Mittwoch, 22. Februar 2017

Sanfter Riese

Eigentlich wollte ich nach dem Marathon-Review zu Sun Kil Moon gestern heute erstmal wieder etwas einfaches, unspektakuläres besprechen, doch letztendlich habe ich in dieser Hinsicht auch heute wieder einen Fehlgriff unternommen. Da mir Grails leider bisher vollkommen unbekannt waren, musste ich mich im Vorfeld der neuen Platte erstmal ein klein wenig mit ihrem Backkatalog auseinandersetzen und der ist weiß Gott nicht bescheiden. Bereits seit über zehn Jahren existiert die Gruppe aus Portland und hat in dieser Zeit ganze sieben Longplayer veröffentlicht. Vereinfachend kann man dabei sagen, dass Grails instrumentale Rockmusik mit einem schweren elektronischen Einschlag spielen, der sehr an die progressiven Syntesizer-Pioniere der Siebziger wie Emerson, Lake & Palmer, King Crimson oder Gong erinnern. Wer sich mit ihrem bisherigen Werk ebenfalls genauer auseinandersetzen will, dem sei an dieser Stelle die inzwischen sechsteilige Single- und EP-Serie Black Tar Prophecies ans Herz gelegt, die für viele Fans das Herzstück ihrer Diskografie bildet. Für mich persönlich wurden Grails erst jetzt interessant, da mir die Band vor kurzem bei einem Gespräch über Progressive Rock im 21. Jahrhundert als ein gutes Beispiel für einen zeitgenössischen musikalischen Ansatz empfohlen wurden. Und als ich sah, dass mit Chalice Hymnal dieser Tage eine neue LP von ihnen erscheint, fasste ich den Entschluss, darüber zu schreiben. Dass ich dabei nicht bereits vorher eine Exkursion in ihre früheren Releases unternommen haben, rächt sich dabei spätestens jetzt. Zunächst einmal musste ich nämlich feststellen, dass Grails tatsächlich ein wenig aus dem Raster fallen, was ihre stilistische Zuordnung betrifft und sie eine durchaus sehr moderne Art von Progrock spielen (den man tatsächlich auch als solchen bezeichnen kann). Zwar erkennt man beim Hinhören durchaus den ein oder anderen Einfluss, doch kann dabei weder von forciertem Vintage-Gehabe die Rede sein, noch ist das ganze einfach nur technisch vertrackter, aber ideenloser HiFi-Schrott wie bei vielen "zeitgenössischen" Prog-Bands. Vielmehr sind Grails eine sehr subtile Band, die mit zaghaften Ambient-Passagen und schweren Synth-Flächen große Brocken bewegen möchte und das eben nur dann hinbekommt, wenn sie das ganze mit großer Konzentration und viel Geduld angeht. Häufig passiert in den elf Songs hier nicht besonders viel, doch was passiert, ist dafür richtig intensiv. Und was man Grails auf keinen Fall absprechen kann, ist ein Gefühl für Sound. So gesehen muss ich demjenigen, der mich auf diese Band aufmerksam gemacht hat (ich hoffe ja, er liest diesen Artikel) definitiv danken. Auf der anderen Seite glaube ich, dass ich im Moment noch nicht ganz alles verstehe, was diese Musik umfasst. So gibt es auf diesem Album diverse Rückbezüge auf altes Material wie in Deeper Politics, die mir als Fanservice natürlich gerade überhaupt nichts nutzen. Doch bin ich definitiv neugierig auf Grails geworden und wenn jemand das mit seinem siebten Longplayer noch schafft, dann ist das definitiv ein gutes Zeichen. Zu weit aus dem Fenster lehnen will ich mich mit meinem Urteil hier dennoch nicht, weil ich eigentlich immer noch keine Ahnung davon habe, was das hier eigentlich bedeutet. Es gefällt mir sehr gut und das ist bisweilen ja die Hauptsache, oder?





Persönliche Highlights: Chalice Hymnal / New Prague / Tough Guy / Rebecca / Deep Snow II / Thorns II / After the Funeral

Nicht mein Fall: Empty Chamber

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