Mittwoch, 15. Februar 2017

Die toten Laseraugen von London

Dass das britische Grime-Game momentan wieder schwer en Vogue ist, müsste spätestens jetzt jeder aufmerksame HipHop-Konsument irgendwie mitbekommen haben. In den letzten Monaten habe ich so viel englische, schottische und irische Rapper*innen gehört wie wahrscheinlich noch nie zuvor und das in zig möglichen Kontexten. Und obgleich mir das meiste dabei auch sehr gefällt und ich das Szene-Revival generell begrüße, finde ich es doch merkwürdig, dass sich der Hype größtenteils auf Künstler*innen beschränkt, die auch während der ersten Welle schon cool waren. Leute wie Stormzy, Skepta und Wiley sind alles andere als Newcomer, sondern teilweise schon seit knapp zwanzig Jahren im Business, trotzdem werden sie noch immer nicht von jüngeren, cooleren MCs verdrängt. Zumindest bis jetzt. Denn mit Doctor Zygote und King Kashmere aka Strange U aus London veröffentlicht dieser Tage ein Kollektiv zweier wirklicher Neulinge sein Erstlingswerk, das auch einiges an neuen Impulsen verspricht. Hauptgrund für diese gewagte Prognose war für mich die Single Grizzle, die vor einigen Wochen bei YouTube auftauchte und bei mir ordentlich Eindruck machte. Nicht nur war dieses Duo auf den ersten Blick wunderbar exzentrisch und krass drauf, auch musikalisch stand hier einiges dahinter. Doctor Zygotes Texte sind wirr, aber grandios performt und lyrischen Charakter hat dieser Typ für Fünf. Kashmeres Beats haben dazu etwas an sich, das mich angenehm an die frühen HipHop-Pioniere wie Afrika Bambaataa und Grandmaster Flash erinnert, gleichzeitig aber die finstere Ästhetik der Szene besonders dick aufträgt. Dass die beiden das erste große neue Gesicht des neuen Grime wird, ist also durchaus wahrscheinlich. Dieses Album macht dabei auf jeden Fall Mut. #LP4080 ist zwar in keinerlei Hinsicht ein Meisterwerk, dafür ist es an einigen Stellen doch noch zu einseitig und zu underground, doch es setzt definitiv schon mal ein Zeichen. Ich persönlich kenne zumindest keine Platte, die so klingt wie das hier. Der Sound der LP ist extrem böse und grantig, aber gleichzeitig irgendwie futuristisch und wildwüchsig, als hätte man das letzte Album von Danny Brown mit drei Kilo Crack in eine Gummizelle gesetzt. Und zu dieser Ästhetik passt dann eben nichts besser als die komplett abstrusen Zeilen von Doctor Zygote, der die Bösartigkeit noch mal verdoppelt. Denn obwohl seine Texte sehr comichaft und surreal sind, finden sich doch ständig auch knallharte politische Kommentare wie in Eden's Husk oder Mr. Kill, die ein apokalyptisches Bild seiner Umwelt zeichnen und in denen man Optimismus vergeblich sucht. Die Kombination aus Inhalt und Style ist dabei letztendlich das, was dieses Album so revolutionär macht und weswegen man sich daran erinnern wird. An manchen Stellen ist das Konzept von Strange U jedoch auch noch ausbaufähig. Zum einen ist vor allem die ersten zehn Minuten der Platte ein wenig monoton geraten und einen wirklichen Banger gibt es kaum. Gerade am Anfang wäre sowas aber schön gewesen, um sich an die komplizierte Ästhetik dieses Albums zu gewöhnen. Zudem ist auch Zygotes Flow nicht der beste und was textlich durchaus an Punchline-Material da ist, versandet oftmals in der Performance. Würde man diese kleinen Mankos klären, wäre #LP4080 ein absolut perfektes Debüt, so ist es nur ein ziemlich gutes. Strange U gehören damit auf jeden Fall zu den für mich spannendsten Newcomern des Jahres 2017 und ein Team, von dem man noch sehr viel erwarten kann. Und diese LP wird mit Sicherheit in die Annalen von CWTE eingehen als eines der fiesesten und düstersten Alben, die ich je besprochen habe. Aber definitiv auch eines der innovativsten.





Persönliche Highlights: Shots / Hanging Chads / Grizzle / Taurus / Hank Henshaw / Mr. Kill / Daisy / Mumm Ra / Illuminations / Zuul

Nicht mein Fall: Waste of Space

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