Montag, 20. März 2017

Stress lass nach!

Man kann sagen was man will, aber für mich pendelt der Output von Drake in den letzten zwei Jahren irgendwo zwischen anstrengendem Müll und visionärem HipHop-Geniestreich. Wo das eine seiner Projekte für Kopfschütteln sorgt, ist man eine Woche später schon wieder restlos begeistert von ihm. In dieser Hinsicht hat er inzwischen viel mit seinem schwergewichtigen Quasi-Rivalen Kanye West gemein und mit dem Release von More Life fühle ich mich darin nur noch weiter bestätigt. Offiziell ist die neueste Veröffentlichung des Kanadiers als "Playlist" betitelt, was das ganze irgendwie ziemlich gut trifft. Für ein Mixtape ist das Teil zu lang, für ein Album zu chaotisch und die Tatsache, dass der Rapper inzwischen eine halbe Legion an Künstler_innen und Produzent_innen beschäftigt, macht das ganze ehrlicherweise zu keinem wirklichen Soloprojekt. Zumal es Songs gibt, auf denen er selbst zumindest als Vokalist gar nicht zu hören ist. Und da ich seine letzten großen Coups Views und If You're Reading This It's Too Late für seine vielleicht bisher schlechtesten Werke halte, dachte ich nicht, dass ich aus hieraus einen besonderen Mehrwert schöpfen würde. Zumal das Ding mit knapp 82 Minuten Spieldauer schon wieder komplett den Rahmen sprengt und die Singles mich nicht wirklich vom Hocker rissen. Andererseits waren die experimentelleren Projekte von Drake bisher fast immer die ertragreicheren und tatsächlich ist das auch hier der Fall. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass More Life das beste ist, was der Kanadier seit einiger Zeit gemacht hat. Die offene, lockere Songstruktur, die hier von vornherein angepeilt wurde, ermöglicht es den Beteiligten hier, all die Dinge so richtig auszuprobieren, die bisher schon immer mal auftauchten, aber dort auch nur halbherzig durchgeführt wurden. Dass Drake Ambitionen für jede Menge Stilrichtungen hat, ist nicht unbekannt und gerade auf Views merkte man das wieder einmal. Nur leider fielen die Experimente dort größtenteils dem kommeziellen Charakter des Albums zum Opfer. Hier wird diesen Versuchen nun endlich Platz zum atmen gegeben und wie durch ein Wunder schafft es die Platte auch noch, diesen Pluralismus in ein ziemlich gutes Gesamtpaket zu schnüren. Zugegeben, Hits sucht man auf More Life völlig vergeblich, doch dafür spannende Studien, die zeigen, wo sich der vielleicht wichtigste Rapper der Welt im Jahr 2017 befindet. Es gibt hier die Ovo-typischen Trap-Balladen wie Passionfruit oder Blem, die wie immer atmosphärisch vor sich her schwabern und in denen der 6th God uns sein Herz ausschüttet, Soul-Ausflüge wie Get It Together und zeitgenössischen Dancehall wie in Madiba Riddim. Dabei arbeitet der Kanadier wieder mit unglaublich guten Leuten zusammen, die ihm (meistens) gelungene Ergebnisse garantieren. 4422 wird komplett von Sampha gesungen, Skepta bekommt ein Interlude geschenkt, Young Thug muss gleich zwei Mal ran und auch Kanye darf in Glow mitmachen. Auf der Seite der Produzenten stehen mit Boi-1Da, 40 und Partynextdoor zwar häufig wieder die gleichen Namen wie immer, unter anderem aber auch das junge Beatmaster-Duo Cubeatz aus dem baden-württembergischen Sindelfingen. Drake selbst ist über allem der große Chef und dirigiert das ganze ein bisschen wie sein eigenes G.O.O.D Music-Kollektiv. Die große Überraschung ist dabei, wie er es hinbekommt, dass das ganze am Ende doch eine ziemlich klare Marschrichtung hat. Natürlich ist es bei 22 Tracks und so vielen dermaßen verschiedenen Künstler_innen fast unmöglich, dass allen alles gefällt, aber wenn für mich unterm Strich gerade mal zwei oder drei Songs rauskommen, die ich nicht mag, bin ich durchaus beeindruckt. Beim Vorgänger Views sah das letztes Jahr nämlich noch ganz anders aus. Wenn es einen Wunsch gibt, den More Life mir nicht erfüllen kann, dann den, mir etwas wirklich neues zu zeigen. Der Platz, den die Songs hier haben, nutzen sie, um das, was sie woanders auch gemacht hätten, ein bisschen intensiver zu tun. Doch tatsächlich hätte fast jeder Song auch auf eines der Projekte gepasst, die Ovo in den letzten ein bis zwei Jahren veröffentlicht hat. Diese Playlist wäre die perfekte Plattform gewesen, um Dinge auszuprobieren, die vielleicht in eine ganz andere Richtung gehen oder neue Impulse setzen können. Dass dies hier nicht passiert, lässt zwei Spekulationen zu: Entweder Drake will hier eine Phase seiner künstlerischen Karriere abschließen und uns danach alle mit einer vollkommen überraschenden neuen LP verblüffen. Oder, und das ist die wesentlich wahrscheinlichere These, er hat einfach keine neuen Ideen mehr. Das breittreten der Impulse, die uns der Kanadier seit inzwischen fast vier Jahren gibt, funktioniert hier zwar noch äußerst gut, doch ich kann mir vorstellen, dass dies nicht mehr lange der Fall sein wird. Gerade bei der unglaublich hohen Release-Frequenz des Rappers bin ich mir sicher, dass ich früher oder später auch von den bestmöglichen Songs dieser Art und Weise gelangweilt sein werde. Ich bin ja schon sehr erleichtert, dass ich seine ewige Leier hier noch so gut finde. Aber dass Drake neue Ideen braucht, ist ein Thema, das erst sehr bald relevant wird. Im Moment bin ich erstmal erstaunt, dass er hier eines seiner besten Projekte seit Jahren gemacht hat. Es ist vielleicht kein besonders repräsentatives und kommerziell macht es sowieso nicht viel her, aber als experimentelle Werkschau eines so wichtigen Rappers ist es ziemlich beeindruckend. Und man kann es auch ohne diesen Hintergedanken gut anhören. Es ist alles in allem wieder mal ein gutes Beispiel dafür, was jemand wie Drake vollbringen kann, wenn man ihn einfach mal machen lässt. Dann ist er nämlich tatsächlich der HipHop-Visionär, als den ihn einige nicht sehen wollen.





Persönliche Gighlights: Free Smoke / No Long Talks / Madiba Riddim / 4422 / Gyalchester / Portland / Teenage Fever / KMT / Lose You / Can't Have Everything / Glow / Fake Love / Ice Melts

Nicht mein Fall: Get It Together

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