Montag, 13. Februar 2017

Jah Bless

Es gibt keinen sinnvollen Grund dafür, dass ich genau jetzt wieder damit anfangen will, Musik von Thievery Corporation zu hören. Das Soundsystem aus Washington D.C. war weder besonders lange Weg (der letzte Longplayer ist von 2014), noch hat es in dieser Zeit groß etwas anderes gemacht als schon immer: bodenständige, tanzbare, Roots- und Dub-Platten, die mittlerweile vielleicht nicht mehr ganz in den Zeitgeist passen, aber qualitativ nie deutlich abgenommen hatten. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich in den letzten Monaten mein ewiges Faible für Reggae mal wieder neu entdeckt habe oder das ganze Zweitausender-Retro sein soll, aber ich hatte irgendwie große Lust, über the Temple of I & I zu schreiben. Und über diese Entscheidung bin ich sehr froh, denn was die US-Amerikaner hier auffahren, ist tatsächlich absolut erste Sahne. Ich habe den Output des Duos in den letzten Jahren zugegebenermaßen nicht besonders akribisch verfolgt und kann nicht sagen, ob das hier seit damals alles so geblieben ist oder ob Thievery Corporation hier endlich wieder Relevanz zeigen, ich finde es einfach nur gut. Und das vor allem, weil die neue LP so unglaublich vielschichtig ist. Dass gleich das Intro des Openers Thief Rockers einen ganz tief in den Dub-Sumpf zerrt, sollte einen zunächst mal nicht täuschen, denn was innerhalb dieses Kosmos abgeht, ist wesentlich mehr als nur die erneute Ausweidung der immer gleichen musikalischen Formel (was ich an ihren früheren Sachen immer ein bisschen doof finde). Der Sound der Platte ist angenehm offen und sauber, schafft es aber trotzdem, das rustikale Gefühl, ohne das man Roots-Reggae nun mal nicht machen kann, an den richtigen Stellen einzufangen. Das gelingt zum einen mittels kompositorischer Kniffe und durch eine Vielzahl von analogem Instrumentarium, vor allem aber mal wieder durch die Gäste auf dem Album. Da gibt es zum einen klassische, abgeklärte Szene-Hardliner wie Notch, Mr. Lif oder Zee, in deren Beiträgen das Patois nur so trieft und man mit den religiösen Schlagwörtern Bingo spielen kann. Auf der anderen Seite stehen jedoch, wie ebenfalls auf vielen Alben zuvor, die von den beiden Hauptakteuren handverlesenen Überraschungen, die auch hier ein absolutes Highlight darstellen. Mit Racquel Jones ist eine äußerst talentierte Grime-Rapperin mit am Start und im Mittelteil gibt es ein paar wunderbar soulige Gesangsparts von Lou Lou Ghelichkhani und Shana Halligan. Einzig die Performance von Elin Melgarejo in Lose to Find ist etwas lahm geraten. Lediglich zwei Stücke der Tracklist wurden von Rob Garza und Eric Hilton allein aufgenommen und bilden sozusagen die chilligen Ruhepole zwischen dem schnellen Ein und Aus der Featured Artists. Knapp eine Stunde geht the Temple of I & I in dieser Art und Weise und es gibt dabei nur sehr wenige Momente, in denen ich mich nicht unterhalten fühle. Natürlich ist das hier weder die Neuerfindung eines Genres noch so richtig true und oldschool. Doch ist fast jeder Song hier ein Hit und vor allem funktioniert das ganze hier auch als Gesamteindruck wahnsinnig gut. Damit machen Thievery Corporation mit Abstand das beste aktuelle Reggae-Album, das ich jemals auf diesem Blog besprochen habe. Angesichts der Tatsache, dass ich das nicht so häufig tue, ist das keine so große Kunst, doch als Fan der alten Schule bin ich auch nicht so leicht zu beeindrucken. The Temple of I & I hat das geschafft. Und dabei hatte ich anfangs noch gezögert, ob ich überhaupt darüber schreiben soll. Selassie sei Dank, dass ich es getan habe.





Persönliche Highlights: Thief Rockers / Letter to the Editor / Strike the Root / True Sons of Zion / the Temple of I & I / Weapons of Distraction / Road Block / Babylon Falling / Drop Your Guns

Nicht mein Fall: Lose to Find

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