Mittwoch, 1. November 2017

Grauer Star

Es gab vor vier Jahren mal einen kurzen Moment, da dachte man, dass Archy Marshall alles ändern würde. Sein unter dem Pseudonym King Krule veröffentlichtes Debüt Six Feet Beneath the Moon war so anders, so charismatisch und so eigenwillig, dass vielen Kritiker*innen aufgrund fehlender Vergleiche nichts besseres einfiel, als den jungen Briten als das nächste Wunderkind des Indiepop auszupreisen. Und Archy hätte es sicherlich werden können. Auch wenn ich selbst die Platte damals eher nur okay fand, war sie definitiv einzigartig und vor allem stimmlich war dieser Typ auf einem ganz anderen Level. Doch statt sich gegen den schnellen Hype zu entscheiden, fand sich King Krule in den nächsten Jahren erstmal selbst. 2015 veröffentlichte er unter seinem bürgerlichen Namen ein Rap-Mixtape, aber abgesehen davon war es relativ still um ihn. Und weil die Menschen im Internetzeitalter nicht mehr vier Jahre darauf warten, dass das große Wunderkind der Zukunft zurückkehrt, fanden sie so lange erstmal neue. Stand 2017 interessiert sich folglich keine Sau mehr für King Krule und ein bisschen ist das auch gut so. Denn so ein wahnsinnig toller Musiker war er eigentlich noch nie und jetzt kann er genau das endlich auch mal sein, ohne dass die Presse etwas anderes behauptet. Und unter diesen Gesichtspunkten ist the Ooz eigentlich sogar ein sehr gutes Album. Zwar ist mir das Konzept dieses Typen nach wie vor ziemlich schleierhaft und Songs kann er nicht so richtig schreiben, aber wenigstens findet er hier so langsam eine Art Ästhetik. Klanglich ist die Platte stark beeinflusst von experimentellem Postpunk und Gothrock, wobei nebenbei auch Elemente aus Surfrock, Soul, Dub, Jazz, Synthpop oder Shoegaze dabei sind, die die meisten Songs zu einem stilistischen Potpourri machen. Ein bisschen erinnert das ganze an die Arbeiten von Marching Church oder auch das letzte Album von Timber Timbre, nur dass Archy dabei wesentlich skizzenhafter vorgeht. Kaum ein Song hier hat eine wirklich deutliche Melodie oder ein durchgängiges Motiv, viel eher werden wie bei einem Ambient-Stück markante klangliche Momente aneinander gereiht. Doch wo das zunächst nach einem schweren Makel klingt, schafft King Krule es hier irgendwie, dieses experimentelle Sound-Muß glaubwürdig zu verkaufen. Ein über einstündiger Longplayer, bestehend aus 19 mehr oder weniger losen und arg monotonen Fast-Songs, von denen jeder das musikalische Äquivalent zu einem Standup von Nico Semsrott ist, wird hier zum erlebnisreichen Klang-Trip mit ordentlich Grusel-Faktor. The Ooz zu hören fühlt sich an wie eine circa siebenköpfige Halloweenparty, auf der sich alle Gäste aus grüner Langeweile mit einer heftigen DMT-Gras-Mischung zugeballert haben. Und so etwas unterhaltsam zu gestalten, ist schon eine Herausforderung, für deren Meisterung Archy mein großer Respekt gebührt. Seinen Status aus Gesicht des Gefälligkeits-Indie wird er damit zwar nicht zurückbekommen, eher schon den als neuer Tom Waits. Doch wenn man sich das hier anhört, ist ihm das inzwischen auch egal. King Krule funktioniert dann am besten, wenn er seine ganzen wirren Ideen auch umsetzen kann, statt sich um stilistische Geschlossenheit oder Abwechslung zu kümmern. Und so seltsam das klingt, es wird hier zu seinem Erfolgsrezept, mit dem er vielleicht auch endlich das Publikum findet, das ihm gerecht wird. Denn die coolen Kids mochten ihn in Wahrheit noch nie.





Persönliche Highlights: the Locomotive / Dum Surfer / Slush Puppy / Logos / Lonely Blue / Cadet Limbo / Emergency Blimp / Czech One / A Slide In (New Drugs) / the Cadet Leaps

Nicht mein Fall: -

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