Sonntag, 7. Juni 2020

Baba ist wieder da


[ düster | großkotzig | kriminell | badass ]

Mit dem großen Mainstream-Push, den Deutschrap innerhalb der letzten halben Dekade erlebte, ist es natürlich eine ganz normale Entwicklung, dass es innerhalb der Szene mittlerweile ein paar Protagonisten gibt, die eine gewisse Überlebensgröße entwickelt haben und die inzwischen nicht mehr nur Marke, sondern auch ein bisschen Mythos sind. Wo es aber auf der einen Seite Leute wie Bushido, Fler oder Shindy gibt, die diesen Leumund vordergründig durch haufenweise komisches Beef-Gehabe, peinliche Interviews und generelle Versoapung ihrer Karrieren etabliert haben, gibt es auf der anderen Seite nur wenige, die das eine ähnliche Rolle primär durch Musik erreicht haben. Und wenn wir von letzteren reden, gibt es im Zeitfenster der letzten Dekade kaum jemanden, der seinen Weg so beeindruckend gegangen wie Haftbefehl aus Offenbach am Main. Wenn man bedenkt, dass sein Durchbruchs-Debüt Azzlack Stereotyp zu diesem Zeitpunkt gerade Mal zehn Jahre alt ist, ist es ziemlich beachtlich, sich vor Augen zu führen, welchen Legendenstatus den Rapper mittlerweile bekleidet und wie unfickbar sein Ruf in der Szene geworden ist. Nicht nur gehört der Großteil seines Outputs für viele Deutschrap-Liehaber*innen mittlerweile zum Hiphop-Kanon der letzten zehn Jahre, auch hat der Frankfurter darauf seine gänzlich eigene künstlerische Sprache netwickelt und eine Identität aufgebaut, die hierzulande einen gewissen Seltenheitswert hat. Ganz zu schweigen davon, dass er mit Songs wie Chabos wissen wer der Babo ist und Rolle mit meim Besten einer der ersten deutschsprachigen Gangsterrapper war, der mit seiner Musik ernsthaftes Crossover-Potenzial im Pop-Mainstream entwickelte. Und gerade im Vorlauf dieser neuen LP zeigte sich erstmal so richtig, wie groß die Anerkennung dafür bei vielen auch ist. Das weiße Album, Haftis erstes Soloprojekt seit dem fantastischen Unzensiert von 2015 (seiner in meinen Augen besten Platte), generierte in den letzten Wochen einen der meiner Auffassung nach größten Hypes des bisherigen Jahres und wurde von der Szene sehnsüchtig erwartet. Was auch irgendwie verständlich ist, war seine Stimme doch eine, die in der großen Mainstreamwerdung des Stils, den er etabliert hatte, irgendwie fehlte. Und ihn jetzt, eine Trendwende der deutschen Popmusik später zu hören, ist schon an sich ein Zeichen. Wobei der Künstler sich hier auch Mühe gibt, diese zu setzen. Mit seiner letzten Single Conan x Xenia schuf er noch vor einigen Wochen eine ziemlich affige Kontroverse um die Feature-Beteiligung von Shirin David (Hey, pssst: Ihr Part ist der bessere) und auch dass der Sound dieser neuen LP etwas anders sein würde, wurde ab dem ersten Moment schnell klar. Folglich erwartete ich von DWA eine mehr oder weniger gänzlich neue Inkarnation von Haftbefehl, die im Optimalfall etwas erwachsener und persönlicher sein würde. Und vielleicht war das in Bezug aufs letztliche Ergebnis auch gar nicht so verkehrt, doch eigentlich auch nur deshalb, weil die Platte so gut wie alles bestätigt, was man von ihr irgendwie hätte erwarten können. Will man den klassischen Hafti-Sound von Russisch Roulette und Unzensiert, gibt es den in Songs wie Conan oder Morgenstern, fand man in der Promophase eher die schwermütigen Cuts gut, liefert das Album die in Form von gleich drei weiteren 1999-Parts und noch ein paar weiteren Tracks. Und wenn man wissen will, wie der Offenbacher seinen Umgang mit den Entwicklungen der Cloudrap-Community findet, sind Stücke wie Trapking oder Ice vielleicht interessant. Man kann dabei generell davon ausgehen, dass jede Person, die Hafti zumindest nicht von Grund auf scheiße findet, wenigstens ein neues Lieblinglied auf dieser LP entdeckt und irgendwo angesprochen wird. Leider liegt aber da auch die größte Schwäche von DWA, denn andersrum funktioniert das Spiel genauso: Wahrscheinlich findet hier auch jede Person mindestens einen sehr enttäuschenden Track, der die Entwicklung von Haftbefehl sehr fragwürdig erscheinen lässt. Und abhängig von der subjektiven Einschätzung kann jeder Song dabei auf unterschiedlichen Punkten des Spektrums landen. Wenn es nach mir geht, so sind meine Favoriten ganz klar die biografischen Nummern der Platte wie Bolon oder die beiden letzten 1999-Teile, in denen das Thema Hafti zum ersten Mal wirklich schmerzhaft wird. Das ist vor allem deshalb beeindruckend, weil emotionale Bereiche für den Rapper bisher immer eine Schwachstelle darstellten, die er hier mithilfe von fantastischer Produktion von Stammbeatmaster Bazzazian und echten Inhalten aber erstmals gewuppt kriegt und tatsächlich Passagen schreibt, die mich ernsthaft ergriffen haben (Die Stelle mit der Sprachnachricht in Mainpark Baby sei an dieser Stelle besonders betont). Weiterhin sehr cool finde ich hier erneut seine Sprache und seinen Flow (obwohl die auf den letzten beiden Platten doch etwas cooler waren) und tatsächlich auch Conan x Xenia, trotz einer eher durchschnittlichen Performance von Hafti selbst. Soviel zu den positiven Aspekten. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich in meinen Augen aber auch ein paar ganz besonders peinliche Momente, auf denen der Rapper ein neues Negativlevel erreicht. Und das fängt mit den Gastparts auf diesem Album an. Abgesehen von der besagten Shirin David und einem gewohnt abgebrühten Shindy auf KMDF sind diese nämlich eher ein ziemlicher Griff ins Klo. Ufo361 ist auf Trapking denkbar langweilig und kackt im Vergleich zum Host völlig ab, mit Capo passiert auf Depression & Schmerz mehr oder weniger das gleiche und warum ausgrechnet Marteria immer wieder auf Hafti-Alben rappen darf, habe ich schon auf Russisch Roulette nicht verstanden. Das weitaus schlimmste ist aber, dass DWA sich außerdem genötigt fühlt, es in Ice den ganzen Cloudrap-Hampelmännern gleich zu tun und ein US-amerikanisches Feature einzukaufen (in diesem Fall Gucci Mane), das erstens völlig lahmarschig klingt und zweitens etwas ist, dass ein Baba Haft eigentlich nicht nötig haben sollte. Und leider ist auch dieser selbst hier nicht wirklich in Hochform. Auf vielen Tracks wie RADW, Morgenstern oder Für immer reich hört man den Haftbefehl der letzten Alben mit weniger scharfen Lyrics, langweiligeren Hooks und plumperen Flows, die so gut wie nie die gleiche Energie erzeugen wie auf seinen Vorgängern. Darüber hinaus gibt es einen wesentlich größeren Fokus auf ruhigere Stücke, die aber meistens nicht so hinhauen wie erwartet. Schlimmstes Beispiel darunter ist definitiv Depression & Schmerz, das sich als sehr rudimentäre Samra-Kopie versucht und damit gar keine gute Figur macht. Und schließlich finde ich auch sehr schade, dass durch das große ästhetische Spektrum an Ideen und Stilen hier jenes große Meta-Problem entsteht, dass diese Platte absolut keine kohärente Richtung hat und völlig chaotisch Dinge aufgreift, die nicht ausformuliert werden. Klar war Haftbefehl noch nie der konzeptuellste Rap-Künstler und ein bisschen wie Kraut und Rüben klangen seine Alben schon immer, doch wird das hier durch die vielen neuen Ideen und Experimente noch ein bisschen verschlimmert. Das weiße Album hat viele gute Momente, doch haben die selten genug Platz, um sich auch wirklich zu entfalten, was die LP als Ganzes letztendlich sehr durchwachsen wirken lässt. Und da muss auch ich bei aller Liebe, die ich für diesen Typen habe, ehrlich sagen, dass ich enttäuscht bin. DWA ist eine dieser Platten, die von der Sache her als großes Statement geplant waren, sich aber bei diesem Versuch in ihren eigenen Ambitionen verheddern und am Ende einfach zu viel wollen. Ich will damit nicht sagen, dass ein weiteres Russisch Roulette hier besser gewesen wäre, vor allem hätte ich mir aber gewünscht, dass Hafti sich mehr selbst vertraut. Denn mit dem Status und der Qualität, die er in den letzten zehn Jahren im Deutschrap etabliert hat, hätte er jenes große Statement auch ohne das ganze Trara und die Cloudrap-Anbiederung drauf gehabt. Was auch wieder ein bisschen ironisch ist, da ich nie geglaubt hätte, dass ein Deutschrap-Projekt mal an mangelnder Arroganz scheitert.


Hat was von
A$ap Ferg
Still Strivin'

Capital Bra & Samra
Berlin lebt 2

Persönliche Höhepunkte
Bolon | Morgenstern | Conan x Xenia | 1999 Pt. 5 (Mainpark Baby) | 1999 Pt. 6 (Gabriel vs. Luzifer)

Nicht mein Fall
Für immer reich | RADW | Ice | Depression & Schmerz


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