Donnerstag, 19. November 2015

Anorganisch

ANNA VON HAUSSWOLFF

the Miraculous

City Slang

2015
















Wenn Joanna Newsom die Indie-Göttin der Harfe ist, dann gilt dasselbe für Anna von Hausswolff und die Orgel. Und damit ist kein popeliges Hammond-Brettspiel gemeint, das jede zweite Discofox-Band vorweisen kann, sondern das richtig große Besteck: Eine histoische, echte Kirchenorgel. Bereits ihr drittes Album, das hauptsächlich auf diesem Instrument gespielt wird, ist the Miraculous und die Lektion diesmal ist: Es muss nicht immer andächtig klingen, wenn diese Frau an den Tasten sitzt. Wo auf dem Vorgänger Ceremony von 2012 noch deutlich Elemente aus Neo-Klassik und Drone das Geschehen dominierten, hat sich die Schwedin hier auf einen wesentlich rockigeren Sound gestürzt, der für diese Verhältnisse überaus sportlich ausfällt. Dort wo Rockmusik auf Tasteninstrumentarium trifft, wird er zwar auch hier zwangsläufig zum Progressive Rock, doch die ein oder andere Schale des Avantgarde-Kokons hat sie hier schon abgestreift. The Miraculous hat durchaus klassische Songwriter-, Metal-, Postrock-, und teilweise sogar poppige Momente, zeichnet sich im Prinzip also genau durch die Dinge aus, die ich auch an Frau Newsom so schätze. Nur dass von Hausswolff offenkundig nicht ganz das kompositorische Talent ihrer Kollegin besitzt. Zumindest nicht, wenn es darum geht, einfache, unkomplizierte Songs zu schreiben. Wenn auf Ceremony die Pfeifen dröhnten und alles im wummernden Klangbad ertrank, brauchte man das alles nicht. Dort war die Dichte das ultimative Mittel zum Zweck. Doch da sich die Kanäle hier öffnen und die Prioritäten doch eindeutig in Richtung Melodie und Harmonie gesetzt wurden, muss auch die Struktur plötzlich passen. Etwas, woran sich die Platte über kurz oder lang die Zähne ausbeißt. In teilweise zehnminütigen Tracks klammert sich die Künstlerin an jeden noch so kleinen Anflug von Catchyness, den sie dem schweren Organum entlocken kann. Versuche, die nur selten fruchten. Da hilft ihr auch ihre grandiose Stimme und die Backing-Band nicht, es fehlt einfach an Stoff. Zwischen halbgarem Postrock (Deliverance), fahlen Prog-Opern (Discovery) und viel viel billigem Füllmaterial schleicht sich das ganze also fast eine Stunde lang dahin und setzt wenig bis gar keine Akzente. Man kann ganz klar den Versuch erkennen, hier so etwas wie Rock-Bombast zu erzeugen, doch manchmal hilft es dabei, weniger um die Ecke zu denken, als von Hausswolff es hier tut. Ich frage mich dann, ob es daran liegt, dass sie diese Songs nicht schreiben kann oder dass es einfach nicht möglich ist, mit einem erhabenen Instrument wie der Orgel so etwas banales wie Rock'n'Roll zu spielen. Eine Antwort darauf können wir von the Miraculous auch nicht erwarten. Der Künstler, der der Königin der Instrumente ihre dreckige Seite entlockt, muss wohl erst noch entdeckt werden.
6/11

Bester Song: Come Wander With Me/Deliverance

Nicht mein Fall: Discovery

Weiterlesen:
Wo wir schon die ganze Zeit von Joanna Newsom reden:
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Jemand, der das besser kann:
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