Mittwoch, 29. März 2017

Grabrede

Es mag vielleicht ein wenig pietätlos klingen, aber seit ein paar Jahren und vor allem seit dem Ableben David Bowies scheint es unter Indie-Musiker_innen momentan eine Art Trend zu geben, sich besonders mit der eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit von Allem künstlerisch auseinanderzusetzen. Mark Kozelek hat es bersits 2014 gemacht, ebenso wie Nick Cave und Conor Oberst innerhalb der letzten Monate. Und obwohl ich all ihre Platten sehr ausführlich gehört habe und mich mittlerweile fast für ein bisschen abgestumpft halte, bekam ich bei diesem ebenfalls in diese Richtung angesiedelten Projekt von Phil Elverum alias Mount Eerie schon im Vorfeld einen gewaltigen Kloß im Hals. Vor ziemlich genau zwei Jahren verstarb dessen Ehefrau nach einem Krebsleiden und um diesen Satz hier zu formulieren, musste ich nicht eine Silbe googeln. Es hat vollkommen gereicht, mir A Crow Looked at Me anzuhören. Wer das jetzt krass findet, versteht vielleicht auch, warum dieses Album so besonders eindrücklich ist. Elverum schreibt hier keine Platte über Sterblichkeit und Vanitas-Gedanken im Allgemeinen, sondern elf schockierend konkrete Songs über die Umstände ihres Todes, seine Trauer, die Veränderung seiner Psyche während dieser Zeit und seine Unfähigkeit, das Erlebte in Worte zu fassen. Gleich der Opener Real Death funktioniert dabei wie eine Art Disclaimer, in dem er singt, dass der Tod eigentlich nichts ist, worüber man Musik schreiben kann oder will. Und bereits hier geht es einem unglaublich nahe, wie wenig Distanz der Songwriter zwischen sich und dem Hörer aufbaut, die auch auf dem Rest der etwas über vierzig Minuten nicht größer wird. Vollkommen ungeschminkt und fast erzählerisch spricht Elverum hier über all diese Dinge und jeder Track springt dabei auf der Zeitachse zwischen Ereignissen hin und her und beleuchtet eine andere Facette jenes Schicksalsschlags. Wie man sich denken kann, ist A Crow Looked at Me folglich alles andere als ein erbauliches Album. Mehr noch als der Spiritualismus von Bowie oder der Metaphern-Dschungel von Cave (natürlich kann man das eigentlich alles nicht vergleichen!) ist diese LP ein eiskalt realistischer Tatsachenbericht, der zu einhundert Prozent das meint, was hier auch wortwörtlich gesagt wird. Und so etwas ist nun mal erschütternd. Das kann man nicht faken. Allerdings muss man auch sagen, dass diese Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit der einzige Faktor ist, der A Crow Looked at Me so spannend macht. Als wahnsinnig textlastiges Werk kann man hier eher von einem sporadisch vertonten Tagebuch oder Bericht sprechen als von einem ausformulierten Musikalbum. Das ist selbstverständlich auch wahnsinnig gut und als Arbeit keinen Deut weniger wichtig. Ich sage das nur, damit man sich keine falschen Vorstellungen macht. Wer hier nicht genau zuhört, wird an dieser Platte sicher auch nichts besonderes finden. Wer es jedoch tut, der erlebt hier ein einmaliges Kunstprojekt, das einem riesengroßen Respekt für Phil Elverum einflößt, der die Eier hat, dieses Ding an die Öffentlichkeit zu lassen. Wobei ich euch auch warnen muss: Diese Songs zu hören ist immer auch ein bisschen unangenehm. Als würde man jemanden dabei filmen, wie er weint. Und nachdem ich diese Besprechung fertig habe, werde ich aus eben diesem Grund auch bis auf weiteres die Finger davon lassen. Über einen Kauf nachzudenken, traue ich mich im Moment noch gar nicht. Wozu auch? Um mich in meiner kostbaren Freizeit mit grausamen Existenzfragen zu beschäftigen? Eher nicht so. Überhaupt bin ich von den vielen Begräbnis-Platten im Moment etwas überstrapaziert. Sie sind zwar allesamt tierisch gut, aber gerade das ist das Problem. Wenn man davon auch nur einen Song hört, braucht man danach direkt erstmal eine halbe Stunde Bob Marley, um sich selbst zu therapieren. Liebe Musiker, macht bitte wieder mehr solche Alben! Wir brauchen sie gerade wesentlich dringender als eure Grabesstimmung! Danke vielmals!





Persönliche Highlights: Seaweed / Ravens / Forest Fire / Swims / When I Take Out the Garbage at Night / Emptiness Pt. 2 / Toothbrush / Trash / Soria Moria / Crow

Nicht mein Fall: -

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