Sonntag, 19. April 2020

the Dark Knight

[ düster | kriminell | antagonistisch ]

Dass es in den letzten vier Jahren eine ganze Menge junger und aufstrebender Deutschrap-Künstler*innen gab, die von allen möglichen Leuten als das große neue Supertalent des Marktsegments auserkoren worden, ist 2020 kein Geheimnis mehr und schon seit einer Weile ist das eigentlich auch nicht der Rede wert. Für die digitalen Hypebeasts der Szene gibt es inzwischen  so gut wie jede Woche irgendeinen austauschbaren Act, den man jetzt unbedingt im Auge behalten sollte und das Genre angeblich grundlegend verändert. Dass die meisten davon letztendlich nicht die große Welle schlagen und ihre 15 Minuten im Rampenlicht von den Fridl Achtens dieser Welt mittlerweile in Echtzeit gestoppt werden, liegt dabei in der Natur der Sache und ist in stilistischen Umbruchsphasen wie dieser auch irgendiwie normal. Ich für meinen Teil bin dennoch immer ziemlich froh, wenn ich mich aus dieser Sache raushalten kann und nehme dann auch gerne in Kauf, tatsächlich relevante Beiträge erst zu besprechen, wenn der Staub sich gelegt hat. Wobei auch ich in den letzten Jahren auf ein paar Pferde gesetzt habe. Mit Haiyti und Juicy Gay waren einige davon recht erfolgreich, andere wie Jace brauchen wahrscheinlich noch ein bisschen. Eine meiner größten Hoffnungen ruht seit etwa 2017 aber auf einem jungen Berliner MC namens Samra, der inzwischen auch lange kein unbeschriebenes Blatt mehr im Deutschrap-Kosmos ist. Vor einigen Jahren ausgerechnet von Bushido aus dem Prominenz-Lostopf gezogen, war er nach dessen Label-Querälen letztes Jahr Juniorpartner von Capital Bra auf dem großartigen zweiten Berlin lebt-Album und ist mittlerweile sowas wie der kleine Stiefbruder des Straßenrappers. Wobei er als solcher bisher wenig eigenes Material veröffentlicht hat. Unter eigenem Namen erschien 2019 lediglich eine EP, weshalb mein guter Eindruck von ihm bis hierhin wesentlich auf Features lastete. Die allerdings waren dann auch Eins A. Auf Berlin lebt 2 zeigte er sich als mindestens gleichwertiger Sparringpartner für Capital Bra und auf dem letzten Bushido-Album waren seine Parts sogar um Welten besser als die des Hauptakteurs. Und obwohl die Kritik, dass Samras Stil von seinen beiden musikalischen Ziehvätern vielleicht etwas zu stark beeinflusst ist, durchaus berechtigt ist, sehe ich das doch relativ. Zum einen könnte man nämlich sehr vielen deutschen Rapper*innen zurzeit vorwerfen, nach jeweils beiden klingen zu wollen und was dieser Typ hat am Ende daraus macht, hat wenigstens den notwenigen Charakter. Er versteht es wie wenige seiner Kolleg*innen, den zeitgenössischen Cloud-Vibe inhaltlich aufzunehmen und daraus ein ernsthaft spannendes Selbstporträt zu basteln, das dann auch wirklich tiefgründig ist. Besonders aus Perspektive der im Deutschrap omnipräsenten toxischen Maskulinität sind seine Texte extrem spannend, da ihm diese zwar auch anhaftet, er sie aber häufig als problematisch anerkennt und selbst zum zentralen Thema macht. Samra ist in seinen Songs häufig ein Scheißkerl, er sieht das aber auch ein und hadert hörbar damit. Das macht ihn vielleicht nicht gleich total woke und stellenweise bleiben auch hier viele Lyrics problematisch, aber künstlerisch wahnsinnig ist dieser Ansatz wahnsinnig interessant. In seinen bisherigen Tracks wie auch auf diesem Debüt baut er sehr geschickt das Image eines kaputten Antihelden auf, der gerne ein anderer sein möchte, aber immer wieder in alte Gewohnheiten rutscht. Was als Teig für so einen Erstling schon mal gar nicht schlecht ist. Nur hat Jibrail & Iblis leider das Problem, dass es von diesem Punkt aus nicht weiterkommt. Als reines Charakterportät ist vieles hier nicht so schmissig und euphorisch gehalten wie auf Berlin lebt 2 und auch wenn er insgesamt drei Features hat, gibt es diesmal eben nicht immer einen Capital Bra, der im Zweifelsfall die richtige Hook parat hat. Stattdessen gibt sich Samra hier fast durchweg düster und nachdenklich, was vor allem dann zum Problem wird, wenn er das in 22 Songs in über einer Stunde tut. Denn so gut aufgebaut sein Image auch sein mag, es reicht nicht, um alleinstehend ein Album dieser Größe zu füllen. Es gibt Tracks wie Zu Ende, Jolina oder den Titelsong, in denen der Rapper sich an dramatischem Storytelling versucht, doch findet das auch eher im Hintergrund der üblichen Parameter Koks, Depression, Religion und Streit statt. Es ist tatsächlich ein bisschen, als hätte Samra die schmalzigeren Nummern von der Berlin lebt-Platte genommen und sie einfach viele Male dupliziert. Und wo ich sie dort als abwechslungsreiche Moodsetter mochte, können sie hier keine komplette Dramaturgie stemmen. Und das ist echt schade, denn so scheitert Jibrail & Iblis nicht am fehlenden Talent dieses Künstlers, sondern an einer einseitigen Ausführung, die vermeidbar gewesen wäre. Klar ist es gut, dass Samra auf seinem ersten eigenen Album seinen musikalischen Charaker zementiert, aber dazu hätte auch ein Drittel der Songs gereicht. Die Aufgabe hier wäre gewesen, darauf aufzubauen und ihn zu erweitern, was definitiv zu kurz gekommen ist. Das heißt wenn das hier ein Film wäre, gäbe es zwar die Auszeichnung für den besten Hauptdarsteller, aber herbe Rügen für das lückenhafte Drehbuch. Und das will ja nun auch niemand sehen.



Hat was von
Capital Bra
Berlin lebt

Bushido
Black Friday

Persönliche Höhepunkte
95 BPM | Gebet | Jolina | Berlin | Mon Ami

Nicht mein Fall
Zu Ende | 510


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