Montag, 20. November 2017

Die Zeiten sind vorbei

Ende 2017 ist eigentlich nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, um damit anzufangen, über Dillon zu schreiben. Selbst wenn die Sängerin in gewissen Kreisen einen Ruf als der kleine deutsche Indiedarling genießt, bei dem Kritiker*innen immer sagen können "Hey, wir haben auch eine Lykke Li!", ist diese Phase jetzt auch irgendwie vorbei. Der richtige Zeitpunkt, um über Dillon zu schreiben, wäre am ehesten der April 2014 gewesen, als ihr zweites Album the Unknown erschien. Mit dieser Platte hatte sie vor drei Jahren ihre sicherlich größte Phase, inklusive Ersteinstieg in die deutschen und österreichischen LP-Charts, umfassendem Kritiklob und exponentiellem Wachstum der Fanbase auch außerhalb ihrer hiesigen Wahlheimat. Mit einer Besprechung damals hätte ich sicher einige neue Leser*innen generiert und auch ein gewisses Feedback eingefahren, doch leider fand ich die Musik von Dillon auf diesem Album ziemlich uninteressant. Die Brasilianerin schrieb zwar auch dort schon ziemlich hitverdächtige Indiepop-Songs, doch waren diese wenig mehr als die Gerüste davon. Die Konzentration auf die wesentlichen Elemente des Songwritings in Zusammenspiel mit ihrer eh schon sehr elfenhaft-niedlichen Gesangsperformance waren nicht schlecht, aber man vermisste auch immer irgendwie etwas daran. Den Tracks fehlte häufig das klangliche Fleisch, das ein wenig mehr instrumentales Backing oder eine dickere Produktion sicherlich erzeugt hätten. Tatsächlich hörte ich schon immer lieber die Remixes von Dillon-Songs, da diese genau diese Atmosphäre zu schaffen vermochten. Man könnte also sagen, dass ich die Sängerin bisher mochte, ich aber auch mein Problem mit ihr hatte. Die gute Nachricht und gleichzeitig der Grund, warum ich erst jetzt über sie schreibe, ist aber: Kind macht es zum ersten Mal besser. Und das nicht etwa, indem es genau die Dinge tut, die ich soeben nannte, sondern indem es seinen Platz in der klanglichen Ödnis des Dillon-Kosmos findet. Heißt: Die zehn neuen Stücke sind im Vergleich zu denen ihrer beiden Vorgänger deutlich weniger Pop-orientiert und setzen nicht so stark auf Melodie, sondern eher auf genau die skelettale und trockene Wirkung, die für mich bisher eigentlich eine Schwäche dieser Künstlerin war. Folglich kann man Kind als ihr bisher vielleicht experimentellstes Werk bezeichnen. Was aber nichts wirklich schlimmes oder ungewöhnliches ist. Denn am Kern des dillonschen Stils ändert sich dabei wenig: Der unmittelbare Fokus der Songs liegt hier noch immer unverkennbar auf der Stimme der Sängerin, was ja auch einfach nur logisch ist und was den meisten Fans reichen sollte, um auch hier wieder bedingungslos alles zu feiern. Abgesehen davon ändert sich lediglich, dass das Instrumentarium des Albums nun endgültig mehrheitlich elektronisch ist und dass mit Nicholas Weiss und SSSS endlich mal ein paar vernünftige Produzenten mit dabei sind. Und wo wir schon bei Kollaborationen sind: Der Typ, der auf dem Titelsong den zweiten Part singt, ist übrigens niemand geringeres als Tocotronic-Kopf und Langzeitfanboy Dirk von Lowtzow. Das war es auch schon mit Neuerungen, doch die Wirkung dieser kleinen Modifikationen ist eine ganz neue: Insgesamt wirkt Dillon dadurch irgendwie in ihrem eigenen Sound angekommen und wesentlich erwachsener als vorher. Gleichzeitig schafft sie es, sich stilistisch weiterzuentwickeln und auch mal mehr zu sein als die eine Sängerin, die auch ein bisschen klingt wie Lykke Li. Ich bezweifle zwar, dass in ihr künstlerisch noch viel mehr steckt als das, was wir hier auch erleben und sie letztendlich mehr ist als ein kleiner Indiedarling, aber an sich ist das ja auch nicht verkehrt. Und zumindest wäre ein Hype-Faktor wie zuletzt bei the Unknown diesmal wirklich verdient gewesen. Aber hey, wer hört 2017 schon noch solche Instagram-Musik?





Persönliche Highlights: Kind / Regular Movements / Contact Us / Killing Time / 2. Kind

Nicht mein Fall: Lullaby / Te Procuro

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