Mittwoch, 29. November 2017

Die Relativitätstheorie der Liebe

Wenn man sich die Berichterstattung der Musikmedien im Vorfeld der Veröffentlichung von Utopia in den letzten Wochen ansieht, dann ist der Tenor der allermeisten Beiträge ein ziemlich eintöniger: Björk ist eine der größten Universalkünstler*innen der letzten 40 Jahre, mindestens auf einer Ebene mit Radiohead, und alles was sie macht, ist prinzipiell genial. Und an sich kann ich dem auch zustimmen. Gerade ihre frühen Alben sind für mich unglaubliche Goldgruben für fantastisches Songwriting und was die Isländerin für die Mode- und Videowelt getan hat, ist fast noch imposanter. Dennoch finde ich, dass in letzter Zeit die Art und Weise, wie man über ihren Output redet, die unangenehme Eigenschaft hat, endgültig sein zu wollen. Dass hier ein Genie bei der Arbeit ist, scheint reine Tatsache zu sein und wer dem widerspricht, hat es einfach nur nicht verstanden. Eine Diskussion darüber ist nicht notwendig, denn die Beweisführung ist abgeschlossen. Ergebnis: Björk kann man gar nicht doof finden. Und genau an diesem Punkt bin ich mir im Moment nicht mehr so sicher. Im Zuge des besagten Hypes um ihren Backkatalog in den letzten Wochen war auch ich hingerissen, mir einige ihrer angeblich besten Platten noch einmal anzuhören und obwohl ich dabei nach wie vor sagen muss, dass ich die ganze Angelegenheit insgesamt als sehr gut empfand, so gibt es für mich eben doch Punkte, die ich eben nur so okay finde. So ist zum Beispiel Homogenic, ihr angeblich bestes Album überhaupt, für mich eher eine lahme Version seines Vorgängers Post und auch ihren nun zweitjüngsten Longplayer Vulnicura von 2015 mag ich noch immer nicht so wirklich. Ich erwähne das deshalb, weil ich zeigen möchte, dass mein Setting im Vorfeld von Utopia sich möglicherweise ein wenig von dem der meisten anderen unterschied, die sich damit beschäftigt haben. Und insbesondere ist es auch deshalb wichtig, weil diese neue LP sozusagen das Schwesternalbum seines Vorgängers sein soll, den ich als das vielleicht schlechteste aller Björk-Werke empfinde. Vor diesem Hintergrund freue ich mich jedoch zu sagen, dass ich diesmal positiv überrascht war von dem, was die Isländerin macht. Nach dem Erscheinen der ersten beiden Singles the Gate und Blissing Me vor wenigen Wochen war ich erstmal wieder ziemlich niedergeschlagen und fand mich fast schon damit ab, dass Utopia mich als "Vulnicura 2" wohl auch wenig begeistern würde. Und auch jetzt muss ich sagen, dass die ganze Sache besser hätte sein können. Björks sehr abstrakte, verkopfte Kompositionsweise ist auch nach Jahren noch immer ein bisschen anstrengend und ihr hier zum ersten Mal eingesetzter Ansatz an Stream-of-Consciousness-Lyrik entbehrt sich manchmal nicht einem gewissen Cringe-Potenzial. Dennoch ist die Art, wie sie diese Dinge hier im Vergleich zum Vorgänger rüberbrinngt, schon wesentlich angenehmer. Um das zu verwirklichen, ersetzt sie die auf Vulnicura vorherrschende digitale Kälte durch den Einsatz organischer Instrumente, und weil wir hier von Björk reden, muss es natürlich so etwas skurriles wie ein Blockflöten-Chor sein. Das klingt vielleicht erstmal grauenvoll, aber es funktioniert erstaunlich gut und hat den pittoresken Nebeneffekt, dass die Isländerin damit zu den Wurzeln ihrer Musikkarriere zurückfindet. Zu den erneut von Arca produzierten elektronischen Beats bietet dies einen angenehmen Kontrast und schafft positive Energie, die durch diverse Field Recordings, Streicher und Harfen noch verstärkt wird. Der erwünschte Kontrast zum düsteren und aggressiven Vorgänger ist auf jeden Fall deutlich spürbar. Obwohl Utopia stilistisch eine ähnliche Linie fährt, ist es klanglich um Welten optimistischer und friedlicher, nicht zuletzt auch durch Björks einfühlsame, handwarme Texte. Was allerdings auch nicht bedeutet, dass es einfach zu hören ist. Im Gegenteil. Ich habe mich mittlerweile ja daran gewöhnt, dass es auf Platten dieser Künstlerin keinen besonders guten songwriterischen Flow gibt, das hat sie in über 20 Jahren nicht hinbekommen, was ihren Alben auch nicht wirklich schadete. Bei einem so zerfurchten und abstrakten Longplayer wie diesem wird es jedoch ein wenig zum Problem und die satten 71 Minuten Spielzeit helfen da auch nicht wirklich. Irgendwann ab der Hälfte, je nach Geduld des*r Hörenden, verliert Utopia mehr und mehr an Unterhaltungswert und wird langsam aber sicher steril. Und damit wären wir beim gleichen Problem, das schon Vulnicura hatte. Mit dem Unterschied, dass diese Platte noch etwas länger cool ist, bevor sie abstirbt. Das und einige andere, bereits genannte Sachen machen sie besser als die vorher, aber noch lange nicht genial. Und nach wie vor bin ich der Meinung, dass Björk sich im Moment in der vielleicht schwächsten Periode ihrer Karriere befindet. Stand 2017 macht die Isländerin, die einst so perfekt Popmusik und experimentelle, künstlerische Ansätze verband, unglaublich verkopfte, unnahbare Kunstmusik, die zwar wahnsinnig progressiv ist, aber auch nicht wirklich einladend. Und genau das würde ich von ihr gerne wieder mehr hören, gerade wenn es wie auf Utopia um Beziehungskram geht. Denn im gerade hört sich ihre Liebe ein bisschen zu sehr nach theoretischer Astrophysik an.





Persönliche Highlights: Arisen My Senses / Blissing Me / the Gate / Utopia / Courtship / Losss / Claimstaker / Saint / Future Forever

Nicht mein Fall: Sue Me / Tabula Rasa

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen