Mittwoch, 8. März 2017

Alles außer Tiernahrung

Es ist leider Gottes einige Zeit her, seitdem ich zum letzten Mal etwas von Dear Reader gehört habe, genauer gesagt ungefähr sechs Jahre. Damals lernte ich das südafrikanische Songwriting-Projekt als das Steckenpferd von Cherilyn MacNeil kennen, das mit Idealistic Animals ein ziemlich niedliches Album mit Songs mit Tiernamen veröffentlichte, das vollgestopft war mit allem möglichen instrumentalen Schnickschnack, herrlich naiven Texten, aber trotzdem eine große kompositorische Ernsthaftigkeit an den Tag legte. Noch heute kann ich die Platte guten Gewissens allen Leuten empfehlen, die Spaß an der Musik von Kimya Dawson, Amanda Palmer oder Fiona Apple haben. Aber natürlich ist seitdem einiges passiert. Dear Reader haben in der Zwischenzeit zwei weitere Alben veröffentlicht, die mir leider beide irgendwie durch die Lappen gegangen sind und dabei einen immensen Reifungsprozess durchlaufen. Wenn man die Songs auf Day Fever mit denen von Idealistic Animals vergleicht, so hört man zwar im Herzen der Tracks noch die gleiche Kindlichkeit heraus, doch ist diese hier in eine wesentlich elegantere Schale gemorpht, die schon eher nach großem Songwriting klingt als das Zeug von damals. Die instrumentale Reichhaltigkeit hat sich von akustischer eher auf synthetische Gerätschaften verlagert und alles in allem klingt vieles hier ein bisschen zeitloser. Und allem voran sind die Songs noch einmal um ein Vielfaches besser geworden. Ich hatte ehrlich gesagt eher erwartet, hier ein Album zu erleben, das eine Künstlerin zeigt, die ihr Zenit überschritten hat und an neuen Ideen nagt, doch stattdessen erlebe ich Cerilyn MacNeil vielschichtiger und grandioser als je zuvor. In so fast jeder Sekunde eines jeden der elf Stücke hört man neue schicke Details heraus, erstrecken sich andere instrumentale Auswüchse, ändert sich die Richtung des Songs ein kleines bisschen. Dabei ist Day Fever nie laut oder plärrig, sondern stets sehr begrenzt und zurückhaltend und setzt seine Fähigkeiten äußerst bewusst ein. Nie werden sonderlich viele Effekte übereinander geschichtet, eher wechseln sie sich sehr schnell ab und halten bewusste Kunstpausen ein. Über allem thront schlussendlich MacNeils Vokalperformance, die zwar nicht unbedingt besonders ist, aber die Tracks ästhetisch bindet und abrundet. Nicht selten erinnert das Ganze dann an die besten Momente von Emíliana Torrini oder nach wie vor Fiona Apple, nur dass Dear Reader noch zehnmal bunter und optimistischer klingt. Mit dieser Power und positiven Ausstrahlung macht die Südafrikanerin hier eine der besten ausladenden Songwriting-Platten, die ich in den letzten Jahren in dieser Form gehört habe. Und nach einer relativ langen persönlichen Krise mit dieser Stilrichtung spüre ich bei mir mit Day Fever ein deutliches Aufatmen. Ich rechne dieser LP ein langes Echo bei CWTE zu und hoffe, dass ich auch nach Ende dieses Jahres noch davon sprechen werde. Das letzte Mal kam das ja wohl etwas zu kurz.





Persönliche Highlights: Oh, the Sky / So Petty, So Pathetic / Mean Well / Wake Him / I Know You Can Hear It / Nothing Melodious / Then, Not Now

Nicht mein Fall: Placate Her

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