Freitag, 31. März 2017

2017: Das erste Quartal


Da mit dem heutigen Tag die ersten drei Monate des nicht mehr ganz so neuen Jahres 2017 vorbei sind und ich in dieser Zeit neben den eigentlichen Besprechungen nicht besonders transparent war, was meine Favoriten dieser Phase angeht, wollte ich hier und jetzt mal eine Art Zusammenfassung meiner bisherigen Lieblingsplatten geben. Ich bin eigentlich sonst kein Freund solcher eingeschobenen Spoiler, allerdings ist hier auch noch gar nichts endgültig. Dieser Post soll lediglich noch einmal einen Katalog an Empfehlungen darstellen, die ich euch machen möchte.

BRIAN ENO
Reflection
Eigentlich ist dieses im Januar veröffentlichte Album des Ambient-Großvaters nur eine Art Teaser für die inzwischen erschienene App, die die Reflection sozusagen live weiterkomponiert und eine Sache ist, über die man ebenfalls Stunden reden kann. Darüber sollte man jedoch nicht vergessen, dass Eno auch auf dem klassischen Medium weiterhin überzeugt und hier das erste richtig große Highlight des Jahres abliefert.

WIEGEDOOD
De Doden Hebben Het Hoed II
Nachdem bereits Teil Eins der DDHHG-Serie von 2015 einer meiner aktuellen Favoriten in Sachen Black Metal wurde, ist das Sequel vom Februar auf dem besten Weg, das genau so zu schaffen. Die Belgier von Wiegedood bewegen sich hier stilistisch weiter, die großen Stärken bleiben aber die gleichen wie auf dem Debüt. Bei dieser Band sollte auch bei fünf weiteren Teilen nichts schief gehen.


STRANGE U
#LP4080
Repräsentanten der neu aufkeimenden britischen Grime-Szene in dieser Liste ist das Londoner Duo Strange U mit dem möglicherweise finstersten Debüt dieses Jahres. Zwischen Afrika Bambaataa und MF Doom laden uns Doctor Zygote und King Kashmere ein in ein Gruselkabinett des Grime, das sich anfühlt wie ein zum leben erwecktes Banksy-Gemälde. Mit Vorsicht zu genießen.

THIEVERY CORPORATION
the Temple of I & I
Erste große Überraschung des Quartals, weil ich von diesem Projekt in 2017 eigentlich nicht mehr so eine Performance erwartet hatte. Mithilfe dick aufgetragener und hochmoderner karibischer Riddims kriegen mich Thievery Corporation aber doch wieder und machen eines der besten Reggae- und Dub-Alben, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Respect Dat!


KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD
Flying Microtonal Banana
Seitdem ich Ende Februar alle meine Freunde mit dieser Platte genervt habe, hat sich die Zahl der Gespräche über mikrotonale Stimmungen bei uns exponentiell erhöht und am Ende hat immer jemand den Rattlesnake-Ohrwurm seines Lebens. Könnte in näherer Zukunft anfangen zu nerven, im Moment funktioniert es jedoch erstaunlich gut: rattle, rattle, rattle, rattle...

DEAR READER
Day Fever
Es gab dieses Jahr schon Platten von Mark Kozelek, Laura Marling und Emíliana Torrini und dass ausgerechnet Cherilyn MacNeil die erste große Songrwriting-Bombe schmeißt, hätten wohl die wenigsten gedacht. Dennoch hat es keiner so verdient wie sie, die hier wesentlich reifer und aufgeräumter als zuvor klingt und damit endlich auch in einer Liga mit Fiona Apple und Amanda Palmer spielt, die sie direkt mal anführt.

FATONI
Im Modus
Fatoni hat lange gebraucht, um seinen Stil so richtig zu finden und vielleicht hat er es immer noch nicht so richtig getan, trotzdem ist Im Modus definitiv eine Zäsur. Zusammen mit seinen Buddies ballert der Münchner Rapper hier einen Riesenhit nach dem anderen und liefert Punchlines für den absoluten Experten. So gut war er in meinen Augen nie zuvor und ich kann nur hoffen, dass er so gut bleibt. Das hier ist ja schließlich auch nur ein Mixtape.

ONDATRÓPICA
Baile Bucanero
Als diese Platte vor ein paar Wochen erschien, war es draußen noch kalt und regnerisch, aber seit ein paar Tagen empfielt es sich besonders, Baile Bucanero zu hören. Die erfrischende Stilmischung des kolumbianischen Riesenprojektes ist eine Hit-After-Hit-Gute-Laune-Maschine, die bei Außentemperaturen um die zwanzig Grad Ende März noch ein kleines bisschen besser funktioniert. Unbedingt ausprobieren!

CONOR OBERST
Salutations
Viele sagen, dass Salutations die emotional abgeschwächte Version seines Vorgängers ist, ich finde, es ist genau andersrum. Und ich finde, dass dieses Album besonders für diejenigen etwas ist, die sich schon seit Ewigkeiten den Conor Oberst von damals zurückwünschen, als er bei den Bright Eyes war. Näher als mit dieser Platte ist der dieser Ästhetik in diesem Jahrzehnt noch nicht gekommen.

REMO DRIVE
Greatest Hits
Mein Gott! Endlich mal wieder richtig gute Rock-Newcomer! Wegen Remo Drive aus Minnesota bekommen im Moment nicht nur diejenigen feuchte Höschen, die seit 2015 dem Emo-Revival hinterhertrauern, sondern so gut wie alle, die gute Indierock mögen und das nicht umsonst: Die drei Jungs könnten die sinnvollste Rockband der letzten Jahre sein und sie haben obendrein noch ein paar richtig fette Hits auf dem Kasten. Hot Fuzz!



Außerdem auschecken:
Bonobo-Migration
Ty Segall-Ty Segall
Austra-Future Politics
Kreator-Gods of Violence
Sun Kil Moon-Common as Light and Love Are Red Valleys of Blood
Dirty Projectors-Dirty Projectors
Spidergawd-Spidergawd IV
Mount Eerie-A Crow Looked at Me

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Donnerstag, 30. März 2017

Herzlos

Ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen, über das dritte Pallbearer-Album keine ausführliche Besprechung zu verfassen, da sich mein Interesse für die Platte zuletzt doch sehr in Grenzen hielt. Schon die Ende letzten Jahres veröffentlichten ersten Singles befand ich als äußerst langweilig und viel zu poliert, ein Deal bei Nuclear Blast bedeutet auch für die wenigsten Bands etwas gutes und überhaupt hatte ich meinen Glauben in diese Band mehr oder weniger verloren. Das Debüt der Doomrocker aus Arkansas war vor fünf Jahren zwar eine ziemliche Offenbarung und ist für die in den Jahren danach aufgekeimte New-School-Bewegung immens wichtig gewesen, doch mit allem was danach kam, haben Pallbearer seitdem enttäuscht. Foundations of Burden von 2014 war okay, aber blieb weit hinter meinen Erwartungen zurück und so ein bisschen hatte ich die ganze Sache als eine Art Szene-One-Hit-Wonder abgeschrieben. Demzufolge - und hier kommen wir zum Grund für das nun doch stattfindende Review - war ich in den letzten Tagen einigermaßen überrascht, so ungemein viele positive Kritiken zu Heartless zu hören und zu lesen. Ich hatte bereits zur Veröffentlichung vor circa einer Woche in die LP reingehört und mich in meinen bösen Vorahnungen eigentlich bestätigt gefühlt, doch diese Resonanz brachte mich ins Stutzen. Also wollte ich mich doch noch einmal ausführlich mit dem Ding auseinandersetzen und bei der Gelegenheit auch gleich meinen Senf dazu loswerden. Unglücklicherweise hat auch das intensivere Hören der Platte meine Meinung kein bisschen ändern können. Man kann zwar durchaus bekunden, dass Pallbearer hier endlich aus dem Schatten ihres trottigen, traditionellen Ödnis-Doomrocks heraustreten, die Frage ist jedoch, zu welchem Preis? Wenn man mich fragt, dann ist Heartless noch tausendmal schlimmer als all ihre schlimmsten Sachen von vorher. Die sieben viel zu langen, weil ereignislosen Tracks sind eine Sammlung von billig auf Hochglanz polierten Progmetal- und Hardrock-Fingerübungen, die schwer in Pathos eingesabbert fast eine Stunde ekelhaft vor sich hin nudelt. Ein Album wie dieses trauen sich heutzutage eigentlich nur noch die besonders kühnen Stilverbrecher der Rockmusik wie Dream Theater oder Rhapsody of Fire, deren Nennung bei vielen Blog-Redaktionen, die diese LP gerade feiern, normalerweise kleinere Geldbußen nach sich zieht. Okay, stellenweise muss man hier auch an Bands wie Baroness, die späten Pink Floyd oder Black Sabbath denken, aber meistens wünscht man sich, diese auch in echt zu hören statt so verzerrt und misshandelt wie hier. Pallbearer scheinen kompositorisch einfach überhaupt nicht auf dem Level zu sein, hier solche Epen auf die Beine zu stellen und wer immer dieses Ding produziert hat, sollte meiner Meinung nach lieber nie wieder ein Mischpult anfassen. Wie kann man bitte bei einem Metal-Album das Schlagzeug so weit nach hinten mischen und die Rhytmusgitarre so breiig klingen lassen? Es tut weh. Ich muss zwar zugeben, dass hier nicht alles schlecht ist wie zum Beispiel der zweite Teil des Album-Herzstücks Dancing in Madness, doch sehr vieles stellt micht einfach nur vor ein Rätsel. Pallbearer waren echt mal eine richtig gute Band und mit diesem Album haben sie sich davon in meinen Augen so weit entfernt, wie es irgendwie geht. Heartless beinhaltet einen Großteil der Elemente, die ich an Heavy Metal so gar nicht mag und ist obendrein noch furchtbar langweilig und trotz technischer Höchstleistungen irgendwie monoton. Jedem, der diese Musik genial findet, kann ich nur empfehlen, sich danach irgendeine Metalband aus den frühen Achtzigern anzuhören und ich wette, dass ihr diese Songs dann ganz schnell vergessen habt. Ansonsten bin ich es wohl, der hier irgendetwas falsch verstanden hat...





Persönliche Highlights: Dancing in Madness

Nicht mein Fall: I Saw the End / Lie of Survival / Cruel Road

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Mittwoch, 29. März 2017

Grabrede

Es mag vielleicht ein wenig pietätlos klingen, aber seit ein paar Jahren und vor allem seit dem Ableben David Bowies scheint es unter Indie-Musiker_innen momentan eine Art Trend zu geben, sich besonders mit der eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit von Allem künstlerisch auseinanderzusetzen. Mark Kozelek hat es bersits 2014 gemacht, ebenso wie Nick Cave und Conor Oberst innerhalb der letzten Monate. Und obwohl ich all ihre Platten sehr ausführlich gehört habe und mich mittlerweile fast für ein bisschen abgestumpft halte, bekam ich bei diesem ebenfalls in diese Richtung angesiedelten Projekt von Phil Elverum alias Mount Eerie schon im Vorfeld einen gewaltigen Kloß im Hals. Vor ziemlich genau zwei Jahren verstarb dessen Ehefrau nach einem Krebsleiden und um diesen Satz hier zu formulieren, musste ich nicht eine Silbe googeln. Es hat vollkommen gereicht, mir A Crow Looked at Me anzuhören. Wer das jetzt krass findet, versteht vielleicht auch, warum dieses Album so besonders eindrücklich ist. Elverum schreibt hier keine Platte über Sterblichkeit und Vanitas-Gedanken im Allgemeinen, sondern elf schockierend konkrete Songs über die Umstände ihres Todes, seine Trauer, die Veränderung seiner Psyche während dieser Zeit und seine Unfähigkeit, das Erlebte in Worte zu fassen. Gleich der Opener Real Death funktioniert dabei wie eine Art Disclaimer, in dem er singt, dass der Tod eigentlich nichts ist, worüber man Musik schreiben kann oder will. Und bereits hier geht es einem unglaublich nahe, wie wenig Distanz der Songwriter zwischen sich und dem Hörer aufbaut, die auch auf dem Rest der etwas über vierzig Minuten nicht größer wird. Vollkommen ungeschminkt und fast erzählerisch spricht Elverum hier über all diese Dinge und jeder Track springt dabei auf der Zeitachse zwischen Ereignissen hin und her und beleuchtet eine andere Facette jenes Schicksalsschlags. Wie man sich denken kann, ist A Crow Looked at Me folglich alles andere als ein erbauliches Album. Mehr noch als der Spiritualismus von Bowie oder der Metaphern-Dschungel von Cave (natürlich kann man das eigentlich alles nicht vergleichen!) ist diese LP ein eiskalt realistischer Tatsachenbericht, der zu einhundert Prozent das meint, was hier auch wortwörtlich gesagt wird. Und so etwas ist nun mal erschütternd. Das kann man nicht faken. Allerdings muss man auch sagen, dass diese Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit der einzige Faktor ist, der A Crow Looked at Me so spannend macht. Als wahnsinnig textlastiges Werk kann man hier eher von einem sporadisch vertonten Tagebuch oder Bericht sprechen als von einem ausformulierten Musikalbum. Das ist selbstverständlich auch wahnsinnig gut und als Arbeit keinen Deut weniger wichtig. Ich sage das nur, damit man sich keine falschen Vorstellungen macht. Wer hier nicht genau zuhört, wird an dieser Platte sicher auch nichts besonderes finden. Wer es jedoch tut, der erlebt hier ein einmaliges Kunstprojekt, das einem riesengroßen Respekt für Phil Elverum einflößt, der die Eier hat, dieses Ding an die Öffentlichkeit zu lassen. Wobei ich euch auch warnen muss: Diese Songs zu hören ist immer auch ein bisschen unangenehm. Als würde man jemanden dabei filmen, wie er weint. Und nachdem ich diese Besprechung fertig habe, werde ich aus eben diesem Grund auch bis auf weiteres die Finger davon lassen. Über einen Kauf nachzudenken, traue ich mich im Moment noch gar nicht. Wozu auch? Um mich in meiner kostbaren Freizeit mit grausamen Existenzfragen zu beschäftigen? Eher nicht so. Überhaupt bin ich von den vielen Begräbnis-Platten im Moment etwas überstrapaziert. Sie sind zwar allesamt tierisch gut, aber gerade das ist das Problem. Wenn man davon auch nur einen Song hört, braucht man danach direkt erstmal eine halbe Stunde Bob Marley, um sich selbst zu therapieren. Liebe Musiker, macht bitte wieder mehr solche Alben! Wir brauchen sie gerade wesentlich dringender als eure Grabesstimmung! Danke vielmals!





Persönliche Highlights: Seaweed / Ravens / Forest Fire / Swims / When I Take Out the Garbage at Night / Emptiness Pt. 2 / Toothbrush / Trash / Soria Moria / Crow

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 28. März 2017

Objects in the Rear View Mirror

Es gibt ein Problem mit the Jesus and Mary Chain, das erfahrungsgemäß viele mir bekannte Musikfans haben und das auch mir nicht fremd ist, aber das keiner so richtig zugeben will: Der Band gebührt für ihre ungemein wichtige Einflussarbeit auf die gesamte britische Popmusik der Neunziger und Zweitausender ein Riesensack voll Lorbeeren, besonders die Shoegaze-Szene wäre ohne Platten wie Psychocandy oder Darklands heute wahrscheinlich nonexistent. Doch wenn man sich der Diskografie der Schotten dann einmal ausführlich widmet, wie ich es vor ein paar Jahren getan habe, muss man feststellen, dass ihr eigener Output nie wirklich besonders hochwertig war. Sicherlich sind Songs wie Just Like Honey oder Here Comes Alice großartig, aber keines ihrer Alben würde ich als absolut gigantisch bezeichnen und gegen die Unmengen an Künstler_innen, die sie beeinflusst haben (My Bloody Valentine, Blur oder Primal Scream, um nur ein paar zu nennen) stinken sie aus heutiger Sicht doch ziemlich ab. Aus diesem Grund war ich auch von der Ankündigung ihres ersten Longplayers seit 19 Jahren nicht so wirklich vom Hocker gerissen. Eine Band, die selbst eh nie wirklich groß war, würde wahrscheinlich mit einer noch weiter abgeschwächten Version ihres damaligen Sounds versuchen, die wenigen noch verbliebenen Fans nicht ganz und gar zu vergraulen, worauf ich als jemand, der gerade so lange lebt wie ihre Abstinenz ging, nicht unbedingt anspringen muss. Am Ende war ich aber dann doch ein bisschen neugierig und im Nachhinein bin ich froh darüber, denn in meinen Augen haben the Jesus and Mary Chain hier eine Platte gemacht, die sich mit dem "alten Zeug" durchaus messen kann. Zumindest, wenn man nicht mit den falschen Erwartungen an die Sache herangeht. Wenn dein Lieblingsinstrument das Effektpedal ist und du irgendwo gehört hast, dass die Gebrüder Reid sozusagen Kevin Shields erfunden haben, dürfte dich Damage & Joy eher enttäuschen. Denn viel Lärm, Feedback und Distortion, wie er auf den frühen Werken der Band üblich war, gibt es hier so gut wie gar nicht. Die neue Formel ist tatsächlich wenig mehr als die angesprochene abgeschwächte Version von damals. Aber gerade darin erstehen die Schotten in einem ganz neuen Indiepop-Glanz, der ihnen gut zu Gesicht steht. Aus heutiger Sicht würde man das hier gehörte am ehesten mit Gruppen wie the Horrors oder den ganz frühen Blur vergleichen, also eher mit etwas sanfteren Acts. Dafür fühlen sich die 14 Tracks hier wesentlich kreativer an als vieles von früher. Gerader der erste Teil mit Amputation und Always Sad hat ein paar wunderbare Melodien am Start, die den Hits aus den Achtzigern in nichts nachstehen. Dazu tritt die Band mit einer Attitüde auf, die herrlich entspannt und humorvoll daherkommt und an den Britpop der frühen Neunziger erinnert. Gleichzeitig klingen diese Stücke aber auch auf gewisse weise zeitgemäß. Hier positionieren sich the Jesus and Mary Chain auf jeden Fall als Künstler, die man auch 2017 noch gut hören kann. Der zweite Teil ist dann schon eher etwas lückenhaft und an gewissen Punkten sogar langweilig, da die Band hier scheinbar ein wenig zu sehr in ihren Trott kommt. Songs wie Get On Home oder Face On to the Facts fehlen einfach die Besonderheiten, die viele Momente der ersten Hälfte hatten und vor allem Jim Reids Gesang kann manchmal ziemlich nervig werden. Zum Schluss gibt es mit Black & Blues und dem herrlich cheesigen Can't Stop the Rock noch einmal zwei richtig gute Nummern, die Damage & Joy würdevoll abrunden. Und am Ende bin ich mit dem Gesamtergebnis hier doch recht zufrieden. Wie alle Alben ihrer Diskografie ist das hier kein riesengroßes Highlight, aber doch ein ziemlich nettes Ding, mit dem die Schotten meine Erwartungen diesmal übertroffen haben. Das wirklich spannende daran ist, dass sie hier die Möglichkeit haben, ihre Tätigkeit als Pop-Influencer sozusagen von hinten aufzurollen und sich genüsslich aus ihrem eigenen Erbe bedienen. Nicht jede Band hat diesen Move drauf und wenn ich es jemandem gönne, dann definitiv ihnen. Revolutionieren brauchen sie nämlich heutzutage nichts mehr. Das machen die anderen schon ganz gut.





Persönliche Highlights: Amputation / Always Sad / Song for A Secret / Mood Rider / Presidici (Et Chapaquiditch) / Black & Blues / Can't Stop the Rock

Nicht mein Fall: Facing Up to the Facts

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Montag, 27. März 2017

Loud City Song

Ich dachte eigentlich, nach 2015 hätte die Musikwelt erstmal geschlossen die Schnauze voll von neunzigminütigen Superalben und letztes Jahr war für mich folglich auch heimlich so etwas wie das "große Jahr des halbe-Stunde-Longplayers, aber bereits die ersten Monate zeigen, dass 2017 wieder groß aufgefahren wird. Erst kürzlich brach Drake das Eis mit verhältnismäßig noch gemütlichen 80 Minuten, doch wenn demnächst die neue LP der Gorillaz erscheint, die mit 26 angekündigten Tracks sicher alles andere als knapp wird und auch Oiseaux-Tempête, für die unter einer Stunde nie etwas geht, ebenfalls in den Startlöchern stehen, können wir uns schon im Frühjahr frisch machen. Und dann kommen jetzt auch noch the Bug und Earth mit ihrem nicht weniger sperrigen Debüt. Satte 89 Minuten geht die überrschende Kollaboration der beiden doch recht ungleichen Künstlerparteien Kevin Martin und Dylan Carlson und obendrein ist das ganze auch noch ein Ambient-Noise-Projekt. Obwohl man nicht behaupten kann, dass sich diese Entwicklung nicht an den Fingern abzählen ließe: Denn wenn beide Musiker überhaupt etwas gemein haben, dann ist es ihre Liebe zu sehr langen und intensiven Tracks, in denen verhältnismäßig wenig passiert. Und ich will nicht leugnen, dass ich mich auf Concrete Desert trotz dieser Aussichten im Vorfeld sehr gefreut habe. Sowohl Carlson als auch Martin befinden sich in den letzten Jahren mehr oder weniger auf einem stilistischen Selbstfindungstrip und eine solche Zusammenarbeit kann dabei ein sehr erfrischendes Erlebnis sein. Wobei dieses Album das Prädikat "erfrischend" zumindest klanglich eher weniger zu Gesicht steht. Die 13 Stücke sind maximal breitgefahrener, experimenteller Düster-Ambient, der seine Fühler weit in Richtung Elektro und Doom Metal ausstreckt und so die beiden beteiligten Künstler auf die einfachste Weise zusammenführt. Und obwohl genau diese Formel auf den bisherigen Singles sehr spannend war, wird sie auf Albumlänge zur erwarteten Geduldsprobe. Martin und Carlson spielen hier einen stumpfen, Distortion-geladenen Noise-Dampfhammer nach dem anderen und rödeln wieder und wieder ihr doch ziemlich monotones und ideenloses Gepolter vor sich her. Das passt zwar blendend zum dystopischen ästhetischen Konzept à la Fritz Lang, ist aber nur äußerst schwer verdaulich. Schon nach den ersten fünf ich-will-sie-gar-nicht-Songs-nennen ist man ziemlich gerädert und dabei geht die Platte ab hier mit dem epochalen Zehnminüter American Dream erst richtig los. Der ist dann an sich aber ein ganz schicker Ambient-Track, der der Platte insgesamt wieder ein bisschen mehr Chill-Faktor verpasst, bevor die beiden danach wieder losrütteln. Dasselbe gilt mit Abstrichen für die anderen beiden langen Nummern, Another Planet und den Titelsong. Die zweite Hälfte der LP ist dann die deutlich leichtere und elektronischere, wirklich besser ist sie aber auch nicht. Stücke wie Other Side of the World oder Hell A funktionieren nach dem selben stinklangweiligen Schema wie der erste Teil auch und bieten ebenfalls keinerlei Abwechslung. Und wo am Anfang wenigstens noch Carlsons Gitarre für ein paar Akzente sorgte, ist sie hier bis zur Unkenntlichkeit nach hinten gemischt und versinkt dort irgendwo im Reverb. Ganz zum Schluss gibt es mit Dog und Pray noch zwai positive Überrschungsmomente, deren zehn gute Minuten aber keine anderthalb Stunden Mist wieder aufwiegen. Und leicher Konsumierbar machen die Concrete Desert ebenfalls nicht. Wenn ich dieses Album jemandem empfehlen kann, dann höchstens, wenn diese Person bei den aktuelleren Werken von Scott Walker oder Merzbow eine feuchte Hose bekommt. Aber selbst dann ist das hier noch eine sehr monotone Arbeit, die man nur mit der Geduld eines Reiszählers wirklich ertragen kann. Und die Kmbination aus beidem macht die Sache für mich extrem unattraktiv. Mein Unbehagen hat im Übrigen nichts damit zu tun, dass das hier experimentelle Musik ist. Es hat einfach nur damit zu tun, dass diese Experimente zu nichts führen.





Persönliche Highlights: Gasoline / Agoraphobia / American Dream / Concrete Desert / Dog / Another Planet

Nicht mein Fall: City of Fallen Angels / Don't Walk These Streets / Hell A

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Sonntag, 26. März 2017

Nichts ist safe

Das letzte Mal, dass ich über Haiyti geschrieben habe, ist gerade mal eine Woche her. Anlass war da ihre neue EP White Girl mit Luger, die direkt zu einem absoluten Favoriten ihrer Diskografie von mir wurde und mich damit mit Karacho aus einer relativ langen schwierigen Phase mit ihrer Musik katapultierte. Natürlich weiß ich mittlerweile ganz genau, dass die Hamburgerin eine Künstlerin ist, bei der man nie genau weiß, was sie als nächstes abfeuert und dass dabei nicht immer alles supergeil ist, scheint Teil des Plans zu sein. Zumindest zieht aber jedes neue Projekt eine ziemlich eigene Ästhetik durch und man kann nie so richtig wissen, wann nun das nächste Riesending kommt. Und letzte Woche war es eben mal wieder so weit. Für die Qualität des neuen Haiyti-Mixtapes Follow micht nicht hat das aber erfahrungsgemäß rein gar nichts zu bedeuten. Höchstens, dass sie hier eben wieder etwas komplett anderes macht. Und nach dem dreisten Nightliner-Tape und dem trappigen White Girl mit Luger stehen die Zeichen hier wieder auf Experiment. In den zwölf sehr vielseitigen neuen Tracks probiert sich Haiyti wieder an allen möglichen stellen aus und versucht, überall gleichzeitig zu sein. Statt eines Stammproduzenten wie zuletzt ist hier wieder mit jeder Nummer jemand anderes für die Beats zuständig und es gibt sowohl Features von etablierten Kollegen wie Hustensaft Jüngling als auch von Leuten wie Burak oder Greeny Tortellini, die ich persönlich bisher nur von Twitter kannte. Der Vorteil dieser wilden Mischung ist offensichtlich: Egal, welches Release der Hamburgerin bisher euer liebstes war, hier findet sich für jeden etwas: Mit Holla gibt es einen fetten Turnup-Song mit steilem Instrumental, I'm Pretty But I'm Loco ist auf Krawall gebürstet, Playboy Cartel ist herrlich seltsam (vor allem die Hook, Mois!) und Nichts ist safe ist sowas wie der inoffizielle Nachfolger des heimlichen Fanfavorites Wie es ist. Der Nachteil ist jedoch, dass auch einiger Blödsinn hier in der Endversion gelandet ist, die mir eher weniger zusagt. Gothic Girl beispielsweise ist zwar einer der bisher inhaltlich rundesten Songs von Haiyti, was ihn in meinen Augen eher schlechter macht. Oder Die mit dem Wolf tanzt, das anscheinend nur geschrieben wurde, um am Ende diesen Titel dafür verwenden zu können. Und auch innerhalb vieler Tracks liefern sich sehr coole und sehr beschissene Elemente häufig ein Wechselspiel. Was am Ende zu dem Eindruck führt, dass Follow mich nicht irgendwie durchwachsen ist. Am Ende überwiegen für mich zwar doch die guten Momente, aber die schwachen sind eben auch da und das es ist die Koexistenz von beidem, die das Gesamtergebnis schlussendlich nicht mehr zu dem gleichen macht. Womit wir hier wahrscheinlich das Album vor uns haben, das Haiytis bisherige Karriere am besten repräsentiert. Und weil das so ist, könnten wir in drei Monaten (oder Tagen!) schon wieder ganz woanders sein. Die Hassliebe geht also in die nächste Runde.





Persönliche Highlights: Moscow Mule / Playboy Cartel / Fiat Punto / Nichts ist safe / Holla

Nicht mein Fall: Die mit dem Wolf tanzt / Gothic Girl

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Freitag, 24. März 2017

Hey! Randale!

Wenn es nach mir geht, dann sind Pulled Apart By Horses so etwas wie eine CWTE-Traditionsband. Bereits vor fünf Jahren, in meinem ersten Monat als aktiver Blogger, redete ich in den höchsten Tönen über die Briten und deren zweites Album Tough Love, das ein gutes Jahr später eines meiner liebsten der Saison wurde. Und obwohl sich daran inzwischen einiges geändert hat, hat die ehemalige Hardcore- und inzwischen eher -rock-Formation aus Leeds irgendwie einen Platz in meinem Herzen behalten. Gerade ihr herrlich unkonventionelles, selbstbetiteltes Debüt kann ich noch immer jedem, der Coremusik auch mit einer gehörigen Portion Lausbuben-Humor und quirligen, klapperigen Indiepop-Riffs nicht doof findet, ausdrücklich empfehlen. Und auch besagtes Tough Love hatte seine Momente. Allerdings will ich nicht abstreiten, dass Pulled Apart By Horses sich jenen Platz in meinem Herzen zuletzt schwer verteidigen mussten. Ihr 2014 veröffentlichter und bisher letzter Longplayer Blood war für mich nicht weniger als eine herbe Enttäuschung, verkaufte er doch die bisherige Originalität und Energie der Band für ein paar billige Retro-Effekte und das bisher langweiligste Songwriting auf einer ihrer Platten. Die Befürchtung, dass die Briten nunmehr zu einem von vielen Vintage-Gitarren-Garagen-Acts verkommen würden, lag nach dieser Erfahrung gefährlich nahe. Doch drei Jahre später kann ich leichten Herzens verkünden, dass es mit Pulled Apart By Horses wieder bergauf geht. Langsam zwar, aber immerhin. The Haze ist nämlich gar kein schlechtes Album geworden. Und das liegt vor allem daran, dass die Band die meiste Zeit wieder das tut, was sie am besten kann, und das ist Randale. Der retro-fixierte Stil des Vorgängers bleibt dabei erhalten, aber die Songs machen hier wieder deutlich mehr Tempo. In den besten Fällen wie beim Titelsong, Prince of Meats oder Neighbourhood Witch, klingt das wie zu Tough Love-Zeiten und macht ordentlich Bock. Vor allem Sänger Tom Hudson hat wieder der Blutrausch gepackt und man hört ihm hier sehr gerne dabei zu, wie er seinen Hörern körperliche Verstümmelung androht. Flächendeckend funktioniert das ganze trotzdem noch nicht so richtig: Die Produktion ist insgesamt ein bisschen zu flach und das Schlagzeug zu weit nach hinten gemischt, außerdem nimmt man dieser Rasselbande eine ernst gemeinte Ballade wie Lamping noch immer nicht so richtig ab. Somit taugt the Haze am Ende auch nicht zu mehr als zu einer leicht abgeschwächten Version ihres zweiten Longplayers. Das ist allemal besser als der Rotz auf Blood, aber erreicht lange nicht das, was die Briten eigentlich auf dem Kasten haben. Mir ist bewusst, dass bei ihnen die Zeiten von großartigen Songs wie High Five, Swan Five, Nose Dive endgültig vorbei sind (was auf jeden Fall für einen Reifungsprozess spricht), aber ich messe ihnen auch das Talent bei, ihr kompositorisches Geschick auch auf eine ernsthaftere Ästhetik zu verwenden. Die Grundsteine dafür sind auf diesem Album durchaus vorhanden und die Musiker auf dem besten Weg, zu alter Form zurückzukehren. Und falls es motiviert: Das haben schon ganz andere geschafft.

Persönliche Highlights: the Haze / Prince of Meats / Neighbourhood Witch / What's Up, Dude? / Brass Castles / My Evil Twin / Dumb Fun

Nicht mein Fall: Lamping

Donnerstag, 23. März 2017

Dad Rock

Seit dem Jahr 2010 hält die texanische Indieband Spoon einen streitbaren Rekord: Laut der Autoren von Metacritic, einer Seite, die numerische Bewertungen namhafter Review-Seiten sammelt und Statistiken daraus erstellt, hat das Quartett über den kompletten Zeitraum der Nullerjahre die im Durchschnitt besten Bewertungen bekommen. Wenn man also davon ausgeht, dass die Zahlen nicht lügen, sind Spoon wahrscheinlich die beste Band des neuen Jahrtausends. Und ich persönlich habe gegenüber der Statistik nur wenige Einwände. Zwar fehlt von ihnen nach wie vor das eine große Album, über das alle noch in fünfzig Jahren staunen, doch dafür haben sie auch noch nie ein wirklich schlechtes gemacht. Bisher kann ich jede der Platten, die ich von ihnen gehört habe, ohne Vorbehalte weiterempfehlen und selbst die Tatsache, dass ihre Musik inzwischen ein bisschen gealtert ist, tut dem absolut keinen Abbruch. Umso erstaunlicher ist es, dass die konstante Erfolgskurve mit Hot Thoughts jetzt erstmals einen kleinen Knick macht. Das inzwischen neunte Studioalbum der Texaner ist zwar auch alles andere als ein Totalausfall, aber es ist doch merklich schwächer als Alles, was davor kam. Die kompositorische Energie und der frisch-freche Indiesound fehlt hier auf einmal und man hat erstmals das Gefühl, hier eine in die Jahre gekommene Gruppe von Musikern zu hören. Und dass Spoon das sind, fällt einem dann erstmal wie Schuppen von den Augen: Gegründet wurde die Band 1993, im gleichen Jahr wie Wilco, Braid und Daft Punk. Bis vor zwei Jahren klangen sie jedoch, als hätten sie gerade mal ihr zweites Album draußen. Und mit diesem Wissen wird Hot Thoughts vielleicht nicht unbedingt besser, aber es erklärt sich irgendwie. Was wir hier hören, ist möglicherweise der Beginn einer Umbruchphase, in der Spoon langsam anfangen, ihrer Musik die Reife angedeihen zu lassen, die sie selbst schon lange haben. Weniger Hedonismus und spritzige Indie-Hits, dafür mehr kompositorische Breite, Gelassenheit und klassische Elemente. Kurz gesagt: Die Texaner sind auf dem besten Weg, eine Dad Rock-Band zu werden. Auf Songs wie I Ain't the One und Tear It Down funktioniert das schon ganz gut, aber es ist auch ganz klar, dass sie sich hier noch umorientieren. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihren Fans das irgendwie beibringen müssen. Die sind es mittlerweile nämlich gewohnt, mit jedem Album stapelweise Hits zu bekommen und für dieses Bedürfnis bleibt hier nur der Titelsong übrig. Hot Thoughts ist also im besten Fall der Übergang der Band zu einer ähnlich starken neuen musikalischen Phase, die die Prioritäten neu setzen kann und aus Spoon vielleicht doch noch mehr macht als eine unterhaltsame Indie-Spritztour. Es könnte allerdings auch passieren, dass sie den Absprung hier nicht schaffen und jetzt in die Orientierungslosigkeit abdriften. Allerdings finde ich nicht mal diese Variante so schlimm. Diese Jungs waren lange genug die Besten, jetzt sind auch mal andere dran. Rekorde sind schließlich dazu da, um sie zu brechen.





Persönliche Highlights: Hot Thoughts / Pink Up / I Ain't the One / Tear It Down / Shotgun / Us

Nicht mein Fall: Whisperi'lllistentohearit / First Caress

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Mittwoch, 22. März 2017

Das blauäugige Album

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber 2017 ist das erste Jahr seit langem, in dem sich in meinen Augen eine Veränderung im angesagten Geschmack der Hipster-Elite abzeichnet. Ähnlich wie ich haben die coolen Kids dieses Jahr keinen Bock mehr auf die seit langem dominante Selbstbeweihräucherung der HipHop- und R'n'B-Szene und stattdessen große Lust, wieder Rockmusik zu hören. Und ein Angebot für coole neue Tendenzen in diesem Bereich gibt es ja seit einer weile wieder. Das Emo-Revival der letzten Jahre, kombiniert mit den Resten der Postpunk- und Surfrock-Bewegung der späten Noughties hat eine stilistische Bildfläche geschaffen, auf der sich junge Acts wie Car Seat Headrest, Bleached oder Mourn momentan fantastisch aufgehoben. Und innerhalb dieses Kosmos gibt es seit kurzem eine Band, die das Zeug hat, diese neue Energie zu bündeln und sie mit voller Wucht zwischen die Augen ihrer Hörer zu snipern. Remo Drive aus Minnesota sind eine dreiköpfige Gruppe, die mit Greatest Hits dieser Tage ein Debütalbum veröffentlichen, auf das der ein oder andere Rockfan in den letzten Wochen und Monaten vielleicht schon sehnsüchtig gewartet hat. Grund dafür sind zwei vorab erschienene Songs von der Platte, die sozusagen Instant Classic-Potential haben und mindestens ein paar richtig fette Hits waren. Wahrscheinlich jeder, der entweder Yer Killing Me oder Art School mindestens einmal gehört hat, wird wissen, wovon ich rede. Und mit dem nun fertigen Album beweisen Remo Drive, dass auch diese Single-Kracher nur eine Facette ihres Könnens ist. Greatest Hits ist die Blaupause eines Indierock-Albums, wie es aktueller nicht sein könnte. Zwischen Emo-Melodien, Surfpunk-Humor, noisiger Krawallerei und der Gewissheit, dass man selbst einer von den guten ist, bauen die US-Amerikaner hier eine LP, die mit etwas Glück zur blauen Weezer-Platte unserer Generation und mit etwas Pech zum Live at the Dentist Office der Indie-Szene werden könnte. Dabei ist das ganze wesentlich mehr als nur eine Sammlung zehn sehr guter Rocksongs, sondern schafft es auch noch, einen sehr harmonischen Aufbau und einen sinnvollen Gesamtklang zu haben, aus denen die einzelnen Super-Tracks nur als Highlights hervorstechen. Man kann es tatsächlich so pauschal sagen: Es gibt an diesem Album absolut nichts, was wirklich schlecht wäre. Wenn jetzt die Frage auftaucht, warum ich dann nicht gleich elf Punkt vergebe, dann hat das nur den Grund, dass Greatest Hits am Ende des Tages auch nicht mehr ist als ein äußerst unterhaltsames Rockalbum, das nicht wirklich neue Impulse für irgendwas setzt oder in welcher Form auch immer die Maßstäbe der Szene durchbricht. Viel eher ist es sogar noch eine Hommage an die Neunziger und Künstler_innen wie Weezer, Sunny Day Real Estate oder Modest Mouse, Originalität ist also auch nicht ihre größte Stärke. Dies sind aber auch die einzigen Faktoren, die mich von einer höheren Bewertung abhalten und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dies in Zukunft noch passieren kann. Die Szene würde es ihnen auf jeden Fall danken.





Persönliche Highlights: Art School / Hunting for Sport / Summertime / Trying 2 Fool U / Yer Killing Me / I'm My Own Doctor / Name Brand

Nicht mein Fall: -

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Dienstag, 21. März 2017

Where's the Accelerator?

Man kann Depeche Mode eigentlich gar nicht so richtig böse sein. Während andere Bands ihrer Generation, die früher eigentlich besser waren mittlerweile nur noch wahlweise diesen alten Blödsinn abfeiern oder kläglich daran scheitern, neu und innovativ zu sein, haben die Briten bisher eine recht stabile Bilanz: Alle paar Jubeljahre kommt ein neues Album, das jetzt vielleicht nicht der allergrößte Hit, aber zumindest hörbar ist. Dazu gibt es eine ausgiebige Tour, auf der dann auch die alten Klassiker gespielt werden und als geneigter Hörer konnte man sich in den letzten 30 Jahren genüsslich zurücklehnen und auf ein solides neues Projekt warten, während neben einem die Fanbase von Metallica, Guns'N'Roses und U2 die Heugabeln aus dem Keller holte. Selbst ich als jemand, der die Band erst Ende der Nullerjahre, also in ihrer vielleicht schwächsten Phase, wirklich wahrgenommen hat und nur bei den letzten beiden Longplayern dabei war, muss sagen, dass hier keine groben Stilfehler vorlagen, die Dinger eben nur etwas langweilig waren. Dementsprechend komisch war es auch, vor ein paar Wochen dann mit Where's the Revolution den ersten Song dieses neuen Albums zu hören. Die Leadsingle von Spirit war, so kann ich das im Moment mit absoluter Sicherheit sagen, der ernsthaft schlechteste Song, den ich in diesem Jahr bisher gehört habe. Und der Grund dafür ist einer, der am soliden Fundament der Pop-Institution Depeche Mode 2017 kräftig rüttelt. Denn den Briten passiert hier genau das, was einige Fans sicher schon lange befürchtet haben: Sie klingen alt. Nicht nur das, sie klingen wie eine alte Band, die unbedingt jung klingen will und sind damit so ziemlich die Definition von uncool geworden. Das Konzept des Tracks funktioniert schon in der Theorie nicht: Der politische Aktivismus, die ihre Texte in den Achtzigern hatten, wird hier versucht, neu zu beatmen und über den musikalischen Istzustand der Briten zu stülpen. Dabei klingt das ganze bloß wie ein komplett blutleerer Track einer ehemals guten New Wave-Gruppe, die sich darüber aufregt, dass diese Jugend heutzutage unsere schöne Welt vor die Wand fährt. Traurig. Und ich muss leider sagen, dass das fertige Album daran nicht viel ändern kann. Zwar bleibt Where's the Revolution der schlimmste Song darauf und alles andere wäre auch echt schlimm gewesen, doch zumindest den Vorwurf, dass sie klingen wie ein paar lahme Opas müssen sich Depeche Mode gefallen lassen. Kompositorisch ist auf den zwölf neuen Stücken so gut wie überhaupt nichts los und über die komplette Spieldauer dümpeln Depeche Mode hier in einem ideenlosen Schneckentempo vor sich her, das unglaublich nervt. Spirit zu hören erzeugt bei mir dasselbe Gefühl wie auf einer Landstraße hinter einem sehr langsam fahrenden Auto hinterherdackeln zu müssen, weil man seit einer halben Stunde nicht überholen kann. Dazu klingt Dave Gahans Gesang so ekelhaft wie selten zuvor und seine Texte sind dermaßen flach, dass sogar Katy Perry zuletzt gehaltvoller klang. Depeche Mode scheinen hier einfach nicht so richtig zu wissen, wohin mit sich selbst und irgendwie haben sie ja was zu sagen, aber irgendwie auch wieder nicht. Wenn ich den Herren einen Tipp geben könnte, dann würde ich ja dort weiter machen, wo der Song Eternal aufhört, der einzige wirkliche Lichtblick auf Spirit. Hier setzt die Band ausnahmsweise mal nicht auf pluckernde Matrix-Synths und halbgare Messages, sondern baut ein ziemlich experimentelles und unwirsches Stück, das gar nicht so richtig in diese Tracklist passt. Aber die zweieinhalb Minuten hier sind für mich der Aha-Moment des Albums: Sie erinnern ein kleines bisschen an die ganz späten Sachen von David Bowie und in eine Richtung, in der ich Depeche Mode sehr gerne sehen würde. Als experimentelle, verruchte Elektro-Band, als die sie hier auftreten, sind sie tatsächlich sehr spannend und klingen zwar immer noch alt, aber eben auf die gleiche Art erhaben, wie Bowie das auf seiner letzten Platte war. Und was Lebenserfahrung angeht, hätte Dave Gahan ganz bestimmt einiges zu erzählen. Aber diese Art von Musik wollen sie ja nicht. Stattdessen bekommen wir hier das in meinen Augen bisher schlechteste, weil ödeste Depeche Mode-Projekt ihrer gesamten Karriere und zusätzlich das Gefühl, dass diese drei Typen wohl nichts mehr zu sagen haben. Womit sie nunmehr auch das mit Metallica und U2 gemein hätten.





Persönliche Highlights: Eternal

Nicht mein Fall: Where's the Revolution / Scum / You Move / Cover Me / So Much Love

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Montag, 20. März 2017

Stress lass nach!

Man kann sagen was man will, aber für mich pendelt der Output von Drake in den letzten zwei Jahren irgendwo zwischen anstrengendem Müll und visionärem HipHop-Geniestreich. Wo das eine seiner Projekte für Kopfschütteln sorgt, ist man eine Woche später schon wieder restlos begeistert von ihm. In dieser Hinsicht hat er inzwischen viel mit seinem schwergewichtigen Quasi-Rivalen Kanye West gemein und mit dem Release von More Life fühle ich mich darin nur noch weiter bestätigt. Offiziell ist die neueste Veröffentlichung des Kanadiers als "Playlist" betitelt, was das ganze irgendwie ziemlich gut trifft. Für ein Mixtape ist das Teil zu lang, für ein Album zu chaotisch und die Tatsache, dass der Rapper inzwischen eine halbe Legion an Künstler_innen und Produzent_innen beschäftigt, macht das ganze ehrlicherweise zu keinem wirklichen Soloprojekt. Zumal es Songs gibt, auf denen er selbst zumindest als Vokalist gar nicht zu hören ist. Und da ich seine letzten großen Coups Views und If You're Reading This It's Too Late für seine vielleicht bisher schlechtesten Werke halte, dachte ich nicht, dass ich aus hieraus einen besonderen Mehrwert schöpfen würde. Zumal das Ding mit knapp 82 Minuten Spieldauer schon wieder komplett den Rahmen sprengt und die Singles mich nicht wirklich vom Hocker rissen. Andererseits waren die experimentelleren Projekte von Drake bisher fast immer die ertragreicheren und tatsächlich ist das auch hier der Fall. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass More Life das beste ist, was der Kanadier seit einiger Zeit gemacht hat. Die offene, lockere Songstruktur, die hier von vornherein angepeilt wurde, ermöglicht es den Beteiligten hier, all die Dinge so richtig auszuprobieren, die bisher schon immer mal auftauchten, aber dort auch nur halbherzig durchgeführt wurden. Dass Drake Ambitionen für jede Menge Stilrichtungen hat, ist nicht unbekannt und gerade auf Views merkte man das wieder einmal. Nur leider fielen die Experimente dort größtenteils dem kommeziellen Charakter des Albums zum Opfer. Hier wird diesen Versuchen nun endlich Platz zum atmen gegeben und wie durch ein Wunder schafft es die Platte auch noch, diesen Pluralismus in ein ziemlich gutes Gesamtpaket zu schnüren. Zugegeben, Hits sucht man auf More Life völlig vergeblich, doch dafür spannende Studien, die zeigen, wo sich der vielleicht wichtigste Rapper der Welt im Jahr 2017 befindet. Es gibt hier die Ovo-typischen Trap-Balladen wie Passionfruit oder Blem, die wie immer atmosphärisch vor sich her schwabern und in denen der 6th God uns sein Herz ausschüttet, Soul-Ausflüge wie Get It Together und zeitgenössischen Dancehall wie in Madiba Riddim. Dabei arbeitet der Kanadier wieder mit unglaublich guten Leuten zusammen, die ihm (meistens) gelungene Ergebnisse garantieren. 4422 wird komplett von Sampha gesungen, Skepta bekommt ein Interlude geschenkt, Young Thug muss gleich zwei Mal ran und auch Kanye darf in Glow mitmachen. Auf der Seite der Produzenten stehen mit Boi-1Da, 40 und Partynextdoor zwar häufig wieder die gleichen Namen wie immer, unter anderem aber auch das junge Beatmaster-Duo Cubeatz aus dem baden-württembergischen Sindelfingen. Drake selbst ist über allem der große Chef und dirigiert das ganze ein bisschen wie sein eigenes G.O.O.D Music-Kollektiv. Die große Überraschung ist dabei, wie er es hinbekommt, dass das ganze am Ende doch eine ziemlich klare Marschrichtung hat. Natürlich ist es bei 22 Tracks und so vielen dermaßen verschiedenen Künstler_innen fast unmöglich, dass allen alles gefällt, aber wenn für mich unterm Strich gerade mal zwei oder drei Songs rauskommen, die ich nicht mag, bin ich durchaus beeindruckt. Beim Vorgänger Views sah das letztes Jahr nämlich noch ganz anders aus. Wenn es einen Wunsch gibt, den More Life mir nicht erfüllen kann, dann den, mir etwas wirklich neues zu zeigen. Der Platz, den die Songs hier haben, nutzen sie, um das, was sie woanders auch gemacht hätten, ein bisschen intensiver zu tun. Doch tatsächlich hätte fast jeder Song auch auf eines der Projekte gepasst, die Ovo in den letzten ein bis zwei Jahren veröffentlicht hat. Diese Playlist wäre die perfekte Plattform gewesen, um Dinge auszuprobieren, die vielleicht in eine ganz andere Richtung gehen oder neue Impulse setzen können. Dass dies hier nicht passiert, lässt zwei Spekulationen zu: Entweder Drake will hier eine Phase seiner künstlerischen Karriere abschließen und uns danach alle mit einer vollkommen überraschenden neuen LP verblüffen. Oder, und das ist die wesentlich wahrscheinlichere These, er hat einfach keine neuen Ideen mehr. Das breittreten der Impulse, die uns der Kanadier seit inzwischen fast vier Jahren gibt, funktioniert hier zwar noch äußerst gut, doch ich kann mir vorstellen, dass dies nicht mehr lange der Fall sein wird. Gerade bei der unglaublich hohen Release-Frequenz des Rappers bin ich mir sicher, dass ich früher oder später auch von den bestmöglichen Songs dieser Art und Weise gelangweilt sein werde. Ich bin ja schon sehr erleichtert, dass ich seine ewige Leier hier noch so gut finde. Aber dass Drake neue Ideen braucht, ist ein Thema, das erst sehr bald relevant wird. Im Moment bin ich erstmal erstaunt, dass er hier eines seiner besten Projekte seit Jahren gemacht hat. Es ist vielleicht kein besonders repräsentatives und kommerziell macht es sowieso nicht viel her, aber als experimentelle Werkschau eines so wichtigen Rappers ist es ziemlich beeindruckend. Und man kann es auch ohne diesen Hintergedanken gut anhören. Es ist alles in allem wieder mal ein gutes Beispiel dafür, was jemand wie Drake vollbringen kann, wenn man ihn einfach mal machen lässt. Dann ist er nämlich tatsächlich der HipHop-Visionär, als den ihn einige nicht sehen wollen.





Persönliche Gighlights: Free Smoke / No Long Talks / Madiba Riddim / 4422 / Gyalchester / Portland / Teenage Fever / KMT / Lose You / Can't Have Everything / Glow / Fake Love / Ice Melts

Nicht mein Fall: Get It Together

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Sonntag, 19. März 2017

Old Soul Song (for the New World Order)

Bis vor ein oder zwei Jahren hätte ich es wahrscheinlich selbst nicht geglaubt, doch es scheint im Moment tatsächlich so zu liegen, dass Conor Oberst so etwas wie seinen zweiten Frühling erlebt. In seinem noch recht frischen Alter von 37 Jahren sollte man mit einer solchen Formulierung zwar eher vorsichtig umgehen, doch es fühlt sich definitiv so an. Nachdem seit mittlerweile sechs Jahren nichts mehr neues von den Bright Eyes zu hören war, die ohnehin immer uninteressanter wurden und seine Soloplatten nie wirklich die gleiche Bedeutung hatten, mausert er sich inzwischen immer mehr zurück ins Rampenlicht. Für mich persönlich war der Beginn seines Siegeszuges das Comeback seiner alten Punkband Desaparecidos im Sommer 2015 und als ein gutes Jahr später noch jeder dachte, dass dieser Erfolg jetzt eher ein glücklicher Zufall war, veröffentlichte der Songwriter aus Omaha sein nächstes grandioses Projekt: Ruminations vom vergangenen Oktober setzte das Konzept des Songwriters zurück auf seinen kleinsten gemeinsamen Nenner und unglaublich intime Texte und wurde damit in meinen Augen das erste wirklich relevante Soloalbum des Amerikaners. Und nur fünf Monate später sieht es ganz so aus, als hätten wir zumindest in gewisser Weise wieder den Tausendsassa und Workaholic Conor Oberst zurück, den wir aus den Nullerjahren kennen. Zwar besteht Salutations nur gut zur Hälfte aus wirklich neuem Material, der Rest sind die zehn Songs von Ruminations in neuen Arrangements, doch was hier damit angestellt wird, ist alles andere ale eine oberflächliche Überarbeitung. Wo der Vorgänger vor allem durch seine Simplizität und Intimität faszinierte, baut Oberst daraus hier unglaublich bunte, strahlende Folk(-Punk?)-Hymnen, die groß und stark sein wollen. Viele Fans der letzten Platte waren deswegen beunruhigt und fürchteten, die Songs würden durch diese Neuinterpretation verunglimpft. Doch wenn ich jemandem mit so etwas vertraue, dann diesem Typen. Denn was er hier macht ist ja im Prinzip nichts anderes als das, was er früher mit den Bright Eyes gemacht hat und die waren auch immer deshalb gut, weil sie zwar musikalisch optimistisch und durchaus auch euphorisch sein konnten, aber trotzdem Messages vermittelten, die zum Teil ziemlich finster waren. Und genau das tut er hier auf ähnliche Weise wieder. Ich würde sogar noch weiter gehen: Salutations ist in den letzten sechs Jahren das, was am nächsten an ein Comeback des legendären Projektes kommt. Nur dass das inzwischen eigentlich keiner mehr braucht. Der Conor Oberst von 2017 ist stilistisch weitergezogen und inzwischen ein bisschen mehr Bob Dylan und Shane MacGowan geworden. Auf Ruminations hörte man das zwar deutlicher als hier, doch die ein oder andere knatschige Mundharmonika blitzt auch hier durch. Was die bearbeiteten Tracks vom Vorgänger angeht, so passiert hier in meinen Augen das Gegenteil des befürchteten Szenarios: Einige Stücke, die ich in ihrer ursprünglichen Fassung nicht so sehr mochte, gefallen mir hier wesentlich besser und tatsächlich schlechter ist kein einziger geworden. Darüber hinaus schaffen es die neuen Songs wie Napalm oder Too Late to Fixate wunderbar, für eine gehörige Portion Pep zu sorgen, die bei einer Spielzeit von knapp siebzig Minuten auch echt nötig ist. Doch was am Ende herauskommt ist für mich die endgültige Rückkehr des Conor Oberst, wie die meisten ihn kennen und lieben gelernt haben. Es ist vielleicht nicht ganz so originell wie Payola oder Ruminations, aber diese Tatsache wird in meinen Augen vollständig ausgeglichen dadurch, wie unfassbar gut es geworden ist. Ich war zwar optimistisch, dass Oberst dieses Unterfangen hinbekommen würde, doch dass er hier so einen Geniestreich fabriziert hat, überrascht mich dann doch. Es ist ein deutliches Indiz dafür, dass er nach wie vor so großartige Platten kann wie vor zehn oder fünfzehn Jahren. Wenn sie nicht sogar ein bisschen besser sind.





Persönliche Highlights: Too Late to Fixate / Gossamer Thin / Afterthought / Napalm / Mamah Borthwick (A Sketch) / Barbary Coast (Later) / Tachycardia / Empty Hotel By the Sea / Anytime Soon / A Little Uncanny

Nicht mein Fall: Counting Sheep

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Samstag, 18. März 2017

Super Trouper

Es ist mal wieder das ewige Leiden, über das ich als Fast-Millenial hier so gut wie ständig jammere: Die Tatsache, dass ich die Zweitausender größtenteils als Heranwachsender ohne selbstständige musikalische Identität verbracht habe, macht mein Verhältnis zu den Shins zu einem seltsamen. Wenn ich an die Band denke, habe ich nicht ihre frühen großen Werke wie Chutes Too Narrow oder Oh, Inverted World im Kopf, sondern meistens den Simple Song von 2012. Eigentlich fand meine erste Begegnung mit James Mercers Songwriting sogar über das erste Album der Broken Bells statt, ist also mehr oder weniger komplett verschoben. Nichtsdestotrotz habe ich mich über die Jahre sehr mit dem aktuellen Sound der Formation aus Albuquerque angefreundet und von meinen ersten Schritten als Blogger habe ich ihren letzten Longplayer Port of Morrow noch in guter Erinnerung. Dass die Shins heute actionreicher und poppiger klingen als in ihrer Anfangsphase und inzwischen immer so ein bisschen Abba sein wollen macht mir deutlich Spaß und auch auf Heartworms freute ich mich eigentlich sehr. Denn bisher wusste James Mercer immer, die vielen bunten Elemente seiner Songs so zu kanalisieren, dass sie ein sehr rundes Gesamtergebnis abgeben konnten und seine Texte waren gleichermaßen eingängig und gehaltvoll. Warum sollte sich das hier also ändern? Die Antwort darauf ist wahrscheinlich, dass die Shins diesmal Blut geleckt hatten. Nachdem Port of Morrow so gut funktioniert hatte und sich Mercer außerdem immer mehr mit Danger Mouse herumtrieb (die letzte Broken Bells-Platte sollte hier ein deutliches Indiz sein), dachte er sich hier, wieso er nicht einfach auch ein bisschen weiter gehen könnte. Nun ja, der Grund dafür liegt auf der Hand: Heartworms ist vielleicht das erste Album seiner Band, das man als chaotisch bezeichnen kann. Der Fehler, der hier für diesen Effekt sorgt ist, dass das Ziel hier eben nicht mehr zu sein scheint, harmonische, runde Songs zu schreiben, sondern eben auch mal ein bisschen krass zu sein. Und obwohl es in der Theorie immer schön ist, wenn sich Künstler_innen dann und wann erlauben, mal ein bisschen am Rad zu drehen, wirkt es hier meistens so, dass die Shins übers Ziel hinausschießen. Im Kern sind Tracks wie Cherry Hearts oder Half A Million immer noch die Art von Musik, die wir von James Mercer schon lange kennen, nur bindet er diesmal überall kleine Gimmicks ein, die eigentlich kein Mensch braucht und die nur ablenken. Und teilweise macht das die schönen Melodien, die er hier komponiert hat, ein bisschen zunichte. Keiner der Songs wird dadurch tatsächlich unerträglich oder so, aber so gut wie jeder könnte auch besser sein. Es ist ein bisschen so wie zuletzt bei Jens Lekman, dem seine neuen Spielsachen auch wenig gebracht haben. Nur dass die Shins eigentlich wissen, wie es besser geht. Und zum Glück gibt es dafür auch genügend Beweise. Mein Tipp für Einsteiger also: Spart euch diese Platte und hört euch erstmal ein paar alte Sachen an. Manchmal ist es nämlich auch ganz gut, vo vorne anzufangen.





Persönliche Highlights: Name for You / Rubber Ballz / Heartworms / So Now What / the Fear

Nicht mein Fall: Painting A Hole

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Freitag, 17. März 2017

Doppel-Besprechung: Bad Boys, Bad Girls

Jeder, der in den letzten zwei Jahren diesen Blog ein wenig kennt, weiß um meine Leidenschaft für die junge deutsche Cloudrap-Szene und wie sie mein Interesse für HipHop aus dem deutschsprachigen Raum neu entfacht hat. Erst vor einigen Monaten setzte ich dieser Bewegung mit einer stattlichen Hit-Playlist noch einmal ein Denkmal und ich versuche zumindest, immer mit aktuellen Reviews nachzukommen. Da jedoch in letzter Zeit mein Enthusiamus für viele neue Künstler_innen etwas gesunken ist, bin ich doch nicht mehr ganz so regelmäßig damit am Start. Das letzte Tape von Haiyti vernachlässigte ich ebenso wie die Longplayer von K. Ronaldo, Rin und Young Krillin. Und auch die heutige Doppel-Besprechung ist für mich eigentlich nicht mehr als ein ausführliches Update über zwei Interpret_innen, die ich momentan zu den Speerspitzen der Szene zähle und die ich einfach nicht komplett unkommentiert lassen wollte. Vor allem, zumal das hier beides nur als EPs betitelte Releases sind und ich einfach nur hoffe, irgendwann wieder richtige Mixtapes von Yung Hurn und Haiyti zu hören. Und wenn davon eines kommt, will ich dem auch gerne wieder ein ausführliches Review widmen. Nur hier habe ich das irgendwie nicht wirklich für nötig befunden. Sorry not sorry.

Wenn ich an den Yung Hurn denke, der für mich deutschsprachigen Trap revolutioniert hat, dann denke ich auch 2017 noch immer an den Typen, der damals die fetten Hanuschplatz-Singles gemacht hat und letztes Jahr das Krocha Tape veröffentlichte. Der komplett verrückte Avantgarde-Rapper, der mit seiner seltsamen Ästhetik und seinem Dada-Flow die Welt eroberte und allen zeigte, wie Punk eben auch geht. Mittlerweile habe ich jedoch mit dem Output des Österreichers immer wieder so meine Probleme. Ich kann durchaus verstehen, dass ein so hyperaktives Gesamtkunstwerk wie er nicht lange in einer stilistischen Inkarnation verharren will und immer wieder versucht, sich irgendwie neu zu entwickeln. Sein Alter Ego K. Ronaldo war in dieser Hinsicht schon ein großer Schritt, aber sicherlich auch ein polarisierender. Über die wieder einmal komplett andere Richtung, die er im Rahmen von Love Hotel fährt, lässt sich im Endeffekt das gleiche sagen. Klanglich ist hier wieder mehr Pop im Spiel und man kann sagen, dass man hier die ersten wirklich kommerziellen Tracks von Yung Hurn zu hören bekommt. Das ist an sich überhaupt nicht problematisch und wie man an Riesenhits wie Nein und Opernsänger gesehen hat, kann der Rapper durchaus diese Schiene fahren. Was ich auf dieser EP allerdings schmerzlich vermisse ist der HipHop-Charakter in den Songs. So gut wie die komplette halbe Stunde über hört man den Österreicher hier nur über melancholische Synth-Balladen singbrabbeln und dabei klingt jedes Stück eigentlich komplett gleich. Natürlich gibt es hier und da schicke Gimmicks wie das Klavier in Ich will dich und die Bandbegleitung in Diamant, aber die Schlagkraft des letzten Albums verliert er hier so gut wie komplett. Der einzig wirklich auffällige Song ist für mich tatsächlich Blumé, in dem Hurn erstens rappt und zweitens seinen einzigartigen Humor wieder durchschimmern lässt, ganz abgesehen vom ziemlich geilen Beat. Vorbei ist auch gut, aber eben nur dadurch, dass Feature-Partner Bausa seinem Host hier komplett die Show stielt, was rückwirkend dann irgendwie doch wieder scheiße kommt. Insgesamt fehlt mir auf Love Hotel also irgendwie das spektakuläre und energische, durch das sich Yung Hurn für mich immer ausgezeichnet hat. Wenn ich schlecht gemachte Synth-R'n'B-Balladen hören möchte, würde ich the Weeknd hören.





Persönliche Highlights: Diamant / Rot / Blumé

Nicht mein Fall: Ja ich weiß
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Auch mit Haiyti hatte ich in letzter Zeit nicht nur meine Freude. Nachdem das großartige City Tarif-Mixtaoe im Februar des letzten Jahres die Hamburgerin zur neuen Sensation des deutschen Trap machte, war alles danach irgendwie halbgar und nicht so richtig durchdacht. die Toxic-EP mit Kitschkrieg hatte noch ihre Momente, während Nightliner letzten Dezember einfach nur Blödsinn war. Einzig ihre Features für die Königsklasse des Deutschrap waren meistens on point. Doch mit White Girl mit Luger scheint es jetzt zum Glück wieder aufwärts zu gehen. Auf der neuen EP, die sozusagen nur der Teaser für das nächste Woche veröffentlichte neue Mixtape Follow mich nicht ist, fährt die Rapperin wieder die großen Geschütze auf. Komplett produziert von AsadJohn, mit dem sie auch schon auf City Tarif arbeitete, ballert die Hambuergerin hier wieder einen Hit nach dem anderen. Zwar gibt es im Gegensatz zu Yung Hurn hier nur fünf Songs in 15 Minuten, die sind dafür aber alle großartig. Der Titelsong überzeugt am Anfang durch seinen abgefuckten Flow, Italiano und Läufer sind Instant-Klassiker und das vierminütige Money Rain zum Schluss zeigt wieder mal, dass Haiyti auch Balladen kann. Was neben der Performance der Hauptakteurin ebenfalls Würdigung verdient, sind die erlesenen Instrumentals, die AsadJohn hier abliefert und mit Joey Bargeld und Tamas sind zwei fantastische Features auf White Girl mit Luger vertreten. Diese EP ist nicht weniger als das, was ich schon seit Ewigkeiten von Haiyti hören wollte und der einzige Wermutstropfen dabei ist, dass es eben doch nur eine EP ist. Die ersten Vorboten des neuen Tapes sehen aber wohlgemerkt auch gar nicht schlecht aus und sollte es dieser Künstlerin gelingen, mit Follow mich nicht noch einmal so einen Brocken rauszuhauen, hätte sie es definitiv drauf, eines der besten Alben des Jahres zu veröffentlichen. Diese fünf Songs hier sind aber definitiv schon mal ein absolutes Highlight und in meinen Augen der bisherige Höhepunkt der Karriere von Haiyti. Und wenn es am Ende bei einer EP bleibt, ist das wenigstens zeitgemäß.





Persönliche Highlights: White Girl mit Luger / Italiano / Läufer / Pimp Slam Daddy / Money Rain

Nicht mein Fall: -

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Donnerstag, 16. März 2017

Diebe unter sich

Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass irgendjemand außerhalb des australischen Kontinents, von dem der Songwriter Cameron Avery ursprünglich stammt, schon mal von ihm gehört hat und wenn doch, dann kennt diese Person ihn wahrscheinlich persönlich. Zwar spielt der Multiinstrumentalist schon seit geraumer Zeit bei den mittlerweile äußerst berühmten Tame Impala, doch wer dort nicht Kevin Parker heißt, ist eigentlich nie mehr als ein besserer musikalischer Statist. Was seltsam ist, denn Avery ist als Komponist nicht untalentiert und hat sich in dieser Funktion auch schon bei seinen anderen Bands Pond und the Growl einige Sporen verdient. Doch es hat bis zu seinem Solodebüt gedauert, dass das wirklich jemand mitbekommt, weil wir scheinbar in einer Welt leben, in der man den Leuten so etwas eintrichtern muss. Doch wenigstens versteht es Ripe Dreams, Pipe Dreams, die gewonnene Aufmerksamkeit mit einer ordentlichen Show zu erwidern. Und das funktioniert vor allem deshalb, weil Avery seine Position als australischer Superstar auch zu Nutzen weiß. In europäischen Maßstäben wäre es unvorstellbar, dass der völlig unbekannte Live-Gitarrist einer Indieband mal eben ein ganzes Orchester bucht, um sein Debüt aufzunehmen, doch weil Australien für unser Szene-Verständis komplett abgefuckt ist, kann er das hier machen. Und es trägt definitiv jede Menge zur Qualität dieser Platte bei. Ohne die dicken Streicher wäre Ripe Dreams... vielleicht nicht mehr als ein weiteres gutes Songwriter-Album im Stil eines Kevin Morby oder Josh Tillman, doch mit wird es zum echten Hingucker. Die Melodien hier werden von der zusätzlichen Instrumentation viel besser getragen und kontrastieren die sporadischen Gitarre-und-Text-Passagen vorzüglich. Natürlich nimmt das der ganzen Sache die Intimität, aber wie bei Peter Fox, Foxygen oder eben Tillman macht die unglaubliche Spannweite der Songs das doppelt und dreifach wett. Man kann Cameron Avery zu dieser Entscheidung nur gratulieren, denn so unfair das auch sein mag, sie verschafft ihm einen großen Bonus in Sachen Aufmerksamkeit. Und kaschieren vielleicht auch die vielen kleinen Fehlerchen, die er sich hier gelegentlich erlaubt. Dass wir es hier mit einem Songwriter zu tun haben, der ein Gespür für Melodien hat, ist offensichtlich. Doch wenn man etwas genauer hinhört, merkt man auch sehr schnell, von wem er dieses Talent gelernt hat. Seine Einflüsse zeigt Avery hier so offen, dass manche seiner Ideen mitunter ein bisschen geklaut wirken. Wer in Do You Know Me By Heart oder besonders Big Town Girl (sehr große Ähnlichkeit zu einem Track, den ich glaube ich nicht näher betiteln muss) nicht an den frühen Leonard Cohen denkt, hat seine Hausaufgeben nicht gemacht (ohne Mist, hört euch Leonard Cohen an!) und im Zwischenteil von Watch Me Take It Away findet man ihn plötzlich als zugegeben ziemlich schlechte Tom Waits-Kopie wieder. Solche dermaßen dreisten Klaus sind zwischen den eigentlich sehr aufmerksam arrangierten Passagen äußerst unangenehm und gehen über kleine Zitate weit hinaus. Ferner ist auch die Produktion teilweise etwas zu glatt geraten und wirkt in den falschen Momenten ekelhaft schlagerig und abtötend. Das ist wirklich schade, denn eigentlich hätte Ripe Dreams... ein echt gutes Album werden können. Wäre das Songwriting nicht ganz so oberflächlich und vor allem geklaut gewesen und der Sound ein wenig origineller, hätte Cameron Avery mit Leonard Cohen und Tom Waits verglichen werden können. So reicht es wenigstens noch, dass die Welt ihn als mehr in Erinnerung behält als den Typen, der auf der Bühne immer rechts neben Kevin Parker steht. Jemandem, dem für sein Geklaue regelmäßig Kritikerherzen zufliegen.





Persönliche Highlights: A Time & Place / Do You Know Me By Heart / Wasted On Fidelity / the Cry of Captain Hollywood / Watch Me Take It Away

Nicht mein Fall: Big Town Girl / Whoever Said Gambling's for Suckers

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