der Mitte des Albums. Und von da an geht die Zersetzung noch weiter: Der Titeltrack ist experimentelle Noise-Kunst, Found My Limit und What'd You Release? sind ziemlich gute meditative Slow Burner und der letzte Song Beyond Me balanciert an der Klippe zur Kakophonie. All diese Register haben Ought auf ihren Platten auch auf dem Kasten, doch es ist schön zu hören, dass Darcy nicht alle gleichzeitig ziehen muss, sondern damit eine spannende Dramaturgie für sein Album erschafft. Diese Kontrolle und stilistische Beschrenktheit ist sicherlich das beste an Saturday Night. Trotz allen schönen Vorteilen und obwohl ich es mir am Ende doch sehr gewünscht hätte, ist die LP nie wirklich besser als gut. Was dem Kanadier zum wirklich packenden Solo-Einstand noch fehlen würde, wären doch ein paar mehr Melodien oder zumindest Riffs, die in den Kopf steigen. Tall Glass of Water ist okay, aber man bleibt nach dem Hören nicht wirklich daran hängen. Sollte Tim Darcy eventuell als Alleinunterhalter weitermachen, würde ich mir wünschen, in diese Richtung auszubauen. Dann könnte er nämlich tatsächlich eines der besseren modernen Garagen-Alben aufnehmen und nicht mehr nur durch gute Musikvideos punkten.





Persönliche Highlights: Tall Glass of Water / Joan Pt. 1, 2 / First Final Days / Found My Limit / What'd You Release?

Nicht mein Fall: Saturday Night

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Samstag, 18. Februar 2017

Gib dir mehr Zeit für dich

Gerade mal knapp zwei Jahre ist es her, dass ich in diesem Format über eine LP namens Schick Schock der Wiener Band Bilderbuch schrieb und es ist einigermaßen unfassbar, was seitdem alles passiert ist. Die Musikszene der Alpenrepublik ist im letzten Jahr innerhalb weniger Wochen und Monate in alle Richtungen explodiert und im Moment das erste Mal seit dem späten neunzehnten Jahrhundert relevanter als die der Bundesrepublik. Bilderbuch selbst tragen dafür eine sicherlich nicht unwesentliche Verantwortung und haben auch im gesamten deutschen Kulturraum für ein schrulliges neues Selbstverständnis gesorgt, das unter anderem dafür sorgte, dass 2016 Künstler wie Von Wegen Lisbeth so durch die Decke gingen. Und nicht zuletzt war Schick Schock selber natürlich eine einzige Hit-Maschine, deren Songs in Sachen denkwürdiges Radio-Material noch immer ganz weit oben stehen und die ich noch immer jedem empfehlen kann, der sie nicht sowieso schon auswendig kennt. Wie aber jeder weiß ist es bei einem solchen Monolithen an Platte immer äußerst schwierig, künstlerisch anzuschließen. Im Fall von Bilderbuch sogar ganz besonders, denn diese LP war damals die eine große Trumpfkarte, auf die die Wiener alles setzten. Zu diesem Bombastwerk einen Nachfolger zu schreiben, war also die ultimative Herausforderung für das Quartett. Wenn man sich die Interviews durchliest, die Sänger Maurice Ernst in den letzten Wochen en masse gegeben hat, kommt dieser Druck auch immer wieder durch. Bilderbuch verstehen sich als Popband und ihren Fans gegenüber in einer immensen Verantwortung, gleichzeitig sind sie jedoch auch die größten Freigeister, die der deutschsprachige Mainstream seit Jahren gehört hat. Diese Kombination war es, die Schick Schock so speziell machte und diese Art und Weise wollte man sich bewahren. Doch es sollte auch vorwärts gehen. Ruhiger und experimenteller sollte Magic Life, das neue Projekt der Österreicher werden. Statt der großen Party, die 2015 und 2016 für Bilderbuch waren, sollte die Ruhe nach dem Sturm dokumentiert werden. Zurückhaltung statt Power-Button. Bungalow statt Dschungel. Die Frage bei einer solchen Tendenz ist offensichtlich: Wie sieht Zurückhaltung bei dieser Band aus? Einer Band, die vor allem durch ihre maximalistische Art und Weise, ihren Pomp und ihre knalligen Songs auffällt? Muss man auf das alles jetzt verzichten? Die Antwort darauf kam eigentlich schon im letzten Sommer mit der ersten Single Sweetlove. Der Track war ein typisches Bilderbuch-Stück, mit all der Überzogenheit, Fancyness und Catchiness die dazugehört. Doch war er gleichzeitig auch subtiler und gemütlicher als vieles davor und konzentrierte sich mehr auf einen kompositorsichen Kern, als in alle Richtungen auszubrechen. Und ich würde mich jetzt so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, dass diejenigen, die Sweetlove verstanden haben, auch Magic Life verstehen. Das neue Album ist das gleiche songwriterische Konzept wie sein Vorgänger, nur wird hier nicht jede Sekunde mit allen möglichen Stilmitteln vollgestopft, sondern den Ideen im großen und ganzen mehr Luft gelassen. Das hat zwar die logische Folge, dass es hier so gut wie keine Instant-Banger gibt (der einzige direkt erkennbare ist eigentlich Bungalow), doch dass man den Strukturen, die Bilderbuch aufbauen, diesmal auch folgen kann. Es fühlt sich gut an, ein Gitarrensolo hier nicht als Bonus-Feature eines eh schon total überzuckerten Tracks zu hören, sondern tatsächlich als sinnvolles kompositorisches Mittel. Durch diese Herangehensweise hat Magic Life endlich auch das, was Schick Schock trotz aller Genialität nicht haben konnte: Einen geschlossenen Album-Sound. Und eigentlich sollte ich die neue Platte deswegen lieber mögen als ihren Vorgänger. Doch leider bringt das neue Konzept auch einige Nachteile mit sich. Der für mich sicherlich bitterste ist, dass man durch die Reduzierung, die auch auf lyrischer Ebene stattfindet, hier weniger abgefuckte One-Liner von Maurice Ernst zu hören bekommt. Und natürlich hätte ich mich über ein oder zwei Pop-Bretter mehr auch nicht beschwert. Wenn man sich das große Bild so ansieht, ist Magic Life weniger das Album für die Leute, die Bilderbuch aus dem Radio kennen, sondern eher für die, die sich tatsächlich ernsthaft mit dem Innenleben ihrer Songs auseinandersetzen wollen. Welche Platte ich persönlich nun besser finde, kann ich im Moment aber noch nicht sagen. Gerade hat die neue ein bisschen die Nase vorn, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Schick Schock am Ende die stärkeren Argumente hat. Das wichtigste ist aber, dass Bilderbuch auch hier interessant bleiben und ich Lust habe, sie weiter zu hören. Noch vor einigen Wochen fand ich das nicht so selbstverständlich.





Persönliche Highlights: Sweetlove / Bungalow / Superfunkypartytime / Investment 7 / Baba / Babylon

Nicht mein Fall: Sag deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt

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Freitag, 17. Februar 2017

Einer flowt übers Kuckucksnest

Ich muss mich zunächst mal vehement gegen die eventuell sehr bald erhobenen Vorwürfe stellen, ich würde jetzt über Quelle Chris schreiben, weil es auf einmal alle tun. Dem ist nämlich tatsächlich nicht so. Schon seit einigen Jahren bin ich mir der Existenz des Detroiter MCs bewusst, genauer gesagt seit seinem 2013 veröffentlichten Album Ghost at the Finish Line. Von damals an habe ich mir so gut wie jedes seiner Projekte zwar angehört, fand es aber jedes Mal überflüssig, darüber viele Worte zu verlieren. Chris war ein guter Rapper, aber trotz seiner extravagenten Art stach er unter anderen Kollegen meiner Meinung nach nicht genügend heraus, um möglicherweise für euch interessant zu sein. Wie auch immer, mit diesem neuen Album hat sich diese Situation mehr oder weniger dramatisch verändert. Bereits als vor einigen Wochen die geniale Single Birthdaze erschien, war ich plötzlich ziemlich gespannt, was der verrückte Hund jetzt auf einmal ausbrütete und spätestens als ich innerhalb der letzten paar Tage die vielen sehr positiven Besprechungen der Platte sah, wollte ich unbedingt auch mal genauer hinhören. Und man kann definitiv sagen, dass Quelle Chris für Being You is Great... sein Game ordentlich upgesteppt hat. Über eine Stunde geht die neue LP, 17 Tracks sind darauf und fast jeder davon hat mindestens ein spannendes Feature am Start. Und mit spannend meine ich nicht, dass man die Namen der beteiligten MCs unbedingt kennt (obwohl, Rob Marciano, Alchemist, Elzhi und Homeboy Sandman sind jetzt nicht wirklich Niemande). Es heißt vor allem, dass die Gastbeiträge meistens sehr gut sind. Und dass der Hauptakteur in einer solchen Ansammlung von lyrischer Qualität nicht selbst untergeht, spricht auf jeden Fall für seine Performance. Dabei ist Chris alles andere als ein technischer Rapper oder sowas. Seine Parts sind teilweise so minimalistisch, dass eine Zeile, die mitunter nicht mal einen sinnvollen Satz bildet, ständig mit nur sehr geringer Veränderung wiederholt wird. Gewöhnungsbedürftig ist das durchaus, aber ich für meinen Teil kann mich dafür durchaus begeistern. Natürlich gibt es daneben auch lyrisch sehr komplexe Tracks wie Birthdaze, Fascinating Grass oder Calm Before, die zwar nicht weniger verständlich, aber eben sprachlich ein Träumchen sind. Ein bisschen erinnert mich Quelle Chris damit an Aesop Rock, auch wenn hier selbst die Musik ziemlich weird ist. Doch wo diese Eigenschaft auf seinen vergangenen Alben einfach nur da war, schafft es Being You is Great... es erstmals, diese Weirdness zu etwas coolem zu kultivieren. Zumindest an den meisten Stellen. Der Opener Buddies ist ein fantastisch introvertierter Monolog, Popeye hat nicht nur ein grandioses Instrumental, Fascinating Grass wird zum eigentümlichen Posse Cut der dritten Art und Birthdaze ist das, was man in dieser Gesellschaft wahrscheilich einen Hit nennt. Zugegeben; Nicht überall haut das groß angelegte Konzept der Platte hin und in einigen Momenten driften Songs wieder in die Belanglosigkeit ab, die frühere Projekte hatten. Dennoch ist Being You is Great... die bisher vielleicht gelungenste Unternehmung des Detroiters. Wenn Chris diese Schiene in den nächsten Jahren weiter fährt und dafür vielleicht davon absieht, alle paar Monate ein neues Album zu droppen, könnte es noch etwas werden mit einem Longplayer, der wirklich alle (und vor allem mich, hehe) vom Hocker haut. Das Zeug dazu hat dieser Typ auf jeden Fall. Aber hat er auch den Willen?





Persönliche Highlights: Buddies / Popeye / Fascinating Grass / BS Vibes / Birthdaze / It's Great to Be / Pendulum Swing

Nicht mein Fall: the Dreamer in the Den of Wolves

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Mittwoch, 15. Februar 2017

Die toten Laseraugen von London

Dass das britische Grime-Game momentan wieder schwer en Vogue ist, müsste spätestens jetzt jeder aufmerksame HipHop-Konsument irgendwie mitbekommen haben. In den letzten Monaten habe ich so viel englische, schottische und irische Rapper*innen gehört wie wahrscheinlich noch nie zuvor und das in zig möglichen Kontexten. Und obgleich mir das meiste dabei auch sehr gefällt und ich das Szene-Revival generell begrüße, finde ich es doch merkwürdig, dass sich der Hype größtenteils auf Künstler*innen beschränkt, die auch während der ersten Welle schon cool waren. Leute wie Stormzy, Skepta und Wiley sind alles andere als Newcomer, sondern teilweise schon seit knapp zwanzig Jahren im Business, trotzdem werden sie noch immer nicht von jüngeren, cooleren MCs verdrängt. Zumindest bis jetzt. Denn mit Doctor Zygote und King Kashmere aka Strange U aus London veröffentlicht dieser Tage ein Kollektiv zweier wirklicher Neulinge sein Erstlingswerk, das auch einiges an neuen Impulsen verspricht. Hauptgrund für diese gewagte Prognose war für mich die Single Grizzle, die vor einigen Wochen bei YouTube auftauchte und bei mir ordentlich Eindruck machte. Nicht nur war dieses Duo auf den ersten Blick wunderbar exzentrisch und krass drauf, auch musikalisch stand hier einiges dahinter. Doctor Zygotes Texte sind wirr, aber grandios performt und lyrischen Charakter hat dieser Typ für Fünf. Kashmeres Beats haben dazu etwas an sich, das mich angenehm an die frühen HipHop-Pioniere wie Afrika Bambaataa und Grandmaster Flash erinnert, gleichzeitig aber die finstere Ästhetik der Szene besonders dick aufträgt. Dass die beiden das erste große neue Gesicht des neuen Grime wird, ist also durchaus wahrscheinlich. Dieses Album macht dabei auf jeden Fall Mut. #LP4080 ist zwar in keinerlei Hinsicht ein Meisterwerk, dafür ist es an einigen Stellen doch noch zu einseitig und zu underground, doch es setzt definitiv schon mal ein Zeichen. Ich persönlich kenne zumindest keine Platte, die so klingt wie das hier. Der Sound der LP ist extrem böse und grantig, aber gleichzeitig irgendwie futuristisch und wildwüchsig, als hätte man das letzte Album von Danny Brown mit drei Kilo Crack in eine Gummizelle gesetzt. Und zu dieser Ästhetik passt dann eben nichts besser als die komplett abstrusen Zeilen von Doctor Zygote, der die Bösartigkeit noch mal verdoppelt. Denn obwohl seine Texte sehr comichaft und surreal sind, finden sich doch ständig auch knallharte politische Kommentare wie in Eden's Husk oder Mr. Kill, die ein apokalyptisches Bild seiner Umwelt zeichnen und in denen man Optimismus vergeblich sucht. Die Kombination aus Inhalt und Style ist dabei letztendlich das, was dieses Album so revolutionär macht und weswegen man sich daran erinnern wird. An manchen Stellen ist das Konzept von Strange U jedoch auch noch ausbaufähig. Zum einen ist vor allem die ersten zehn Minuten der Platte ein wenig monoton geraten und einen wirklichen Banger gibt es kaum. Gerade am Anfang wäre sowas aber schön gewesen, um sich an die komplizierte Ästhetik dieses Albums zu gewöhnen. Zudem ist auch Zygotes Flow nicht der beste und was textlich durchaus an Punchline-Material da ist, versandet oftmals in der Performance. Würde man diese kleinen Mankos klären, wäre #LP4080 ein absolut perfektes Debüt, so ist es nur ein ziemlich gutes. Strange U gehören damit auf jeden Fall zu den für mich spannendsten Newcomern des Jahres 2017 und ein Team, von dem man noch sehr viel erwarten kann. Und diese LP wird mit Sicherheit in die Annalen von CWTE eingehen als eines der fiesesten und düstersten Alben, die ich je besprochen habe. Aber definitiv auch eines der innovativsten.





Persönliche Highlights: Shots / Hanging Chads / Grizzle / Taurus / Hank Henshaw / Mr. Kill / Daisy / Mumm Ra / Illuminations / Zuul

Nicht mein Fall: Waste of Space

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Dienstag, 14. Februar 2017

Playlist: Liebe 2017

Seitdem ich vor ein paar Jahren damit angefangen habe, ist mir meine alljährliche Valentinstags-Playlist zu einer der liebsten Rubriken geworden. Der Grund dafür ist eigentlich recht einfach und rational: Lovesongs gibt es wie Sand am Meer und mit dieser Liste bietet sich einmal in der Saison die Gelegenheit, euch ein paar meiner Favoriten aus dieser Sparte zu präsentieren. Zwanzig davon sind es diesmal wieder und ich würde mich freuen, wenn sie einigen von euch den heutigen Tag noch ein wenig versüßen. Meine Liebe geht dabei an alle, die hier regelmäßig lesen, kommentieren und so weiter und an alle Menschen, die Musik machen. Ihr seid die besten. Küsschenemoji.

THE JESUS & MARY CHAIN
Just Like Honey (1985)
Für den romantischen Kerzenlicht-Abend und für, ähem...alles danach ist dieser Track mit seinen verruchten, verhuschten Gitarren, dem kuscheligen Schlagzeug und vor allem dem sedunktiven Slacker-Gesang von Jim Reid wie geschaffen und für mich persönlich ein unkaputtbarer Klassiker, was betörende Lovesongs angeht. Für euch getestet.


ROXY MUSIC
Love is the Drug (1975)
Ein weiterer Megahit der romantischen Liedkunst und ein Song, der in seinen vier Minuten alle kompositorischen Register zieht: Von dancy über gemütlich und ein bisschen düster bis ganz schön erotisch spielen Roxy Music hier ein Spektrum an Emotionen durch, das man ihnen manchmal gar nicht zutraut. Aber am Ende gibt es wahrscheinlich keinen, der den schmachtenden Worten von Bryan Ferry nicht zustimmen wird.

QUEENS OF THE STONE AGE
In My Head (2005)

Romantik gehört traditionell eher weniger zu den Fachgebiten der Queens of the Stone Age und auch In My Head ist am Ende eher für diejenigen gedacht, die darunter wilden Sex in einem Cabrio mitten in der Wüste verstehen. Aber weil zur Liebe schließlich auch immer Dopamin gehört, hat auch dieser Song seine unbestreitbare Berechtigung. Ganz abgesehen davon, dass er ziemlich gut ist.


PRINCE & THE REVOLUTION
Purple Rain (1984)

Mit Erschrecken habe ich festgestellt, dass augerechnet Prince, der Großmeister des anzüglichen Songwritings, bisher in keiner meiner Playlisten vorkam und das musste natürlich sofort behoben werden. Und auch wenn die Wahl ziemlich offensichtlich ist: Nirgendwo in seiner Diskografie findet man ein Stück, das einem so das Herz bluten lässt wie good ol' Purple Rain. Ruhe in Frieden, du alter Sexgott!

MARCHING CHURCH
Hungry for Your Love (2015)

Hits gab es jetzt erstmal genug und mit Hungry for Your Love haben wir hier direkt das komplette Gegenteil. Diese knapp sieben Minuten Musik sind straight up Avantgarde und nichts für schwache Nerven, doch nichtsdestotrotz vielleicht das leidenschaftlichste Liebeslied, das ich in den letzten Jahren gehört habe. Manchmal muss man nämlich auch ein bisschen rumschreien, wenn es weh tut. Ihr kennt das.

KINGS OF LEON
Use Somebody (2008)

Der Fakt, dass dieses der Song ist, der die Kings of Leon zum Sellout machte sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Use Somebody an sich noch immer total klasse ist. Leidenschaftlich zu singen ist seit eh und je der Broterwerb von Caleb Followill, doch hier kommt erstmals auch der hymnische Stadion-Faktor der Band und die epischen Backing-Vocals hinzu, die den Track zu einem echten Herzschmerz-Brecher machen. Zu recht ein Schwergewicht in der Diskografie der Amerikaner.
ANTILOPEN GANG
Verliebt (2015)

Lovesongs im HipHop sind nach wie vor eine überschaubare Angelegenheit und dass Antilopen Gang mit einem solchen ihren letzten großen Durchbruch schafften, ist umso erstaunlicher. Aber Verliebt ist auch ein absoluter Hingucker: Die textliche Balance zwischen Coolness und Romantik stimmt, die Hook ist fantastisch und das Knutschen mit Monchi im Video sorgte sogar noch für ein richtiges Statement. In meinen Augen nach wie vor der beste Antilopen-Track überhaupt.
SONNY & CHER
I Got You Babe (1965)
Ein Film mit Bill Murray und UB40 haben dafür gesorgt, dass diesen Song schon seit einiger Zeit keiner mehr ernst nimmt. Dennoch ist dieses legendäre Duett von Sonny Bono und seiner damaligen Frau Cher nicht nur stilistisch nach wie vor grandios, sondern vor allem das Zeugnis einer wunderbaren künstlerischen Aufarbeitung der Beziehung im Zeitkontext. Für den heutigen Tag reicht aber auch einfach Hören und den Kitsch triefen lassen.

THE KOOKS
Junk of the Heart (Happy) (2011)

Es wird ja an den Kooks immer gerne kritisiert, dass sie so furchtbar schmalzig und niedlich klingen. Dafür sind sie aber auch sofort zu Stelle, wenn man mal genau das braucht. Mein Tipp für heute ist ein eher geschmähter Song, den ich aber immer als ein Highlight ihrer Diskografie gesehen habe. Für den jetzigen Anlass ist er definitiv genau das richtige.


WANDA
1, 2, 3, 4 (2015)
Wenn sich eine Band das Wort "Amore" so plakativ auf die Fahne schreibt wie Wanda es tun, kann man sich für eine Liste wie diese getrost großzügig bedienen. Romantisch ist sowieso jeder Song, von der Liebe singt Marcus Michael ständig, und wenn es dabei um seine Cousine geht, dann geht es eben um seine Cousine. 1, 2, 3, 4 ist in dieser Hinsicht also so gut wie jedes andere Stück der Österreicher und erst der Anfang einer langen Reise.

SKEETER DAVIS 
End of the World (1963)
Man könnte diesen Song für ziemlich viele Dinge hassen und im eigentlichen ist er auch ein relativ standardmäßiger Ami-Schlager der frühen Sechziger. Doch die Art und Weise, wie Frau Davis hier so naiv und apathisch über das Ende eine Liebe, deren Folge ganz logisch das Ende der Welt ist, singt, machen mich jedes Mal wieder schwach. Wenn so die Apokalypse klingt, möchte ich sie unbedingt mal erleben.

KELIS
Acapella (2010)
Weil ich mir als musikalisches Informationsmedium auch ein bisschen Vielfalt auf die Fahne schreibe, kommt hier mit Acapella ein von David Guetta produzierter Club-Banger über Liebe. Wer jetzt gleich vom schlimmsten ausgeht, den kann ich aber beruhigen. Denn mit Kelis ist hier eine sehr talentierte Songwriterin auf dem kreativen Höhepunkt ihrer Karriere beteiligt, die diese Nummer zu einem sehr angenehmen und natürlich tanzbaren Ergebnis bringt. Geheimtipp!
OTIS REDDING
Try A Little Tenderness (1966)
Wenn es einen Künstler gibt, von dessen Songs man Beziehungsberatung annehmen sollte, dann definitiv von Otis Redding. Und insbesondere dieser Song beinhaltet bereits im Titel die Quintessenz eines erfolgreichen Zusammenlebens. Ganz nebenbei ist er auch noch so soulig und stimmig, dass die meisten den Track nur noch als prominentes Sample eines Jay-Z-und-Kanye-Stücks kennen. Das Original hält aber definitiv durch.

FAILURE
Stuck On You (1996)
In meinen Augen ist Stuck On You der letzte richtig große Hit der Grunge-Ära und dass er so eine Schnulze ist, sagt definitiv einiges über die Szene im Jahr 1996 aus. Nichtsdestotrotz machen Failure hier nochmal einen fiesen Brecher von Power-Ballade mit einer fabelhaft penetranten Gitarrenline, riesiger Hook und der richtigen Menge Verzweiflung und alienation, um ihre Wurzeln nicht zu vergessen. Die beste Mischung aus Karohemd und Pailetten-Sacko wo gibt. Versprochen.
NICK CAVE & THE BAD SEEDS
(Are You) the One That I've Been Waiting For (1997)

Wenn Nick Cave jemanden liebt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person im weiteren Verlauf des Songs noch stirbt, relativ groß. Mit diesem Song liefert der Totengräber des Rock'n'Roll jedoch eine mehr oder weniger klassische Ballade, die trotzdem dorthin geht, wo es weh tut und bei der verknallte Euphorie fehl am Platz ist. Gute Laune wäre für den Australier ja auch keine Option.

BIG BROTHER & THE HOLDING COMPANY
Piece of My Heart (1968)

Wenn man mit einer Musikerin besonders gut gemeinsam leiden kann, dann ist es definitiv Janis Joplin. Im größten Hit der Holding Company schreit und wütet die Hippie-Diva, als ginge es um ihre Haut und man glaubt dabei absolut jedes Wort. Und dabei ist Piece of My Heart thematisch gar nicht mal so negativ konnotiert. Das ist wahrscheinlich das bittere los des Blues, von dem alle reden.

THE WHITE STRIPES
You've Got Her in Your Pocket (2003)
Alle reden immer über den Gitarristen Jack White, dabei ist er als Texter mindestens ein ebenso großes Talent. Spätestens seitdem er selbst zu diesem Song vor laufender Kamera mit den Tränen kämpfte, läuft auch mir immer ein kleiner Schauer über den Nacken, wenn ich das hier höre. Zwar eher ein Trennungs-Stück als ein Liebeslied, aber gerade deswegen so unglaublich packend.


THE SUBWAYS
Rock & Roll Queen (2005)
Weil die ganzen letzten Posten von so schmerzintensiven Songs besetzt waren, hätte man fast vergessen, dass Liebe vor allem Spaß machen kann. Und niemand hat das Konzept Spaß im neuen Jahrtausend so gut verstanden wie die Subways mit diesem Track. Und man sollte definitiv niemals den Romantik-Faktor eines solchen Titels unterschätzen. Wer will schon nicht jemandes Rock & Roll-Königin sein?

MONEY BOY
An diesem einen Tag am Rummelplatz (2013)
Sorry Not Sorry: Der letzte Song des Debüts von Money Boy ist in meinen Augen nicht weniger als ein kleines Meisterwerk und definitiv eine Facette von Beezy, die viel mehr Leute kennen sollten. Vielleicht nicht unbedingt das Material fürs erste Date, aber wenigstens mal ein etwas anderer Valentinstags-Hit. Auch in der Liebe gehört gelegentlich der Swag aufgedreht.


TON STEINE SCHERBEN
Komm schlaf bei mir (1972)
Ganz zum Schluss dann noch noch mal ein wirklich romantischer Song und zwar einer von Rio Reiser, einem meiner Meinung nach unterschätzten Liebeslied-Poeten. Auch wenn Komm schlaf bei mir noch ein bisschen den Revoluzzer-Vibe von Keine Macht für Niemand teilt, ist es doch im Kern eine sehr ehrliche Ballade, die auch Jahrzehnte nach der sexuellen Revolution der frühen Siebziger noch jede Menge Substanz hat. Zeitlos nennt man so etwas glaube ich.



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Montag, 13. Februar 2017

Jah Bless

Es gibt keinen sinnvollen Grund dafür, dass ich genau jetzt wieder damit anfangen will, Musik von Thievery Corporation zu hören. Das Soundsystem aus Washington D.C. war weder besonders lange Weg (der letzte Longplayer ist von 2014), noch hat es in dieser Zeit groß etwas anderes gemacht als schon immer: bodenständige, tanzbare, Roots- und Dub-Platten, die mittlerweile vielleicht nicht mehr ganz in den Zeitgeist passen, aber qualitativ nie deutlich abgenommen hatten. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich in den letzten Monaten mein ewiges Faible für Reggae mal wieder neu entdeckt habe oder das ganze Zweitausender-Retro sein soll, aber ich hatte irgendwie große Lust, über the Temple of I & I zu schreiben. Und über diese Entscheidung bin ich sehr froh, denn was die US-Amerikaner hier auffahren, ist tatsächlich absolut erste Sahne. Ich habe den Output des Duos in den letzten Jahren zugegebenermaßen nicht besonders akribisch verfolgt und kann nicht sagen, ob das hier seit damals alles so geblieben ist oder ob Thievery Corporation hier endlich wieder Relevanz zeigen, ich finde es einfach nur gut. Und das vor allem, weil die neue LP so unglaublich vielschichtig ist. Dass gleich das Intro des Openers Thief Rockers einen ganz tief in den Dub-Sumpf zerrt, sollte einen zunächst mal nicht täuschen, denn was innerhalb dieses Kosmos abgeht, ist wesentlich mehr als nur die erneute Ausweidung der immer gleichen musikalischen Formel (was ich an ihren früheren Sachen immer ein bisschen doof finde). Der Sound der Platte ist angenehm offen und sauber, schafft es aber trotzdem, das rustikale Gefühl, ohne das man Roots-Reggae nun mal nicht machen kann, an den richtigen Stellen einzufangen. Das gelingt zum einen mittels kompositorischer Kniffe und durch eine Vielzahl von analogem Instrumentarium, vor allem aber mal wieder durch die Gäste auf dem Album. Da gibt es zum einen klassische, abgeklärte Szene-Hardliner wie Notch, Mr. Lif oder Zee, in deren Beiträgen das Patois nur so trieft und man mit den religiösen Schlagwörtern Bingo spielen kann. Auf der anderen Seite stehen jedoch, wie ebenfalls auf vielen Alben zuvor, die von den beiden Hauptakteuren handverlesenen Überraschungen, die auch hier ein absolutes Highlight darstellen. Mit Racquel Jones ist eine äußerst talentierte Grime-Rapperin mit am Start und im Mittelteil gibt es ein paar wunderbar soulige Gesangsparts von Lou Lou Ghelichkhani und Shana Halligan. Einzig die Performance von Elin Melgarejo in Lose to Find ist etwas lahm geraten. Lediglich zwei Stücke der Tracklist wurden von Rob Garza und Eric Hilton allein aufgenommen und bilden sozusagen die chilligen Ruhepole zwischen dem schnellen Ein und Aus der Featured Artists. Knapp eine Stunde geht the Temple of I & I in dieser Art und Weise und es gibt dabei nur sehr wenige Momente, in denen ich mich nicht unterhalten fühle. Natürlich ist das hier weder die Neuerfindung eines Genres noch so richtig true und oldschool. Doch ist fast jeder Song hier ein Hit und vor allem funktioniert das ganze hier auch als Gesamteindruck wahnsinnig gut. Damit machen Thievery Corporation mit Abstand das beste aktuelle Reggae-Album, das ich jemals auf diesem Blog besprochen habe. Angesichts der Tatsache, dass ich das nicht so häufig tue, ist das keine so große Kunst, doch als Fan der alten Schule bin ich auch nicht so leicht zu beeindrucken. The Temple of I & I hat das geschafft. Und dabei hatte ich anfangs noch gezögert, ob ich überhaupt darüber schreiben soll. Selassie sei Dank, dass ich es getan habe.





Persönliche Highlights: Thief Rockers / Letter to the Editor / Strike the Root / True Sons of Zion / the Temple of I & I / Weapons of Distraction / Road Block / Babylon Falling / Drop Your Guns

Nicht mein Fall: Lose to Find

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Samstag, 11. Februar 2017

Wenigstens ein Happy End

In einer alternativen Realität hätte Lupe Fiasco möglicherweise der Rapper werden können, der heute Kanye West ist. Er hatte mehr oder weniger zur selben Zeit seinen Durchbruch mit einem Album, das zu gleichen Teilen kommerzielles Potenzial und lyrisches Talent zeigte, tritt immer wieder als kontroverser Charakter in Erscheinung, traut sich ständig, unpopuläre Entscheidungen zu fällen und wird dafür heftig in den Medien diskutiert. Dass er heute eben doch nur Lupe Fiasco ist, hat sicherlich mit Totalausfällen wie Lasers zu tun und dass er am Ende doch nicht das Durchsetzungsvermögen eines real existierenden Kanye hatte. Aber mittlerweile können wir ja froh sein, dass er überhaupt noch Musik macht und wir jetzt mit Drogas Light doch noch eine neue LP von ihm bekommen haben. Seine letzte, Tetsuo & Youth von 2015, war in meinen Augen ein echtes Highlight und zeigte vor allem nach langer Zeit wieder, was dieser Rapper eigentlich für Ambitionen hatte. Und diese hätte ich hier für meinen Teil gerne noch ein bisschen ausgebaut gesehen. Nach den Kontroversen der jüngsten Vergangenheit muss sich der Chicagoer sowieso für nichts mehr rechtfertigen und eine Erweiterung des schöngeistigen Vorgängers wäre sehr zu begrüßen. Doch man kann nicht sagen, dass Drogas Light diese geworden ist. Viel mehr erleben wir hier wieder einen der seltsamen Mainstream-Flashbacks, die bei Lupe Fiasco noch nie gut funktioniert haben. Die bisher veröffentlichten Singles Jump und Tranquillo waren zwar gar nicht übel und funktionierten als Club-Hits, als die sie auch konzipiert waren. Doch kann man das keinenfalls über das fertige Album sagen. Mit dem Intro Dopamine Lit wird die Messlatte gleich am Anfang sehr hoch angesetzt (ohne Mist, der Track ist genial), nur um das Niveau danach rapide abtauchen zu lassen. Promise ist der schlechteste Drake-Klau, den ich seit Jahren gehört habe, Made in the USA zwar ein Banger, aber ein arg peinlicher und City of the Year einfach nur ekelhaft. Die beiden Singles retten den ersten Teil noch vor dem totalen Untergang, doch den Eindruck, dass die Platte mit jedem Song schlechter wird, hat man irgendwie trotzdem. Der zweite Teil beginnt mit Kill (siebeneinhalb Minuten pure Ödnis) und Law erstmal auch ziemlich furchtbar, doch gelingt der LP danach der krasseste musikalische Plot-Twist, den ich dieses Jahr gehört habe. Die älteste Single Pick Up the Phone läutet einen ziemlich gitarrenlastigen Songkomplex zum Ende des Albums ein und liefert mit It's Not Design und Wild Child gleich noch zwei weitere großartig sonnige Crossover-Hits. Das tolle an diesen Nummern ist vor allem, dass sie endlich mal textlichen Inhalt vorweisen können und einen gemeinsamen Vibe erzeugen. In der letzten Viertelstunde von Drogas Light schafft es Lupe Fiasco also tatsächlich noch, richtig gutes Songwriting und ein paar richtig fetzige Hooks abzuliefern, die genau die Weiterentwicklung darstellen, die ich von ihm hier die ganze Zeit hören wollte. Man muss sich schon fragen, warum er mit Schätzen wie diesen so lange hinter dem Berg hält und uns vorher so viel Mist auftischt, wenn er locker ein ganzes Album mit guten und vor allem innovativen Songs hätte füllen können. Wahrscheinlich fällt dieses Verhalten unter die Unberechenbarkeit von Lupe Fiasco, die bei ihm immer gleichzeitig Verhängnis und Rettung ist. In diesem Fall macht es Drogas Light zu einem ziemlich miesen Gesamtwerk, das aber wenigstens ein paar der besten Songs von Fiasco überhaupt in den letzten fünfzehn Minuten raushaut. Verstehen soll das wer will, aber am Ende kann man droh darüber sein. Denn so hat der Chicagoer mal eben ganz knapp nicht sein neues Lasers gemacht.





Persönliche Highlights: Dopamine Lit (Intro) / Jump / Pick Up the Phone / It's Not Design / Wild Child

Nicht mein Fall: Promise / Made in the USA / City of the Year / High / Kill / Law

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Freitag, 10. Februar 2017

Das Sterben geht weiter

In meinem ersten Post zu den Prognosen dieses Jahres hatte ich geschrieben, dass ich mich dieses Jahr freuen würde, wenn es nicht immer nur großartige Metal-Releases aus dem Bereich des Black Metal geben würde und nach wie vor ist das natürlich mein Wunsch (der mit der neuen Platte von Kreator ja schon ein Stück in Erfüllung gegangen ist). Trotzdem ist es mir natürlich ein besonderes Vergnügen, hier und heute das erste Black-Metal-Review des Jahres zu schreiben und ganz besonders deshalb, weil es darin um ein Album von Wiegedood geht. Das Dreigespann aus dem belgischen Gent, das in der dortigen Szene sozusagen eine Art Supergroup ist, hatte bereits vor zwei Jahren auf sich aufmerksam gemacht, als es mit dem ersten Teil von De Doden Hebben Het Goed, das gleichzeitig auch ihr Debüt war, eines meiner Lieblingsalben des Jahres veröffentlichten. Ihr Stil fand irgendwo zwischen der nihilistischen Brutalität der norwegischen Genre-Großväter, dem atmosphärischen Sound der amerikanischen Bewegung und dem sehr eigenen Vibe der Genter Musiklandschaft statt, in der auch Bands wie Amenra, Oathbreaker oder Raketkanon zuhause sind. Diese hochexplosive und kreative Mischung sorgte für ein einmaliges und bombastisches Ergebnis, das ich immer noch jedem Freund von gut gemachtem Black Metal ans Herz legen möchte. Doch die offensichtliche Qualität des Vorgängers machte es gleichzeitig schwer, mich mit einem Nachfolger anzufreunden, noch dazu mit einem, der explizit als zweiter Teil der DDHHG-Serie angegeben wird. Dem Debüt war eigentlich nichts mehr hinzuzufügen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich die neue LP nicht mögen würde, war relativ hoch. Doch genau an dieser Stelle habe ich mich in den Belgiern getäuscht. Denn wo sie schon zuletzt einige sehr ungewöhnliche Hakenschläge durchführten, die sie vom Rest des Genre-Mainstreams abhoben, tun sie das hier wieder. Nur diesmal eben, um nicht ihr erstes Album nochmal zu machen. Im großen und ganzen bedeutet das, dass DDHHG II noch etwas weiter vom stilistischen Kern des Black Metal Abstand nimmt und mehr die Nähe zut Nische sucht. Viele Songs setzen noch stärker auf die subtileren Atempausen, die nicht nur häufiger, sondern auch besser kommen und der Sound ist weniger traditionell. Auch hört man spätestens hier deutlich den Bezug zum typischen Genter Stil, da die Band hier ziemlich großzügig Elemente aus Hardcore und Doom einbindet. Das führt gerade im Opener Ontzieling und im Titeltrack zur Herausbildung neuer Stärken, wie einigen fast unbegleiteten Schrei-Parts, die wahnsinnig stark rüberkommen oder den bereits angesprochenen ruhigen Passagen, die äußerst filigran in die Kompositionen eingestreut wurden. Und wo man zum Anfang noch denkt, dass Wiegedood hier aber schon eine für ihre Verhältnisse ganz schön peacige Platte gemacht haben, brettert spätestens der zweite Teil von Cataract aufs übelste los und überzeugt einen Stück für Stück vom Gegenteil. Zum Ende des Titelsongs und in den kompletten sechs Minuten von Smeekbede wird es zeitweise sogar ziemlich sportlich. Womit für mich schlussendlich mal wieder keine Wünsche offen bleiben. DDHHG II hat die gleiche Energie und Eingängigkeit wie sein Vorgänger, ist wahnsinnig gut komponiert und produziert und hat darüber hinaus noch jede Menge cooler Extras. Dadurch ist es vielleicht sogar noch ein kleines Mü besser als der erste Teil und definitiv wieder ein Highlight des diesjährigen Outputs an Metal-Platten. Wenn das so weitergeht, werden Wiegedood zu den Run the Jewels des europäischen Black Metal.





Persönliche Highlights: Ontzieling / Cataract / De Doden Hebben Het Goed II / Smeekbede

Nicht mein Fall: -

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