Montag, 6. März 2017

Sea Change

Eigentlich dachte ich immer, dass das Thema Dirty Projectors eines ist, welches sich größtenteils vor meiner Zeit abgespielt hat. Zu Zeiten, in denen die großen, von der Blogosphere selig gesprochenen Alben wie Bitte Orca oder Rise Above erschienen, war ich gerade mal dabei, überhaupt zu erfahren,was Popmusik ist und war von den experimentellen Höhenflügen des Dave Longstreth noch weit entfernt. Was im weiteren Verlauf dazu führte, dass ich seine Songs bisher nie wirklich verstanden habe und später Platten wie Swing Lo Magellan ziemlich doof fand. Umso erstaunlicher ist es, dass sich das hier ändert, ist doch der neue Longplayer des New Yorkers einer, der von vielen früheren Fans sehr skeptisch antizipert wurde. Nach langer Abstinenz von seinem Hauptprojekt, in der Dave vornehmlich als Produzent, zum Beispiel für Solange, tätig war, hat dieser nämlich eine innige Liebe für R'n'B und Soul entwickelt, die er auf diesem selbstbetitelten neuen Album auf die Hörer_innen loslässt. Eine durchaus polarisierende Entwicklung, die ich jedoch von Anfang an sehr positiv sah. Das liegt zum einen daran, dass ich der ganzen alternativen R'n'B-Bewegung der letzten Jahre generell weniger skeptisch gegenüber stehe als viele andere und dass ich außerdem das Gefühl hatte, dass Dirty Projectors diesem Anspruch gerecht werden würden. Singles wie Little Bubble oder Up in Hudson waren in den letzten Monaten grandiose Vorboten und das komplette Ergebnis ist nun tatsächlich noch ein ganzes Stückchen besser geworden. Dieser Umstand liegt vor allem an der plötzlichen Offenbarung, dass Longstreth hier allem Anschein nach ein Konzeptalbum aufgenommen hat, das auch noch von einer gebrochenen Langzeitbeziehung handelt und damit die lyrische Seite der LP nochmal ordentlich aufpeppt. Dass man über derartige seltsame musikalische Konstrukte so herzergreifend über Gefühle singen kann, ist eine wichtige Erkenntnis dieses Albums, die viel zu seiner Qualität beiträgt. Bis zum Schluss ist man sich nicht ganz sicher, was einen daran mehr fasziniert: Dass die Texte so einfühlsam geworden sind oder dass die Musik trotz ihrer unglaublichen Komplexität so gut dazu passt. Selbst wenn Dave Longstreth seine Stimme zur Unkenntlichkeit in die Tiefe pitcht oder gechoppte und gescrwete Billig-Synths übereinander stapelt, nimmt man ihn noch unglaublich ernst. Ein Stunt, die sonst eigentlich nur Bon Iver so überzeugend vollführt. Man findet es schön, dass es 2017 ist und man eine Autotune-Ballade wie Ascent Through Clouds nicht mehr nur des Effektes wegen gut findet. Was ich auch sehr mag ist die Tatsache, dass sich hier teilweise Songlängen von über sieben Minuten getraut werden, die zum Gesamtbild und zur Tiefe der Tracks unglaublich viel beitragen, das beste Beispiel dafür ist sicherlich Up in Hudson, dass erst durch die schweren Bläser im zweiten Teil so richtig fett wird. Und gerade bei sehr verstückelten Nummern wie Winner Take Nothing oder Cool Your Heart ist es wichtig, dass sich das Songwriting die notwendige Zeit nimmt. Nur so wird aus dem haarsträubend experimentellen Machwerk, das dieses Album nun einfach mal ist ein doch äußerst bekömmliches, emotionales Indie-Album, das zu den absoluten Meisterwerken des alternativen R'n'B und der Diskografie der Dirty Projectors gehören dürfte. Und ich persönlich bin doppelt froh über diese stilistische Neuorienterung, da sich so auch mir endlich mal das Genie dieser Band erschließt. Und wenn ich sage Genie, dann meine ich das auch so. Ein Album wie dieses schüttelt nicht jeder Schlafzimmer-Producer mal eben so aus dem Ärmel. Außer natürlich Bon Iver.





Persönliche Highlights: Keep Your Name / Up in Hudson / Little Bubble / Ascent Through Clouds / Cool Your Heart / I See You

Nicht mein Fall: Work Together

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