Mittwoch, 22. März 2017

Das blauäugige Album

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber 2017 ist das erste Jahr seit langem, in dem sich in meinen Augen eine Veränderung im angesagten Geschmack der Hipster-Elite abzeichnet. Ähnlich wie ich haben die coolen Kids dieses Jahr keinen Bock mehr auf die seit langem dominante Selbstbeweihräucherung der HipHop- und R'n'B-Szene und stattdessen große Lust, wieder Rockmusik zu hören. Und ein Angebot für coole neue Tendenzen in diesem Bereich gibt es ja seit einer weile wieder. Das Emo-Revival der letzten Jahre, kombiniert mit den Resten der Postpunk- und Surfrock-Bewegung der späten Noughties hat eine stilistische Bildfläche geschaffen, auf der sich junge Acts wie Car Seat Headrest, Bleached oder Mourn momentan fantastisch aufgehoben. Und innerhalb dieses Kosmos gibt es seit kurzem eine Band, die das Zeug hat, diese neue Energie zu bündeln und sie mit voller Wucht zwischen die Augen ihrer Hörer zu snipern. Remo Drive aus Minnesota sind eine dreiköpfige Gruppe, die mit Greatest Hits dieser Tage ein Debütalbum veröffentlichen, auf das der ein oder andere Rockfan in den letzten Wochen und Monaten vielleicht schon sehnsüchtig gewartet hat. Grund dafür sind zwei vorab erschienene Songs von der Platte, die sozusagen Instant Classic-Potential haben und mindestens ein paar richtig fette Hits waren. Wahrscheinlich jeder, der entweder Yer Killing Me oder Art School mindestens einmal gehört hat, wird wissen, wovon ich rede. Und mit dem nun fertigen Album beweisen Remo Drive, dass auch diese Single-Kracher nur eine Facette ihres Könnens ist. Greatest Hits ist die Blaupause eines Indierock-Albums, wie es aktueller nicht sein könnte. Zwischen Emo-Melodien, Surfpunk-Humor, noisiger Krawallerei und der Gewissheit, dass man selbst einer von den guten ist, bauen die US-Amerikaner hier eine LP, die mit etwas Glück zur blauen Weezer-Platte unserer Generation und mit etwas Pech zum Live at the Dentist Office der Indie-Szene werden könnte. Dabei ist das ganze wesentlich mehr als nur eine Sammlung zehn sehr guter Rocksongs, sondern schafft es auch noch, einen sehr harmonischen Aufbau und einen sinnvollen Gesamtklang zu haben, aus denen die einzelnen Super-Tracks nur als Highlights hervorstechen. Man kann es tatsächlich so pauschal sagen: Es gibt an diesem Album absolut nichts, was wirklich schlecht wäre. Wenn jetzt die Frage auftaucht, warum ich dann nicht gleich elf Punkt vergebe, dann hat das nur den Grund, dass Greatest Hits am Ende des Tages auch nicht mehr ist als ein äußerst unterhaltsames Rockalbum, das nicht wirklich neue Impulse für irgendwas setzt oder in welcher Form auch immer die Maßstäbe der Szene durchbricht. Viel eher ist es sogar noch eine Hommage an die Neunziger und Künstler_innen wie Weezer, Sunny Day Real Estate oder Modest Mouse, Originalität ist also auch nicht ihre größte Stärke. Dies sind aber auch die einzigen Faktoren, die mich von einer höheren Bewertung abhalten und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dies in Zukunft noch passieren kann. Die Szene würde es ihnen auf jeden Fall danken.





Persönliche Highlights: Art School / Hunting for Sport / Summertime / Trying 2 Fool U / Yer Killing Me / I'm My Own Doctor / Name Brand

Nicht mein Fall: -

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