Mittwoch, 8. Februar 2017

Das Mädchen aus dem Internet

Wenn ich Syd bisher für eines besonders mochte, dann für etwas, das eigentlich wenig mit Musik zu tun hat. Unter den vielen Musiker*innen, die in den letzten Jahren als besonders inspirerende Persönlichkeiten für die Rechte von LGBTI-Personen gefeiert wurden, empfinde ich wenige als so herausregend wie sie. Nicht nur ist sie als Frau in der HipHop-Szene ohnehin schon in einer nicht sonderlich beneidenswerten Position, auch ihre Homosexualität und der damit verbundene Aktivismus hat ihr in der Vergangenheit nicht nur Freunde gemacht. Dass sie dennoch so souverän und reif damit umgeht, ist für eine Künstlerin ihres Altern nicht unbedingt gewöhnlich und macht sie für mich definitiv zu einem besseren Vorbild für andere als es Beyoncé oder Lady Gaga sind. Was ihre Musik angeht, so war ich von ihrem Output zuletzt ebenfalls häufiger überzeugt als noch früher zu Odd Future-Zeiten. Das letzte Album ihrer Band the Internet war für mich eine positive Überraschung und setzte bei mir erstmals den Gedanken fest, dass sie ja gar keine so schlechte Sängerin ist und sie bestimmt auch das Zeug für eine Soloplatte hätte. Und siehe da, hier ist ihre erste Soloplatte. Doch um ehrlich zu sein habe ich mich auf Fin in den letzten Wochen nicht wirklich so sehr gefreut, wie ich es gern getan hätte. Die beiden zuvor veröffentlichten Singles All About Me und Body fand ich beide ziemlich enttäuschend und schade, weil sie nahe legten, dass auch die coole Syd sich jetzt jenem komplett überstrapazierten Alternative-R'n'B-Sound annehmen würde, für den sie eigentlich viel zu talentiert war. Und wäre es tatsächlich so gekommen, hätte sie meine gerade erworbene Gunst wohl sehr schnell wieder verloren. Zum Glück ist die Kalifornierin aber nach wie vor cleverer als andere und statt hier einfach nur einen gerade schwer angesagten Style zu kopieren, macht sie hier mit viel Geschick und Soul ihren eigenen daraus. Die Folge ist in diesem Fall eines der besten R'n'B-Alben, die ich in den letzten Jahren gehört habe. An sich unterscheidet sich die LP klanglich nicht weiter von den Sachen, die Leute wie Partynextdoor oder Kaytranada in letzter Zeit produziert haben, doch ist hier irgendwie eine einladende Gemütlichkeit dahinter, die man vielleicht schon von den Internet-Platten kennt. Was man zudem nicht unterschätzen sollte ist, wie viel Charisma Syd als Sängerin hat. Auch wenn sie keine monumentale Diva ist wie Beyoncé und nicht den ultracoolen Flow eines Drake hat, so schafft sie es doch, einen besseren Vibe zu erzeugen als diese beiden es zuletzt taten. Das liegt zum einen daran, dass sie auch lässig sein kann, ohne dabei öde zu klingen und zum anderen an den deftigen inhaltlichen Brocken, die sie hier anschleppt. Jemand wie sie, die als Musikerin ständig gegen ihre eigenen Kollegen kämpfen muss und sich so aktiv gegen die Umstände stellt, hat sehr viel zu sagen und eine Gelegenheit wie ihr Solo-Debüt bietet sich kein zweites Mal. Und auch wenn die Texte hier teilweise etwas hitzköpfig und adolszent wirken, sind sie doch niemals flach oder haltlos. Im Gegenteil: man sollte froh sein, dass jemand eine Neo-Soul-Ästhetik mal für etwas anderes gebraucht als für blasierten Pillow Talk. Wenn ich dennoch eine Sache an Fin zu kritisieren habe, dann die Spielzeit von gerade Mal 37 Minuten, die selbst für Pop-Verhältnisse ziemlich knapp ist. Ein oder zwei Songs mehr hätten sicher nicht geschadet und Themen wären ihr sicherlich eingefallen. Abgesehen davon hat es Syd hier einmal mehr geschafft, mich trotz Anfangsschwierigkeiten zu überraschen und wieder hat sie dafür nicht mehr als ihr unglaubliches Charisma als Musikerin gebraucht. Inzwischen finde ich es fast schade, dass diese Platte nicht mehr als ein Nebenerwerb bleiben soll, bevor es vielleicht noch in diesem Jahr mit the Internet weitergeht. Ich könnte mir Syd sehr gut als souveräne Solokünstlerin vorstellen, die auch nachhaltig gute Alben veröffentlicht. Aber ihre Band ist in dieser Hinsicht auch nicht die schlechteste Alternative und man sollte deswegen nicht rumheulen. Ihre Stimme bleibt uns ja definitiv erhalten.





Persönliche Highlights: Shake Em Off / Smile More / Got Her Own / Dollar Bills / Over

Nicht mein Fall: Insecurities

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