Dienstag, 28. März 2017

Objects in the Rear View Mirror

Es gibt ein Problem mit the Jesus and Mary Chain, das erfahrungsgemäß viele mir bekannte Musikfans haben und das auch mir nicht fremd ist, aber das keiner so richtig zugeben will: Der Band gebührt für ihre ungemein wichtige Einflussarbeit auf die gesamte britische Popmusik der Neunziger und Zweitausender ein Riesensack voll Lorbeeren, besonders die Shoegaze-Szene wäre ohne Platten wie Psychocandy oder Darklands heute wahrscheinlich nonexistent. Doch wenn man sich der Diskografie der Schotten dann einmal ausführlich widmet, wie ich es vor ein paar Jahren getan habe, muss man feststellen, dass ihr eigener Output nie wirklich besonders hochwertig war. Sicherlich sind Songs wie Just Like Honey oder Here Comes Alice großartig, aber keines ihrer Alben würde ich als absolut gigantisch bezeichnen und gegen die Unmengen an Künstler_innen, die sie beeinflusst haben (My Bloody Valentine, Blur oder Primal Scream, um nur ein paar zu nennen) stinken sie aus heutiger Sicht doch ziemlich ab. Aus diesem Grund war ich auch von der Ankündigung ihres ersten Longplayers seit 19 Jahren nicht so wirklich vom Hocker gerissen. Eine Band, die selbst eh nie wirklich groß war, würde wahrscheinlich mit einer noch weiter abgeschwächten Version ihres damaligen Sounds versuchen, die wenigen noch verbliebenen Fans nicht ganz und gar zu vergraulen, worauf ich als jemand, der gerade so lange lebt wie ihre Abstinenz ging, nicht unbedingt anspringen muss. Am Ende war ich aber dann doch ein bisschen neugierig und im Nachhinein bin ich froh darüber, denn in meinen Augen haben the Jesus and Mary Chain hier eine Platte gemacht, die sich mit dem "alten Zeug" durchaus messen kann. Zumindest, wenn man nicht mit den falschen Erwartungen an die Sache herangeht. Wenn dein Lieblingsinstrument das Effektpedal ist und du irgendwo gehört hast, dass die Gebrüder Reid sozusagen Kevin Shields erfunden haben, dürfte dich Damage & Joy eher enttäuschen. Denn viel Lärm, Feedback und Distortion, wie er auf den frühen Werken der Band üblich war, gibt es hier so gut wie gar nicht. Die neue Formel ist tatsächlich wenig mehr als die angesprochene abgeschwächte Version von damals. Aber gerade darin erstehen die Schotten in einem ganz neuen Indiepop-Glanz, der ihnen gut zu Gesicht steht. Aus heutiger Sicht würde man das hier gehörte am ehesten mit Gruppen wie the Horrors oder den ganz frühen Blur vergleichen, also eher mit etwas sanfteren Acts. Dafür fühlen sich die 14 Tracks hier wesentlich kreativer an als vieles von früher. Gerader der erste Teil mit Amputation und Always Sad hat ein paar wunderbare Melodien am Start, die den Hits aus den Achtzigern in nichts nachstehen. Dazu tritt die Band mit einer Attitüde auf, die herrlich entspannt und humorvoll daherkommt und an den Britpop der frühen Neunziger erinnert. Gleichzeitig klingen diese Stücke aber auch auf gewisse weise zeitgemäß. Hier positionieren sich the Jesus and Mary Chain auf jeden Fall als Künstler, die man auch 2017 noch gut hören kann. Der zweite Teil ist dann schon eher etwas lückenhaft und an gewissen Punkten sogar langweilig, da die Band hier scheinbar ein wenig zu sehr in ihren Trott kommt. Songs wie Get On Home oder Face On to the Facts fehlen einfach die Besonderheiten, die viele Momente der ersten Hälfte hatten und vor allem Jim Reids Gesang kann manchmal ziemlich nervig werden. Zum Schluss gibt es mit Black & Blues und dem herrlich cheesigen Can't Stop the Rock noch einmal zwei richtig gute Nummern, die Damage & Joy würdevoll abrunden. Und am Ende bin ich mit dem Gesamtergebnis hier doch recht zufrieden. Wie alle Alben ihrer Diskografie ist das hier kein riesengroßes Highlight, aber doch ein ziemlich nettes Ding, mit dem die Schotten meine Erwartungen diesmal übertroffen haben. Das wirklich spannende daran ist, dass sie hier die Möglichkeit haben, ihre Tätigkeit als Pop-Influencer sozusagen von hinten aufzurollen und sich genüsslich aus ihrem eigenen Erbe bedienen. Nicht jede Band hat diesen Move drauf und wenn ich es jemandem gönne, dann definitiv ihnen. Revolutionieren brauchen sie nämlich heutzutage nichts mehr. Das machen die anderen schon ganz gut.





Persönliche Highlights: Amputation / Always Sad / Song for A Secret / Mood Rider / Presidici (Et Chapaquiditch) / Black & Blues / Can't Stop the Rock

Nicht mein Fall: Facing Up to the Facts

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen