Samstag, 18. Februar 2017

Gib dir mehr Zeit für dich

Gerade mal knapp zwei Jahre ist es her, dass ich in diesem Format über eine LP namens Schick Schock der Wiener Band Bilderbuch schrieb und es ist einigermaßen unfassbar, was seitdem alles passiert ist. Die Musikszene der Alpenrepublik ist im letzten Jahr innerhalb weniger Wochen und Monate in alle Richtungen explodiert und im Moment das erste Mal seit dem späten neunzehnten Jahrhundert relevanter als die der Bundesrepublik. Bilderbuch selbst tragen dafür eine sicherlich nicht unwesentliche Verantwortung und haben auch im gesamten deutschen Kulturraum für ein schrulliges neues Selbstverständnis gesorgt, das unter anderem dafür sorgte, dass 2016 Künstler wie Von Wegen Lisbeth so durch die Decke gingen. Und nicht zuletzt war Schick Schock selber natürlich eine einzige Hit-Maschine, deren Songs in Sachen denkwürdiges Radio-Material noch immer ganz weit oben stehen und die ich noch immer jedem empfehlen kann, der sie nicht sowieso schon auswendig kennt. Wie aber jeder weiß ist es bei einem solchen Monolithen an Platte immer äußerst schwierig, künstlerisch anzuschließen. Im Fall von Bilderbuch sogar ganz besonders, denn diese LP war damals die eine große Trumpfkarte, auf die die Wiener alles setzten. Zu diesem Bombastwerk einen Nachfolger zu schreiben, war also die ultimative Herausforderung für das Quartett. Wenn man sich die Interviews durchliest, die Sänger Maurice Ernst in den letzten Wochen en masse gegeben hat, kommt dieser Druck auch immer wieder durch. Bilderbuch verstehen sich als Popband und ihren Fans gegenüber in einer immensen Verantwortung, gleichzeitig sind sie jedoch auch die größten Freigeister, die der deutschsprachige Mainstream seit Jahren gehört hat. Diese Kombination war es, die Schick Schock so speziell machte und diese Art und Weise wollte man sich bewahren. Doch es sollte auch vorwärts gehen. Ruhiger und experimenteller sollte Magic Life, das neue Projekt der Österreicher werden. Statt der großen Party, die 2015 und 2016 für Bilderbuch waren, sollte die Ruhe nach dem Sturm dokumentiert werden. Zurückhaltung statt Power-Button. Bungalow statt Dschungel. Die Frage bei einer solchen Tendenz ist offensichtlich: Wie sieht Zurückhaltung bei dieser Band aus? Einer Band, die vor allem durch ihre maximalistische Art und Weise, ihren Pomp und ihre knalligen Songs auffällt? Muss man auf das alles jetzt verzichten? Die Antwort darauf kam eigentlich schon im letzten Sommer mit der ersten Single Sweetlove. Der Track war ein typisches Bilderbuch-Stück, mit all der Überzogenheit, Fancyness und Catchiness die dazugehört. Doch war er gleichzeitig auch subtiler und gemütlicher als vieles davor und konzentrierte sich mehr auf einen kompositorsichen Kern, als in alle Richtungen auszubrechen. Und ich würde mich jetzt so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, dass diejenigen, die Sweetlove verstanden haben, auch Magic Life verstehen. Das neue Album ist das gleiche songwriterische Konzept wie sein Vorgänger, nur wird hier nicht jede Sekunde mit allen möglichen Stilmitteln vollgestopft, sondern den Ideen im großen und ganzen mehr Luft gelassen. Das hat zwar die logische Folge, dass es hier so gut wie keine Instant-Banger gibt (der einzige direkt erkennbare ist eigentlich Bungalow), doch dass man den Strukturen, die Bilderbuch aufbauen, diesmal auch folgen kann. Es fühlt sich gut an, ein Gitarrensolo hier nicht als Bonus-Feature eines eh schon total überzuckerten Tracks zu hören, sondern tatsächlich als sinnvolles kompositorisches Mittel. Durch diese Herangehensweise hat Magic Life endlich auch das, was Schick Schock trotz aller Genialität nicht haben konnte: Einen geschlossenen Album-Sound. Und eigentlich sollte ich die neue Platte deswegen lieber mögen als ihren Vorgänger. Doch leider bringt das neue Konzept auch einige Nachteile mit sich. Der für mich sicherlich bitterste ist, dass man durch die Reduzierung, die auch auf lyrischer Ebene stattfindet, hier weniger abgefuckte One-Liner von Maurice Ernst zu hören bekommt. Und natürlich hätte ich mich über ein oder zwei Pop-Bretter mehr auch nicht beschwert. Wenn man sich das große Bild so ansieht, ist Magic Life weniger das Album für die Leute, die Bilderbuch aus dem Radio kennen, sondern eher für die, die sich tatsächlich ernsthaft mit dem Innenleben ihrer Songs auseinandersetzen wollen. Welche Platte ich persönlich nun besser finde, kann ich im Moment aber noch nicht sagen. Gerade hat die neue ein bisschen die Nase vorn, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass Schick Schock am Ende die stärkeren Argumente hat. Das wichtigste ist aber, dass Bilderbuch auch hier interessant bleiben und ich Lust habe, sie weiter zu hören. Noch vor einigen Wochen fand ich das nicht so selbstverständlich.





Persönliche Highlights: Sweetlove / Bungalow / Superfunkypartytime / Investment 7 / Baba / Babylon

Nicht mein Fall: Sag deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt

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