Donnerstag, 2. Februar 2017

Die Herbstzeitlosen

Es ist ein hinreichend begründeter und akzeptierter Umstand, dass man 2017 eigentlich keine Platte von Kreator mehr besprechen muss und auch wenn Gods of Violence ihr verdammt nochmal erstes Album in ganzen fünf Jahren ist, wird es verdammt nochmal nicht viel daran ändern, dass die Essener Thrash-Legenden mittlerweile stilistisch wie klanglich etwas überholt sind. Wer inzwischen fast seit vier Dekaden den gleichen Kram spielt, verliert zu Recht mit der Zeit die Aufmerksamkeit und man sieht ja auch an ästhetisch verwandten Bands wie Megadeth, Anthrax und Slayer, dass sogar die treuen Fans sich langsam abwenden. Was jedoch mich persönlich angeht, so habe ich bei Kreator über große Abstände immer einen Funken Hoffung bewahrt, dass sie nochmal eine richtig gute Platte machen könnten. Auf den inzwischen ja auch schon ein paar Jährchen zurückliegenden Vorgängern waren immer ein paar ziemlich geniale Songs und auch wenn so gut wie alles daran oldschooliger nicht sein könnte, so hat sich diese Formation bis heute eine bemerkenswerte Virtuosität bewahrt, die immer wieder Bock auf noch mehr macht. Und Gods of Violence könnte jetzt, fünf Jahre nach dem okayen Phantom Antichrist und einer langen Stille zwischendurch, dieses große neue Album sein. Nein, sie ist es definitiv. Denn hier schaffen es die Szene-Veteranen endlich wieder, ein hohes spielerisches und kompositorisches Niveau über eine ganze Stunde zu halten und eine ganze Palette Thrash-Brecher abzufeuern. Gleich mit dem zweiten Song World War Now (der leider etwas unglücklich aus dem Intro-Track Apocalypticon übergeht), brettern die Pott-Thrasher auf das übelste los und hören damit auch die ganzen nächsten drei nicht weniger brutalen Schleudern nicht auf. Erst am Anfang des Titelstücks gibt es eine kleine, nicht weniger virtuose Verschnaufpause, die aber ihrerseits schnell in den nächsten Granathagel übergeht, der bis zum Ende spannend bleibt. Natürlich trieft so ein Machwerk dann nur so von unbändigem Metal-Pathos und maskulinem Muskelspiel, das gerade in den Refrain-Passagen grenzwertig wird, doch lassen wir das hier mal als stilistisch bedingte Awesomeness durchgehen. Denn zum Gesamtbild der Platte trägt es ebenso bei wie die monströsen Schredder-Gitarren, die donnernden Drums und Mille Petrozzas Berserker-Geschrei in noch immer nicht ganz akzentfreiem Englisch. Gods of Violence ist eben das volle Programm an Oldschool-Thrash und ohne seine Klischees funktioniert der eben nicht. Wer sich darauf nicht einlassen kann, der braucht es mit dieser Band gar nicht erst versuchen. Dass das ganze aber 35 Jahre danach immer noch so frisch und einnehmend klingt wie am ersten Tag, das ist schon etwas besonderes und etwas, das wenige Künstler*innen aus der Generation von Kreator heute noch schaffen. Zumal Petrozzas Texte auch noch eine gewisse politische Aktualität haben (ähem, Trump und so), sich im Hintergrund jede Menge Raum für kleine Experimente genommen wird (besonders schön: die kurze auf deutsch gesungene Passage in Fallen Brother) und der zwischen Vintage und Hochglanz angesiedelte Sound den Hörer direkt zwischen die Augen trifft. Am Ende kann man also schlichtweg nur staunen, wie vollkommen und stimmig dieses Album geworden ist und das im Jahr 2017, nachdem man die Essener fast abgeschrieben hatte. Gods of Violence wirkt ähnlich wie Black Sabbaths 13 oder Iron Maidens the Book of Souls wie ein nochmaliges Aufbäumen an Kreativität, bevor es dann vielleicht doch bald zu Ende sein wird. Nur ist die Performance hier meiner Meinung nach die beste unter eben genannten Platten und braucht dieses Image eigentlich gar nicht, um durchweg zu überzeugen. Und das ist am Ende das, was ihre wahre Souveränität ausmacht. Und so richtig kann ich mir nach diesem Brecher eh nicht mehr vorstellen, dass Kreator jetzt die Flinte ins Korn werfen. Wo das herkommt, ist doch sicherlich wenigstens noch ein bisschen mehr.





Persönliche Highlights: World War Now / Satan is Real / Totalitarian Terror / Gods of Violence / Army of Storms / Hail to the Hordes / Lion With Eagle Wings

Nicht mein Fall: Fallen Brother / Death Becomes My Light

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