Montag, 30. November 2015

Retro-Review: Die dunkle Seite

GORILLAZ
Demon Days

Parlophone
2005
















Dieses Review habe ich mir sehr lange aufgehoben und schon mehrmals die Möglichkeit ausgelassen, es zu schreiben. Der Grund dafür ist ziemlich simpel: Demon Days war vielleicht mein erstes richtiges Lieblingsalbum und steht bis heute hoch in meiner Gunst. Und wenn man zu so gut wie jedem Song persönliche, emotionale Bindungen hat, fällt es logischerweise schwer, eine kompakte, nüchterne Kritik darüber zu schreiben. Deshalb habe ich mich letztendlich auch dagegen entschieden, dies zu tun. Dieses Review wird also nun ein Track-By-Track-Lobgesang auf das Zweitwerk der coolsten nicht wirklich existenten Band auf Erden, unprofessionell hin oder her. Alte Liebe rostet eben nicht. Besonders nicht bei Gorillaz.

1. Intro
Es ist erstaunlich, wie viel schon dieser gerade Mal eine Minute dauernde Introtrack über das folgende Album aussagt. Nach dem hedonistischen Debüt klingt hier die pure Apokalypse an, in dem ein dissonantes Loop nach dem anderen und diverse schrille Field Recordings eine Kakophonie erzeugen, die durchaus abschreckend sein kann. Und die klarstellt: Mit Demon Days erforschen Gorillaz die dunkle Seite, wie auch immer diese in der nächsten knappen Stunde aussehen wird.

2. Last Living Souls
Ein dreckiger Post-Dub-Beat klackert feindselig, der Bass brummt und immer wieder hört man eine Zeile: "Are we the last living souls?" In den ersten Minuten klingt der "richtige" Opener der Platte nicht gerade nach einem Highlight, doch genau damit hat Damon Albarn gerechnet. Denn wenn sich nach gut drei Minuten ein paradiesisches Klaviermotiv aus dem tristen Geplucker perlt, ist der Moment perfekt. Dass diese Taktik auf späteren Alben perfektioniert wurde, kann man an Songs wie Empire Ants sehr gut hören, doch am besten funktioniert sie meiner Meinung nach immer noch hier.

3. Kids With Guns
Als ich Demon Days damals das erste Mal hörte, hatte Kids With Guns für mich die beste Bassline der Welt. Heute weiß ich, dass Albarn hier nur the Clash auf die Finger geschaut hat, was den Awesomeness-Faktor dieses Songs aber kaum mindert. Als Schnittmenge zwischen dem Sound des Debüts und dem der zweiten Platte gibt es aber noch mehr, was dieser Track zu bieten hat: Neben einem nicht minder großartigen Gitarrenmotiv und einem epischen Finale vor allem auch eine textliche Tiefe, die sich mit gewalttätigen Jugendlichen außeinandersetzt. Und vielleicht immer noch die coolste Bassline der Welt.

4. O Green World
Und da sind sie wieder, die komischen Loops aus dem Intro. Nur irgendwie cooler und mit dem noch besseren Nebeneffekt, dass ein Song danach kommt. Die Mischung aus Verschrobenheit und entfesselnder Melodik ist eines der Dinge, die ich an dieser Platte am meisten schätze. Und O Green World ist vielleicht der Track, wo dies am besten zur Geltung kommt. Und überhaupt: Wie kann man gleichzeitig so eingängig und so unvorhersehbar sein? Erst die sich langsam aufbauende Noise-Anarchie, dann ein perfekter Popsong und ehe man sich es versieht, ist das Hauptinstrument das Innere einer Standuhr. Dieses Stück ist ein Monster, aber eines, das man am liebsten den ganzen Tag streicheln würde.

5. Dirty Harry
Was Songs der Gorillaz furchtbar gut können ist, sich in sich selbst zu verstecken. Dirty Harry ist oberflächlich gesehen ein tanzbarer Club-Track mit einer fantastischen Stevie-Wonder-Hook, einem Kinderchor und schnittigen Handclap-Beats. Dass es dabei tatsächlich vordergründig um den Irakkrieg geht, möchte man dabei am liebsten beiseite lassen. So schwer wäre das auch nicht, wäre da nicht der ergreifende Schlusspart von Bootie Brown, der dem Song auf seinem Höhepunkt eine 180-Grad-Wendung verpasst und ihn dorthin zieht, wo es wehtut. Dass das ganze eigentlich etwas pietätlos ist, wird komplett davon kaschiert, wie faszinierend dieser Song wirkt.

6. Feel Good Inc.
Wird leider viel zu oft als das Clint Eastwood des zweiten Albums pauschalisiert, wo es doch vielleicht der beste Gorillaz-Song überhaupt ist. Die Symbiose zwischen Albarn und De La Soul ist sowieso das beste, was beiden Bands passieren konnte und die Dynamik zwischen Strophe und Refrain (obwohl von den Beatles geklaut) ist zum dahinschmelzen. Von einem der besten Videoclips aller Zeiten will ich gar nicht erst anfangen. Für mich ist mein erstes Mal Feel Good Inc. irgendwann auf MTV rückblickend so etwas wie die Entdeckung meiner musikalischen Identität. Tausend Dank dafür.

7. El Mañana
Demon Days ist ein Album der kreativen Anarchie, ein kunterbuntes Wunderwerk, das die Möglichkeiten der Popmusik feiert. Dass auf so einem Album auch Platz für eine ziemlich stinknormale Ballade ist, zeichnet es nur umso mehr aus. Die leisen Töne und schönen Wahrheiten waren schon bei Blur Damon Albarns Geheimwaffe, doch die Kontrastwirkung lässt sie auf den Platten der Gorillaz fast noch besser wirken. El Mañana ist dafür eines der besten Beispiele. Die unkomplizierte Gitarrenmelodie und der melancholische Refrain bringen Luft in ein Album, das zum Luftholen eigentlich keine Zeit hat. Zwischen den zwei Song-Giganten Feel Good Inc. und Every Planet We Reach is Dead kühlt es die Platte auf ein erträgliches Maß an Spannung herunter und zeigt, dass man dem Affen auch nicht immer Zucker geben muss, um ihn bei Laune zu halten.

8. Every Planet We Reach is Dead
Wieder so ein Song, den man nicht nur oberflächlich betrachten sollte. Mit einem imposanten Instrumentarium (Gitarre inklusive Ike Turner, Orgel, Chor, Akkordeon, Klavier und Streicher) und entsprechendem Dampfwalzen-Sound klingt Every Planet We Reach is Dead erstmal ziemlich nach Karneval, doch schon mit Albarns eröffnender Strophe schwimmt etwas Melancholie in den Track, die nicht so trügerisch ist: Je nach Interpretation - und die Debatten der Fans sind da ziemlich unerbittlich - handelt es sich hier um ein Stück über Trennungsschmerz oder das Ende der Welt. Und vor allem dank dieser Vielschichtigkeit ist dies hier einer der besten Gorillaz-Songs überhaupt. Obwohl ein bisschen Karneval auch dazugehört.

9. November Has Come
MF Doom als Gast auf seiner Platte zu haben, ist an sich schon etwas besonderes und es ist ein genialer Schachzug von Damon Albarn, dem MC hier für einen ganzen Song Platz einzuräumen. Ein simpler Synth-Beat begleitet den Track, der Bandchef selbst singt die Hook und den Rest darf der Masken-Rapper besorgen. Zu Recht, denn seine Zeilen sind pures HipHop-Gold und zeigen, warum Doom als einer der besten in seinem Fach gilt. Mit diesem Beitrag darf sich der Londoner mit Kano, Dan the Automator und selbstverständlich De La Soul um den besten Sprechgesangs-Part auf einem Gorillaz-Album streiten.

10. All Alone
Nach dem etwas lethargischen November Has Come nimmt die Platte mit einem unglaublichen Beat und einem weiteren großartigen Rap-Part von Roots Manuva noch einmal von vorne Fahrt auf und einfach alles an diesem Song ist genial: Die Mixtur von Live-Schlagzeug und elektronischen Patterns, Albarns gepitchter Gesang, Martina Topley-Birds sphärischer Bridge-Teil und allem voran die Energie, mit der hier das letzte Kapitel von Demon Days begonnen wird. Wäre am Ende vielleicht sogar ein formidabler Opener gewesen.

11. White Light
Definitiv der rockigste Song auf Demon Days und ein Deep Cut im besten Sinne. Gerade mal zwei Minuten lang besteht White Light gerade mal aus zwei Zeilen, die klingt, als wäre sie von einem Anrufbeantworter aufgenommen wurden, schmutzigen Noise-Gitarren und einem nicht minder auf Krawall gebürsteten Schlagzeug. Ein solcher Track wäre auf dem Debüt vielleicht nicht mal aufgefallen, hier jedoch rappelt er sich ebenfalls zu einem Highlight hoch. Einem sehr kurzen wohlgemerkt.

12. Dare
Wiederum überraschen Gorillaz mit der Auswahl und den Einsatzmöglichkeiten ihrer Stargäste. Jeder hätte sich beim Schreiben eines Songs wie Dare wahrscheinlich einen Pharell Williams-ähnlichen Sänger vorgstellt. Aber nein, der Alt-Britpopper Shaun Ryder gibt sich mit seiner sedimentierten Junkie-Stimme die Ehre. Kaum zu glauben, aber er macht das großartig. Neben Rosie Wilson als Noodle-Impersonatorin schafft er hier einen der tanzbarsten Hits der Band und nimmt dem Track die Politur, die ihn nervig gemacht hätte. Allerdings empfiehlt es sich nicht, auf etwaige Bühnenversionen des Stückes zurückzugreifen. Ryders Geschrei in der auf Demon Days Live erschienenen Interpretation ist ziemlich unerträglich.

13. Fire Coming Out of A Monkey's Head
Man kann es sich ungefähr so vorstellen, als hätte eine deutsche Band irgendwann einen Song mit Dirk Bach aufgenommen. Dennis Hopper, die sonore Radiostimme, die man hier hört, kennt man normalerweise von Winnie the Pooh-Hörbüchern, nur dass er hier ein handfestes Gruselmärchen zum besten gibt, unter dem ein gemächlicher Morricone-Beat läuft. Es ist Liebe auf den ersten Blick und ein Song, den wieder Mal nur diese Band hätte machen können. Und besser als jeder Lou Reed und Ibrahim Ferrer, den Albarn früher oder später noch eingeladen hat.

14. Don't Get Lost in Heaven
Der einzige Song auf diesem Album, der nicht total genial, ja sogar etwas mittelprächtig ist. Das Klaviermotiv ist nett, die Gitarre jault schön, die Stimmung kommt rüber. Trotzdem kann sich Don't Get Lost in Heaven von einem gewissen Kitsch-Faktor nicht freisprechen. Als Überleitung zum epischen Closer funktioniert das aber allemal.

15. Demon Days
Die Streicher sind noch aus dem letzten Song geblieben, ein Tambourin begleitet leise das Geschehen und schon von weitem deutet sich der Chor an. Danach beginnt Albarn im souligen Falsett die erste Strophe. Ein kurzer Moment der stille, bevor mit den ersten Gitarrentönen das große Finale des großen Albums beginnt. Selten haben Gorillaz einen Song wie diesen geschrieben und man bezweifelt, dass sie es nochmal so gut hinbekommen würden. Nach einer Platte, die so viel geboten hat ist Demon Days der perfekte Abschluss und hebt die ganze Geschichte noch einmal in eine ganz andere Ebene. Ein Track, der sonst nur sehr talentierten Postrock-Bands gelingt und als Bonus noch einen ganzen Chor am Start hat. Und spätestens jetzt will man auch nichts mehr von der dunklen Seite wissen, weil gerade alles so schön am Schweben ist. Runder könnte die Sache trotzdem nicht sein. Wenn die letzte Silbe des Refrains im Hall versinkt, bin zumindest ich mir noch immer sicher, hier ein absolut fantastisches Album gehört zu haben. Und das wird sich wahrscheinlich in diesem Leben nicht mehr ändern.

Beste Songs: O Green World / Dirty Harry / Feel Good Inc. / El Mañana / Every Planet We Reach is Dead / November Has Come / All Alone / White Light / Dare / Demon Days

Nicht mein Fall: Don't Get Lost in Heaven

Weiterlesen:
Noch mehr Gorillaz-Wahn:
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Das macht Damon Albarn sonst gerade so:
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Sonntag, 29. November 2015

Playlist: Winter is Coming

Falls es jemand nicht mitgekriegt haben sollte: Das hier ist mein dreihundertster Post für Careful With That Edge. Und weil um diese Zeit des Jahres die Neuveröffentlichungen und Reviews in den Hintergrund treten, dachte ich mir, zur Feier des Tages mal wieder eine stimmungsvolle Playlist zu erdenken. Ganz grob habe ich mir dabei das Thema "Winter" vorgegeben, doch ich selbst wollte das nicht so genau nehmen und habe eher Songs ausgewählt, die man sich beim aktuellen Wetter am besten schön hören kann. Wenn euch einige davon gefallen, denkt daran: Nicht illegal saugen, sondern Platte kaufen. Einen schönen ersten Advent euch allen!

1. THE MAMAS & THE PAPAS

California Dreamin' (1965)

Geht es um Songs, die man auflegt, wenn kein Hund vor die Tür geschickt werden sollte, dann ist California Dreamin' seit nunmehr 50 Jahren vielleicht der Klassiker schlechthin. Dabei wird er des irreführenden Titels wegen noch immer gerne mit einem Sommerhit verwechselt, wo es doch gerade darum geht, dass man leider gerade nicht am Venice Beach, sondern irgendwo anders ist, wo die Blätter braun und der Himmel grau ist.

2. LA DISPUTE

Hudsonville, MI 1956 (2014)

Wer sich bei schlechtem Wetter gerne in die weichste Decke einmummelt und Früchtetee schlürft, kann bei diesem Song trotzdem kalte Füße bekommen. Jordan Dreyer breitet hier, emotional überbordend wie immer, die Geschichte einer Frau aus, deren Mann in einem verheerenden Schneesturm gefangen ist und das warten auf ein Lebenszeichen von ihm. Mit einem Blick aus dem Fenster und der Vergewisserung, dass bei euch alle noch munter und lebendig sind, funktioniert dieser Song besser als jedes Stephen-King-Hörspiel.

3. SOFT HEARTED SCIENTISTS

The Trees Don't Seem to Know That it's September (2011)

Eher noch ein herbstlicher Song, aber dennoch einer, der einer gewissen Draußen-kalt-drinne-warm-Gemütlichkeit sehr zuträglich sein kann. Mit einer beschwingten Americana-Stimmung und dem schelmischen Synthesizer sind die Soft Hearted Scientists auch die Band, die das ganze gerne ein bisschen weniger melancholisch gestaltet und stattdessen ein Lächeln in das triste Grau der Welt außerhalb der beheizten vier Wände bringt.

4. NICO

Winter Song (1967)

Niemand gehört so sehr in diese Liste wie Nico, die Eiskönigin der Sixties-Popmusik. Mit Winter Song, dem aufwühlenden, stürmischen Opener ihres ersten Albums, wissen wir auch wieso. Die Streicher wirbeln wie das Schneetreiben vor der Haustür und die kühle, kantige Stimme der Sängerin setzt jedem noch so gut aufgewärmten Hörer den berühmten Eissplitter ins Herz. Widerstand ist zwecklos.

5. SIGUR RÓS
Untitled 7 (Dauðalagið) (2002)

Mit dem Thema Winter dürften sich Sigur Rós auskennen, ist der doch in ihrer Heimat Island fast das ganze Jahr über da. Und natürlich hört man das auch ihrer Musik an, die besonders hier für die langen, kalten Stunden gemacht ist und eine Melancholie atmet, von der wir westeuropäischen Weicheier nur träumen können.

6. ALT-J

Something Good (2012)

Man kann mir das jetzt gerne ankreiden, aber für mich sind auch Alt-J irgendwie eine Band, die man am besten im Winter hört. Und damit eine willkommene Abwechslung zu all den kurzärmligen Palmen-und-Freunde-Indiegruppen, die den hippen Shit schon seit immer für sich gepachtet haben und von März bis Oktober die Charts regieren. Den Rest des Jahres haben diese Briten dann ganz für sich alleine. Zumindest fast.

7. MUDDY WATERS

Cold Weather Blues (1964)

Muddy Waters, der im sonnigen Mississippi geboren ist, hatte nicht viel Ahnung vom echten Winter, als er damals zu Chess Records nach Chicago zog. Aus diesen Erfahrungen heraus ist vermutlich dieser Song geboren, der trotz Waters' nicht abschaltbarer, bluesiger Südstaaten-Aura einen frostigen, kühlen Vibe vermittelt, der ihn zu einem Kleinod in der Diskografie des Musikers macht.

8. APHEX TWIN

#17 / Z Twig (1994)

Für Freunde elektronischer Musik ist der beste Begleiter in den Wintermonaten sicherlich Aphex Twin mit seinen Selected Ambient Works-Platten. Bei seinen Cuts denkt man an vorzugsweise Schneeflocken und Eisblumen, wenn überhaupt an irgendetwas. Musik zum Abschalten und genießen, bis der dämliche Schnee auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Zu schön um wahr zu sein.

9. WILLIAM RYAN FRITCH

Coda (2013)

Songs von Stubenhockern für Stubenhocker: William Ryan Fritch tüftelt in seiner Blockhütte irgendwo im mittleren Westen der USA ein sphärisches Folk-Epos nach dem anderen zusammen, von dem ich einfach nicht genug kriegen kann. Und gerade kalte Wintertage sind die perfekte Zeit, sich diesen Luxus zu genehmigen und in seiner Diskografie zu versinken.

10. WHITE HINTERLAND

Ring the Bell (2014)

Sonnige Songwriter-Momente gehören bei White Hinterland der Vergangenheit an, ihr aktuelles Album Baby präsentiert sich maximal meschanisch und unterkühlt. Im Video zu Ring the Bell tänzelt die Sängerin passend dazu im Fellmantel durch Paläste aus Eis und Schnee. Wo Lorde über Strände und Tennisplätze singt, wird mit diesem Track der Megahit für die Wintermonate geboten.

11. SIMON  & GARFUNKEL
the Sound of Silence (1964)

Eigentlich ein Song über den Tod von John F. Kennedy, ist the Sound of Silence nach über 50 Jahren ein Klassiker geworden, der einigen von uns in so mancher Situation die Last von der Seele genommen hat. In den melancholischen und teilweise vor allem auch ziemlich ruhigen Wintermonaten sollte sich sicherlich die ein oder andere Möglichkeit ergeben, ihn aufzulegen. Und wenn es für einen vorrübergehenden Absacker am Neujahrsmorgen ist.

12. KROBAK
It's Snowing Like It's the End of the World (2013)

Einer der stimmungsvollsten Postrock-Songs der letzten Jahre und ein Titel, der selbsterklärend ist. In etwas mehr als elf Minuten frönen die Ukrainer von Krobak hier einem Geduldsspiel an genialem Minimalismus, mit dem sich so ziemlich jeder üble Schneesturm aussitzen lässt. Spätestens beim Finale mit Streichern und Bläsern kommt dann auch die wohlige Wärme zurück, mit der diese Band locker Fabrikhallen beheizen könnte.

13. DER WEG EINER FREIHEIT
Eiswanderer (2015)

Man sollte nicht vergessen, dass es auch für Black Metal keine bessere Zeit gibt als den kalten Winter, wenn sich die Söhne Norwegens im verschneiten Wald finsteren Mächten hingeben oder was auch immer tun. Der Weg einer Freiheit kommen zwar nicht von dort, sondern aus Würzburg, trotzdem ist ihr Sound gleichermaßen finster und hasserfüllt. Die Minusgrade kommen da von ganz alleine.

14. SUFJAN STEVENS
O Come, O Come Immanuel (2001)

Die Weihnachtsplatten des Sufjan Stevens sind in der Indie-Gemeinde nicht ohne Grund ein echter Dauerbrenner: Die Annäherung von festlicher Stimmung und Popmusik findet hier ausnahmsweise mal ohne cheesigen Last Christmas-Schmalz statt und warten dafür mit songwriterischer Ehrlichkeit und ungeschminkter Schönheit auf. So gut hat das nicht mal Johnny Cash hinbekommen, und dessen Silent Night ist schon ziemlich gangsta.

15. TOM WAITS
Closing Time (1974)

Dass der Winter die Zeit für Melancholiker ist, habe ich hier denke ich schon häufig genug betont. Und der Weltmeister selbiger ist neben Nick Cave und Leonard Cohen dieser netter Herr hier. Sein Debüt Closing Time könnte hier eigentlich an vielen Stellen stehen, doch der instrumentale Titeltrack und Schlussakt passte mir hier gerade am besten. Falls mal wieder jemand länger aufbleibt.


16. BOHREN & DER CLUB OF GORE
Ganz leise kommt die Nacht (2014)

Wo wir schon bei langen Nächten sind: Auch der ambiente Jazz vom letzten Bohren-Album gibt einen hervorragenden Soundtrack für triste, kalte Tage und Abende ab. Dort, wo nicht jeder Zwischenraum mit Melodie gefüllt wird, bleibt viel Platz für kleine Gedankenblasen und noch einen Eichenfass-Whiskey mehr. Musik also, von der man sich nicht zu sehr treiben lassen sollte...


17. WOLVES IN THE THRONE ROOM
A Shimmering Radiance (Diadem of 12 Stars) (2006)

Schon auf dem Cover des WITTR-Debüts Diadem of 12 Stars erkennt man, wie wichtig die imposante Natur der Band-Heimat Washington für ihre Musik ist. Nach weitläufigen Gletschern und verschneiten Bergspitzen klingt also auch dieser epochale Longtrack hier, der nicht nur transzendente Metal-Herzen höher schlagen lässt. Der passende Soundtrack zur Tolkien-DVD-Box.


18. ELEMENT OF CRIME
Wenn der Winter kommt (2005)

Das Wort Gemütlichkeit haben sich Element of Crime auf die Nadelstreifenanzüge geschrieben und Sven Regener erzählt Geschichten vom Leben. Gepaart mit lauschiger Wärme und dem richtigen Mistwetter draußen ist Wenn der Winter kommt dann schon mal das optimale Match. Und das beste daran: Mitte Juli funktioniert der Song genauso gut.


19. RUN THE JEWELS
A Christmas Fucking Miracle (2013)

Zugegeben, der Zusammenhang ist ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. Aber Run the Jewels beweisen: Weihnachten ist auch in Brooklyn ein Thema. Und mit eingespielten Jingle Bells im Hintergrund kann sogar HipHop richtig besinnlich sein. Das RTJ-Motiv wäre ja auch nicht das schlechteste für Norweger-Strickpullis.


20. MODEST MOUSE
Coyotes (2015)

Zum Abschluss noch ein Song von diesem Jahr und meiner Meinung nach einer der besten, die Modest Mouse je geschrieben haben. Für kalte Winter war die Band aus Seattle zwar schon immer die richtige, doch hier haben sie noch ein echtes Sahnestück oben drauf gesetzt. Mit dem wäre dann auch dieses Jahresende vernünftig beschallt.

Samstag, 28. November 2015

You Had My Curiousity...

BUSDRIVER

Thumbs

Hellfyre Club

2015
















Es ist eigentlich paradox, wie präsent seit Jahren die Platten von Leuten wie Gonjasufi oder Milo auf diesem Blog sind und wie wenig ich bisher über deren größtes Vorbild geschrieben habe. Busdriver, der Typ, der schon seit den Neunzigern die verkopft intelligente, experimentelle Seite der HipHop-Szene repräsentiert und der selbst trotz immensem Output nie wirklich über den Status eines komischen Kauzes und Eigenbrötlers hinaus kam, während ein Künstler nach dem anderen mit seinen Einflüssen schmückte. Einem von ihnen, Milo, habe ich vor kurzem elf Punkte für sein neues Album So the Flies Don't Come gegeben, auf dem sich mit Song About A Raygunn auch ein Track befindet, der das Schaffen und Wirken von Busdriver würdigt und für mich einer der Gründe war, mich noch einmal mit diesem Künstler zu beschäftigen. Ich muss dazu sagen, dass ich den sinnierenden, lethargischen Küchenphilosophen Milo seinem ungestümen Kunstrapper-Idol mit dem Flow eines zahnlosen Raggamuffins immer vorgezogen habe und fand, dass dieser die Einflüsse besser umzusetzen wusste. Busdrivers letzten Longplayer Perfect Hair fand ich außerdem viel zu unstet, um mich wirklich am Ball zu halten. Die gute Nachricht ist: Mit Thumbs gefällt mir der Altrap-Veteran schon ein ganzes Stück besser. Auf der neuen Platte ist nicht nur von vornherein eine Marschrichtung erkennbar, sondern sie klingt sogar einigermaßen zeitgemäß. Die Entschleunigung im instrumentalen Bereich bietet indes viel Platz für Busdriver, seine lyrischen Talente auszubreiten. In Ministry of the Torture Couch gibt es einen faszinierenden Übergang zwischen zwei Themen, die dann auch noch durch einen beneidenswerten Spit-Part abgerundet wird, nur damit der nächste Song Worlds to Run (in dem es übrigens ein Milo-Feature gibt) gleich danach fast gesungen wird. Solcherlei Momente jagen sich auf diesem Album und man kommt teilweise aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Hier zeigt sich das so oft heraufbeschworene Genie von Busdriver in seiner höchsten Perfektion. Allerdings auch nur Bruchstückweise. Denn ein Künstler, der so experimentell an ein Genre wie HipHop herangeht, riskiert logischerweise auch fehlgriffe. So ist beispielsweise das mit Clipping-MC Daveed Diggs eingespielte, hibbelige Surrounded By Millionaires ein Track, der beide Kollaborateure nicht gerade im besten Licht dastehen lässt. Viele Cuts hier sind kreativ, doch manchmal hat man eher den Eindruck, des guten zu viel zu bekommen. Dort wo Busdriver sich mit seinen Eskapaden zurücknimmt, entsteht die Magie, die seine besten Songs ausmacht. Zu hundert Prozent von Busdriver überzeugt bin ich nach Thumbs noch immer nicht, doch sagen wir es so: Ich beginne allmählich zu begreifen. Dieser Typ ist vielleicht nicht der beste Rapper, doch er hat immer etwas besonderes und neues zu bieten. Etwas, was mir hoffentlich auch noch auf seinen weiteren Releases begegnet. Denn neugierig bin ich auf jeden Fall...
8/11

Beste Songs: Hottentot Supercluster / Ministry of the Torture Couch / Worlds to Run

Nicht mein Fall: Black Labor / Surrounded By Millionaires

Weiterlesen:
Busdrivers junger Padavan (die Macht ist stark in ihm):
zum Review

Der Dernier Cri für Szene-Experten:
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Freitag, 27. November 2015

Cause There's Nothing Else to Do...

PLACEBO
MTV Unplugged

Vertigo
2015
















MTV Unplugged ist für Placebo ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. 2013 hatten die Briten ihr zwanzigjähriges Bestehen gefeiert, begleitet vom letzten Album Loud Like Love, mit dem Auftritt beim renommierten Akustik-Format kommen sie jetzt der Vorweihnachts-Kundschaft von 2015 entgegen. Doch wer denkt, das Trio hätte sich hier ein kugelsicheres Sellout-Jubiläums-Projekt erschaffen, der weiß nicht, mit wem er es hier zu tun hat. Placebo sind über die gesamte Dauer ihrer Karriere vielleicht keine besonders abwechslungsreiche oder kreative, jedoch immer interessante Band gewesen, die sich nie einen wirklich großen Fehlgriff erlaubte und sich zumindest immer Herausforderungen stellte. Und so ist auch MTV Unplugged kein Best-Of bei Stromausfall, sondern durchaus ein gut ausbalanciertes Erlebnis mit Überraschungen. Für die Laufkundschaft gibt es zwar auch hier die ewigen Hits wie Every You Every Me, Song to Say Goodbye, Meds oder Slave to the Wage, doch man kann Placebo nicht vorwerfen, darüber hinaus nichts zu bieten. Gleich als Opener erklingt das Sinéad O'Connor-Cover Jackie, dass in dieser Position vielleicht nicht ganz seiner eigentlichen Qualität gerecht wird, doch die kreative Messlatte für den Anfang schon mal ziemlich hoch stellt. Mit Joan As A Police Woman und Majke Voss Romme kommen darüber hinaus zwei eher unkonventionelle Gäste mit auf die Bühne und die Ballade Bosco vom letzten Studioalbum erlebt hier seine Live-Premiere. Dass Placebo sich Gedanken um ihr Set gemacht haben, steht also außer Frage. Doch sind sie tatsächlich die richtige Wahl für dieses Format? Eigentlich eine Frage, die man sich nicht stellen sollte, doch sie taucht beim Hören hier immer wieder auf. Die Briten sind normalerweise eine Gruppe, die sich sehr gerne auf dick aufgetragene Gitarrenwände verlässt, die im Unplugged-Rahmen logischerweise nicht zur Verfügung stehen. Einen Teil der so entstehenden Leere kann Brian Molko mit einer großartigen gesanglichen Performance wieder reinholen, doch einige Lücken, wie in For What It's Worth, bleiben. Teilweise wird versucht, mit Piano und Streichern Abhilfe zu schaffen, was jedoch zumeist etwas käsig ausfällt. Die aufgekratzte und lebensmüde Ader, die Placebo eigentlich immer so faszinierend machte, ist damit futsch. Die meisten Songs halten die Musiker mit ihrem spielerischen Können und Molko mit seiner Gänsehaut-Stimme zwar noch aufrecht, doch man weiß, dass so etwas besser geht. Im Gesamteindruck hat die Session ohne den dazugehörigen optischen Eindruck und das Live-Erlebnis etwas eher steriles, das man von ihnen so gar nicht kennt. Doch am Ende ist das vielleicht ein gutes Zeichen. Zum größten Teil entstehen solcherlei Fehlerchen nämlich, weil Placebo eben nicht einfach ihren Stiefel spielen, sondern sich trauen, altbewährte Tracks auch mal anders zu präsentieren. Am besten hört man das an der hier gespielten Version von Every You Every Me. Das fast komplett umgeschriebene und als Duett performte Stück ist nicht zu einhundert Prozent gelungen, doch es ist mutig. Und auch wenn das für dieses Album bedeutet, dass nicht alles gelungen ist: Für die Band dahinter ist es ein gutes Zeichen. Placebo stellen sich noch immer den ihnen gegebenen Herausforderungen und können nach wie vor überraschen. Die besten Voraussetzungen dafür, mindestens noch zwanzig Jahre richtig gute Platten zu machen.
7/11

Beste Songs: 36 Degrees / Meds / Too Many Friends / Bosco

Nicht mein Fall: For What It's Worth / Where is My Mind

Weiterlesen:
Die Mutter aller MTV Unplugged-Platten:
zum Review

Die letzte "richtige" Placebo-LP:
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Donnerstag, 26. November 2015

Miss Maschinengewehr

LITTLE SIMZ

A Curius Tale of Trials + Persons

Age 101

2015
















Das beeindruckende an Little Simz ist nicht, dass sie als weiblicher MC gerade den Großteil ihrer männlichen Kollegen weit hinter sich lässt, nicht, in welchem Tempo sie ihre Gehirnwindungen auf ihrem Debüt vor dem Hörer ausbreitet und nicht, wie tiefgründig und weise dieses trotzdem klingt. Das wirklich tolle an A Curius Tale of Trials + Persons ist, dass diese Künstlerin endlich mal das hält, was sie zuvor versprochen hat. Schon mehrmals hatte die Musikszene in den vergangenen Jahren das vermeintliche Sprachrohr der Emanzipation im HipHop gefunden, von dem dann meistens nicht viel blieb. Angel Haze machte mit New York einen fantastischen ersten Hit und ein furchtbares erstes Album, Kate Tempest hatte nicht genügend Hype-Futter, Azealia Banks ließ zu lange auf sich warten und auf Dej Loaf warten wir noch immer. Von Iggy Azalea und Nicki Minaj fangen wir hier gar nicht erst an. Nun also Little Simz. Ausgerechnet eine britische Rapperin macht jetzt den Traum wahr, den so viele HipHop-Fans (mich eingeschlossen) schon so lange träumen. Und das ist zum Teil gerade durch ihre Abseitsposition gegenüber den Zentren der Szene zu erklären. Trials + Persons ist keine Platte, die denkfaul das nachäfft, was einem der internationale Trend vorschreibt. Keine Club-Banger, kein R'n'B, kein Cloud-, Acid-, oder Indigo-Rap-Konsens-Kram. Stattdessen: Dezente Instrumentalisierung und knallharte Ansagen. Little Simz ist gewöhnungsbedürftig, aber zieht den Hörer vom Fleck weg in ihren Bann. Sie erfindet für ihre Gedankenkonstukte keine schnippisch-poetische Hülle, sondern erzählt mehr oder weniger ungeschönt, was sie zu sagen hat. Auf Papier mag das trocken wirken, doch es hat definitiv seine Vorteile. Zum einen schafft diese freie Vortragsweise unglaublich viel Platz für Inhalte, die nicht in künstliche Korsagen gepresst werden und die man beim hören auch direkt aufgreifen kann. Bei Simz' überaus ungestümem Flow ist das auch notwendig. Zum anderen macht die Britin damit auch mal wirklich was anders als der ganze Rest der HipHop-Welt. In einer Zeit des immer weiter ästhetisierten Genres so einen Theorie-Bolzen aufgetischt zu bekommen, öffnet einem in gewisser Weise die Augen: Rap muss nicht immer schön sein, er muss vor allem zum nachdenken anregen. Und so sehr wie diese Künstlerin tun das im Moment die wenigsten. Was allerdings nicht heißt, dass sie auf die entsprechende musikalische Unterstützung verzichten kann. Die roughe, knochige Atmosphäre hat sich Little Simz von Kollegen wie Clipping, den Young Fathers und ja, Angel Haze, schon gut abgeguckt, doch für die perfekten Beats fehlt hier noch die entscheidende Konsequenz. Es gibt fantastische Instrumentals wie die von Dead Body oder dem komplett ohne Vocals auskommenden This is Not an Outro, doch sie sind noch zu selten. Das wäre an sich auch halb so wild, wenn Simz nicht doch an der ein oder anderen Stelle, zum Beispiel in Full or Empty, versuchen würde, große Gesten zu erzeugen. In meinen Augen ist das widersprüchlich und einer der wenigen Punkte, an dem die Britin noch arbeiten muss. Dafür jedoch, dass wir hier von einem Debüt reden, ist Trials + Persons ein unglaublich gelungenes Album einer Musikerin, die mit ihrem Potenzial großes bewirken kann. Little Simz führt jetzt schon die Hotlisten für 2016 an und wird auch auf meiner auftauchen, weil sie einfach eine Künstlerin ist, an die ich auch langfristig glaube. Und das beste daran ist, dass ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe und ihre Nationalität absolut keine Rolle spielen. Dope ist dope. Und diese junge Dame könnte diesen Begriff für mich neu definieren.
9/11

Beste Songs: Person / Dead Body / This is Not an Outro / Fallen

Nicht mein Fall: Full Or Empty

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#werhatserfunden:
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Noch mehr guter HipHop von der Insel:
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Mittwoch, 25. November 2015

C'mon, das geht auch klüger!

FATONI & DEXTER

Yo, Picasso!

WSP Entertainment

2015
















Was kann man von einem Collab-Projekt zweier Künstler erwarten, die beide gerne in den Hintergrund treten und generell eher mit Plattitüden rumdrucksen, als interessanten HipHop zu fabrizieren? Eine Frage, die mir mindestens im Kopf schwirrt, seit Yo, Picasso! allerorten von der Kritik umjubelt wird und sich dreist "Deutschrap-Album des Jahres" nennt. Sicherlich haben wir es hier mit durchaus renommierten MCs zu tun, die in der hiesigen Szene längst keine No-Names mehr sind. Zumindest ihre besten Kumpel 3Plusss, Yassin, Audio 88 und Weekend, mit denen sie jede Menge Material eingespielt haben, sollte man kennen. Für mich jedoch haben Fatoni und Dexter selbst immer im Schatten ihrer eigenen Kollegen gestanden. Wo der eine der textlich besseren Kopie von Sido gleichkam, war der andere der Typ, der ziemlich coole, chillige Instrumentals produziert,  inhaltlich dafür aber auf Cro-Niveau absackt. Ihre Platten waren okay, aber. Ich hatte eigentlich nicht unbedingt vor, mich näher mit ihnen zu beschäftigen, doch das wird durch den Hype um dieses neue Projekt langsam unmöglich. Dass es jetzt ein gemeinsames Album gibt, bedeutet zwar, dass hier ebenbürtige Künstler aufeinander treffen, doch nicht, dass dieses Album dann auch interessant sein muss. Und in der Tat ist das Ergebnis bei Yo, Picasso! bisweilen ziemlich traurig. Es gibt eine Reihe guter Songs hier, mit ADHS und 32 Grad sogar richtige Hits, doch man merkt schnell: So ziemlich alles bewegt sich innerhalb eines langweiligen Standard-Genre-Definitionsbereichs, der etwaige Überraschungen und Experimente per Default Setting außen vor lässt. Die immer gleichen Themen werden in Fatonis Lyrics aufgetischt. Es geht um Geld, Das Älterwerden, Spießertum, Realkeeperei und HipHop an und für sich. Dazu hat Dexter ähnlich schablonenartige Beats gebastelt, die locker fünfzehn Jahre auf dem Buckel haben könnten. Es ist alles nicht schlecht, aber. Und wenn dann so ein furchtbarer Track wie Dienstag Nacht oder Semmelweisreflex dazukommt und Kryptik Joe (der einzige Gast auf dieser LP) den beiden in Kann nicht reden ich esse die Show stiehlt, wird dieses Aber immer größer. Genau so wie die Liste der viel zu offensichtlichen Einflüsse, die sich nicht mit Oldschool-Referenztum rausreden können. Am Ende ist Yo, Picasso! genau das mittelmäßige Album, das ein mittelmäßiger MC und ein mittelmäßiger Produzent erwartungsgemäß machen würden und einige Ewigkeiten entfernt von der Deutschrap-Platte des Jahres. Mit etwas gutem Willen kann ich das noch gerade okay finden, aber wirklich viel bleibt davon sowieso nicht hängen. Das beste an der LP ist der Picasso auf dem Cover. Aber nicht mal der ist echt.
6/11

Beste Songs: 32 Grad / ADHS

Nicht mein Fall: Semmelweisreflex / Dienstag Nacht

Weiterlesen:
Das Deutschrap-Album des Jahres (in Echt):
zum Review

Erstattet Anzeigen wegen Diebstahls geistigen Eigentums:
zur Top Fünf

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Montag, 23. November 2015

V wie Vintage

BARON

Torpor

Svart Records

2015
















Ja, ich weiß, eigentlich habe ich etwas gegen retro-fixierten Progressive Rock und kann mich darüber ja gar nicht genug aufregen. Allerdings gehörten Bands wie Polis, Okta Logue und Goat zu denen, die ich bereits zuvor in den höchsten Tönen lobte und mit den Briten von Baron könnte tatsächlich noch eine weitere dazukommen. Bevor ich dazu komme, möchte ich also darauf hinweisen, dass Doppelmoral scheinbar unabdingbar ist, wenn es bei mir um Progrock geht. Torpor ist das Debütalbum der vierköpfigen Formation aus Brighton beziehungsweise Nottingham und klingt dafür schon ziemlich ausgeglichen. Ein ziemlich schwerer, deftiger Sound setzt sich schon im Opener Dragonfly ab und über ein gemäßigt swingendes Tempo kommt die Platte nie hinaus. Ausgeglichen wird das durch ein unglaublich feinfühliges Gespür für Melodik, qualitativ hochwertige Pophistorien-Grabräuberei und einem fantastischen mehrstimmigen Gesang. Im allgemeinen gehen Baron damit den Weg einer Progrock-Band, doch in den Tiefen von Torpor entfaltet sich nach einigem Hören durchaus ein nie geahnter Facettenreichtum. Songs wie Stry und Mark Maker erinnern entfernt an die Skandinavische Proto-Metal-Bewegung, Folk-Elemente sind immer wieder ein Thema, der Closer Albedo Dei fängt die Stimmung eines mittelalterlichen gregorianischen Chorals auf und Sleepless greift stellenweise sogar Einflüsse auf, die sehr nach Alt-J oder Bon Iver klingen. So retro wie zunächst gedacht sind Baron also gar nicht. Und es hat den positiven Nebeneffekt, dass jeder der acht Tracks hier zu einer neuen Entdeckungsreise wird. Sicher könnte die Band an der ein oder anderen Stelle noch ein wenig mehr Schliff und Abrundung vertragen, doch das, was hier schon auf dem Debüt geboten wird, ist eigentlich außerordentlich. Kompositorisch wie Klanglich ist Torpor ein Vorzeige-Prog-Album, dass auch endlich mal nicht den Fehler begeht, sich den Idolen der Vergangenheit nur Oberflächlich und Kopistisch zu nähern. Was man hier hört, ist zwar Sound-technisch stark von anderen beeinflusst, im Songwriting jedoch ganz und gar ein Eigengewächs. Um es einfach zu erklären: Mit diesen Songs hätten Baron gut in die frühen Siebziger gepasst, wären da jedoch eine äußerst souveräne und originelle Band gewesen. Heute sind sie damit zwar etwas für Nostalgiker, doch auch nur für welche, die wollen, dass es spannend bleibt. Für meine eigenartigen Befindlichkeiten also genau richtig. Und ich meinerseits bin sehr gespannt, wie es mit den Briten von hier ab weiter geht. Torpor ist gut, aber die Hoffnung auf noch besseres ist definitiv da. Für so oldschoolige Musik hat diese Band auf jeden Fall eine große Zukunft.
8/11

Beste Songs: Mark Maker / Dark Down / Sleepless

Nicht mein Fall: Albedo Dei

Weiterlesen:
Das Pferd, von der anderen Seite aufgezäumt:
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Das Original aus Schweden:
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Samstag, 21. November 2015

Good Kid, m.A.A.d Universe

LOGIC

the Incredible True Story

Def Jam

2015
















"That's the album that changed everything, y'know" sagt die Stimme aus der Zukunft am Ende des ersten Songs von the Incredible True Story, Contact. Für die gerade mal zweite Platte des Gaithersburger Rappers sind das ziemlich große Vorsätze. Allerdings keine, die er theoretisch nicht erfüllen könnte. Schon auf seinem Debüt Under Pressure vom letzten Jahr fiel mir auf, dass Logic über die nötige textliche Tiefe, einen ziemlich sicken Flow, die richtigen Produzenten und eine genau richtig große Fresse verfügte, um sich im Game zu behaupten. Sein Problem war dort allerdings, dass es ihm dabei etwas an Persönlichkeit fehlte. Wüsste man es nicht besser, könnte man die Platte für eine Kollaboration von Drake, den Cunninlyngusits und Kendrick Lamar halten, wobei deren Material doch noch in einer anderen Liga spielte. Angesichts der vielen wirklich großartigen Aspekte von Logics Musik war ich jedoch trotzdem sehr gespannt auf the Incredible True Story und darauf, ob sich hier wirklich alles ändern würde. Die Voraussetzungen dafür hat die LP auf jeden Fall schon mal. Mit einer Länge von einer Stunde und einem ausgefeilten Story-Konzept über eine utopische Weltraumreise zeigt sich der MC überaus ambitioniert und man spürt, dass er ab jetzt zu den großen Fischen im Teich gehören will. Sein elementares Problem ist damit allerdings noch immer nicht gelöst und es zieht sich auch durch dieses Album: Logic fehlt die Identität als Rapper. Die Songs hier klingen nach allem möglichen, nur nicht nach ihm selbst. Das ist ziemlich hart, denn viele dieser Songs wie sind an sich fantastisch und wahnsinnig catchy. Ob man über die offensichtliche Kopiererei hinwegsehen kann, um die Tracks sich ohne Vorbehalte entfalten zu lassen, ist jedem selbst überlassen. Auch ich finde das teilweise den richtigen Weg, diese Platte zu hören. Doch darauf hinweisen muss ich (#bildungsauftrag) und im Hinterkopf bleibt mir die ganze Sache trotzdem. Davon abgesehen kann ich the Incredible True Story für vieles loben, vor allem dafür, wie groß der künstlerische Anteil von Logic selbst hier ist. Der Rapper produziert hier einen nicht unerheblichen Teil der Stücke und zeigt dabei einiges an bisher unentdecktem Talent. Ferner schafft er es, größtenteils ohne Featured Artists auszukommen und wenn doch, dann sind diese Auftritte nie sinnlos. Lucy Rose verpasst Intermission eine Wahnsinns-Hook und Jesse Boykins III gibt Paradise einen faszinierenden Twist. Das cineastische Konzept ist teilweise ein bisschen albern, aber auf keinen Fall schlecht umgesetzt. Würde es nicht so an den wichtigsten künstlerischen Zutaten mangeln, würde ich the Incredible True Story vielleicht als Geniestreich bezeichnen und zu meinen Lieblingsalben in diesem Jahr zählen, so gut ist der Gesamteindruck, der übrig bleibt. Doch mein Hinterkopf ermahnt mich immer noch, dass das hier alles nicht echt ist und Logic nicht so cool wie er scheint. Und ich würde mich selbst betrügen, wenn ich auf meinen Hinterkopf nicht hören würde. Deshalb kein Geniestreich und keine Top 30. Aber heimlich cool finden werde ich die Platte trotzdem. Und im stillen darauf hoffen, dass der Typ das irgendwann noch hingebogen kriegt. Denn dann wird wirklich alles anders.
8/11

Beste Songs: Fade Away / Intermission / Paradise

Nicht mein Fall: Contact

Weiterlesen:
So rappt Logic:
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So klingt Logic:
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Freitag, 20. November 2015

Der Sänger von Björk

ARCA

Mutant

Mute

2015
















Dieser Arca ist ein Pfundskerl. Seit nunmehr drei Jahren fasziniert der venezuelanische Produzent die Kritiker und Experten dieser Welt mit seinen einzigartigen Kompositionen. Als er 2013, noch völlig grün hinter den Ohren, als Sound-Tüftler für Kanye Wests Über-Album Yeezus auftauchte, wurden bereits die ersten Luftsprünge gemacht. Der Domino-Effekt war danach kaum noch aufzuhalten. Er produzierte für FKA Twigs und Björk, veröffentlichte mit Xen letztes Jahr sein eigenes, fantastisches Debüt und ist mittlerweile in der Position eines Avantgarde-Popstars, der sich für sein Artwork Skulpturen von Jesse Kanda anfertigen lässt und der sein Live-Debüt mal eben im ausverkauften Berghain gibt. Entsprechend heiß erwartet wurde auch sein zweiter Longplayer Mutant, von dem sich viele (mal wieder) neue Perspektiven auf alternative elektronische Musik wünschen. Je nachdem, was man darunter versteht, werden diese Hoffnungen hier auch bestätigt. Zwanzig Tracks in etwas mehr als einer Stunde hat der Südamerikaner hier versammelt und verschwendet davon nicht einen Ton. Die Post-Internet-Ästhetik trieft aus jedem Beat und zwischen bratzigem Industrial-Gehampel und transzendenter Polyrhythmik schlägt er jedem Nörgler die Tür vor der Nase zu. Mutant ist Electronica mit allerhöchster Finesse, kompositorisch wie klanglich. Auf einer der am besten gemixten Platten des Jahres wird der Hörer in einen monströsen Sound-Strudel eingesogen, der ihn Direkt in eine digitale Zwischenwelt teleportiert, in der der König am Soundsystem steht und die Puppen tanzen lässt. Dabei ist die Marschrichtung zwar deutlich experimentell, doch niemals verkopft. So gut wie alle Songs hier gehen ineinander auf und werden zu einem durchgängigen Klangerlebnis, das einen stets auch auf emotionaler Ebene mitnimmt. Zu diesem Album zu tanzen wäre zwar ein wenig viel verlangt, doch rein von der Atmosphäre her könnte diese Musik auch im Club stattfinden. Arcas Tüfteleien transzendieren die kulturelle Distanz zwischen Berghain und Documenta zusehends. Und das ist es am Ende auch, was seine Arbeit wieder mal so einzigartig und toll macht. Den Bogen spannen zwischen dem, was wir hören wollen und dem, was wir uns nicht trauen, was aber eigentlich viel spannender ist. Nach diesem Ergebnis werden die Kritiker dieser Welt ein weiteres Mal über den grünen Klee loben, was der Venezuelaner hier fabriziert. Völlig zu recht. Dieser Typ ist ein Visionär des modernen Elektro und bleibt es hoffentlich noch lange. Aphex Twin kann den Job ja nicht ewig machen.
9/11

Beste Songs: Alive / Mutant / Umbilical / Front Load / Enveloped

Nicht mein Fall: Sever

Weiterlesen:
Mit besten Empfehlungen von Fräulein Twigs:
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#elektronovember:
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Donnerstag, 19. November 2015

Anorganisch

ANNA VON HAUSSWOLFF

the Miraculous

City Slang

2015
















Wenn Joanna Newsom die Indie-Göttin der Harfe ist, dann gilt dasselbe für Anna von Hausswolff und die Orgel. Und damit ist kein popeliges Hammond-Brettspiel gemeint, das jede zweite Discofox-Band vorweisen kann, sondern das richtig große Besteck: Eine histoische, echte Kirchenorgel. Bereits ihr drittes Album, das hauptsächlich auf diesem Instrument gespielt wird, ist the Miraculous und die Lektion diesmal ist: Es muss nicht immer andächtig klingen, wenn diese Frau an den Tasten sitzt. Wo auf dem Vorgänger Ceremony von 2012 noch deutlich Elemente aus Neo-Klassik und Drone das Geschehen dominierten, hat sich die Schwedin hier auf einen wesentlich rockigeren Sound gestürzt, der für diese Verhältnisse überaus sportlich ausfällt. Dort wo Rockmusik auf Tasteninstrumentarium trifft, wird er zwar auch hier zwangsläufig zum Progressive Rock, doch die ein oder andere Schale des Avantgarde-Kokons hat sie hier schon abgestreift. The Miraculous hat durchaus klassische Songwriter-, Metal-, Postrock-, und teilweise sogar poppige Momente, zeichnet sich im Prinzip also genau durch die Dinge aus, die ich auch an Frau Newsom so schätze. Nur dass von Hausswolff offenkundig nicht ganz das kompositorische Talent ihrer Kollegin besitzt. Zumindest nicht, wenn es darum geht, einfache, unkomplizierte Songs zu schreiben. Wenn auf Ceremony die Pfeifen dröhnten und alles im wummernden Klangbad ertrank, brauchte man das alles nicht. Dort war die Dichte das ultimative Mittel zum Zweck. Doch da sich die Kanäle hier öffnen und die Prioritäten doch eindeutig in Richtung Melodie und Harmonie gesetzt wurden, muss auch die Struktur plötzlich passen. Etwas, woran sich die Platte über kurz oder lang die Zähne ausbeißt. In teilweise zehnminütigen Tracks klammert sich die Künstlerin an jeden noch so kleinen Anflug von Catchyness, den sie dem schweren Organum entlocken kann. Versuche, die nur selten fruchten. Da hilft ihr auch ihre grandiose Stimme und die Backing-Band nicht, es fehlt einfach an Stoff. Zwischen halbgarem Postrock (Deliverance), fahlen Prog-Opern (Discovery) und viel viel billigem Füllmaterial schleicht sich das ganze also fast eine Stunde lang dahin und setzt wenig bis gar keine Akzente. Man kann ganz klar den Versuch erkennen, hier so etwas wie Rock-Bombast zu erzeugen, doch manchmal hilft es dabei, weniger um die Ecke zu denken, als von Hausswolff es hier tut. Ich frage mich dann, ob es daran liegt, dass sie diese Songs nicht schreiben kann oder dass es einfach nicht möglich ist, mit einem erhabenen Instrument wie der Orgel so etwas banales wie Rock'n'Roll zu spielen. Eine Antwort darauf können wir von the Miraculous auch nicht erwarten. Der Künstler, der der Königin der Instrumente ihre dreckige Seite entlockt, muss wohl erst noch entdeckt werden.
6/11

Bester Song: Come Wander With Me/Deliverance

Nicht mein Fall: Discovery

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Wo wir schon die ganze Zeit von Joanna Newsom reden:
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Jemand, der das besser kann:
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Mittwoch, 18. November 2015

Teil der Lösung

JUSTIN BIEBER
Purpose

Universal
2015
















Ja, ihr habt richtig gelesen. Ich schreibe ein Review über Justin Bieber. Und wisst ihr was? Es wurde langsam echt Zeit dafür. Denn kaum ein anderer Künstler hat in meinen Augen 2015 so einen Sympathie-Boost verdient wie der kanadische Teenie-Popstar. Weil er gerade sehr gut darin ist, genau das nicht mehr zu sein. Der Typ, der vor fünf Jahren mit Baby jeden Fan halbwegs ernsthafter Musik vergraulte, ist spätestens jetzt auch musikalisch ein anderer geworden. So gut es ihm beim obligatorischen Erhalt seiner Fan-Zielgruppe und der dazugehörigen Credibility möglich ist, sucht er seit geraumer Zeit nach alternativen zum klanglichen Image, das er sich am Anfang seiner Karriere aufgebaut hat. Dazu gehörten bisher Kollaborationen mit Skrillex, Diplo und Travis Scott, die meiner Meinung nach äußerst fruchtbar ausfielen (zumindest als erstklassiger Hook-Sänger hat sich Biebs etabliert) und zumindest der Versuch, anspruchsvollere Songs zu schreiben. Ich will nicht sagen, dass Justin Bieber jetzt auf einer Stufe mit Tyler, the Creator oder FKA Twigs steht, doch eine Veränderung ist in Ansätzen spürbar. Auch auf Purpose, seinem neuen Album. Der Drang zur Veränderung ist hier wohlgemerkt nicht ganz so stark wie auf den Arbeiten von anderen Künstlern, was sicherlich daran liegt, dass hier sein Name oben drauf steht und nicht nur hinter der "Featuring"-Kennzeichnung. Allerdings wurden die so geknüpften Beziehungen genutzt: Diplo hat die Platte produziert und es gibt Gastauftritte von Skrillex, Big Sean, Halsey und Travis Scott. An sich eine coole Sache, die die Performance von Biebs auch bereichert. Allerdings kommen komplett alle davon erst in der zweiten Hälfte der LP, was die ersten sechs Songs etwas eintönig macht, obwohl darunter auch die beiden Singles Sorry und What Do You Mean? sind. Insgesamt ist Purpose immer noch kein wirklich akzeptables Gesamtwerk, doch es ist auch von einer Art, die man noch vor nicht allzu langer Zeit nie von jemandem wie Justin Bieber erwartet hätte. Und immerhin den Leuten, die diesen Künstler immer als Präzedenzfall für schlechte Chart-Musik anbringen, kann man jetzt diese 13 Tracks vorhalten und mit Fug und Recht behaupten: Dieser Junge ist auf dem besten Weg, ein angemessen guter Popstar zu werden. Dieser Junge ist nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung geworden. Und zumindest von mir soll er dafür auch die Anerkennung bekommen, die er meiner Meinung nach verdient. Deshalb mache ich jetzt auch Reviews über Justin Bieber.
6/11

Beste Songs: Sorry / No Sense / the Feeling / Where Are Ü Now?

Nicht mein Fall: I'll Show You

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Noch eine große Mainstream-Hoffnung:
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Der Typ, der Justin Bieber fast zum Indie-Künstler machte:
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Montag, 16. November 2015

Urban Fragrance

JAMES FERRARO
Skid Row

Break World
2015
















James Ferraro ist angekommen. Wenn dieser Tage der Name des New Yorker Produzenten fällt, denken die meisten zwar noch immer an sein 2010 veröffentlichtes Album Far Side Virtual, das maßgeblich zur Erfindung der Vaporwave-Bewegung beitrug, doch man weiß auch, dass seine Talenten inzwischen woanders liegen. Während die meisten bekannten Produzenten des Post-Internet-Genres wie Vektroid oder Blank Banshee mittlerweile ziemlich ruhig geworden sind und sich eher passiv von ihren zu Memes gewordenen Alben distanzieren, hat sich Ferraro mittlerweile zu einem weitgehend respektierten Avantgarde-Künstler berappelt. Sein 2013 veröffentlichtes NYC, Hell 3:00 AM wurde von Kritikern bejubelt und verhalf dem Künstler zu einem Ruf, der eher seinem Ideal entspricht. Und dass er diese neu gewonnene Freiheit genießt, ist auf den ersten Blick ersichtlich. Sowohl als Regisseur als auch als Live-Künstler hat Ferraro um einiges zugelegt und sein im Frühjahr veröffentlichtes "Gedicht" Manhattan Future Ocean steht ganz in der Ästhetik eines Künstlers, der keine Konventionen kennt. Dass mit Skid Row dann doch wieder ein ganz normales Musikalbum gekommen ist, ist da sowohl ungewöhnlich als auch beruhigend. Denn man merkt sehr schnell, dass das Komponieren von Soundcollagen und Sample-Tracks noch immer die große Stärke von Ferraro ist. Während Vaporwave gerade seine erste Renaissance erlebt, schwimmt sein Erfinder noch immer ganz gut auf der ersten Welle. Wobei der Anspruch zu damals doch merklich gestiegen ist. Skid Row klingt nicht mehr nach Computerwelt, sondern nach dem echten Leben. Samples von Nachrichtensendungen, Metal-Skits oder Polizeisirenen legen nahe, dass sich die Platte auch nach außen wendet. Daneben ist auch "echtes", extra aufgenommenes Material hier ein starker Faktor. Im Titeltrack erlebt man gar einen an Massive Attack erinnernden So-gut-wie-Popsong, komplett mit Synthie-Streichern und allem. Man merkt ganz deutlich, dass wir es hier nicht mehr mit einem einsamen Nerd in seinem Heimstudio zu tun haben: Gastsänger, echte Instrumente und eine verdammt tighte Produktion sprechen für sich und erzielen auch immer den erwünschten Effekt. Skid Row stellt nicht die Frage, ob man Vaporwave ernst nehmen kann, es fragt eher, was alle für ein Problem damit haben, es endlich ernst zu nehmen. Die Avantgarde tut es schon lange und bis die Indiekids nachziehen, sollte man ab jetzt die Zeit in Ferraro-Platten messen. Denn dass dieser Typ der Michael Jackson der Bewegung ist, sollte spätestens jetzt klargestellt sein. Oder wartet hier jemand noch immer auf Blank Banshee 2?
10/11

Beste Songs: White Bronco / Skid Row / Live and Die in LA / 1992

Nicht mein Fall: Rhinestones

Weiterlesen:
Vaporwave-Pionier, die Erste:
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Die Vaporwave-Avantgarde ist stark:
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Sonntag, 15. November 2015

Flotter Dreier

MED, BLU & MADLIB
Bad Neighbor

Fat Beats
2015
















In der Theorie klingt es total spannend: Der eine hatte gerade erst mehrere gute Performances auf dem Comeback-Album von Dr. Dre, der Zweite ist eine der wichtigsten Underground-Stimmen des Cloud Rap und der Dritte der vielleicht wichtigste HipHop-Produzent der Nullerjahre. Dass MED, Blu und Madlib zusammen ein Album machen, war nicht unbedingt die logischste Sache der Welt. Zwar arbeiteten alle Drei bereits vorher mehrmals zusammen, doch sind auch alle weithin dafür bekannt, häufig mit anderen Künstlern gemeinsame Sache zu machen. Vorhersehbar war Bad Neighbor daher nicht wirklich. Und ich muss auch sagen, dass diese Kollaboration mir nicht gefehlt hätte, wäre sie nicht zustande gekommen. Zwar stehen die Namen der Parteien hier zweifelsohne für einen hohen künstlerischen Anspruch, doch werden sie gemeinsam hier nicht wirklich warm. Das beginnt schon allein damit, dass sie als Hauptakteure nur einen Bruchteil der Platte einnehmen. Sowohl auf Seiten der Rapper als auch der Produzenten wurden zahlreiche Gäste (u.a. MF Doom, Dam-Funk, Hodgy Beats, Aloe Blacc und Anderson Paak) eingeladen, die ihren Job an sich hervorragend machen, doch die Aufmerksamkeit somit auch von den Leuten ablenken, die vorne auf des Albums stehen. Des weiteren erleben wir hier einen der schwächsten Auftritte von Madlib, der ja sonst als Garant für Instrumentals der Güteklasse A gilt. Hier überzeugt er nur streckenweise und wird teilweise von weniger talentierten Kollegen wie DJ Romes auf Streets, vorgeführt. Und auch bei den Textern läuft es nicht besser. Statt sich gegenseitig zu ergänzen, stehen sich MED und Blu meistens gegenseitig im Weg, rappen letztendlich Song für Song brav ihren Part ein und hinterlassen eigentlich nie einen bleibenden Eindruck. Überhaupt ist die einzige Strophe, die hier wirklich heraus sticht die von Hodgy Beats in Serving. Und normalerweise gehört der eigentlich nicht zu den Leuten, denen ich sonderlich viel Talent bescheinigen kann. Schon anhand dessen lässt sich ermessen, dass Bad Neighbor wohl kaum eine Platte ist, die akribisch und mit Leidenschaft gemacht wurde. Sie ist die fixe Idee eines Nebenprojektes, das man sich ganz bestimmt auch hätte sparen können. Ich kann an dieser Stelle nur empfehlen, sich statt dieses Albums das Solomaterial dieser Künstler zu Gemüte zu führen. Es ist einfach so viel ergiebiger und repräsentiert sie sehr viel besser. Und auch die bisherigen Kollaborationen der drei sind ja nicht unbedingt schlecht. Nur ein ganzer Longplayer hätte vielleicht nicht unbedingt sein müssen. Diese Chance hat das Trio jetzt verschenkt.
6/11

Bester Song: Streets

Nicht mein Fall: Get Money / Knock Knock / Mad Neighbor

Weiterlesen:
Madlib in besser:
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MED in besser:
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Die rote Pille

ONEOHTRIX POINT NEVER
Garden of Delete

Warp
2015
















Ambient, Vaporwave, Plunderphonics, audiovisuelle Kunstinstallationen und jetzt Industrial. Daniel Lopatin, besser bekannt als Oneohtrix Point Never, ist kein Mensch, für den Vielfalt ein Fremdwort ist. Schon seit Jahren arbeitet der New Yorker sehr erfolgreich am Image des Post-Internet-Papstes, wobei vor allem sein schräger Humor dabei eine wichtige Rolle spielt. Als er vor fünf Jahren unter dem Pseudonym Chuck Pearson das von ihm selbst als "Müll" bezeichnete Album Ecco Jams veröffentlichte, erfand er mal eben ein ganzes Genre. Und auch die Idee hinter Garden of Delete stammt ganz eindeutig aus seiner Feder. In Interviews über die Platte gab der Künstler an, sie orientiere sich stark am Werk der völlig unbekannten Industrial-Rock-Band Kaoss Edge, von der online tatsächlich Material existierte. Was niemand wusste: Kaoss Edge waren niemand anderes als Lopatin selbst, der "deren" Musik zuvor vollständig komponiert und ins Netz gestellt hatte. Eine Finte, die weder zur Promotion noch zum Andenken an ein tatsächliches Vorbild gedacht ist. Sie zeigt nur, was für ein gewiefter Scherzkeks Oneohtrix Point Never ist. Und macht auch dieses neue Album wieder zu etwas besonderem. Obwohl es das auch an sich wäre. Denn die Art, wie hier die klassische Handschrift des Meisters mit aggressivem Industrial-Gemetzel vereint wird, dürfte für eine kleine Sensation reichen. Da macht einer der coolsten Künstler des Internets die uncoolste Musikrichtung, die es gerade gibt (oder wer findet 2015 bitte noch den Matrix-Soundtrack zeitgemäß?) und klingt dabei: total hip. Natürlich geschieht das auch durch die Einbindung anderer Stilrichtungen wie Ambient oder Vaporwave. Tatsächlich hat Lopatin sogar einen weiteren seiner Ecco Jams auf die Platte gepackt. Und weil er außerdem auf den gestelzten Ledermantel-Rave-Pathos des Genres verzichtet, gelingt ihm das hier sehr ansprechend. Garden of Delete nutzt Industrial nicht als Mittel zum Zweck, sondern entdeckt die Musik darin wieder, was meiner Kenntnis nach seit den Neunzigern keiner mehr so gut gemacht hat. Besonders gut kommt das dann auch in den etwas längeren Tracks wie Freaky Eyes oder Mutant Standard zur Geltung, in denen alle Variationen eines Beats durchgespielt werden können und man fast den Eindruck eines DJ-Sets erhält. Leider sind diese deutlich in der Unterzahl und werden teilweise mit Füllmaterial ausstaffiert, das meiner Meinung nach ziemlich sinnlos ist. Was aber zu jedem Zeitpunkt stimmt, sind Lopatins Sounds, die teilweise so vintage sind, dass man noch gar nicht weiß, wie cool man sie findet (bestes Beispiel sind die MIDI-Gitarren in Ezra.) Auf seine außergewöhnliche Art und Weise hat uns der Internet-Papst also wieder einmal ein erstaunliches Album verkauft. Und jetzt, wo Grimes zum Rockstar geworden ist, habe ich auch genau das gebraucht. Den digitalen Overkill, der einen dazu bringt, sich doch noch mal am ersten Teil von Myst zu versuchen und einen nachdenken lässt, ob der Matrix-Soundtrack nicht doch ganz okay war. Ansonsten wird es spätestens jetzt Zeit, wieder mal Pretty Hate Machine zu hören.
9/11

Beste Songs: Ezra / Sticky Drama / Mutant Standard / Child of Rage / No Good

Nicht mein Fall: ECCOJAMC1

Weiterlesen:
Ein Post über Industrial Rock läuft nicht ohne Trent Reznor:
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Schlimm, schlimm, schlimm:
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Freitag, 13. November 2015

Oh Well, Whatever. Never Mind

KURT COBAIN
Montage of Heck: the Home Recordings

Universal
2015

















Das tolle am quasi ersten Soloalbum von Kurt Cobain 21 Jahre nach dessen Tod ist, dass man es nicht überbewerten muss. Montage of Heck, die Songs zum gleichnamigen Dokumentarfilm sind keine unentdeckten Geistesblitze eines Genies, sondern trotz des großen Namens vorne drauf eine Sammlung von Songs, die aus gutem Grund nie auf einer Nirvana-Platte waren. Cobain, das sollte der durchschnittliche Fan inzwischen wissen, war niemand, der sich zu Hause einmummelte und tonnenweise Demotapes für die Schublade produzierte, die heute irgendwo in Archiven gammeln. Viel eher arbeitete er sehr akribisch an einzelnen Zeilen, schrieb von fast jedem Track mehrere Versionen und was Wert hatte, landete früher oder später immer bei seiner Band. So gesehen sind diese Songs schon etwas besonderes, doch man merkt genau so, dass Brett Morgen für diese Compilation wirklich jeden Stein umgedreht hat, um doch noch irgendwo etwas zu finden, was sich veröffentlichen ließe. Die meisten Nummern hier sind eigentlich überhaupt keine richtigen Songs, sondern lediglich Soundschnipsel, die Namen wie Reverb Experiment oder the Happy Guitar tragen. Daneben gibt es zahlreiche "Early Demos" von Nirvana-Stücken und ein Beatles-Cover. Nach 33 Minuten ist die Platte zu Ende. Ein sensationeller Fund aus den Tiefen der Pop-Historie sieht anders aus. Dass es interessante Momente gibt, will ich jedoch nicht abstreiten. Als großer Fan von Cobains Musik weckt jeder Song, der tatsächlich neu ist, sofort meine Neugier. Und Tracks wie She Only Lies, Letters to Frances oder Desire wohnt tatsächlich der unverwechselbare Geist einer Kurt Cobain-Komposition inne. Das klingt logisch, ist aber ein echtes Highlight für Montage of Heck. Auch die frühen Aufnahmen von Frances Farmer Will Have Her Revenge on Seattle oder Been A Son sind spannend, da hier teilweise noch andere Lyrics gesungen werden. Brett Morgen gibt uns mit dieser Platte also beides: Die erneute kommerzielle Ausschlachtung eines Rock-Mythos und wertvolle musikalische Dokumente. Die Spreu vom Weizen trennen muss der Hörer dabei jedoch selbst. Wer besonders viel Freude daran findet, kann das auch auf der doppelt so langen Deluxe-Ausführung tun, die noch mehr Zwanzig-Sekunden-Skits und Zweitverwertung enthält. Ich persönlich brauche keines von beidem wirklich. Nirvana haben auf drei Alben mehr gesagt als andere Bands in 30 Jahren und um das aufzuarbeiten, sind Demo-Kollektionen wie diese nach meinem Ermessen eher hinderlich als fördernd. Dass die "Solo-Arbeiten" von Cobain früher oder später trotzdem so enden würden, war aber sowieso klar. Es gibt ja noch nicht genug, was die Plattenpresse diesem armen Typen schuldet. Nächstes Jahr wird Nevermind 25 Jahre alt. Auf die nächste Gelegenheit müssen die also nicht lange warten. Wer weiß, was dann wieder alles entdeckt wird.
7/11

Beste Songs: Clean Up Before She Comes / And I Love Her / Frances Farmer Will Have Her Revenge On Seattle / She Only Lies

Nicht mein Fall: Reverb Experiment

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Zur Entschlackung: Nirvana.
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Und noch mehr alte Demos:
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